Paul-Henri Campbell: Zu Andrzej Kopackis Gedicht „Beim Häuten der Zwiebel“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Andrzej Kopackis Gedicht „Beim Häuten der Zwiebel“ aus Andrzej Kopacki: Gedichte für Marianna.

 

 

 

 

ANDRZEJ KOPACKI

Beim Häuten der Zwiebel

Aischa ließ sich nichts gefallen, von niemandem.
Sie roch nach Myrrhe, Moschus und manchmal nach Narde,
stolz im Blick und in der Stimme ein dunkles Timbre,
ein Hauch von Herrschaft. Damaszener Königin.

Einmal, da sah sie überm Hof eine Schalotte
fern schimmern, Aischa war, als tauchte die unter
und flüstere was. Sie begriff sofort und rannte.
Und sah nicht, wie Haus und Hof in Phosphor ersoffen.

Jetzt wohnt sie in einer Baracke weit weg von dort.
Aischa weiß, was sie will: arabisch Tanz, Schule.
Heute gibt sie in der Küche Essen aus nach Kurs.

Sie lernt. Trainiert ihren Körper. Und sie weint nicht oft.
Nur manchmal, wenn sie in der Küche Zwiebeln schälen,
flirrend-weiß-flüsternde. Dann sieht sie Damaskus.

 

Der Warschauer Germanist

und Schriftsteller Andrzej Kopacki, geboren 1959, gehört zu den bekannteren Stimmen der polnischen Gegenwartsliteratur. Als Redakteur der viel gelesenen, von Piotr Sommer herausgegebenen Zeitschrift Literatura na Świecie (dt. Literatur der Welt), die auch einen renommierten Übersetzerpreis vergibt, baut dieser Dichterdenker stark an den Sprachbrücken, die die linken und rechten Gestade der Oder verbinden. So erhielt Kopacki bereits 1998 den Preis der Stiftung Pro Helvetia und indessen viele weitere Ehrungen für seine Übersetzungen von z.B. Walter Benjamin, Arno Holz, Hans Magnus Enzensberger oder Hannah Arendt. Bereits 2011 erschien bei der Wiener Edition Korrespondenzen die mit An der Ampel betitelte Sammlung (übers. von Doreen Daume), worüber seinerzeit Christiane Zintzen in der NZZ geschrieben hatte:

Im Schönen wie im Schmerzlichen formuliert sich bei Kopacki das alte und immer neue Projekt der Poesie: Orte der Präsenz zu schaffen und aus dem Strudel der Zeit zu bergen.

Auch in der zweiten Gedichtsammlung Gedichte für Marianna (edition.fotoTAPETA) finden sich literaturhistorisch durchsäuerte Poeme, wie man sie von einem Poeta doctus erwarten dürfte, doch darüber hinaus entdeckt man Texte, die der Bedrängnis der Gegenwart abgerungen sind und in einem kunstvollen wie auch empathischen Stil präsentiert sind. Da schmunzelt man umso mehr mit einer aufgeknöpften, chorjambischen Heiterkeit, wenn man dann aber auch solch profane Zeilen wie die Folgenden in Gestalt der Asklepiadeischen Ode liest:

Doch was,
wenn sie mich nur betrügen will?

Oder eben sehr ernste Sujets, wie das obige, wo das biografische Schicksal einer Frau in den Kriegswirren um Damaskus mit dem gleichnamigen Bildungsroman von Günter Grass verhandelt wird. Zugleich bringt die feingearbeitete, sich ins Allegorische neigende Metaphorik die Tragik und den Willen dieser Aischa zur Geltung.

Paul-Henri Campbell, Volltext, Heft 1, 2022

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