Paul-Henri Campbell: Zu Ivan Blatnýs Gedicht „Feier“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ivan Blatnýs Gedicht „Feier“ aus Ivan Blatný: Hilfsschule Bixley. –

 

 

 

 

IVAN BLATNÝ

Feier

Poetry is a panacea for all illnesses
die Marx Brothers und ihr Eidotterfight

Der Dichter spricht in verschiedenen Sprachen
unten im See nachts bei den Wassergeistern

Der freie Weg wurde versperrt
quite blocked by gaiety girls.

 

Vielleicht

ist noch nicht genug über die Barmherzigkeit Englands gegenüber den Dichtern gesagt worden, denn in der Person von dem Tschechen Ivan Blatný (1919–1990) findet sich erneut eine Stimme, die, wie etwa Francis Thompson (1859–1907) oder Ernest Christopher Dowson (1867–1900) zuvor, aufgrund der Anteilnahme des Königreichs an labilen Poeten die Aufmerksamkeit der Welt gewinnen konnte. Der in Brünn/Brno geborene Ivan Blatný befindet sich, als die kommunistische Partei 1948 die Herrschaft in der Tschechoslowakei übernimmt, in London. In seinem Heimatland zählt der Tscheche zu den führenden Stimmen einer aufstrebenden, stark vom französischen Surrealismus beeinflussten Generation. Doch Blatný setzt sich ab und bleibt auf dem buchtenreichen Eiland. Seine Gedichte werden zweisprachig, wie in den letzten beiden Zeilen des Gedichts, scheint die im Émigré-Englisch verfasste Zeile mit „gaitey girls“ eine Antwort auf die ursprünglich auf Tschechisch verfasste Zeile davor. Seine Übersetzer Jan Faktor und Annette Simon berichten in einem umfangreichen Nachwort über die amüsante Tragödie seines dortigen Lebens: „Das britische Gesundheitswesen wurde zu dieser Zeit verstaatlicht und die… im europäischen Vergleich äußerst fortschrittliche englische Psychiatrie ermöglichte es Menschen wie Blatný, auch in einer Anstalt für Nervenkranke ein einigermaßen würdiges Leben zu führen. Bei Blatný wurden es insgesamt achtunddreißig Jahre, die er freiwillig als Patient und Sozialhilfeempfänger verbrachte.“ Es gelingt ihm, einige Ressourcen der wohlhabenden Familie vor der Verstaatlichung zu schützen und doch verbringt der nervenkranke Blatný die zweite Hälfte seines Lebens in klinikartigen Umständen nahe Ipswich, wo sich um 1977 die Krankenschwester Frances Meacham seiner annimmt und beginnt alles, was sie im Umkreis seines Schaffens zusammenklauben kann, zu sammeln. Eben dieses Image des Dichters mit „Flucht ins Irrenhaus“ (wie Jürgen Serke 1980 seinen Artikel im Stern überschrieb), der durch teilweise absurde Maßnahmen die Nervenärzte von seiner Hilfsbedürftigkeit zu überzeugen wusste, prägte die Wiederentdeckung Blatnýs Werk am Ende des 20. Jahrhunderts. Aber finden wir in Ivan Blatný wirklich einen Art Hölderlin im Tower des britischen National Health Service? Wie einen jener unzähligen Dichter, den fünfzig Jahre davor viktorianische Wohlfahrtsdamen aus den Opiumhöhlen entlang der Themse „ausgelöst“ hatten? Blatnýs Gedichte zeichnen aber ein komplexeres, auch widersprüchlicheres Bild. In solchen Texten zeigt sich, dass die britische Barmherzigkeit auch leicht kippt in Grausamkeit und Schikane, ähnlich wie bei der Figur der Nurse Ratched aus One Flew Over the Cuckoo’s Nest.

Paul-Henri Campbell, Volltext, Heft 4, 2018

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