Peter Demetz: Zu Bertolt Brechts Gedicht „Vom armen B. B.“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Bertolt Brechts Gedicht „Vom armen B. B.“ aus Bertolt Brecht: Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. –

 

 

 

 

BERTOLT BRECHT

Vom armen B. B.

I
Ich, Bertolt Brecht, bin aus den schwarzen Wäldern.
Meine Mutter trug mich in die Städte hinein
Als ich in ihrem Leibe lag. Und die Kälte der Wälder
Wird in mir bis zu meinem Absterben sein.

2
In der Asphaltstadt bin ich daheim. Von allem Anfang
Versehen mit jedem Sterbsakrament:
Mit Zeitungen. Und Tabak. Und Branntwein.
Mißtrauisch und faul und zufrieden am End.

3
Ich bin zu den Leuten freundlich. Ich setze
Einen steifen Hut auf nach ihrem Brauch.
Ich sage: Es sind ganz besonders riechende Tiere
Und ich sage: Es macht nichts, ich bin es auch.

4
In meine leeren Schaukelstühle vormittags
Setze ich mir mitunter ein paar Frauen
Und ich betrachte sie sorglos und sage ihnen:
In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.

5
Gegen Abend versammle ich um mich Männer
Wir reden uns da mit „Gentlemen“ an.
Sie haben ihre Füße auf meinen Tischen
Und sagen: Es wird besser mit uns. Und ich frage nicht: Wann?

6
Gegen Morgen in der grauen Frühe pissen die Tannen
Und ihr Ungeziefer, die Vögel, fängt an zu schrein.
Um die Stunde trink ich mein Glas in der Stadt aus und schmeiße
Den Tabakstummel weg und schlafe beunruhigt ein.

7
Wir sind gesessen, ein leichtes Geschlechte
In Häusern, die für unzerstörbare galten
(So haben wir gebaut die langen Gehäuse des Eilands Manhattan
Und die dünnen Antennen, die das Atlantische Meer unterhalten).

8
Von diesen Städten wird bleiben: der durch sie hindurchging, der Wind!
Fröhlich machet das Haus den Esser: er leert es.
Wir wissen, daß wir Vorläufige sind
Und nach uns wird kommen: nichts Nennenswertes.

9
Bei den Erdbeben, die kommen werden, werde ich hoffentlich
Meine Virginia nicht ausgehen lassen durch Bitterkeit
Ich, Bertolt Brecht, in die Asphaltstädte verschlagen
Aus den schwarzen Wäldern in meiner Mutter in früher Zeit.

 

Heimweh

Manchmal liegt das Autobiographische eher zwischen den Zeilen als in ihnen, und wer dieses Gedicht als unmittelbare Lebensbeichte lesen wollte, dem wird energisch nahegelegt, und nicht nur durch die nüchterne Numerierung der Strophen, auf Distanz zu gehen. Abstand! Abstand! und keine Sentimentalitäten, die geneigt wären, sich in unerdachte lyrische Gefühle einzuleben, die der Autor streng zensuriert. Das beginnt schon mit der Form des Vornamens – Bertolt, eine kalkulierte Chiffre, also nicht Eugen Berthold, Bertold oder Bert, wie der Verfasser sonst zeichnet, und mit den Reimen und Assonanzen, in studierter Nonchalance und melodisch wirksam, einmal wie wegradiert und ein andermal, in Strophe sieben, in auffälliger Konzentration.
Ich höre das Gedicht als Ballade mit Gitarrenbegleitung, vorgetragen von diesem B. B. mit seiner ein wenig krähenden Stimme, ähnlich wie das Lebenslied Baals im frühen Stück, mitsamt den Wedekindschen Provokationen, den Adjektiven Rimbauds und den Wäldern Karl Mays: wenn Brecht das ursprüngliche Gedicht, geschrieben im Jahre 1922, nicht für die Hauspostille (1927) – so wie der Text hier vorliegt – radikal umgeschrieben hätte, und nicht nur durch die neuere Kombination der radebeulschen Winnetou-Wälder mit dem eleganteren Dickicht der Städte Berlin/Chicago/New York.
Im ursprünglichen Gedicht, das John Willett im Brecht-Archiv transkribierte, sind die Wälder, wie im Leben Baals, zaubrische Orte der Zuflucht und Geborgenheit, und als sich der jüngere B. B. in den Städten findet, vermag er sich noch in die tröstliche Erinnerung zu flüchten, „es müssen die Wälder aber damals in mir geblieben sein“, und selbst „in Papier und Weiber verschlagen“, hat er in sich „eine schwarze Stille“ und „ein Tannengebraus“. Das hat sich im neueren Gedicht geändert: Die Kälte der Wälder ist weder Heimat noch tröstende Erinnerung mehr. Der Mann der Großstädte empfiehlt uns, seine Kühle und seinen lockeren Egoismus zu bedenken; und aus seiner Geschichte heben sich sein Bericht über den Ablauf eines beispielhaften Tages und einer Nacht (Strophen 4, 5 und 6) und die abrupten Prophezeihungen als selbständige Elemente hervor. Vormittags die Frauen (Plural) in erotisch hingebender Bewegung, welcher er sich entzieht, abends die dubiosen Gentlemen, die aus den Schnapssalons herkommen, und die leichte Unruhe vor seinem betäubten Branntweinschlaf – eine leichte Unruhe nur, denn auch die zukünftigen Katastrophen sind wie Szenen eines epischen Theaterstücks, das den kühlen Zuschauer nicht daran hindern wird, seine Virginia weiterzurauchen (das gekoppelte Motiv der Zigarre und des epischen Theaters stammt wörtlich aus den theoretischen Schriften). Manhattan/Mahagonny ist überall, cool, man, real cool, und die postmoderne Relax-Attitüde einer Lässigkeit ohne Engagement wird mit Genauigkeit antizipiert.
Aber das Ganze hat doch noch einen autobiographischen Haken. Die gründliche Veränderung des Gedichtes verwandelt die ursprüngliche Nostalgie nach den Wildwestwäldern, die jetzt ebenso kalt sind wie die großen Städte, ins Heimweh nach einem anderen Glück. Das war nur im warmen Mutterschoß zu finden, als er „in ihrem Leibe lag“, in der ersten und dann wieder, abschließend, in der letzten Strophe – „in“ seiner Mutter „in früher Zeit“. Merkwürdig, wie wenig man in der Epoche der Psychoanalyse an den „armen“ B. B. und seine Mutter Sophie dachte, die seit 1910 zehn Jahre lang an Brustkrebs dahinsiechte, der Familie immer mehr entrückt, und nur, wie eine Augenzeugin berichtet, an lauen Sonntagen „in ihrem Stuhl oft den ganzen Nachmittag in dem Garten im Hof“. Eine Hausdame übernahm das Regiment im Haus; und daß man B. B. eine Mansarde, oben im zweiten Stock, anwies, förderte seine Freiheit, aber zugleich seine Isolation. Er liebte seine Mutter sehr, wie die frühen Gedichte in der Münchner-Augsburger Abendzeitung zeigen, Mutter sein, das heißt: „tausendmal sterben“, und als er seinen Baal schrieb, war es deutlich, wie sehr er sich von den Brutalitäten des jungen Dichters gegen seine Mutter (in Hanns Johsts Grabbe-Stück, gegen das er anschrieb) abgestoßen fühlte. Als seine Mutter gestorben war, notierte er den Satz, wie eine Freundin bezeugte, „man kann sie mit den Nägeln nicht mehr auskratzen“ (1920). Welche Geborgenheiten suchte er dann und wo, bei welchen Frauen, in welchen Städten, in welchen Glaubenssystemen? In diesem Gedicht sagt einer Mama und pfeift in einer kalten und finstern Welt ohne Zukunft und Hoffnung, um sich Mut zu machen.

Peter Demetzaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Vierzehnter Band, Insel Verlag, 1991

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