Peter Rühmkorf: Irdisches Vergnügen in g

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Peter Rühmkorf: Irdisches Vergnügen in g

Rühmkorf: Irdisches Vergnügen in g

GUTER FREUNDE NACHTLIED

Der Mond ist aufgegangen,
aus der Tasche rinnt mir die Zeit;
wir gleiten, mylords, wir gleiten
in die Bremsspur der Ewigkeit.

Ach Riegel, mein lieber Riegel,
und süffeln sonder Bedacht,
zwei biedere Eulenspiegel
von der sternengesalzenen Nacht.

Dich deucht, ich hätt Profundes
in meinem Schädel mitgeführt?
Das Schlaflied eines Hundes
ist, was mein Herze rührt.

Auch such ich keine Künste;
sieh, wie ich bester Zuversicht
meine Bedenken dünste
im ausgelaßnen Mondenlicht.

Gezweifelt und gepfiffen –
das ist, wie man den Mund verzieht,
im Wind mit einbegriffen,
der nach uns schnappt, Candide!

 

 

 

Irdisches Vergnügen in g

Als der 29jährige Peter Rühmkorf im Jahre 1958 den Hugo-Jacobi-Dichter-Preis empfing, charakterisierte Hans Bender den Autor im folgenden Sinne:

Keins der honorigen Gremien hätte ihm für seine Heiße Lyrik einen Preis zuerkannt; er gehört gewiß nicht zu den Jasagern oder Lobrednern, weder als Lyriker Peter Rühmkorf, als Herausgeber des Pamphlets Zwischend en Kriegen, noch als der sarkastische Leslie Meier des Lyrik Schlachthofes.

Im übrigen führte die Verleihung des Preises zu der Kuriosität, daß die zwei Juroren, Hans Bender und Ferdinand Lion, unabhängig voneinander zwei Auotren nominiereten: Peter Rühmkorf und Leslie Meier.
Irdisches Vergnügen in g. – schon in dieser Formel, die den Brockes-Titel Irdisches Vergnügen in Gott herausfordernd persifliert, spricht sich das eigenartig ambivalente Weltbewußtsein des jungen Dichters aus. Dem Dasein spontan zugewandt, begegnet er dessen modernen Formen doch mit einer wissenschaftlich skeptischen Distanz. „g“, das physikalische Symbol der Fallbeschleunigung, bezeichnet ihm die letzte verläßliche Kraft, der er seine Existenz aufbegehrend ausgeliefert weiß und der er gelassen vertraut. Seine Aufrichtigkeit verbietet ihm, seine Erfahrungen mit gängigen Wertstempeln zu versehen. Zwiedeutig sind die Phänomene, denen er sich gegenübersieht, und der dichterische Geist, der ihnen Zusammenhang gibt, muß diese Doppeldeutigkeit verzeichnen. So paart sich das Hymnische mit dem Ironischen, das Gewöhnliche mit dem Hochgemuten, das Schwierige und Differenzierte mit dem liedhaft Schlichten. Das Zärtliche kann im Gewand des Frivolen erscheinen, kecke literarische Anspielungen und Verkehrungen geflügelter Worte ergeben erhellende Paradoxien, und oft changieren die Verse kunstreich und „januszüngig“ zwischen Frechheit und Andacht. Rühmkorfs frappante Formsicherheit und seine aparte Reimtechnik geben dem Straßendeutsch melodischen Glanz, machen den Slogan poetisch und laden ermüdetes Sprachmaterial mit neuer Spannung auf. Gleichweit von wohlfeilem Nihilismus und leichtfertiger Hoffnung entfernt, sind diese Gedichte elementare Zeugnisse einer desperaten Daseinsfreude.

Rowohlt Verlag, Klappentext, 1959

 

Ein lustiger Gesell

Wie wir aus im allgemeinen gut unterrichteten Kreisen erfahren, spricht schon der Titel des reizenden Werkchens (oder schmalen Bändchens) „das eigenartig ambivalente Weltbewußtsein des jungen Dichters aus“. Aus derselben Quelle kommt uns ein Wink zu, der – richtig verstanden – besagt, daß der Buchstabe „g“, mit dessen Hilfe unser Poet den klassischen Titel des Hamburger Dichters Brockes (1680–1747) Irdisches Vergnügen in Gott auf so launige Weise abwandelt, das „physikalische Symbol der Fallbeschleunigung“ darstellt. Auch der Umschlag des ansprechenden Büchleins hilft uns Lernbegierigen ein wenig auf die Strümpfe, denn er zeigt ein menschliches Beinpaar, das an einem Höllensturz oder sonst einer Fallbeschleunigung teilnimmt und „nach einer Anregung“ des Autors offenbar einem klassischen Bilde entnommen ist. Viel wird also von allen Seiten getan, um uns Zugang zu dem Inhalt des schmucken Heftchens zu verschaffen. Wir werden gleichsam aufgefordert, durch ein kompliziert geformtes Schlüsselloch in einen Raum zu kriechen, in dem ein junger Poet seine Kunststücke zeigt. Es zeigt sich aber, daß die Tür, zu der das Schlüsselloch gehört, weit offensteht.
Es heißt, daß die Aufrichtigkeit, die den Dichter plagt, es ihm verbietet, „seine Erfahrungen mit gängigen Wertstempeln zu versehen“. Er übertritt indessen – vielleicht nach schwerem innerem Ringen – dies Verbot mit großer Ausdauer und macht uns mit fünfzig Gedichten bekannt, mit denen wir längst bekannt zu sein glauben, so gängig ist ihre Machart. Die Verwendung der lyrischen Technik, des Reimes, der rhythmischen Gliederung und der Strophen vermag uns keinen Augenblick davon abzulenken, daß wir es mit einem begabten Feuilletonisten zu tun haben, der einer besonderen Form jenes Journalismus huldigt, wie er auch von Enzensberger und Genossen – freilich in anderer Art – mit großer Geläufigkeit getrieben wird. Gegen diese Form, sich mit sich selbst und mit der Welt auseinanderzusetzen, ist nicht viel einzuwenden.
Der Journalismus ist, recht gehandhabt, eine ebenso würdige wie wirkungsvolle Form der Zeitkritik und kann zu sprachlichen Erfüllungen führen, die das behandelte Problem zwar nicht lösen, aber mit ihm versöhnen. Daß der Journalismus, in Verse gesetzt, die Dinge erschwert, ist kein Unglück. In frühen Lebensstadien, in denen der Schriftsteller das Publikum noch fürchtet (wenn auch nicht achtet), ist die Aufrichtung künstlicher Hindernisse sehr beliebt. Schlimm ist nur, wenn der Leser diese Hindernisse überhaupt nicht bemerkt und sich daher auch nicht angeregt fühlt, sie zu überwinden.
Die Grenzen des literarisch Sagbaren werden durch die Konvention gezogen. Diese ist heute gewiß weitherziger, aber auch stumpfer als in früheren Jahrzehnten. Die Vorstellung von Freiheit wird im wesentlichen durch das bestimmt, was man „der Gesellschaft bieten“ kann. In diesem Punkt kann unser Poet, der sich soviel irdisches Vergnügen schafft – ohne freilich an das unsere zu denken –, völlig beruhigt sein. Niemand wird es wagen, gegen eine Verszeile wie diese aufzumucken:

Im Zorn des Sommers, ganz mit Gold bekotzt […]

Er will uns herausfordern, aber das gelingt ihm nicht, denn aus Angst, in jenes „Restauratorium“ zu gehören, von dem er so gerne singt und sagt, mucksen wir nicht. Er mag uns hänseln und schockieren, wie er will, wir nicken bejahend mit dem Kopf wie die Esel, für die er uns hält, und schlucken seinen Brei, als ob es die geläufigste Hausmannskost wäre. Es muß ein trostloses Geschäft sein, sich mit der Erzeugung von Provokationen abzuplagen, zu denen alle Welt ja sagt. Dabei muß man Rühmkorf zugeben, daß er ein witziger Mann ist; er hat als Leslie Meier mit seinen Kritiken zeitgenössischer Lyrik den Nagel, soweit von einem solchen die Rede sein konnte, oft auf den Kopf getroffen, und man kann nicht bestreiten, daß manche seiner Verse, besonders jene, die in der Nachfolge von Wilhelm Busch geschrieben sind, uns belustigen, etwa:

Ob Meister Gokkel von der Krise kräht
Er muß doch in den Topf!

Das klingt recht lustig und ist von melancholischer Wahrheit. Kurz, genauso, wie Rühmkorf sich die bürgerliche Welt vorstellt: Lache, Bajazzo!
Rühmkorf hat das Recht, zu dichten, wie er will. Sein Recht ist nicht geringer als das unsere, uns die Ohren zuzuhalten. Die Hauptsache ist, daß wir es beide mit gutem Gewissen tun. „Auf so muntere Art morbid zu sein / Ist nicht jedem gegeben“, dichtet er mit löblicher Selbstironie von sich selbst. Gewiß, nicht jedem! Aber wer seinen Gottfried Benn und seinen Brecht gründlich kennt, kann schon manch lustiges Lied zustande bringen. Rühmkorf glaubt ein Parodist der Benn’schen Lyrik zu sein, ist aber in Wirklichkeit ihr sorgfältiger Nachahmer, und er kann uns über diese Tatsache nicht im geringsten dadurch hinwegtäuschen, daß er ein „Lied der Benn-Epigonen“ anstimmt, denn wir merken gleichwohl, daß er dazugehört. Das bei weitem beste Stück der Sammlung ist eine sehr enge Nachahmung des Liedes vom armen Bert Brecht, und obwohl wir gute Imitationen lieber lesen als schlechte Originale, ist doch in diesem Fall die Dissonanz zwischen einem lustigen Bruder vom Feuilleton und einem düsteren Pathetiker, der einem Leben voller Kämpfe entgegengeht, allzu grell. Für unseren Autor sind die Aussichten hell, wir werden ihn bald beim Rundfunk, als Redakteur oder Lektor sehen, und überall wird er seinen Hauptberuf als Revolutionär ohne ernste Störungen weiter ausüben können. Wir brauchen solche Leute, unsere Gesellschaft bedarf der verlorenen Söhne, der Umstürzler und Bußprediger; wir sorgen dafür, daß sie nicht im biblischen Schweinekoben oder im Dachstüblein verkommen, sondern ihren sicheren Platz am Diplomatenschreibtisch finden. „Süßes Merde“ (siehe das französische Wörterbuch) singt unser Schelm und wählt damit, wie man sieht, die feinsten künstlerischen Mittel, um uns an der Fallbeschleunigung, die ihm widerfährt, teilnehmen zu lassen. Der Dichter soll Assoziationen nicht aus dem Wege gehen, sonst käme ja nicht einmal die bescheidenste Bierzeitung zustande, und so wird denn aus einem Schuster, der bekanntlich bei seinen Leisten bleiben soll, ein Mann mit einem Leistenbruch, oder das Ei des Kolumbus ist in der Molkerei zu kaufen. Dahin kann der Journalismus führen, wenn man ihm nicht scharf auf die flinken Finger sieht. Die Gegenstände der Rühmkorfschen Ironie und Lustigkeit einschließlich der Fallbeschleunigung überstehen leider seine poetische Behandlung mühelos und fahren, gänzlich unbeeinträchtigt, fort, uns zu ängstigen.

Friedrich Sieburg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.11.1959

Heiße Lyrik?

Man sollte manchmal einfach den Klappentext zitieren. Bereits die Anführungszeichen des Zitats würden genügen, das Buch in die Distanz zu schicken. Der Gedichtband von Peter Rühmkorf wird mit folgenden Epitheta gepriesen: „das Zärtliche im Gewand des Frivolen“ – „kecke Verkehrungen geflügelter Worte ergeben erhellende Paradoxien“ – „elementare Zeugnisse einer desperaten Daseinsfreude“ usw. Das klingt wie die Charakteristik eines Mode-Journalisten und nicht wie die Kritik eines zornigen jungen Mannes.
Peter Rühmkorf gilt als ein deutscher Vertreter dieser Gattung. Er wurde zuerst als Mitarbeiter von Werner Riegel und Klaus Röhl in den hektographierten Blättern des „Finismus“: Zwischen den Kriegen bekannt. Später brachte der Limes-Verlag in der Reihe seiner Lyrikhefte eines mit dem Titel Heiße Lyrik, in dem Rühmkorf mit dem inzwischen verstorbenen Riegel zusammengebunden war. Noch bekannter wurde er unter dem Pseudonym Leslie Meier, unter dem er in der Hamburger Studentenzeitung, die seit einiger Zeit Konkret heißt, die nachbennschen deutschen Verseschmiede schlachtet und sich mit ihren Skalpen schmückt. Im vorigen Jahr erhielt er den Hugo-Jacobi-Preis.
Im Klappentext des jetzt erschienenen Gedichtbandes wird auch (dankenswerterweise) der Titel des Buches erklärt. Er bedeutet zunächst eine Anspielung auf das Irdische Vergnügen in Gott von Brockes, dem Ritzebütteler Amtmann und Verskommentor der Leibnizschen Lehre von der besten aller Welten. Rühmkorfs Titel ist parodistisch gemeint und besagt, daß sein Erfinder es mehr auf die schlechteste aller Welten abgesehen hat. („Kurzwarenladen an der Leibnizstraße, der beste der Läden“, witzelt er.) In der Parodie steckt jedoch gleichzeitig nicht, wie man vielleicht (irritiert) vermuten möchte, eine Anspielung auf die Tonart g-Moll, sondern eine auf „g, das physikalische Symbol der Fallbeschleunigung“ (so Klappentext). „Irdisches Vergnügen in Fallbeschleunigung“. Ein beschleunigt Fallender also?
Der Band enthält 50 Gedichte, davon 40 in Antiqua und 10 in Fraktur gesetzt. Es scheint, als solle der Kontrast des altertümlichen Schriftbildes den Affront gegen die Theodizee stützen. Wird dieser Kontrast vertieft, wenn auf der einen, der Antiquaseite, von rüden Gorillaherzen, läufigen Nachtigallen, vom goldenen Schaum vorm äsenden Maul des Sommers, von Leslie, dem asthenischen Schwein, und ähnlichem die Rede ist und auf der andern von Fliedern, Fröschen, Rosen, Sichelwagen, pfirsichfarbenen Schlüpfern usw.? Oder ist das alles dasselbe? Warum dann die Unterscheidung? Aus Dekorationsgründen?
Rühmkorf hat in einem seiner letzten Schlachtzüge etwas Theorie ausgeplaudert. Er schrieb: „Man hat anscheinend vergessen, daß Valéry lehrte, alle fünf Jahre müsse eine neue Lösung des Schockproblems gefunden werden, man beliebte zu übersehen, daß Schönheit und Schock voneinander abhängige Größen sind.“ Hat nun Rühmkorf eine neue Lösung des Schockproblems gefunden? Wen soll was schockieren? Daß auf Brockes angespielt wird, daß mittelalterliche Zitate und nordgermanische Buchstaben eingemischt werden, das beweist lediglich, daß der Autor Germanistik studiert hat (und Literaturgeschichte). Wendungen wie: „der Gaumen zerfließt“ – „Stunde aus magischem Blau“ – „Trauer kat’exochen hinter der Blütenwelle“ zeigen nur, daß er Benn auswendig gelernt hat; Stellen wie: „Antithese: die Behauptung, daß zwischen den Planeten Mars und Jupiter aus Gründen der Vernunft (?!) kein dritter Stern möglich wäre – heißa Kathreinerle, da doch zwei Jahre vor Hegels Habilitationsschrift die Ceres bereits entdeckt war“ und viele ähnliche beweisen dasselbe mit Arno Schmidt. Und sich selbst als Schwein bezeichnen und die eigene Phantasie mit der Vorstellung von Achselhaaren und der Farbe Blau blockieren, kann auch weder schockieren noch bezaubern.
Rühmkorf hat eine Begabung für die Effekte der Virtuosität. Er ist ein sprachrhythmischer Imitator von verblüffender Fertigkeit. Was herauskommt, ist jedoch weniger Schönheit durch Schock als vielmehr eine Mode des Shocking. Aber selbst wenn man seine theoretische Rede von der „Ökonomie im Umgang mit ästhetischen Werten“ sinngemäßer umwandelte in eine Ökonomie im Umgang mit unästhetischen Wörtern, bleibt das Ergebnis mager. Die Gedichte sind nicht einmal unanständig.
Erkennbar bleibt allein die Pose, bei der, wie Rühmkorf selber (allerdings nicht von sich selbst) sagt, „Bluff und Kunstfertigkeit eine seltsame Allianz eingehen, die dem unerzogenen Auge leicht als Schönheit erscheint“. Riegel hatte die bittere Romantik der Verkommenheit, Röhl das Pathos und die Schärfe einer selbstgebauten Unheilslehre. Rühmkorf ist nur der auf deutsche Lyrik übersetzte Jargon hartgesottener amerikanischer Kriminalromane. Aber dann lese ich lieber gleich Chandler oder Hammett.

Helmut Heißenbüttel,  Neue Deutsche Hefte, Heft 65, Dezember 1959

Ich bin kein Adeler geboren

– Peter Rühmkorf – ein Anti-Ikarus und sein sehr Irdisches Vergnügen in g. –

Der wohlsituierte Hamburger Kaufmann und Aufklärer Barthold Heinrich Brockes ließ von 1721–1748 in neun Teilen seine umfangreiche Gedichtsammlung Irdisches Vergnügen in Gott erscheinen. Diesen Titel parodiert Peter Rühmkorf, wenn er seinen zweiten Gedichtband Irdisches Vergnügen in g nennt. Dieses „g“ ist die physikalische Konstante der Fallbeschleunigung, für Rühmkorf die letzte verläßliche Größe in der Inflation der Werte: „Du findest dich durch Schwerkraft genügend belegt.“
Gott als Fallbeschleunigung? Das ist Blasphemie, ja man sucht nach einem strengeren Wort für dieses Vergehen und entscheidet sich entrüstet für Gotteslästerung. Dann besinnt man sich aber, daß Brockes den Gemsbock als Beweis göttlicher Weisheit gefeiert hat, weil sich aus seinen Hörnern Spazierstockkrücken herstellen lassen, und nimmt das Urteil zurück. Dieser Gottesbegriff ist in sich schon fast eine Lästerung, die nach einer Persiflage verlangt. Aber Rühmkorf bleibt nicht bei Brockes stehen. Der ehemalige Leslie Meier kommt von der Praktik seines „Lyrik-Schlachthofes“ nicht los, er läßt auch Angelus Silesius („Mensch sei helle. Werde unwesentlich […], Das Wesen, das zergeht“), Klopstock („Dahinter den Mond, wenn ihm Tran, / Tran, hell wie Tau, aus zerlassener Locke träuft“), Claudius („Der Mond ist aufgegangen, / aus der Tasche rinnt mir die Zeit […] Auch such ich keine Künste; / sieh, wie ich bester Zuversicht / meine Bedenken dünste / im aus gelaßnen Mondenlicht“) und Hölderlin („Der du auch einmal kamst, Bellarmin, dein gewaltiges Herz / unter Fünftausend zu brocken“) über die Klinge springen, was wir ihm verübeln; denn das war vor Inflation und Währungsreform und wird daher auch Rühmkorf überdauern.
Auf dem Umschlag des Bandes zeigt ein grotesker Ausschnitt aus einem barocken Gemälde den stürzenden Ikarus vom Nabel bis zur Zehe. Rühmkorf versteht sich als „Anti-Ikarus“ („Ich bin kein Adeler geboren“). Er hat sein irdisches Vergnügen in der Schwerkraft. Er bekennt – horribile est dictu – „Coca ergo sum“. Das erinnert uns an Lady Chatterley und ihren Heger. Nur haben diese den Vorzug des unverstellt Elementaren. Rühmkorf gelingt selbst die Feststellung des Elementarsten nicht ohne Persiflage. Descartes muß dran glauben. Dieser Leslie Meier kann nur existieren, wenn er andere schlachtet oder ausschlachtet. Das ist nicht unbedingt ein gutes Zeichen.
Stilistisch ist Rühmkorf ein Epigone Benns, bisweilen differenzierter als dieser, meist bleibt er jedoch unter ihm, obwohl er unbescheiden von sich behauptet, er „beherrsche die Ironie dritten Grades“ und das „Hohelied des Ungehorsams“, das „von keinem bisher so prägnant als von ihm gebellt oder verkündet“ worden sei. (Villon, Rimbaud, Wedekind, Brecht, Grass, Enzensberger existieren offenbar nicht.) Benns Astern kehren bei Rühmkorf als Flieder wieder; das Blau wird unverfärbt übernommen; ausgebaut wird der Komplex „im Hemd, „unter der Jacke“, „in der Hose“, wo von Herz und Gefühl die Rede ist.
Neben den Benngedichten – nennen wir sie einfachheitshalber ruhig so – stehen freirhythmische Gedichte in gotischer Fraktur mit Arno Holzscher Mittelachse. Diese Parodien auf Klopstocks und Hölderlins Sprachgebärde, auf Empfindsamkeit und Idealität, bleiben sprachlich durchweg weit hinter dem Parodierten zurück, sogar hinter Brockes, mit dessen „Ich sahe mit betrachtendem Gemüthe […]“ sich nicht leicht etwas Rühmkorfsches messen kann. Diese freirhythmischen Gebilde wirken merkwürdig uneinheitlich und zerstreut, trotz einzelner guter Einfälle haben sie selten den Atem bis zum Schluß.
Aber bei all diesen Vorbehalten wollen wir zweierlei nicht verkennen, ja, wir machen diese Vorbehalte nur, um den Blick auf das zu lenken, was uns an Rühmkorf wesentlich erscheint. Erstens: Dieser Schlächter ist ein Wahrheitsversessener, einer, der um keinen Preis etwas rühmt, was er nicht vertreten kann, und auch nicht zuläßt, daß so etwas von anderen gerühmt wird. Wie Brecht bewegt er sich aus Redlichkeit an der unteren Grenze, wo er ehrlichen Boden unter den Füßen hat. Auch dieser Lästerer ist ein Moralist, und deshalb schätzen wir ihn. – Zweitens: Rühmkorf fordert für sich:

Leslie, das asthenische Schwein,
gut, wir lassen es leben –
Auf so muntere Art morbid zu sein,
ist nicht jedem gegeben.

Wir sind da anderer Meinung: Leslie, das asthenische Schwein, muß abgestochen werden, weil es nicht genügt, auf so muntere Art morbid zu sein, abgestochen, damit Peter Rühmkorf in Zukunft sein sprachliches Kalkül zum Rühmen dessen verwenden kann, was er wirklich vertritt. Wir haben im vorigen Sommer ein Sonett von ihm in der Zeit gelesen, „Flügge Flammen“, das mehr wert ist als das ganze irdische Vergnügen in g. Bevor Rühmkorf einen Band mit solchen Gedichten vorgelegt hat, wozu er sicher imstande ist, sollte er nicht mehr parodieren. Wer noch nicht geflogen ist, sollte auch nicht abschießen.
Rühmkorf fühlt sich nicht als „Adeler“ geboren. Wir sind aber der Ansicht, daß er sehr wohl fliegen könnte; wenn auch vielleicht nicht hoch, so doch um so sicherer, ohne Absturz, an der unteren Grenze.

Arnfrid Astel, Christ und Welt, 7.4.1961

Irdisches Vergnügen in g

Die Schule, das ist schon lange her, und wenn nicht der Buchklappentext freundlich nachhülfe, ich hätte es nicht (mehr) gewusst: dass „g“ das physikalische Zeichen der Fallbeschleunigung ist (Peter Rühmkorf: Irdisches Vergnügen in g – Fünfzig Gedichte. Verlag Rowohlt, Hamburg 1959). Der gute Senator Brockes! Nun ist also sogar sein behäbig-freundliches Irdisches Vergnügen in Gott entmythologisiert worden. Was allerdings so überraschend auch wieder nicht ist. Dass die aufklärungsoptimistische Naturtheologie des 18. Jahrhunderts, wie B.H. Brockes sie versifizierte, eines Tages „das Christliche an die Luft setzen“ wird und muss, hat nicht nur Karl Barth in seiner Schöpfungslehre deduziert, das ist schon lange vor Barth und Rühmkorf Ereignis geworden. Rühmkorfs Titel gibt jetzt die Formel dafür: „g“ statt „Gott“, Antitranszendenz statt Weltverklärung durch Transzendenz. Wenn man noch die Psychologie bemühen will: Pessimismus statt Optimismus. Die Vorzeichen haben also gewechselt, geblieben jedoch ist das „irdische Vergnügen“, unter einem unfreundlichen, radioaktiven Himmel jetzt, vor einer anderen oder vor überhaupt keiner Zukunft mehr (wer könnte das sagen?); „Vergnügen“ oft mit frecher Bitterkeit und gerne mit scharfer Polemik gewürzt (also doch immer noch und gottlob ein Aufklärer!); aber dennoch, wenn auch kurz, flüchtig, fragwürdig, voller Zweifel: „Vergnügen“! Wenn man nach der Moral fragt: sie findet sich in diesem „Dennoch“. Dann aber vor allem das Rühmkorfsche Vergnügen an der Sprache, am Wort und an den Wörtern! Es überträgt sich prickelnd auf den Leser: Mitten in einer Hausse reimloser Lyrik werden Reime serviert, pikant wie Paprika. Kühne, freche, ja empörende Bilder werden uns zugemutet: aber siehe, sie sitzen! Slang, Jargon in Fülle: doch er verschlampt die Sprache nicht, er lädt sie im Gegenteil mit neuen Energien auf. Kein lyrischer Prosahack: Lieder vielmehr, „Volks- und Monomanenlieder“, Songs und dazu Brockessche Strophenformen, berstend von Gegenwart. Überaus gekonnt dies alles: kritische Munterkeit hält Sentiment und Verzweiflung, oft auch das Kokettieren mit dieser, in Schach. Ein deutscher „beatnik“ vielleicht? Aber wenn man das „Geheul“- Gedicht des authentischen „beatnik“ Allen Ginsberg danebenhält: was für ein chaotischer Seelen-Erguss, verglichen mit den präzisen Versen Rühmkorfs! Ganz abgesehen vom intellektuell-politischen Profil, das den „beatniks“ fehlt, bei Rühmkorf, dem Aufklärer, jedoch ausgeprägt ist. Genug des Räsonnements. Es ging einzig darum, einen der erfreulichsten und besten deutschen Gedichtbände der letzten Jahre anzuzeigen. Wer ihn zur Hand nimmt, bereitet sich selber: „irdisches Vergnügen in R.“

Kurt Marti, DU, Heft 3, März 1960

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Horst Bingel: Irdisches Vergnügen in g
Die Kultur, 1961

Th. Christoph: Ein westlicher Dichter und ein östlicher
Die Weltbühne, 16.12.1959

M. Eger: Irdisches Vergnügen an Gedichten
Fränkische Presse, 6.11.1960

H. Heisler: Lyrische Stratosphären mit Papierdrachen
Süddeutsche Zeitung, 26./27.9.1959

Jens Hoffmann: Hymnen der Schwerkraft
Sonntagsblatt, 6.12.1959

Curt Hohoff: Lyrische Reiche und Provinzen
Süddeutsche Zeitung, 4./5.6.1960

Eberhard Horst: Junge Lyrik
Rheinische Post, 17.12.1959

Eberhard Horst: Poesie des permanenten Zweifels
Die Andere Zeitung, Nr. 18, 1960

Rudolf Ibel: Lyrik noch zu verstehen?
Welt am Sonntag, 4.9.1960

Hermann Kersten: Rühmkorfs Irdisches Vergnügen in g
Buchanzeiger der öffentlichen Büchereien, Nr. 145, 1960

Hermann Kersten: Rühmkorfs Irdisches Vergnügen in g
Bücherei und Bildung, Heft 4, 1960

Ferdinand Killer: Über Tucholsky, Rühmkorf und die Friedriche unserer Kritik
Baubuden poet, Heft 4, 1960

Rudolf Lange: Machen und Nachmachen
Hannoversche Allgemeine Zeitung, 17.4.1960

Felix Molitor: Irdisches Vergnügen mit Rühmkorf
Die Tat, 11.6.1960

Jost Nolte: Jemand, der Revoluzzer ist und Poet dazu
Die Welt, 12.12.1959

Heinz Piontek: Peter Rühmkorf: Irdisches Vergnügen in g
Der Tag, 9.12.1959

Gerd Semmer: Irdisches Vergnügen in g. Peter Rühmkorf und sein Finismus.
Deutsche Woche, 13.7.1960

Gerd Semmer: Auf so muntere Art morbid zu sein
Panorama, Nr. 3, 1960

Jürgen P. Wallmann: Welch aparte Reimtechnik: Irdisches Vergnügen in g
Das Hähnchen, 4.9.1960

Dieter E. Zimmer: Lyrik unserer Zeit – eine Auslese über Gedichtbände von Peter Rühmkorf, Rainer Brambach, Cyrus Atabay, Curt Siegel und Christoph Meckel
Die Zeit, 10.6.1960

 

Irdisches Vergnügen in g

Wer etwas über Zeitgeschmack in der Lyrik lernen will, der kaufe sich eine stockfleckige alte Anthologie. Zum Beispiel die hier: Deutsche Lyrik der Gegenwart, läßlich herausgegeben und belanglos eingeleitet von Willi Fehse, erschienen in Reclams Universal-Bibliothek im Jahre des Herrn 1955. Ächzen und seufzen muß, wer dieses Buch liest, es sei denn, er schätzt windelweiche, fransig belanglose, reimtechnisch schlecht zusammengeklopfte Pseudopoesie. Selbst Schwergewichte wie Brecht und Benn (bei Ersterscheinen noch unter den Lebenden weilend) machen in Onkel Willis Auswahl einen irgendwie läppischen Eindruck, und sogar ein Klassiker wie „Astern“ schaut einen so verstimmt an, als würde er sich in dieser zweifelhaften Gesellschaft zutiefst unbeheimatet fühlen. Vollends die weniger namhaften Beiträger sind ganz danach angetan, alle bösen Klischees von den falschen Fuffzigern in den Stand güldener, ewiger Wahrheiten zu erheben.

(…)

Eine andere Irritation hat sich Anthologie-Fehse wohlweislich gleich ganz gespart: Peter Rühmkorf, wie Enzensberger aufsehenerregender Lyrikdebütant der späten Fünfziger, findet bei Reclams Universalquatsch schlichtweg nicht statt. Wie hätte das denn auch ausgesehen in einem so respektablen Umfeld:

Mit unsern geretteten Hälsen,
immer noch nicht gelyncht,
ziehn wir von Babel nach Belsen,
krank und karbolgetüncht.

Fraßen des Daseins Schlempe,
zelebrierten in gleitender Zeit
unter des Hutes Krempe
das Hirn, seine Heiligkeit.

Tätowiert mit des Lebens Lauge,
doch von erstaunlichem Bestand;
das Weiße in unserm Auge,
das Warme in unserer Hand.

Wir haben gelärmt und gelitten;
wir schrieben Pamphlete mit Tau und mit Teer –
Worte schöpfen, Worte verschütten
in ewiger Wiederkehr.

Mag ein Gedicht wie dieses – aus Rühmkorfs Debütband Irdisches Vergnügen in g – auch mehr Symptom als Diagnose sein, läßt es doch immerhin eine erfreuliche Bereitschaft zu zynischer Sensibilität erkennen. Entsprechend allergisch reagierte Rühmkorf auf die Lyrik der umliegenden fünfziger Jahre. Unter dem Pseudonym „Leslie Meier“ hat er just in den Jahren zwischen Ersterscheinen und Drittauflage von Fehses lyrischer Gegenwart in seiner „Lyrik-Schlachthof“ betitelten Konkret-Kolumne über allerlei allergische Reaktionen Buch geführt. Es lohnt sich, einen Blick aufs Original zu werfen, da hier manches noch ungefilterter schäumt als in dem Essay „Das lyrische Weltbild der Nachkriegsdeutschen“, den Rühmkorf später aus seinen verstreuten Erregungen gekeltert hat:

Wie zutiefst seltsam, daß sich die aparten Dekorationsstücke durch die Bank und durch die Bücher finden, daß wir auf sie stoßen in nahezu allen Bei-, Bild- und Wortspielen (…): Meer-Nacht-Tod, just diese Trinität ist’s doch, die sich als penetranter Dreiklang durch die gesamte Demimoderne Nachkriegsdeutschlands zieht. Penetrant insbesondere, da bei allen Autoren der Sommerschlußverkauf die nämlichen Raritäten aufs Tapet bringt, da Wahlverwandtschaft und, vielleicht, Zwangsheirat überall die gleichen Vokabeln, Begriffe, Reizworte im Verein auftreten läßt. Traulich wie Pfeffer und Salz, Antek und Frantek, Majoran und Thymian (…), sicher wie das Amen in der Kirche und der Thyrsenstab in der Hand des Dionysos zeigt sich heut, in fix-und-fertiger Kopulation: Dorn und Dürre, Krug und zerscherbt, versteint und Maske, Schlaf und Mohn und Traum und Grotte, Kammer – Kerze – bitter – fremd, gläserne Bläue, blaue Glasigkeit, Braue – Saum Schläfe – Rand, dann Wurzel und Schwelle, auch Rose – Licht – Siegel, Pappel (!) schließlich und Krähe, einspinnen, verketten und gestorbenes Laub (…) Keiner mit eigenem Inventar? Kaum!

Wie aber ist es um den Autor dieser Zeilen bestellt? Was erfahren wir über sein poetisches Programm, welches Inventar hat er anzubieten? Um das in Erfahrung zu bringen, wollen wir zu einem kleinen Zeitsprung von knapp zwanzig Jahren ansetzen.

*

Wir turnen in höchsten Höhen herum,
selbstredend und selbstreimend,
von einem I n d i v i d u u m
aus nichts als Worten träumend.

Was uns bewegt – warum? wozu?
den Teppich zu verlassen?
Ein nie erforschtes Who-is-who
im Sturzflug zu erfassen.

Wer von so hoch zu Boden blickt,
der sieht nur Verarmtes / Verirrtes.
Ich sage: wer Lyrik schreibt, ist verrückt,
wer sie für wahr nimmt, wird es.

Ich spiel mit meinem Astralleib Klavier,
v i e r f ü ß i g – vierzigzehig –
Ganz unten am Boden gelten wir
für nicht mehr ganz zurechnungsfähig.

Die Loreley entblößt ihr Haar
am umgekippten Rheine…
Ich schwebe graziös in Lebensgefahr
grad zwischen Freund Hein und Freund Heine.

Da haben wir ihn, den typischen Rühmkorf-Sound, dessen besondere Wirkung vor allem auf den weiblichen Teil des Publikums ein Schriftstellerkollege einmal nicht ohne Neid vermerkt hat. Das federleicht anmutende Gedicht trägt den nach Sägemehl und Körperschweiß riechenden Titel „Hochseil“. Es ist erstmals im Jahr 1975 in Rühmkorfs Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich erschienen, einem Mischbuch aus Essays und Gedichten. Der Dichter ist zu diesem Zeitpunkt fünfundvierzig Jahre alt und hat strenggenommen erst zwei „richtige“ Gedichtbände mit insgesamt einhundert Gedichten veröffentlicht; ein Schnell- und Vielschreiber ist er also nicht. Schauen wir uns die Bände genauer an.
Sechzehn Jahre zuvor, 1959, ist im Rowohlt Verlag Rühmkorfs bereits erwähntes Gedichtdebüt, Irdisches Vergnügen in g, erschienen; fünfzig Gedichte sind darin enthalten. Der Folgeband kommt im Jahr 1962 heraus, wiederum bei Rowohlt. Auch er bietet fünfzig Gedichte auf, besser gesagt: Kunststücke, so lautet nämlich der Titel. Während die meisten Lyriker bestrebt sind, ihre Arbeiten als „Kunstwerke“ in Ansehen zu bringen, sucht Rühmkorf offenbar von Anfang an die Nähe zum Zirzensischen. Wir scheinen hier auf eine Art roten Leit- und Ariadnefadens im Werk des Dichters gestoßen zu sein einen Leitfaden namens „Hochseil“.
Unser Dichter-Artist gibt sich einige Mühe, das Vollbringen lyrischer Kunststücke auf dem imaginären Hochseil als riskante, ja lebensgefährliche Arbeit darzustellen. Den Schutzumschlag von Irdisches Vergnügen in g etwa ziert auf Anregung des Autors ein Ikarus im Sturzflug. Wir sehen gerade noch die nach oben ragenden Beine, einen Arm mit machtlos geballtem Fäustchen und ein Stück wallenden Umhangs – der Rest sind fliegende Federn. Das wäre die eine Seite der Akrobatik, die das Scheitern – den „Sturzflug“ also – quasi als Erkenntnismethode mit eingeplant hat.
Die andere Seite – auch sie klingt im Titel Kunststücke an – ist eher durch den Einsatz von Trickmitteln als durch den Einsatz des Lebens gekennzeichnet. „Kunststück!“ ruft der Volksmund aus, wenn etwas gar nicht so schwierig ist, wie man meinen könnte, vorausgesetzt, man weiß, wie’s gemacht wird und hat entsprechend lange geübt. Damit wäre nicht nur schaustellerischer Pragmatismus bezeichnet, sondern auch solides handwerkliches Know-how. Gottfried Benns nach Mallarmé angestimmtes Credo für das „Gemachte“ im Gedicht ist ebenfalls deutlich vernehmbar. Wir erinnern uns seiner gar nicht oft genug zu wiederholenden Sätze:

Die Öffentlichkeit lebt nämlich vielfach der Meinung: da ist eine Heidelandschaft oder ein Sonnenuntergang, und da steht ein junger Mann oder ein Fräulein, hat eine melancholische Stimmung, und nun entsteht ein Gedicht. Nein, so entsteht kein Gedicht. Ein Gedicht entsteht überhaupt sehr selten – ein Gedicht wird gemacht.

Die vermeintliche Equilibristik des Sprachartisten hätte demnach weniger mit Tricktechnik als mit Understatement zu tun. Nicht Inspiration („Heidelandschaft“), sondern Transpiration bringt den Dichter ans Ziel. „Ein Gedicht wird gemacht“ – und zwar an der lyrischen Werkbank und nicht im Bannstrahl melancholischer Stimmungen.
Der andere große „Macher“ der deutschen Lyrik des zwanzigsten Jahrhunderts hat ganz in diesem Sinn das „Leichte, das schwer zu machen ist“ beschworen. Auch wenn Brecht dabei nicht die Leistung des Dichters, sondern die Durchsetzung des Kommunismus vor Augen gehabt hat, bleibt die Zielrichtung doch die gleiche. Dem politagitatorisch bewegten Rühmkorf steht der kommunistische Macher Brecht ohnehin nicht allzu fern:

Erst mit Benn und Brecht gingen für uns zwei miteinander konkurrierende Leitgestirne am deutschen Dichterhimmel auf, die richtungsweisend in die deutsche Nachkriegsszenerie hineinfunkten (…) Wo wir uns in unserem finalen Fracksausen geradezu leidensgenossenschaftlich von Gottfried Benn angezogen fühlten, mochten wir dem Verlangen nach einer Veränderung der Verhältnisse doch nicht einfach Valet sagen, was uns dann wieder an die Seite unseres anderen Gewährsmannes trieb.

Benn und Brecht sind Hausgötter, aus deren unmittelbarem Bannkreis sich der junge Rühmkorf erst einmal herausschreiben muß. Vor allem um Benn haben Rühmkorf und sein früh verstorbener Kompagnon Werner Riegel (der im nachfolgenden wie im vorangegangenen O-Ton die zweite Ingredienz der ersten Person Plural ausmacht) in ihren gemeinsamen Jahren ausgiebig gebuhlt.

Wir warben um seine Anerkennung, schrieben ihm Briefe, schickten ihm unsere Gedichte zu (…); bis dann die Geschichte aufkam, daß er einen Spezialschrank besäße, eine Art Dauerpapierkorb, in dem die unverlangt eingesandten Briefe und Manuskripte ungeöffnet zu landen pflegten. (…) Zum Schluß ein Witz: Als Höllerer 1955 im Limes Verlag Besuch machte, saß dort gerade Benn über unseren Gedichten und empfahl sie dem Verleger Niemeyer zur Publikation.

Ein guter Witz, zumal die unverhoffte Dosis Vitamin Benn umgehend Wirkung zeitigt: Noch im selben Jahr erscheint bei Limes ein schmales Heft mit dem Titel Heiße Lyrik; eine Hälfte steuert Peter Rühmkorf bei, die andere Werner Riegel. Heiße Lyrik ist damit gewissermaßen ein Debüt vor dem Debüt, denn die prägnanteren Gedichte aus Heiße Lyrik nimmt Rühmkorf später auch in den eigentlichen Erstling Irdisches Vergnügen in g auf.
Kehren wir noch einmal zum Nebeneinander von Kunstwerk und Kunststück in Rühmkorfs Werk zurück. „Dialektisch“ hat man derartige Zweischritte zu Rühmkorfs Glanzzeiten gern genannt. Zweischritt, das meint im Fall des sensiblen Hamburger Linksauslegers auch den hinkenden Wechsel zwischen standfester Schwerarbeiterpose und hüpfendem Bruder-Leichtfuß-Gebaren. Was dann ja doch wieder eine klassische Positur ergibt: Standbein, Spielbein. Den Gipfel der pietistischen Arbeitsmoral erklimmt Rühmkorf im Jahr 1989, als er den Entstehungsprozeß eines einzigen Gedichtes auf den sechshundertsechsundneunzig Seiten eines überformatigen Buches dokumentiert. Der Titel nimmt bereits die Reaktion des durchschnittlichen Lyriklesers und -käufers vorweg: Aus der Fassung.
Überschätzen sollten wir Rühmkorfs selbstgemeißeltes Standbild als Held der lyrischen Arbeit dennoch nicht. Wer das schaustellerische Gewerbe so erfolgreich bei B. & B. gelernt hat wie er, der kennt auch die Tricks des Gewerbes. P. R. weiß, daß Trommeln zum Geschäft gehört; seine Initialen stehen deshalb immer auch für subtile Public Relations in eigener Sache. Die ganze Heiße Lyrik ist nicht nur eine brandgefährliche Sache in dünner Höhenluft, sondern hat auch etwas mit, ja doch, heißer Luft zu tun. Da empfiehlt sich beizeiten ein entspannter Spaziergang zur Durchlüftung des Hirnkastens. Und solche Spaziergänge hat Rühmkorf gottlob nicht wenige unternommen. So auch im Band Haltbar bis Ende 1999:

Aber dann, aufeinmalso, beim Schlendern,
lockert sich die Dichtung, bricht die Schale,
fliegen Funken zwischen Hut und Schuh:
Dieser ganz bestimmte Schlenker aus der Richtung,
dieser Stich ins Unnormale,
was nur einmal ist und auch nicht umzuändern:
siehe, das bist du.

Genug jongliert mit Dichternamen, Buchtiteln und Jahreszahlen. Höchste Zeit, die Hände – wenn auch nicht die Stimme – mit Kreide zu präparieren und in Peter Rühmkorfs lyrische Zirkuskuppel aufzusteigen. Dort wollen wir nachschauen, was sich von seinen zirzensischen Künsten bis heute kühn und unverbraucht erhalten hat. Eines sei schon jetzt angekündigt: daß unsere Erkundungen uns immer wieder in das Jahr 1959 führen werden, zu Irdisches Vergnügen in g. Nicht nur, weil heute die fünfziger Jahre auf unserem Programm stehen und der fragliche Band in dieser Dekade veröffentlicht wurde, sondern vor allem, weil hier der Anfang eines Ariadnefadens sichtbar wird, der sich durch Rühmkorfs gesamtes Leben und Werk ziehen wird. Schauen wir, wohin Ariadne uns führt.

*

Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich heißt, ohne falsche Bescheidenheit, der Band, aus dem das Gedicht „Hochseil“ stammt. Rühmkorf schätzt solchen Rückhalt bei namhaften Toten. Folgen wir der Bildwelt des Gedichtes, so können wir uns die drei titelgebenden Dichter als verschworene Gemeinschaft von Artisten vorstellen, die in der Zirkuskuppel der Literatur ihre Salti schlagen – ein „Trio infernale“.
So wird denn auch die rund siebenhundertfünfzig Jahre umfassende Zeitkuppel verständlich, die der Buchtitel von Walther bis Peter spannt: Dichter, so gibt uns Rühmkorf zu verstehen, sind aus ihrer Zeit gefallene Figuren: gesellschaftliche Außenseiter, die sich über die Alltäglichkeiten des Lebens hinausschwingen und aus dieser abgehobenen Position einen skeptischen Blick auf das Treiben der Zeit werfen.

Wer von so hoch zu Boden blickt,
der sieht nur Verarmtes / Verirrtes.
Ich sage: wer Lyrik schreibt, ist verrückt,
wer sie für wahr nimmt, wird es.

Auch der Titel des Debütbandes Irdisches Vergnügen in g weist zurück in die Vergangenheit, nämlich auf Barthold Heinrich Brockes’ lyrisches Großwerk Irdisches Vergnügen in Gott. Wer ist dieser Brockes?
Der vermögende Hamburger Senator führte einst, Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, an der Alster einen kunstsinnigen Salon. Sein Irdisches Vergnügen in Gott ist ein lyrisches Mammutprojekt, dessen Entstehung sich über Jahrzehnte erstreckte. Zu Lebzeiten des Dichters sind fünf umfangreiche Abteilungen veröffentlicht worden; nach Brockes’ Tod erschienen vier weitere Abteilungen aus dem Nachlaß. Macht insgesamt dreitausendachthundert Seiten Poesie voller Weltbejahung und Neugier gegenüber den Wundern der Schöpfung. Brockes kann gar nicht genug bekommen von satten Sinneseindrücken aller Art. In seinen besten Gedichten mischt sich ein naturwissenschaftliches Erkenntnisinteresse mit überschwenglichen Lobpreisungen einer von Gott wohleingerichteten Natur – etwa in dem Gedicht „Die Luft“:

Wenn ich dieses überlege,
aaaWas für ungemeine Kraft
Unser Luft-Kreis in sich hege,
aaaUnd wie aller Pflanzen Saft,
Wie die Theil’ aus allen Dingen
Sich beständig aufwärts schwingen,
aaaUnd in Luft verwandelt seyn:
aaaNimmt mich ein Erstaunen ein.

Von diesem Erstaunen will der junge Rühmkorf sich etwas abschauen. Der, wie wir noch sehen werden, tragisch in sich selbst verstrickte junge Mann möchte ebenso frohgemut und neugierig wie Brockes aus der eigenen Wäsche hinaus in die Natur blicken. Aber während für Brockes die Luft etwas ist, das alle umspielt und im Überfluß vorhanden ist, erscheint sie Rühmkorfs lyrischem Helden als etwas, das vor allem ihn selbst angeht – eine knapp bemessene Henkersmahlzeit:

aaaUnd dann, wenn die Nacht ins Kraut schießt,
(Luna sichelt schon im himmlischen Baumwollfeld)
aaaaaawarum denn, Towarischtsch Monomane,
nach der Luft geschnappt, als wäre sie wer weiß was,
aaaaaaaaaaaund als würfe man dich morgen
aaaaaaaaaaschon der Ewigkeit zum Fraß vor-?
Todesnähe, frühes Siechrum, antizipiertes Greisenalter sind zuverlässig wiederkehrende Motive in Rühmkorfs Lyrik wir erinnern uns: Freund Hein wird in einem Atemzug mit Freund Heine genannt. Ob er auf diese Weise seinem bedrohlich erdflüchtigen Ich ein gewisses Quantum Schwerkraft mitgeben will? Dafür spricht zumindest die Verballhornung des Brockes-Titels: Aus dem großen „Gott“ von einst ist bei Rühmkorf ein kleines „g“ geworden. Wie uns der Klappentext der Erstausgabe belehrt, handelt es sich dabei um das physikalische Symbol für die Fallbeschleunigung. Hochseil und Sturzflug also schon wieder beziehungsweise auch hier schon. In die Sprache der Psychologie übersetzt, klingt der kokette Doppelschritt allerdings schon deutlich weniger verlockend. Das Stichwort lautet „manisch-depressiv“.

*

Kein Zweifel: Peter Rühmkorf ist ein Dichter, der nicht davor zurückschreckt, „ich“ zu sagen. Er macht es in fast jedem Gedicht, und selbst wenn er mal „du“ sagt, klingt das oft wie „ich“. Aber was für ein „Ich“ ist das? Bezeichnet es immer die gleiche Person? Und wieviel hat es mit der Persönlichkeit des Verfassers zu tun? Wir wollen uns diese auf die große lyrische Leinwand geworfenen Selbstprojektionen einmal genauer ansehen. Oft reichen schon wenige Zeilen der Gedichte aus Irdisches Vergnügen in g aus, um einen angemessen farbigen Eindruck zu vermitteln. Ich habe die Eingangsstrophen von fünf Gedichten aus Irdisches Vergnügen in g zu einem einzigen Stück montiert, das erstaunlich gut für sich selbst stehen kann. Nennen wir das so entstandene Artefakt spaßeshalber „Irdisches Vergnügen am großen I“ – was natürlich heißen soll: am großen Ich.

Abends Ginfizz –
Wo sich die Schatten stauen,
am Arsch der Genesis,
will ich mich niederhauen.

Himmel vor Kriwoi Rog,
maßloses Versprechen –
läuft mein Gehirn Amok
Über die inneren Flächen.

Phänomenal vor die Hunde,
was liegt noch drin?
Am Abend die Viertelstunde,
wo ich verwundbar bin.

Fromms Gummischwamm, Wasser im Haar,
der Spiegel neigt sich nach rechts.
Ich fühle, was ist und war
im Sieb des Sonnengeflechts.

Mein Ich-und-Alles, nix versteh,
der Mond geht hoch, da sitz ich baff
und brenn mir meinen Schnaps aus Schnee,
the pangs of despised love.

Womit wir uns mit einem „Hallo, Hamlet“ aus unserer kleinen Montage verabschieden. Wie lautet das Fazit? Fünf Gedichte – aber immer dasselbe Ich. Es hat schon etwas Heroisches, mit welchem Kraft- und Kunstaufwand sich hier ein von allerhand Zweifeln angenagtes Subjekt buchstäblich frohsingt unter Zuhilfenahme aller selbstgebrannten Rauschmittel der Sprache: Ich dichte, also bin ich.
Doch erst wenn das überhöhte Dichter-Ich möglichst unmittelbar auf die irdische Realperson zurückwirkt, kann die kompensatorische Selbststärkung glücken. Einen autobiographischen Bezug stellt Rühmkorf deshalb oft ganz bewußt her. Wo andere sorgsam Spuren verwischen, leiht dieser Dichter seinem lyrischen Ich sogar den eigenen bürgerlichen Namen.

Der rote Rühmkorf, wie er singt und spinnt,
geht ihm sein Hirn zutal;
man hat ihm eine Freude angezündt,
die Ohren allzumal.

Und weil Lyrik oft mit Symmetrie zu tun hat, finden wir im letzten Gedicht des drei Jahre später erschienenen Bandes Kunststücke eine ganz ähnliche Selbstzueignung. Daß Rühmkorf etwas mit „Rühmen“ zu tun hat, gefällt ihm zu gut, als daß er sich den Witz auf eigene Kosten verkneifen könnte.

Ich pfeif meinen Sparren, ich rühme Korff
und ich heirat die Venus von Willendorf.
Du runzelst das Auge: Wie geht das zusamm’,
der spirrige Kerl und die propre Madame?

Die Kluft zwischen Fiktion und Realität wird durch solche Namensspiele nur scheinbar aufgehoben. Auch das Rühmkorf-Ich ist ein literarisch mehrfach gebrochenes Spiegelscherben-Subjekt, also eine Fiktion.
In strahlender Gänze kann man den narzißtischen Spiegeleffekt freilich erst dann recht würdigen, wenn man auch die Pseudonyme hinzuzählt, die sich Rühmkorf frühzeitig zugelegt hat. Von Leslie Meier, dem aufstrebenden Konkret-Mitarbeiter, war bereits die Rede. In Irdisches Vergnügen in g figuriert Herr Meier weniger als Lyrikschlächter denn als schillernder Held der Lyrik.

Leslie Meier trägt seine Haare zurückgekämmt.
Seine Existenz reicht vom Sirius bis zum Absatz, dem schiefen.
Was ihm der Tag in die hirnene Reuse schwemmt,
Furcht und Vernunft, die üblichen Hieroglyphen.

So beginnt eine kleine, kaum verkappte Selbstfeier, deren Titel „Einer der Allergeringsten“ schwerlich anders denn als Koketterie zu deuten ist. Einmal umblättern, und sogleich wird nachgetragen, was Herrn Meiers Freunde zum Tanz ums goldene Leslie-Ich beizutragen haben Rühmkorf überläßt die Befriedigung seiner Bedürfnisse („Respekt, Bewunderung und Liebe“, um mal Robert Gernhardt zu zitieren) wohlweislich nicht dem freien Literaturmarkt und dessen Unwägbarkeiten, sondern erfüllt sie seinem Alter ego mit höchsteigener Dichterhand:

Meine Freunde sagen: Leslie Meier, sing uns ein Lied,
das uns so leicht keiner singt!
So hebe ich also meine Stirne aus Eternit
sicher und unbedingt.

Wer sich so zündend anfeuert, der hat’s nötig und sieht sich vielleicht sogar von Feinden umzingelt. Was die sagen, steht freilich auf einem anderen Blatt, nämlich auf Seite vierundfünfzig der Erstausgabe:

Leslie, das asthenische Schwein,
gut, wir lassen es leben –
Auf so muntere Art morbid zu sein,
ist nicht jedem gegeben.

Der muntere Tonfall kann uns über die Tragik einer solchen Existenz nicht hinwegtäuschen: Der „Traum vom Individuum“, den Peter Rühmkorf träumt, bezeichnet einen erheblichen Mangel an fraglosem Weltbezug, an jener Erdung, die für viele Menschen selbstverständlich ist. Und damit sind nicht nur die kummervollen Anwandlungen eines jungen Mannes zwischen zwanzig und dreißig gemeint. „Grad zwischen Freund Hein und Freund Heine“ sieht sich Peter Rühmkorf, wie wir gehört haben, noch als Mittvierziger. Umgekehrt gibt es schon in Irdisches Vergnügen in g ein „Heinrich-Heine-Gedenk-Lied“. Darin wird von der Leichtfüßigkeit bis zur Schwermut der ganze Bezirk artistischen Künstlertums ausgeschritten und der buntschillernde Aufklärer H. H. in seine lyrischen Spektralfarben zerlegt. Hier die beiden Schlußstrophen, ganz im Geist des großen Ahnen gesprochen:

Was schafft ein einziges Vaterland
nur soviel Dunkelheit?!
Ich hüt mein’ Kopf mit Denkproviant
für noch viel schlimmere Zeit.

Und geb mich wie ihr alle glaubt
auf dem Papier –:
als trüg ein aufgeklärtes Haupt
sich leichter hier.

*

Von Heinrich Heine hat Rühmkorf nicht nur den engagierten Aufklärerhabitus, sondern auch die sichere Handhabung freirhythmischer Verse im Reimgedicht lernen können. Selbst die Reime kommen in dem frühen Gedicht gelockert daher; ihre Kunstfertigkeit wird eher spaßhaftsalopp als mit Virtuosenattitüde zur Schau gestellt. Das gilt überhaupt für manches frühe Stück Rühmkorfs, was dann zu dem witzigen Fehlurteil eines Mannes aus der Vätergeneration führte. Kurt Kusenberg, Schriftsteller und Kritiker des Jahrgangs 1904, lange Zeit als Lektor im Dienst des Rowohlt Verlages stehend, verfaßte Anfang der fünfziger Jahre ein recht giftiges Verlagsgutachten über Rühmkorfs frühe Poesie:

Auch Rühmkorf ist – wie Celan – ein Halbdichter, bei dem es nicht ganz zulangt. Ab und zu ein gelungener Vers, eine gute Metapher oder gar eine gelungene Strophe, aber davor und dahinter steht Schwächeres, und nie wird der geistige Bogen der Gedichte ganz ausgewölbt, ganz durchgehalten bis zum Schluß. Der Mann ist nicht begabt und nicht diszipliniert genug, als daß man ihn einen Lyriker von Rang nennen könnte, er ist nicht dicht genug, um wirklich zu dichten.

Ein Urteil, mit dem sich der Halbschriftsteller Kusenberg schon deshalb ganz unvergleichlich in die Nesseln gesetzt hat, weil er mit Celan gleich noch die Galionsfigur der anderen Hauptabteilung Dichtung anzusägen versuchte. Rühmkorf war denn auch souverän genug, in seinem vor zwei Jahren erschienenen Erinnerungsband „Wenn ich mal richtig Ich sag…“ das fragliche Dokument in Gänze abzudrucken. Oder war es gar nicht Souveränität, sondern die Hoffnung auf ein möglichst heilsames, möglichst einvernehmlich-schallendes Gelächter der geneigten Leser im Jahr einundvierzig danach? Man darf sich schon fragen, wie lange und wie weit solche Verdikte der Vätergeneration den Söhnen im Gedächtnis haftenbleiben: Je früher der Hieb, desto tiefer die Wunde.
Jedenfalls dauert es nach Kusenbergs Urteil noch sechs Jahre, bis Rühmkorf seinen Erstling bei Rowohlt erscheinen lassen kann. Manches in Irdisches Vergnügen in g wirkt gar, als sollten Bedenken des ungeneigten Gutachters von einst zerstreut werden. So hatte Kusenberg Rühmkorfs Reimtechnik bemängelt: „Unsaubere, forcierte, ungeschickte Reime tauchen auf: Brett-Gebet, des Heils – des Beils, Gezwängtsein – Gemengtsein, Erlebnis Endergebnis.“ Kusenberg argumentiert hier noch ganz mit der Strenge eines akademischen Metrikers aus dem neunzehnten Jahrhundert, als hätte es Rilke, Benn und Brecht nie gegeben. Oder doch so, als sollten nachwachsende Lyriker sich nicht allzu früh die Freiheiten der Großen herausnehmen.
Das muß Rühmkorf mit seinem ausgeprägten Handwerkssinn eigentlich eingeleuchtet haben. Und so findet er einen ziemlich genialen Weg, sich in kritische Distanz zu übermächtigen Vorbildern zu setzen, zugleich aber deren Techniken produktiv zu adaptieren. Die „forcierten“ Reime, die Kusenberg bemängelt, sind ja ein Markenzeichen vor allem Benns. Rühmkorf, und darin liegt nun ein ganz originäres Verdienst dieses Lyrikers, erfindet die Parodie als, wie er es nennt, „kritisches Sondierungsverfahren“, das heißt, als Erkenntnisinstrument, das nicht von vornherein auf Lächerlichmachung abzielt. In der letzten Abteilung seines Debütbandes, „Volks- und Monomanenlieder“. betitelt, unterzieht er das Verfahren einer frühen Probe.
Darin enthalten ist, neben dem Heinrich-Heine-Gedenk-Lied, auch ein „Lied der Benn-Epigonen“. Wollen wir dem Titel glauben, so geht es darin weniger dem Meister Benn persönlich als dessen Nachahmern an den Kragen – strenggenommen also auch Rühmkorf selbst. Weil aber Rühmkorf gern über Bande spielt, versucht er Benn zu übertrumpfen und sich selbst vom Nachahmer zum Nachfolger zu küren. Sogar den angeblich unmöglichen Reim auf „Menschen“ findet er:

Die schönsten Verse der Menschen
– nun finden Sie schon einen Reim! –
sind die Gottfried Bennschen:
Hirn, lernäischer Leim –
Selbst in der Sowjetzone
Rosen, Rinde und Stamm.
Gleite, Epigone,
ins süße Benn-Engramm.

Was dann ja doch wiederum nicht allzu respektvoll im Sinne eines „kritischen Sondierungsverfahrens“ tönt. Ohnehin geht es Rühmkorf mehr um lyrische Verwandtschaftsverhältnisse als um Literaturwissenschaft, und da gilt allemal: Nur ein toter Vater ist ein rundum guter Vater. Böse Überraschungen in Form mißgünstiger Gutachten sind von so einem jedenfalls nicht mehr zu befürchten.
Daß Rühmkorf zum Vatermörder gern auch Glacehandschuhe trägt, zeigt eine Replik auf Kurt Kusenbergs Gutachten. Als Rowohlt im Jahr 1998, also fast fünfzig Jahre danach, einen Band mit Erzählungen des vormaligen Verlagsangestellten veröffentlicht, da schreibt wer das Vorwort? Richtig, Peter Rühmkorf ist’s. Und wie beschreibt er den Gutachter von einst? Selbstverständlich ganz im Ton des schon von Amts wegen auf Freundlichkeit verpflichteten Vorwortschreibers. Aber diesmal macht nicht der Ton die Musik, sondern der Text. Verwundert liest man, der zu Lobende sei „eine ,Punch‘-Figur vielleicht vom Anfang des Jahrhunderts oder ein aus der ,Häschenschule‘ unversehens in den bürgerlichen Arbeitsalltag verschlagener Mümmelmann“ gewesen.
Es soll ja Leute geben, die Lyriker für die Fliegengewichte der Literatur halten. Hier können wir studieren, daß auch ein Fliegengewicht bisweilen über ein Elefantengedächtnis verfügt. Man mag es ihm kaum verübeln. Das Anmaßende in Kusenbergs Urteil lag ja darin, daß er aus wenigen frühen Arbeitsproben ein Persönlichkeitsprofil mit Haltbarkeitsanspruch für das Restleben des Probanden zu schnitzen versuchte.

*

Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man versucht sein zu sagen: Seit Heinrich Heine hat die deutsche Lyrik keinen Dichter hervorgebracht, der sich so sehr den zwei Themen Eros und Politik verschrieben hat. Die Frage ist nur: Kann eine derart auf lyrische Konsolidierung der eigenen Person abzielende Künstlernatur wie Rühmkorf überhaupt echte Liebesgedichte schreiben? Gedichte also, die den Schritt vom Ich zum Wir gehen und den liebevollen Blick auch mal weg vom eigenen Nabel auf den der Geliebten zu richten vermögen? Lassen wir die Gedichte selbst sprechen – wiederum in Form einer kleinen Zitaten-Kollage, diesmal um einige Zwischenbemerkungen ergänzt.

Schwenken die Winde, fallen sie nördlich
in die Weiten aus Sauerstoff –
Mistblondes Mädchen, spiele du zärtlich
mit dem Ohr des Raskolnikoff. …

Hier kommt der Selbststilisierung als tragisch umwitterter Dostojewski-Figur unverkennbar höherer Stellenwert zu als der Charakterisierung eines „Mädchens“, das schon durch diese Bezeichnung in sichere Objektdistanz gerückt wird. Merke: die Frau, aber das Mädchen!

Die sich seine Liebste schilt,
im Zarten – im Groben,
ist es, die seine Schüssel füllt
und sie trägt ihm die Glut aus dem Koben.

Auch hier ist „sie“ nicht ohne unmittelbare Ankopplung an „ihn“ denkbar: „Die sich seine Liebste schilt“, existiert selbst semantisch nur in dieser Abhängigkeit. Und die im vorigen Gedicht noch zu zärtlichem Ohrenspiel angehalten wurde, ist es, die jetzt weiteren Anweisungen Folge zu leisten hat: Schüssel füllen! Glut wegtragen (will heißen: männliche Lust stillen)! Wegtreten! Wenn dann die Momente der Nähe einmal etwas näher erläutert werden, hat man gleich wieder das Gefühl, es werde Verkehr mit unmündigen Abhängigen betrieben. Preisfrage: Wie originell ist der Doppelsinn des „Eierbriketts“ in der folgenden Strophe?

Egle ich dir am Fett,
weil’s sich so gibt und schickt
einen glühenden Eierbrikett
dir am Hals zerdrückt!

Die schönste, weil zärtlichste Strophe in dieser Reihe haben wir uns für den Schluß aufgehoben:

Häng dein chow-chow-farbenes Haar
Vor unser beider Gesichte;
Besser, sag ich, verwechselbar
als ganz zunichte.

Und dennoch: Wäre nicht die Chow-Chow-Farbe, würde auch diese Liebste sich kaum von jener zuvor erwähnten „mistblonden“ unterscheiden. Es sind allenfalls Tönungen, mit denen sich Rühmkorf seine blonde Universalgeliebte von Gedicht zu Gedicht zu scheinbarer Individualität umfrisiert. Das ist nun allerdings eine Form der Zuneigung, in der die Abwendung bereits inbegriffen ist.
„Ich bin ein Lichtblick, der vorüberschweift“, heißt es in einem späteren Gedicht, womit die charakteristische Mischung aus leuchtendem Selbstlob und schnell erloschenem Liebesinteresse trefflich bezeichnet wäre. Rühmkorfs männliche Helden haben Zugriff auf Frauen, diese hingegen haben keine Ansprüche an sie. Seine Eigenständigkeit, seine Männlichkeit beweist sich das vielfach facettiertes lyrische Ich dieses Dichters gern durch Flucht. Der Diarienband Tabu II enthält diesbezüglich einen vielsagenden Eintrag aus dem Februar 1972. Rühmkorf entrüstet sich aus Anlaß einer geselligen Runde bei Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein über die dort vorherrschende Meinung, „daß die Lust zu schreiben alle damit verbundenen Risiken aufwiege“. Das sind, wie Rühmkorf findet –

von ganz hoch oben her verfügte Verelendungstheorien mit dem Dichter als familiär alimentiertem Pflegefall in der Mitte. Beispielsweise: Frau verdient – Lehrerin – Ärztin – Krankenschwester – Laborantin – Journalistin – Managerin – Politikerin o.ä., was ich als besonders verletzend empfand, weil es den freien Schriftsteller zwangsläufig zu einer von milden Zuwendungen abhängigen Parasitärexistenz verdonnert. Kenne sie doch aus engster-nächster Bekanntschaft bis Befreundung, alle-alle, (…) u. kann glaubwürdig bezeugen, daß sie sich nicht mal zu einem Waltherschen Mädchen-Minnelied oder einem nach der Natur gemalten Eheroman aufzuraffen wagen.

Die angestrebte ökonomische Unabhängigkeit soll vorgeblich eine erotische Freiheit des Künstlers befördern, die dann in künstlerische Produktivität umgemünzt wird. Aber der Schein trügt respektive wird woanders ausgegeben. Wenige Zeilen später zitiert Rühmkorf einen Künstlerfreund mit der Antwort auf die Frage, ob dieser sich in finanziellen Notzeiten von seiner Ehefrau aufhelfen lasse:

Gottes willen, dann müßte ich ja jeden Fuffi hundertmal umdrehen, ehe ich ihn mit immer noch schlechtem Gewissen einer netten Gelegenheit unters Strumpfband schiebe.

Da tritt die künstlerische Schaffenskraft schon deutlich hinter die männliche Lendenkraft zurück, ganz abgesehen davon, daß es ein befremdlicher und unangenehmer Kasinoton ist, der Frauen auf „nette Gelegenheiten“ reduziert. Kein Wunder, daß Rühmkorf die fragliche Äußerung bei aller Zustimmung einem anderen in den Mund gelegt hat. Fast scheint es, als wolle er sich in seiner eigenen schwankenden Mannhaftigkeit bei dem robusteren Chauvikumpel unterhaken.
Tatsächlich sieht unser Dichter sich andernorts selbst in der Rolle einer netten Gelegenheit mit Strumpfband. In Strömungslehre I finden sich einige kunstvoll erboste bis ehrlich verzweifelte Briefe aus der Mitte der siebziger Jahre, gerichtet an schleppend zahlende Sendeanstalten und andere säumige Auftraggeber. Wieder taucht das Motiv der künstlerischen Unabhängigkeit auf, wieder wird es in Zusammenhang mit käuflicher Liebe gesetzt. Diesmal jedoch ist es der Künstler, der sich – in einer durchaus femininen Assoziation – feilbietet:

Da ich selbst die Anmutung ablehne, im Sinne des großen Ziels andrer Leute Subventionen zu verbuttern (z.B. Frau verdient doch, Gatte kann in aller Ruhe Empfindsamkeiten poetisch absichern), muß ich Anwürfe bezügl. Prostituierbarkeit jederzeit auf mich nehmen. (…) Fazit: entweder die Kunst geht schnorren (bei Frau, Eltern, Verwandtschaft, DAAD o.ä.) oder betteln (bei Stifterverband), oder sie geht mal eben von Zeit zu Zeit auf den Strich. Ich bin für Strich.

Ich auch. Nämlich für einen Gedankenstrich. –

*

Wie immer beim Lyrik-TÜV wollen wir auch diesmal einen Blick auf die frühen Jahre unseres Dichters werfen, um herauszufinden, wie er wurde, was er ist. Ob sich das prekäre Verhältnis zu Frauen am inneren Schauplatz der Kindheit klären läßt? Warten wir’s ab. Fest steht einstweilen, daß Peter Rühmkorf wie nicht wenige seiner Kollegen eine illegitime Frucht des deutschen protestantischen Pfarrhauses ist. Wobei „illegitim“ in diesem Fall wörtlich verstanden werden darf: Seine ersten Erdenjahre nehmen sich wie ein Lehrstück über die biographischen Verrenkungen und Verzerrungen aus, die ein unehelich zur Welt gebrachtes Kind in den angeblich so weltoffenen zwanziger Jahren nötig machte.
Die Mutter, Elisabeth Rühmkorf, Tochter eines Superintendenten in der niedersächsischen Kreisstadt Otterndorf, arbeitet Ende der zwanziger Jahre als Religionslehrerin an der Volksschule eines Dorfes namens Warstade, zwanzig Kilometer vom Amtssitz des väterlich-pastörlichen Patriarchen entfernt. Sie verliebt sich, vierunddreißig Jahre alt, in einen durchreisenden Puppenspieler ungefähr gleichen Alters. Was folgt, ist der Super-GAU protestantischer Wohlanständigkeit. Elisabeth Rühmkorf protokolliert lakonisch: „Als er erfuhr, daß ich ein Kind von ihm erwartete, kam er nicht mehr zurück. So hatte ich auch jetzt meinen Weg allein zu gehen.“
Die einzigen Hinterlassenschaften des durchreisenden Schaustellers sind ein Exemplar von Rilkes Stunden-Buch und Ibsens Peer Gynt. Elisabeth Rühmkorf, die sich von ihrem Geliebten betrogen fühlt, beschreibt die weniger poetischen Nachwirkungen der flüchtigen Liaison:

Nun mußte ich selber lügen, mußte meinen Eltern, um sie nicht zu betrüben, die Unwahrheit sagen, meine Vorgesetzten mit falschen Gründen um Urlaub bitten und den Ort meiner Tätigkeit verlassen, um mir irgendwo in der Fremde Arbeit und Unterkunft zu suchen. Nur eine Freundin wurde eingeweiht.

Die Fremde ist in diesem Fall nicht Amerika, wohl aber Dortmund, wo die Mutter für ein Jahr Unterkunft und Arbeit findet und ihr Kind zur Welt bringt. Bald darauf nimmt sie ihren Dienst als Religionslehrerin in Warstade wieder auf. Der Sohn wächst indessen bei einer Pflegefamilie in Dortmund auf. Der äußeren Trennung von Mutter und Sohn ist zuvor bereits eine innere Trennung vorangegangen, jedenfalls aber eine starke Belastung des Mutter-Kind-Verhältnisses. Seit dem Verschwinden des Vaters fühlt sich Elisabeth Rühmkorf ihrem Kind entfremdet:

Ich war der Verzweiflung nahe. Nicht weil ich ein Kind erwartete, das war immer mein Wunsch gewesen, – aber weil ich ihn verloren hatte, diesen Mann, den ich über alles geliebt hatte. Ich war enttäuscht, daß er mich so belügen konnte, und ich glaubte, das Kind nicht lieben zu können.

Knapp zwei Jahre später nimmt die Mutter den Sohn dann doch zu sich. Damit er ihren Namen tragen kann und damit seine Existenz im dörflichen Umfeld keine neugierigen Nachfragen veranlaßt, geschieht etwas Kurioses:

Peter Rühmkorf wird zum Adoptivsohn der eigenen Mutter. Er bleibt das einzige Kind von Elisabeth Rühmkorf und wächst fortan in einem, wie er selbst es nennt, „Feminat“ auf. Dazu gehören neben der Mutter auch eine Schwester sowie eine Freundin der Mutter. Der anfangs noch moralisch entrüstete Superintendent und Großvater aber wird vom jungen Peter kurzerhand als Ersatzvater adoptiert. Ende gut, alles gut?
Wohl kaum. Wie lange Rühmkorf die widrigen Umstände seiner Geburt beschäftigt haben, zeigen wiederum einige Verse aus Irdisches Vergnügen in g. Ein sogenanntes „Wiegen- oder Aufklärelied“ verschmilzt die privaten Kümmernisse der Mutter mit den gesellschaftlichen Nöten der Inflationszeit:

Schlaf mein Kindchen-ungewollt,
Rubel-Mond durch Wolken rollt;
Silberdollar: dir und mir –
ratzepatz! zu Altpapier!

Doch schon dieses schwarze Idyll ist reines Wunschdenken, denn in Wahrheit hat eben nicht die leibliche Mutter, sondern eine Pflegemutter dem Knaben in den ersten Lebensjahren Wiegenlieder vorgesungen – wenn überhaupt. Wir wissen nicht, wie eng das Verhältnis des Ein-, Zweijährigen zu seiner Pflegefamilie war. Doch zumindest die Rückkehr zur Mutter dürfte einen bleibenden Eindruck in der Seele des knapp Zweijährigen hinterlassen haben.
Die Psychoanalyse spricht in solchen Zusammenhängen vom „Urvertrauen“, welches das Kind in den ersten achtzehn Lebensmonaten durch die verläßliche Zuwendung einer Dauerpflegeperson entwickle – oder eben nicht entwickle. Dieses Urvertrauen bildet die Grundlage für die Liebesfähigkeit und das gesunde Selbstwertgefühl eines Menschen nicht nur während der Kindheit, sondern während seines gesamten Lebens. Fehlendes Urvertrauen kann in Extremfällen zu gravierenden Eßstörungen des Kindes führen. Durch die anhaltend verweigerte Nahrungsaufnahme entwickelt sich dann eine Mangelkrankheit, „Marasmus“ genannt, an der solche vernachlässigten Kinder bisweilen sogar sterben.
In diesem Zusammenhang ist interessant, daß Peter Rühmkorf als junger Mann zwischen seinem achtzehnten und zwanzigsten Lebensjahr nach eigenem Bekunden eine Zwangsneurose ausgebildet hat, deren „Verstörungen sich mit allen Merkmalen einer Anorexie anließen, einer pubertären Magersucht also.“

Zu meiner eigenen Leidenslage will ich nur so viel bemerken, daß ich schließlich nur noch in gekrümmter Stellung auf unserem Wohnküchensofa dahinvegetieren konnte und daß der Versuch, die selbstgewählte Couch zu verlassen, augenblicklich von Krampfzuständen begleitet war, quälenden Eingeweidespasmen, auch asthmatischen Beängstigungen, und daß das unheilvolle Körpergeschehen gleichzeitig mit einem gesteigerten Trieb zur Selbstbeobachtung einherging.

Diese Symptomatik fällt gewiß nicht in den Bereich eines frühkindlichen Marasmus, aber es scheint doch vorstellbar, daß sie auf frühere Verstörungen ähnlicher Art verweist. Interessanterweise bietet Rühmkorf als Erklärung für seine seelische Erkrankung die, wie er wörtlich sagt, „Angst vor dem Abschied vom Mutterhaus“ an.
Den „gesteigerten Trieb zur Selbstbeobachtung“ hat Rühmkorf später erfolgreich sublimiert – kein Wunder, daß es ihn zur Lyrik als der subjektivsten literarischen Gattung zog. Und weil wir gerade von Eßstörungen sprachen: Ein besonders inniges Verhältnis zum Essen wird in dem Gedicht „Im Vollbesitz seiner Zweifel“ zelebriert. Auf Seite siebenundzwanzig meiner klappenbroschierten und handsignierten Erstausgabe von Irdisches Vergnügen in g gibt Rühmkorf so langwierig wie genüßlich eine ganze Speisekarte wieder. Vielleicht etwas zu langwierig und genüßlich, um wirklich von Unbefangenheit zu zeugen?

Nicht zu predigen, habe ich mich an diesem Holztisch niedergelassen,
nicht, mir den Hals nach dem Höheren zu verdrehen,
sondern mir schmecken zu lassen dies:
Matjes mit Speckstibbel, Bohnen, Kartoffeln, Einssechzig;
Aal in Gelee, Kartoffelpürree, gemischten Salat, Zweiachtzig;
Kalbszüngerl mit Kraut, Zwomark;
Beefsteak a la Meyer, Erbsenundwurzeln, Zwozwanzig;
Rührei – Blumenkohl, Einemarkdreißigpfennige
(…)

Das waren noch Preise! Der Preis, den Peter Rühmkorf für die Turbulenzen seiner allerersten Lebensjahre zu zahlen hatte, fällt deutlich höher aus. Manches deutet darauf hin, daß die Ursachen für seinen vielfach von ihm selbst besungenen, artistisch überhöhten und kraftmeierisch kompensierten Mangel an männlichem Selbstwertgefühl in einer frühen Unterversorgung zu suchen sind. Auch der etwas schnöde Umgang mit den Frauen seiner Gedichte mag sich durch die tiefsitzende Angst vor dem Verlassenwerden erklären.
Auch dafür, daß Rühmkorf menschlichen Halt gern in politischen Gesinnungsgemeinschaften sucht, findet sich ein frühes Beispiel: Als Gymnasiast ist er Mitglied der sogenannten Stibierbande, einer Gruppe von fünf Schulkameraden, die sich mitten im Zweiten Weltkrieg nicht durch sportliche oder künstlerische, sondern durch politische, sprich: antifaschistische Interessen definiert. Rühmkorf scheint sich die Lektion auf Lebenszeit gemerkt zu haben: Egal was passiert, Jungs halten zusammen. Kameradschaft und politisches Einvernehmen gingen für ihn seitdem zusammen wie Pawlow und Hund. Womit wir uns aus den frühen Jahren des Wirkens und Werdens herausstibitzen wollen, denn diese Thematik ruft nach einem eigenen Abschnitt.

*

Das erste der beiden vermeintlichen Kardinalthemen unseres Dichters, die Liebe, hätten wir also beleuchtet. Was aber hat es mit dem zweiten Hauptthema, der Politik, auf sich? Wo die Väter sich dünnemachen und – zumindest zeitweise – auch die Mütter Fluchtneigungen zeigen, da, bezeichnet die Politik für Rühmkorf einen Bereich der Verläßlichkeit und positiv definierten Mannhaftigkeit über Jahrzehnte hinweg. „Ein Kerl muß eine Meinung haben“, meinte bereits der sozialistisch engagierte Alfred Döblin, und Rühmkorf schließt sich dieser Meinung in seinem Tagebuchband Tabu I ohne Abstriche an. Rühmkorfs Männerfreundschaften, etwa diejenige mit Günter Grass, sind folglich weniger an literarische als an Fragen der Gesinnung geknüpft. Und die Zuverlässigkeit, mit der Rühmkorf Wahlaufrufe der SPD unterschreibt, hat mittlerweile etwas geradezu Eheähnliches an sich.
Im Gegenzug sind Treue und Beständigkeit in Rühmkorfs langjähriger Ehe mit der SPD-Politikerin Eva Rühmkorf wohl stark an den Gleichklang in gesellschaftlichen Fragen gekoppelt. So heißt es in dem Erinnerungsband „Die Jahre die Ihr kennt“ kurz und knapp:

1964: Hochzeit mit der Genossin Eva-Maria Titze (diplomierte Antiatomkämpferin u. zus. mit Erika Runge und Ulrike Meinhof in der weiblichen Initiativ-Trias des Berliner Studentenkongresses unvergeßlich hervorgetreten) (…) Das war die geschichtsträchtige und weltbewegende Stunde, wo (…) Ulrike Röhl das prophetische Wort sprach: „Ihr seid etwas, was ich nie verstehen werde, ihr seid etwas völlig anderes.“

Ein Hochzeitsandenken, wie es wohl nicht jeder im Album hat. Im Vordergrund stehen bei diesem eigentlich ganz privaten Anlaß auffällig viele politische Verbindlichkeiten: Die Braut wird als „Genossin“ tituliert und ihre politische Tüchtigkeit so ausdrücklich gelobt, als sei dies allein bereits Grund genug für den Ehebund. Politik, so könnte man sagen, ist der Bereich, in dem der sonst schwer faßbare, ja haltlose Dichter seine vielfältigen Fluchtbewegungen durch Beständigkeit auszugleichen versucht. Umgekehrt ist es die Treue in Gesinnungsfragen, die ehelichen Zusammenhalt offenbar mehr als alle äußeren Reize eines „chow-chow-farbenen“, „mistblonden“ oder sonstwie kolorierten Haarschopfes garantiert.
Aber Rühmkorf wäre nicht Rühmkorf, wenn er sich nicht auch hier ein Hintertürchen offenhielte. Politik ist ja ein Bereich, in dem sich Opposition und Integration bruchlos miteinander verbinden lassen: Der demokratisch engagierte Mensch, er darf und muß beizeiten widersprechen. Als selbsternannter kritischer Kopf kann Rühmkorf seine Außenseiterexistenz im Politischen ungehindert ausleben, ohne sogleich ins gesellschaftliche Abseits zu rutschen. Das Widerspenstige, Unbeständige, im Bereich des gesellschaftlichen Engagements ist es zum unabdingbaren Bestandteil der Beständigkeit geworden.
So gesehen, hat die Politik gegenüber der Kunst einen unschätzbaren Vorteil: Unter dem Drahtseil, das sie spannt, hängt ein sicheres Netz. Erstaunlich, daß sich die Politlieder unseres Dichters trotzdem im Rahmen vager, wenn auch schmissig formulierter Widerstandsaufforderungen halten:

Und ich war da und da warst auch Du
Und da hörten wir einen schrein.
Dann banden sie ihm die Schnauze zu,
Und ich war da und da warst auch Du
Und keiner von uns sagte nein.

Ob es da um Positionen oder um Posen geht, mögen andere entscheiden. „Schnauze auf!“ ist als politisches Programm vielleicht ein wenig dürftig, als literarische Selbstverpflichtung aber unabdingbar. Daß Rühmkorf im Zivilleben die subjektive Wahrnehmung des Lyrikers allemal der ideologischen Verblendung vorzieht, macht ihn Ihrem Prüfer beim Lyrik-TÜV jedenfalls eher sympathisch als fragwürdig. Als Höhepunkt dieser Abteilung sei daher ein Ausschnitt aus Tabu I zitiert. Rühmkorf unternimmt im Nachwendejahr 1990 einen Ausflug nach Mecklenburg-Vorpommern. In Ludwigslust kommt ihm – „aufeinmalso beim Schlendern“ – eine schöne Erkenntnis.

Einen Sozialismus bei gutem Wetter und abzüglich Staatssicherheit und Verhinderungsbürokratie mag man sich gerade noch vorstellen – bei dem herrschenden Nieselgepiesel scheint er schlechterdings unerträglich.

*

„Ein chaotischer Fall, mein lieber Watson“, sagte Sherlock Holmes bei seiner Abendpfeife. „Es wird Ihnen kaum gelingen, ihn in der gedrängten Form, die Ihnen so sehr am Herzen liegt, zu präsentieren.“ Aber versucht sei es doch. Mancher glaubt, daß ohne irgendeine Störung sowieso keine Produktivität denkbar sei. Die Frage ist nur: Was fängt er damit an? In bezug auf Rühmkorf können wir guten Gewissens antworten, daß er mit seinen persönlichen Verkantungen vieles anfangen konnte und eine Menge fertiggebracht hat. Seine Obsession für die Sprache und für die sich lebenslang stilisierende Kunst- und Künstlerfigur namens „Ich“ hat einige der haltbarsten, pointiertesten und einprägsamsten deutschsprachigen Gedichte der letzten fünfzig Jahre hervorgebracht. Rühmkorf hatte von Anfang an, was jeder bedeutende Dichter haben muß: Höhenwahn und Erdhaftung. Und so sind seine frühen Gedichte auch heute noch ein sehr irdisches, aber eben auch ein atemberaubend luftiges Vergnügen.
Nun Watson, knapper hätten Sie das doch auch nicht hinbekommen, oder?

Steffen Jacobs, in Steffen Jacobs: DER LYRIK TÜV, Eichborn Verlag, 2007

 

„Wer Lyrik schreibt, ist verrückt“

Gibt es eine junge deutsche Polemik? Also nicht. Es gibt Lyrik. In einer Zeit, wo Besen benötigt werden, streut man Gänseblümchen. Lyrinde und Lyringel gehen camping in die schöne, weite Kultur, halten sich fest an die üblichen Denkrouten, an die amtlich festgesetzten Tauchtiefen, ängstlich besorgt um Irrtum und Fehltritt, Fährnis und Untergang. Auf die Frage, wo die deutsche Literatur denn eigentlich stehe, kann man zunächst einmal getrost antworten: sie steht. Sie sitzt fest. Sie ist aufs Altenteil gezogen.

Diese Beurteilung der deutschen Nachkriegslyrik stammt, will man den Angaben des autobiographischen Werks Die Jahre die Ihr kennt trauen, wahrscheinlich aus dem Jahre 1952.
Noch bevor Rühmkorf seinen ersten Lyrikband publizierte, macht er in dieser kritischen Notiz deutlich, welche Erwartungen er an Lyrik stellt. Die lakonisch formulierte und ebenso lakonisch verneinte Frage nach der Existenz einer „jungen deutschen Polemik“ macht den geometrischen Ort auch seiner Lyrikkonzeption aus. Wiederum ist es der Widerspruchsgeist, den er in der Literatur vermißt. Sein Angriff gilt jenen Lyrikern zwischen 1948 und 1952, die sich mehr oder weniger ausschließlich dem Naturgedicht widmeten. Die Flucht in die Idylle der Naturlyrik, die solche bekannten Lyriker wie F.G. Jünger, R.A. Schröder, W. Lehmann, G. von der Vring, G. Britting, R. Hagelstange und E. Langgässer in ihren Werken zum Ausdruck brachten, war, so Rühmkorf, nur um den Preis eines grundlegenden Realitätsverlustes zu vollziehen. Mit dem Widerspruch mieden sie die Bereitschaft zum Risiko, zum Experiment. Was sie suchten und auch fanden, war das literarisch Routinierte und Bewährte, das Zeit- und Erfahrungsfreie: Ihre Lyrik war epigonal.
Von Beginn an richtet sich Rühmkorfs eigene lyrische Produktion gegen die Übernahme solcher wirklichkeitsfernen Denk- und Schreibformen, die in bloßer Traditionalität erstarrten. Auch dort, wo er selbst literarische Traditionen aufnimmt, paßt er sich ihnen nie unkritisch an, sondern vermittelt sie im konstruktiven Widerspruch mit seinen eigenen Wirklichkeitserfahrungen. Rühmkorfs Bemühungen, sich von Epigonalität freizuhalten, stets einen eigenen Ausdruck zu finden, machen es schwer, sein lyrisches Werk innerhalb der zeitgenössischen deutschen Lyrik zu charakterisieren und zu lokalisieren. Dies erhöht auch die Schwierigkeit, seine Gedichte angemessen zu beschreiben und zu interpretieren. Andererseits trägt jedes einzelne Gedicht Rühmkorfs unverwechselbare Züge. Sein lyrisches Werk läßt sich also weder den Sprachspielen der konkreten Poesie noch der Agitprop-Lyrik, weder der hermetischen Dichtung noch einer Lyrik neuer Innerlichkeit zuordnen. Die Isolierung seines Werks geht indes einher mit der Kontinuität seiner lyrischen Ausdrucksweise.
Dieses Werk ist, bedenkt man, daß Rühmkorf seit etwa dreißig Jahren Gedichte schreibt, recht schmal. Was liegt bisher vor? 1956 debütierte Rühmkorf zusammen mit W. Riegel mit dem Band Heiße Lyrik. 1959 folgte die Sammlung Irdisches Vergnügen in g. 1962 erschienen fünfzig Gedichte unter dem Titel Kunststücke. Fast alle Gedichte dieser ersten drei Publikationen wurden 1976 in der Anthologie Gesammelte Gedichte erneut publiziert. Hinzugefügt wurden diesem Band nur jene Texte, die er schon 1975 seinen Essays über Walther und Klopstock beigegeben hatte. Seit dieser Zeit datiert vermutlich eine erneute Hinwendung Rühmkorfs zur Lyrik. 1978 erschien der Gedichtband Phoenix voran, 1979 veröffentlichte er eine Sammlung mit dem Titel Haltbar bis Ende 1999, für die er mehrere Literaturpreise erhielt.

1. Benn – Einfluß wider Willen
Nun ist trotz aller individuellen Züge und trotz der Betonung seiner literarischen Eigenständigkeit Rühmkorfs Werk nicht frei vom Einfluß literarischer Vorbilder. Am nachhaltigsten macht sich in seinem lyrischen Frühwerk der Einfluß der lyrischen Dichtung und Dichtungstheorie Gottfried Benns bemerkbar. Über diesen vermittelt ist wohl Rühmkorfs Auseinandersetzung mit dem Expressionismus, ist doch Benn einer der wenigen Lyriker dieser Generation des Aufbruchs und des Protestes gewesen, der in den fünfziger Jahren noch lebte und literarisch wirksam war, wenngleich auch in anderer Weise als zu Beginn. Der Benn der Statischen Gedichte ist ja nicht entfernt mehr der expressionistische Benn der Frühzeit. Aus der Wirkung, die Benn und der literarische Expressionismus auf ihn ausübten, hat Rühmkorf nie ein Hehl gemacht:

Man soll, glaube ich, nicht ableugnen, was man bei groBen Leuten gelernt hat. Ich habe nie geleugnet, daß Benn ein großer Lehrmeister für mich war, wie auch Brecht und, aufs ganze gesehen, der gesamte Expressionismus. Benn ist nun mal eine der bedeutendsten Gestalten dieser Bewegung, die unsere Jahrhundertmitte noch lebend erreichte, bei ihm bin ich also in die Schule gegangen.

Die in diesem Zitat von Rühmkorf angedeutete Wirkung Brechts auf sein Werk muß gegenüber derjenigen Benns und des Expressionismus allerdings doch wohl relativiert werden. Jedenfalls hat die hier behauptete Abhängigkeit von Brecht in seinem Werk kaum sichtbare Spuren hinterlassen, es sei denn, man wolle gewisse „vitalistische“ Tendenzen seiner Lyrik etwa mit dem Brecht der Hauspostille in Verbindung bringen. Der späte Brecht, d.h. der Autor der Svendborger Gedichte und der Buckower Elegien, kann wohl kaum als literarischer Gewährsmann Rühmkorfs gelten. Schließlich läßt Rühmkorf selbst in seinen literaturtheoretischen Arbeiten eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Lyriker Brecht vermissen.
Unverkennbar dagegen sind die Spuren, die der Einfluß der expressionistischen Lyrik im Werke Rühmkorf hinterließ. Nicht zuletzt eine von ihm selbst besorgte Anthologie von 131 expressionistischen Gedichten bezeugt sein Interesse an dem turbulenten expressionistischen Jahrzehnt. Das Interesse an spezifischen literarhistorischen Strömungen, an bestimmten Werken und Autoren, bedeutet für Rühmkorf, wie wir noch genauer zeigen werden, nie ein archivarisches. Es ist stets durch wirkungsgeschichtliches Bewußtsein vermittelt, was in unserem Falle nichts anderes heißt, als daß die Beschäftigung des Autors mit expressionistischer Lyrik sich – trotz aller historischer Differenzen – einer Art heimlicher Zeitgenossenschaft verdankt. So handelt es sich seiner Meinung nach beim Expressionismus – das macht er in seinem Vorwort zu der genannten Gedichtsammlung deutlich – „um ein hochaktiv gebliebenes Energiebündel, das so leicht gar nicht zu neutralisieren ist“. Die zahlreichen Impulse, die die Rühmkorfsche Lyrik von diesem empfangen hat, erschöpfen sich beileibe nicht im Stilistisch-Rhetorischen. Sicherlich verwendet Rühmkorf ebenso wie viele Lyriker des Expressionismus die kühne Metapher, sicherlich gewinnt er wie diese der Verbindung von abstrakten und konkreten Begriffen überraschende Bedeutungsnuancen ab, sicherlich verdinglicht und personifiziert, persifliert und verfremdet, versinnlicht und abstrahiert er in seiner Lyrik durch unübliche Wort- und Satzverbindungen Wirklichkeitserfahrungen genauso wie diese in ihren Gedichten. Doch bleiben solche disparaten formalen Analogien historischer Wirkungsprozessen immer nur äußerlich, sie sind einfach zu abstrakt, um dem Einfluß und schließlich auch der Faszination auf die Spur zu kommen, die diese literarische Bewegung auf unseren Autor ausgeübt hat. Die Übernahme stilistischer Mittel und die Verwendung von Motiven, die in dieser Epoche dominierten, sind für Rühmkorf nie Selbstzweck gewesen; sie sind immer schon an identische oder ähnliche historische Fragestellungen und Problemformulierungen gebunden. Und gerade in diesen erkennt Rühmkorf die „lebendig gebliebenen Verbindlichkeiten“ dieses Jahrzehnts für sich und seine Zeit. Wenn sich in den Gedichten der Expressionisten vor dem Ersten Weltkrieg die seelischen Spannungen und Irritationen artikulierten, die sich im bürgerlichen Überbau gebildet hatten und die letztlich aus der Diskrepanz, dem Widerspruch von technisch-industrieller Entwicklung und persönlicher Lebensentfaltung resultierten, dann ist in der Tat dieses Verhältnis von sozialem Druck und künstlerischer Ausdruckskraft auch der entscheidende Impuls, der die Rühmkorfsche Lyrik der fünfziger und sechziger Jahre antreibt. Hier wie dort hat das Ich den Außenhalt an der Klasse, der es entstammt, verloren; hier wie dort droht der Verlust der Persönlichkeit, der Identität. Zeigt sich nicht auch in den Versgebilden Rühmkorfs die Ambivalenz von „Hörigkeit und Ungehörigkeit, Gesetzestreue und die ungebärdige Lust am Gesetzesbruch“, die den lyrischen Versuchen der Expressionisten ihre Spannung gibt? Rekurrieren nicht auch seine Gedichte – ähnlich wie die der Expressionisten – auf konventionelle lyrische Muster, z.B. den gereimten Vierzeiler, um durch sie dennoch – wider die formale Obligation – die Depraviertheit und Verlogenheit eingeschliffener bürgerlicher Ideologeme zum Ausdruck zu bringen? Nicht zuletzt das wütende Anrennen gegen patriarchalische Strukturen, gegen soziale Restauration und Reaktion, gegen Normen schlechthin, die den persönlichen Freiheitsdrang blockieren, bezeugt die gedankliche Verwandtschaft von Rühmkorfscher und expressionistischer Lyrik. Hier wie dort steht das Ich zur Debatte, „zur ungeschützten Disposition“; hier wie dort werden dessen Verkantungen und Deformationen verhandelt; hier wie dort zeigt sich das Ich in die Gegenstände verstrickt, sich selbst als vergegenständlicht erfahrend bzw. die Welt als Projektionsfläche der eigenen Handlungsversessenheit vereinnahmend. Hier wie dort zeigt sich freilich auch das Kardinalproblem des bürgerlichen Dichters, daß nämlich der Versuch, Elementarbedürfnisse radikal zu emanzipieren, immer wieder nur in verbalen Raisonnements über die eigene Ohnmacht, über die eigenen Depressionen endet. Solcher Mangel an Fortschrittsvertrauen ist freilich für Rühmkorf kein Manko, sondern macht geradezu die historische Vertrauenswürdigkeit der expressionistischen Lyrik aus. „Innere Wahrhaftigkeit, jedenfalls“, diese Einschätzung der expressionistischen Lyrik ist auch eine Selbstinterpretation des Gedichteschreibers Rühmkorf, „kann sich sehr wohl in leidensvollen oder in ironisch überspielten Abgesängen bezeugen und sie muß es nicht unbedingt schon, wenn ein zerspelltes Individuum mit zusammengekniffenen Arschbacken proletarische Imperative exerziert.“
Paradox und notwendig zugleich mutet der Tatbestand in Rühmkorfs früher literarischer Entwicklung an, daß es ein Expressionist war, der ihn Anfang der fünfziger Jahre vorerst aus dem Bannkreis einzelner Expressionisten, wie z.B. Heym, Trakl und Werfel, herauszog. Gottfried Benn war es, der mit seiner Lyrik und Lyriktheorie der jungen Generation, den Avantgardisten Rühmkorf und Riegel, neue Orientierungsmarken setzte. In dem Maße, wie das Unbehagen der jungen Lyriker an dem „Gewühle“, der „verbalen Kinetik“, den „Explosionen“ und der „aufgeplusterten Humanität“ einzelner Expressionisten wuchs (vgl. Leslie Meiers „Brief über Benn“ aus dem Jahre 1955), öffneten sie sich gegenüber den lyrischen Monologen Benns.
Auf der einen Seite war es die Bennsche Zivilisationskritik, der innere Widerstand gegen die depravierte bürgerliche Gesellschaft, besonders gegen deren Entwicklungsstreben, wovon die jungen Lyriker Riegel und Rühmkorf sich angezogen fühlten; auf der anderen Seite zeigten sie sich beeindruckt von den vitalistisch-hedonistischen Elementen der Sinnlichkeit und vom Konstruktivismus in Benns Lyrik. So verband sich zwanglos die von Riegel und Rühmkorf ins Leben gerufene Bewegung des „Finismus“ hinsichtlich ihrer Theorie und Programmatik mit den von Benn repräsentierten antibourgeoisen Haltungen.
Dieser „Finismus“ hatte sich als endgültig letzte avantgardistische Bewegung zum Ziel gesetzt, alle bisherigen bürgerlichen Bewegungen in Kunst und Gesellschaft kritisch und polemisch bis zu ihrer Beseitigung zu bekämpfen. Solchen Intentionen kam Benn mit seinem „ungeheuren Riecher für Finalstimmungen“ und einem „stupenden Zug zum Antibourgeoisen, ästhetisch Imperialen […] in jedem Fall entgegen“.
Diese Affinität im Denken und im Sprachgestus teilt sich in zahlreichen Gedichten des Bandes Heiße Lyrik substantiell in der Thematik, atmosphärisch in Stimmung und Ton mit. Bezeichnend für viele Rühmkorfsche Gedichte dieser Zeit ist ihre Entgrenzung ins Kosmische, Geschichtslose, Metaphysische. Vorherrschend ist dabei ein schon von Benn her bekanntes Vokabular; abgerufen werden abstrakte Kategorien der Seins- und Daseinsanalytik („Worte“, „Zeit“, „Ewigkeit“, „Sterne“, „Schicksal“, „Vollkommenheit“), die die Verlorenheit des Menschen, seine Einsamkeit und Nichtigkeit angesichts sphärischer Räume und Zeiten zunächst unanschaulich anklingen lassen. Dabei greift er in der Nachfolge Benns auf ein ähnlich exotisches Wortmaterial zurück; Neologismen, Fremdwörter, wissenschaftliche Fachausdrücke kennzeichnen das lexikalische Inventar vieler Gedichte und strapazieren häufig genug deren Verständnis. Rühmkorfs Lyrik ist, wie die Benns, manchmal fast nur mit Hilfe von Lexika zu lesen. Hier bereits liegen erste Ansätze einer später sich verstärkenden Tendenz vor, die Tradition des „poeta doctus“ aufzunehmen und zu kultivieren. Haltungen, wie sie bisher gekennzeichnet wurden, zeigen sich beispielsweise exemplarisch an einem Text wie dem folgenden:

WILDERND IM UNGEWISSEN

Wildernd im Ungewissen
im Abflußrohr der Zeit;
etwas Größe unter den Nagel gerissen,
etwas Vollkommenheit.

Wir haben um neunzehn Uhr Syringen gebrochen
und brachen Duft und Gram…
Flieder, mein lieber Mann, wir haben Flieder gerochen,
wenn der Mond über Deutschland kam.

Im wenig Dauerhaften,
von Wind und Schein verführt –
weiß ich, ob wir die Sterne verkraften
bis man uns abserviert?

Bis wir abtreten müssen.
Schotter des Schicksals über die Fläche gestreut –
etwas Größe unter den Nagel gerissen,
etwas Vollkommenheit.

Bereits der Titel des Gedichts exemplifiziert bildhaft dessen Thema und Stimmung. Es geht um das globale Problem des Verhältnisses von Mensch und Welt, artikuliert am Beispiel der gemeinsamen Daseinserfahrungen einer ganz bestimmten Generation.
Die Erfahrungskorrelate, die der Titel andeutet, sind Orientierungslosigkeit, Entwurzelung, Haltlosigkeit und Unsicherheit einerseits, unbefriedigtes Glücksverlangen, versagte Erfüllung und ungestillte Sehnsucht der zufällig, ziel- und gesetzlos, aber beutegierig Jagenden andererseits.
Diesen Schwebezustand der mit „wir“ bezeichneten verlorenen Nachkriegsgeneration veranschaulicht bereits die grammatische Konstruktion des Titels. Die partizipiale Wendung „wildernd“, die die infinite Bewegung versinnlicht, ist in eine adverbiale Bestimmung hineingeschachtelt, deren wichtigstes Merkmal die beabsichtigte Zweideutigkeit von Raum- und Zeitkategorien ist.
Der Anfang des Gedichts nimmt den Titel noch einmal auf, um ihn gleichzeitig zu konkretisieren. Das zunächst offene, unbegrenzte „Ungewisse“, das leerformelhaft und geschichtslos den Lebensraum der Menschen kennzeichnet, wird von Rühmkorf metaphorisch konturiert. Die Geschichte wird bezeichnet als „Abflußrohr der Zeit“, damit sind deren Attribute gekennzeichnet: Vergänglichkeit, Nichtigkeit, Unaufhaltsamkeit und Unumkehrbarkeit. Gleichzeitig assoziiert man durch diese Metapher die Vorstellung von Schmutz, Unrat und Abfall. Man braucht, um diese Geschichtserfahrung an Bennsche Positionen rückzubinden, wohl kaum ausführliche Belege zu bemühen (man vergleiche z.B. ,Verlorenes Ich‘). Hierin spricht sich der auch für Benn typische Geschichtspessimismus aus. Zu diesem Geschichtsbild gehört das Bestreben des einzelnen nach Expansion, nach Eigentum, schließlich der Griff nach Höherem und Höchstem. Betont wird hierbei allerdings einmal das schon vorher in der Vorstellung des „Wilderns“ angelegte Unrechtmäßige des Tuns, zum anderen auch das Scheitern dieser Versuche im Unzulänglich-Bruchstäckhaften.
Auffällig an Benn angelehnt ist auch die stilistische Struktur bereits der ersten Strophe. Der Sprachgestus ist elliptisch, zwei Partizipien tragen die Bewegung des Satzes. Es dominieren die bekannten Bennschen Zentnerworte und Universalgesten, deren Pathos nur vordergründig über die Hohlheit hinwegtäuscht. Andeutungsweise ausgeglichen wird solcher Sprachstil alleine durch die umgangssprachliche Wendung „unter den Nagel gerissen“. Mit der Rückbindung des Universalen an das Handgreiflich-Sinnliche („wir haben Flieder gerochen“) deutet sich, hier allerdings noch kaum merklich, eine Stilhaltung an, die später ironisch-denunziatorisch zur Verspottung solcher falschen Idealität eingesetzt wird.
Auch in der zweiten Strophe überwiegen noch die Anlehnungen an Bennsche Motive und Vokabeln. Da sind zunächst einmal die (selteneren) Blumen als Zeichen für Schönheit und Beglückung des Lebens, die man unrechtmäßig bricht, um sie sich zu eigen zu machen, die man in diesem gewaltsamen Aneignungsakt allerdings zerbricht: „Wir haben um neunzehn Uhr Syringen gebrochen und brachen Duft und Gram…“ Rühmkorf arbeitet hier mit der Doppelbedeutung des Wortes „brechen“ zwischen „abbrechen“ und „zerbrechen“, um zu verdeutlichen, daß die Versuche der Menschen, Glück aktiv zu verwirklichen, das Gegenteil bewirken: Leid. Gleichwohl vermag die Leiderfahrung nicht den Wunsch nach dem Glück auszulöschen, wie er durch das sinnliche Erlebnis immer wieder geweckt wird („Flieder, mein lieber Mann, wir haben Flieder gerochen“). Solche Versuche, die Vergeblichkeit des Glücksanspruches mittels der Blumenmetaphorik zu versinnlichen, finden wir ebenfalls bei Benn vielfach präfiguriert. Erinnert sei, nur stellvertretend für zahllose andere, an die Gedichte „Rosen“ und „Nimm fort die Amarylle“.
Vor dem Hintergrund der Bennschen Vergänglichkeitsthematik muß auch die Aussage der dritten und vierten Strophe, die dazu die entsprechenden topoi („Wind“, „Schein“ und „Schicksal“) abrufen, betrachtet werden. (Vgl. „Nur noch flüchtig alles“, „Reisen“.) Vielleicht am nachdrücklichsten meldet sich in ihnen das finalistische Weltgefühl Benns, das die verlorene Generation der Nachkriegszeit mit ihm teilte, zu Wort. Geschichte wird hier vom Ende her verstanden („bis man uns abserviert“, „Bis wir abtreten müssen“). In dieser resignativen Geschichtskonzeption hat der Mensch nur Platz als Objekt, als Geworfener. Er besitzt weder Entscheidungsgewalt, noch hat er Gestaltungs- und Eingriffsmöglichkeiten, er wird abserviert, er muß abtreten. Er ist Material der Geschichte, „Schotter des Schicksals“, der wahllos und zufällig „Über die Fläche gestreut“ wird. Dabei verknüpfen sich die Wendung vom Abtreten und das Bild vom Schotter unterschwellig zur Vorstellung des Zertretenen, Plattgetretenen. Für die verbleibende Zeit stellt sich die Frage, so gibt Rühmkorf skeptisch zu bedenken, ob nicht nur das ständige Scheitern auf Dauer nicht zu ertragen ist, sondern ob nicht sogar die Wünsche und das Glücksverlangen selbst noch unerträglich werden („weiß ich, ob wir die Sterne verkraften / bis man uns abserviert?“).
Wenn Rühmkorf in diesem Gedicht historische Erfahrungen einer Generation hat artikulieren wollen, das Leiden an einer aus den Fugen geratenen Zeit, eben der deutschen Nachkriegszeit, dann hat er mit dem Rückgriff auf Bennsche Versatzstücke ein denkbar ungeeignetes Verfahren gewählt. Dem distanzierten Beobachter stellen sich retrospektiv die auf Totalität zielenden Kategorien Benns als für historische Beschreibung und Analyse unzureichend dar. Der umgreifende Anspruch, ihre Tendenz zur Mythisierung hat sie einer sich in den sechziger Jahren etablierenden Ideologiekritik verdächtig gemacht. Wenn hier auch schon ansatzweise das spezifische lyrische Sprechen Rühmkorfs anklingt, nämlich der Einbruch des Umgangssprachlich-Saloppen in den gravitätisch-ernsten Sprachduktus Bennscher Prägung, so ist doch diese Sprache noch zu unkritisch-affirmativ verwendet, als daß deren Mystifikationscharakter bereits erkannt oder gar entlarvt wäre, wie dies später geschieht. Je mehr nämlich die hier bereits angelegten Tendenzen ausgebilded wurden, desto deutlicher wurde die fortschreitende Ablösung von Bennscher Terminologie. Während in dem Gedicht „Was du noch auf der Zunge hast“ der schnoddrige Sprachton Rühmkorfs nur sporadisch, aber immerhin schon wesentlich krasser als im soeben besprochenen Text aufblitzt („Nicht über den Arsch unterm Hemd / kannst Du verfügen“), ist in einem Text wie „Guter Freunde Nachtlied“ das Vokabular Benns bereits zum bloßen Spielmaterial degradiert und damit dem Spott anheimgefallen.
Die letzte Stufe dieser Ablösung von Benn markiert das Gedicht „Lied der Benn-Epigonen“, das hier für sich selbst sprechen mag:

LIED DER BENN-EPIGONEN

Die schönsten Verse der Menschen
– nun finden Sie schon einen Reim! –
sind die Gottfried Bennschen:
Hirn, lernäischer Leim –
Selbst in der Sowjetzone
Rosen, Rinde und Stamm.
Gleite, Epigone,
ins süße Benn-Engramm.

Wenn es einst der Sänger
mit dem Cro-Magnon trieb,
heute ist er Verdränger
mittels Lustprinzip.
Wieder in Schattenreichen
den Moiren unter den Rock;
nicht mehr mit Rattenscheichen
zum völkischen Doppelbock.

Tränen und Flieder-Möwen –
Die Muschel zu, das Tor!
Schwer aus dem Achtersteven
spielt sich die Tiefe vor.
Philosophia per anum,
in die Reseden zum Schluß –:
So gefällt dein Arcanum
Restauratoribus.

Ungeachtet mannigfacher Interferenzen zwischen Rühmkorf und Benn ist Rühmkorf nie bloßer Nachbeter Benns gewesen. Der aufklärerische Zug in vielen seiner Gedichte (das zeigt wohl nachdrücklich die hier zitierte Benn-Parodie) ist immer zu stark ausgeprägt gewesen, um sich völlig von den vitalistischen Tendenzen Bennscher Lyrik und den Implikationen seiner ästhetizistischen Lyrik-Theorie absorbieren zu lassen. Den politischen Irrationalismus dieses Autors, sein zutiefst geschichtsloses Weltbild, das sich in allgemeinem Weltschmerz, Daseinsekel, Bewußtseinsüberdruß und Zivilisationsverachtung äußerte, hat er nie nachvollziehen oder übernehmen können. Dazu wohl war sein eigenes Denken immer schon zu sehr historisch und dialektisch fundiert. Besonders mußte ihn in Benns Positionen auch der völlige Mangel an soziologischer Reflexion abstoßen. „Absage an Geschichte als eines überhaupt ernstzunehmenden Erkenntnisgegenstandes, […] Herunterwertung von gesellschaftlichen Druck- und Zugkräften zu bloßen Zufallserscheinungen“, das waren seine Hauptvorwürfe gegen Benn. Ein Leiden an der Zeit, das, wie bei Benn, durch keinerlei historische Kategorien vermittelt ist, muß zwangsläufig regressive Züge gewinnen. Es kann dann nur ein Signum – speziell abendländischen – Menschseins sein, indem es etwa als quasi-ontologisches Leiden ausgewiesen wird. „Wo ein Ich sein Bewußtsein nur noch als Entfremdungsschauder erlebt, ohne daß das Vertrauen auf dialektische Bewegungsprinzipien ihm einen gewissen Hoffnungsspielraum nach vorn eröffnete, dort flüchtet sich das gesteigerte Verlangen nach Anteilnahme und Zusammenhang gern in archaische und mythische, vielleicht sogar protozoische Einheitsvorstellungen.“.
Rühmkorf ist bei allen Distanzierungsversuchen allerdings auch so freimütig zu bekennen (das Augenzwinkern ist hier stillschweigend impliziert), daß die allererste Distanzierung wohl von Benn selbst ausging. Als nämlich die jungen Frondeure Riegel und Rühmkorf zu Beginn ihrer literarischen Tätigkeit sich mit der Bitte um Protektion an Benn wandten, blieb ihr hoffnungsvolles Unterfangen ohne jede Resonanz.
„Wir warben“, so schreibt Rühmkorf rückblickend, „um seine Anerkennung, schrieben ihm Briefe, schickten ihm unsere Gedichte zu; immerhin empfanden wir ihn als einzige uns vergleichbare Qualität; bis dann die Geschichte aufkam, daß er einen Spezialschrank besäße, eine Art Dauerpapierkorb, in dem die unverlangt eingesandten Briefe und Manuskripte ungeöffnet zu landen pflegten. Teils in der Reaktion verschmähter Liebhaber, teils als Antwort auf die politische Reaktion, die zunehmend Anteil an ihm nahm, schickten wir ihm später Schmähverse, Parodien auf seine neueren Gedichte.“

2. Lyrik als Selbstporträt
Man wird der Eigenständigkeit der Rühmkorfschen Lyrik in ihrer Mannigfaltigkeit an Ausdrucksformen, Themen, Motiven und Haltungen allerdings kaum gerecht werden können, wenn man sie allein im Spannungsfeld der Übernahme von und der Auseinandersetzung mit der Lyrik Gottfried Benns lokalisieren wollte. Daneben nämlich hat Rühmkorf seit Beginn seiner literarischen Arbeit einen spezifischen lyrischen Individualstil entwickelt, der seine Gedichte bis in die Gegenwart unverkennbar prägt.
Die Klammer, die Rühmkorfs lyrisches Werk von seinem ersten Gedichtband Heiße Lyrik bis zu seinem letzten Haltbar bis 1999 zusammenhält, ist die dominierende Stellung des Ich. Damit ist von Anfang an nicht das lyrische Ich als repräsentativer Rollenträger oder als poetologisches Abstraktum gemeint, sondern das konkrete Subjekt des Autors, das seine Biographie, seine Vergangenheit und Herkunft, seinen sozialen Werdegang, seine privaten Eintrübungen und Bedingtheiten, wenngleich nie unvermittelt, ins Gedicht einbringt. Der Subjektivismus als Widerstand: „Die offensive Herauskehrung eines Ich als politischer Stimmungsträger und gesellschaftlicher Zeitanzeiger.“ – das ist die Maxime, die das Problem privater Identitätsfindung als seismographischen Ausdruck gesellschaftlich-politischer Verhältnisse und Widersprüche begreift. Diese Maxime artikuliert sich in seinem lyrischen Werk in einer Vielzahl von Selbstporträts und autobiographischen Einsprengseln. Wenn dies sich nicht bereits im Titel ankündigt – so gibt es z.B. ein „Selbstporträt 1958“, und der erste Text des letzten Bandes Haltbar bis Ende 1999 beginnt ebenfalls mit einem Gedicht betitelt „Selbstporträt“ –, so weisen doch die Inhalte der Gedichte das Ich jeweils als zentralen geometrischen Ort, als Achse der Rühmkorfschen Lyrik aus. Das Medium dieser Lyrik ist seine Identität als Ausgangspunkt und letzte Instanz. Unverkennbar bei aller Kontinuität solcher Subjektdominanz sind dennoch unterschiedliche Interpretationen und Bewertungen der Stellungen und Wirkungsmöglichkeiten dieses Ich. Diese reichen von euphorischer Unbeschwertheit bis zum melancholisch-pessimistischen Gedicht, in dem sich das Ich häufig resignativ selbst bespiegelt.
Typisch für die Haltung und Bestimmtheit dieses Ich und seiner Gedichte in der frühen Zeit ist der Text „Selbstporträt 1958“:

SELBSTPORTRÄT 1958

Prächtig, nichts verstanden zu haben und doch
sein Nasenloch voll Sterblichkeit zu genießen –:
der wackere Sohn des Moments,
jetzo schlendernd unter viel Feinden und wenig Brüdern,
durch Schaden schlau geworden und
dem Boden gründlich mißtrauend, von dem er sich
geschaffen wähnt…
trottet er, bar jeden höheren Zieles,
kantapper – kantapper,
ein asthenischer Wolf ins Orangenlicht.

aaaaaWie schnell einem die Tage vergehn,
aaaaawenn man nicht im Gefängnis sitzt.

Sommers und herbstens und immer wieder:
unermeßlich ist das Glück, dessen jener bedarf,
ABER
reißt er sich heut seinen Braten im pfirsichfarbenen
Schlüpfer.
– höh! wie der Himmel ihm bis unters Haar schwappt! –
wenn er sich wieder erhebt,
der Vortreffliche.
Sein Fell sich glättend, seine verstauchten Strukturen,
wenn aus sirupner Umarmung er sich nachdenklich löst,
magst du ihn fragen, ob er
dir stürzen helfe, was nach oben gelangt ist.

aaaaaDas Holelied des Ungehorsams –
aaaaagebellt oder verkündet –
aaaaaaber von keinem bisher so prägnant
als von ihm.

Ihn zu bestimmen ist nicht eben leicht
im Kreise der Thierheit.
Nicht, daß nicht innerlich alles beim Alten wäre,
ei! er kaut noch immer das überkommene Nichts, daran
schon sein Vater mahlte,
und nichts Neueres als Nichts fiel ihm bei –
Hüte dich aber, deine rechte Hand ins Feuer zu legen
für seine linke:
manchmal, morgens, hinter der rrrradikal unentschlossenen
Zeitung,
den plausiblen Porridge löffelnd und die vordergründige
Frischmilch,
knüllt er sich mit Bedacht
(und dies ist durchaus in der Ordnung)
eine original – Thälmannfaust:
Druschba!

aaaaaZu wahr, um schön zu sein:
auch der Feingeist muß fressen.

Um dann wieder,
seiner Klasse natürlicher Sohn,
leicht, bei gedrosselter Sonne, nach oben zu reisen:
er Spezialist – panimajo? – er züchtet
Angorawolken im Kopf, einen schaumigen Zauber;
im Tau, im Licht, mit garnichts kommt er gefahren,
aber lässig und leerer Hand einen Gruß dem Hack des
Jahrhunderts
in den gähnenden Himmel gewinkt, grohoß,
der das blaue,
das unendlich erstaunte Maul nicht mehr zukriegt.

Trotz der konkreten Zeitangabe im Titel stellt dieses Gedicht keineswegs aktuelle Bezüge zum historischen oder biographischen Kontext her, ein Zeichen dafür, daß hier Wirklichkeit nicht mechanisch reproduziert, sondern im reflexiven Sprachgestus vermittelt wird, ohne dabei an historischer Bedeutung zu verlieren. Solche Vermittlung, die sich nicht zuletzt in der distanzierten Ansprache des Ich als „er“ dokumentiert, verhindert, daß das Gedicht allein unkritisch zum Vehikel privater Bekenntnisse, Erlebnisse oder Meinungen gerät. Rühmkorf setzt sich hier, immer bedacht, den Abstand zu wahren, modellhaft mit verschiedenen Erscheinungsformen seines Ich auseinander. Dieser Abstand ermöglicht allein die ironische Einfärbung dieses Porträts („Leslie Meier beherrscht die Ironie dritten Grades“ heißt es an anderer Stelle, „Einer der Allergeringsten“); später wird die hier noch latente Ironie in offene Selbstironie umschlagen.
Die ersten beiden Zeilen des Gedichts bezeichnen Thema und Stimmung des Porträts. Angesichts eines allgemeinen, unfreiwillig erfahrenen Agnostizismus bringt der Text dennoch jugendlich-unbeschwert und leichtlebig die Freuden handfester sinnlicher Genüsse, als die einzige Möglichkeit des Genusses innerhalb der Endlichkeit. Derjenige, der sich für solche Lebensweise entscheidet, ist Pragmatiker („der wackere Sohn des Moments“), ohne dabei Opportunist zu sein („jetzo schlendernd unter viel Feinden und wenig Brüdern“), ist Empiriker („durch Schaden schlau geworden“) und ist Skeptiker („dem Boden gründlich mißtrauend“) bezüglich der eigenen Geschichte; er ist antiidealistisch („bar jeden höheren Zieles“): Gipfelpunkt dieser expositionsartig angelegten Kennzeichnung ist das Bild vom „asthenischen Wolf“. Es entwirft ein ironisches „Porträt“ seiner Position als Mensch und als Schriftsteller: er ist als Wolf aggressiv, gefährlich, gefürchtet, gejagt, aber als „asthenischer Wolf“ schwächlich, sanft, ohnmächtig sich sein sonniges Plätzchen suchend. Deutliches Indiz solcher Ironie ist die der Metapher vorangehende, dem „Märchen vom Pfannkuchen“ entlehnte rhythmisierende Formel „kantapperkantapper“, die den gemütlich-stumpfen Trott des Wolfes versinnlicht. Der Prosakommentar formuliert scheinbar ohne Zusammenhang mit dem Gedichttext und auch typographisch abgesetzt die Dialektik des Schriftstellers zwischen wölfischer Angriffslust und asthenischer Zurückhaltung: Der Wolf gehörte ins Gefängnis, wenn er denn einer wäre und also der Gesellschaft realen Schaden zufügen würde. Da er aber schwächlich ist und in Ruhe gelassen wird, kann er unbehelligt und intensiv leben, erkauft sich dies allerdings durch seine Harmlosigkeit.
Aus dieser Diskrepanz zwischen Anspruch und Sein des Schriftstellers gewinnt der Text seine Spannung. Die zweite Strophe benennt wiederum in den ersten beiden Zeilen die metaphysische Dimension „unermeßlichen“ Glücksverlangens, dessen Unstillbarkeit und Unerfülltheit stillschweigend mitgesetzt sind. Diese Differenz konstituiert dann den Ersatz: die Bescheidung beim sich anbietenden, alltäglichen, kleinen Genuß („Braten im pfirsichfarbenen Schlüpfer“), der allerdings punktuell und ansatzweise eine Ahnung des „großen Glücks“ vermittelt („– höh! wie der Himmel ihm bis unters Haar schwappt! –“).
Das Tätigkeitsfeld des „Vortrefflichen“ ist diese Sphäre des – freilich anspruchsvoll stilisierten – Banalen, dort kann er ungestraft und folgenlos, auch ohne großen Aufwand, den „reißenden“ Wolf spielen. Da, wo er agiert, sei’s daß er liebt, „plausiblen Porridge“ löffelt oder sich eine „original- Thälmannfaust knüllt“, geht es handfest und trivial zu: Der Wolf ist ein Matratzenräuber und Küchentischrevoluzzer.
Aus dem Unbehagen an den Surrogaten, aus der Erfahrung, daß man den süßen Genüssen leicht erliegt, sich also aus ihnen lösen muß, („wenn aus sirupner Umarmung er sich nachdenklich löst“), erwächst wieder die Reflexion („nachdenklich“). In solchen Momenten des Ungenügens ist er ansprechbar für die praktische Verlängerung seines theoretischen Anspruchs der Umwälzung von Herrschaftsverhältnissen. Doch der Modus der – vorsichtigen – Anfrage enthält schon die Verneinung und Aufhebung in sich. („magst du ihn fragen, ob er / dir stürzen helfe, was nach oben gelangt ist.“)
Auch hier hebt der aphorismenartig angelegte Prosakommentar die Erwartungen auf, die der eigentliche Text wecken könnte. Dieser Kommentar reicht nämlich die schuldig gebliebene Antwort indirekt nach, indem er gleichzeitig die Aufgaben des Schriftstellers umreißt. Solche theoretische Positionsbestimmung wirkt allerdings angesichts eines konkreten Praxisaspekts als fadenscheinige Legitimation: hier werden Ursache und Wirkung vertauscht.
Der Schriftsteller, der sich nur in der Rolle des warnenden Wächters („gebellt“) und des agitatorischen Verkünders von politischen Aufrufen sieht, die die Leute „holen“ sollen (das Wortspiel „Holelied“ assoziiert freilich ironisch auch das Hörbild „Hohlelied“), zerschneidet das Band zwischen Theorie und Praxis. Daran ändert – das weiß Rühmkorf wohl auch selbst – auch der selbstgefällig wirkende Hinweis auf die Qualität, mit der die Aufgaben dieser Rolle bewältigt werden, nichts.
Trotz der in den bei den voraufgegangenen Strophen vorgenommenen Kennzeichnungen ist damit der Mensch und Schriftsteller Rühmkorf nicht definitiv erfaßt. Er weiß sich zwar als Außenseiter, aber dies allein reicht nicht hin, ihn innerhalb der Gesellschaft positiv zu bestimmen, denn die Abgrenzung allein ist noch bloße Negation. Diese Unsicherheit gilt sicherlich auch für ihn selbst. Selbst der Verweis auf seinen literarischen Herkunftsort, auf den Ahnen Benn gewährt keine sichere Basis. Freilich gilt es zu bedenken, ob solche Basis – im Sinne einer Abhängigkeit – von Rühmkorf überhaupt gewollt ist. Zwar wird diese nach außen hin konstatiert, die Art aber, in der das geschieht, hebt die Feststellung inhaltlich auf, indem sie sich von ihr distanziert.
So ironisiert die schelmisch und keck wirkende Interjektion die schwergewichtige Wendung vom „überkommenen Nichts“, verstärkt durch die prätentiös eingesetzte archaisierende Orthographie und Syntax („Thierheit“; „daran schon sein Vater mahlte“). Dem entspricht die Verschränkung des Sinnlich-Konkreten („kauen“, „mahlen“) mit Abstrakt-Leerem („Nichts“), ein Verfahren, das, wie wir sehen werden, konstitutives Stilmerkmal Rühmkorfscher Ironie ist. Auch das sich anschließende Wortspiel, das den Jargon des Nihilismus alliterierend erst recht in die Leere führt („nichts Neueres als Nichts“), demonstriert zwar die inhaltliche Abhängigkeit in der Arbeit mit Wortmaterial, gleichzeitig aber auch schon die Distanzierung durch den spielerisch reflektierten Umgang mit ihm.
Rühmkorf würde seine eigene Identität leugnen, wenn er der ironisierten These von der Benn-Abhängigkeit die Antithese nicht folgen lassen würde. Die Widersprüchlichkeit wird sprachlich sinnfällig durch den zäsurierenden Gedankenstrich, den mit dem adversativen „aber“ verbundenen warnenden Appell, durch den Gegensatz von rechter und linker Hand, der, wie unschwer erkennbar ist, auch politische Bedeutung hat: Rühmkorf begreift, indem er das Metaphysisch-Geschichtslose mit dem Historisch-Politischen verbindet, sein Leben und Werk als widerspruchsvolle Einheit eines „zoon politikon“. Allerdings ist auch hier schon das Augenzwinkern impliziert. Selbst diese politische Dimension von Leben und Werk kommt nicht ungeschoren davon. Zuwider ist Rühmkorf der politische Exhibitionismus. Die Attitüde des Sozialisten, der, unzufrieden mit der schlechten Liberalität der Medien („rrradikal unentschlossenen Zeitung“), Politik am Frühstückstisch in vordergründigen deklamatorischen Gesten aufgehen läßt, wird im zweiten Teil der Strophe entlarvt. Schon das Bild der anscheinend leeren politischen Geste im Kontext banaler Alltäglichkeit eines gewöhnlichen Frühstücks ist lächerlich. Aber auch der Gestus selbst verfällt dem Spott. Die betonte Hervorhebung der Originalität der „Thälmannfaust“ – einer Geste des Aufbruchs und des trotzigen Kampfes – entlarvt gerade deren Imitationscharakter. Dabei fungiert der Gedankenstrich als spannungserzeugende, erwartungsbildende Pause, die den Höhepunkt einer langsam sich entfaltenden Unmutsreaktion einleitet. Das Recken der Faust, begleitet vom markigen Friedensruf, wird dadurch verbildlicht als ein (explosiver) Entladungsakt, dessen Theatralik in groteskem Mißverhältnis zu der Erwartung steht, die die einleitende Drohgebärde weckt: Der revolutionäre Gestus verpufft in sich selbst. Die auch hier deutliche Distanzierung von dieser Selbstbeschreibung wird nicht nur durch den Einschub der Klammer, die die Rückseite des vorgeblich revolutionären Anspruchs absteckt, sondern auch durch die Verwendung des unerwarteten „knüllen“ statt „ballen“ angezeigt. Nicht der mögliche kämpferische Impuls, sondern das eher Wegwerfende, sich in sich selbst Vernichtende einer solchen Geste wird dadurch ironisch bloßgestellt.
Rühmkorf erkennt sich im Selbstporträt als politisch Engagierter, will auch weiterhin politisches Engagement zeigen, ist sich jedoch der Vergeblichkeit, ja der Lächerlichkeit der Mittel bewußt. Er reflektiert nur allzu deutlich das politische Dilemma, in dem er als literarischer Intellektueller des Bürgertums („seiner Klasse natürlicher Sohn“), der mit sozialistischem Pathos antritt, steht: Auch damit erfüllt er letztlich ja nur die Erwartungen, die das System an Leute seiner Prägung stellt.
Der eingeschobene Aphorismus stellt eine weitere programmatische Erklärung Rühmkorfs dar. Entgegen allen Phrasen der bürgerlichen Kunstideologie wird hier der Literat aus der Ideenwelt in die materiellen Verhältnisse zurückgeholt und auf sie verpflichtet. Die auf den Kopf gestellte sprichwörtliche Redensart zeigt den Dichter – jenseits einer entmaterialisierten Ästhetik –, wie er – in Wahrheit – lebt: „auch der Feingeist muß fressen“. Erst nach Befriedigung der materiellen Bedürfnisse stellt sich – der Finalsatz zu Beginn der letzten Strophe schließt somit unmittelbar an die im vorausgehenden entfaltete Situation an – das der Klasse, der er ja auch selbst angehört, eigentümliche Verlangen nach Kultivierung von Ideen, metaphysischen Träumen und abstrakten Zaubereien wieder ein, deren Nebulosität und Substanzlosigkeit durch die verwendete Metaphorik denunziert werden („Angorawolken“, „schaumiger Zauber“). Die als behagliche Fahrt ins Ideenreich verbildlichte Spezialistenarbeit des Autors gewinnt den Beigeschmack einer Entspannungs- und Verdauungsübung. Er erhebt sich vviederum ins Zeitlose, den Geschichtsschutt lässig arrogant hinter sich lassend. Dabei korrespondiert die Universalität der Geste bezeichnenderweise mit ihrer Leere. Aber auch diese Haltung wird von Rühmkorf, dem Dialektiker, nicht an sich genommen, sondern ironisch durchdrungen.
Die Palette der ironisierenden Verfahrens weisen reicht dabei von der schnoddrigen Sprechhaltung, die die kosmisch-metaphysische Begrifflichkeit denunziert („gedrosselter Sonne“, „dem Hack des Jahrhunderts“, „den gähnenden Himmel“, „das unendlich erstaunte Maul“), über die archaisierende, gestelzt klassizistisch wirkende Syntax („seiner Klasse natürlicher Sohn“) bis zur graphischen Kongruenz von Artikulation und Schreibung („rrrradikal“, „grohoß“).
Das „Selbstporträt 1958“ zeigt uns Rühmkorf als dialektisch geschulten Lyriker. Im Aufzeigen des Gegensätzlichen, des Widersprüchlichen versucht er seine Biographie und sein Werk, eben seine Identität, zu begreifen. Dabei ist er ganz und gar nicht willens, die im dialektischen Vollzug erarbeiteten Einsichten als gültige, als letztlich essentielle für sich zu reklamieren. Nichts ist ihm so fern wie eine endgültige Wesensbestimmung seiner selbst. Er ist der souveräne Spieler, der sich selbst in Frage stellen kann; er vermag die ernste, gedankenschwere Behauptung sogleich zu relativieren, indem er sie durch Komik verfremdet; er vermag aber auch noch in der komischen Stilhaltung den Ernst der Verhältnisse durchscheinen zu lassen. Er jongliert artistisch mit den Begriffen, spielt sie gegeneinander aus, schafft kühne semantische Querverbindungen.
Die Konsequenz solch eines verwirrenden Puzzlespiels ist die Schwierigkeit, ihn überhaupt festzulegen. „Ihn zu bestimmen ist nicht eben leicht / im Kreise der Thierheit.“ Er immunisiert sich damit gegen jede Art von Fixierung und Kritik. Diese Kunst, höchst konkret zu sein, aber dennoch nichts Verbindliches von sich zu geben, wird auf die Spitze getrieben. Man kann sich auch solange selbst relativieren, bis dem Kritiker jegliche Angriffsfläche genommen ist.
Aus der Erkenntnis der eigenen Schwäche, ja fast Ohnmacht, die im ironisch-saloppen Sprachgestus dem Leser vor Augen geführt wird, gewinnt Rühmkorf paradoxerweise eine neue Selbstsicherheit. Das Vermögen, von sich selbst Abstand zu nehmen, sich selbst dabei aber nicht zu verleugnen, setzt Souveränität voraus und ermöglicht diese gleichzeitig. Dadurch daß er sich selbst vom Kopf auf die Füße stellt, daß er die hohlen idealistischen Reizwörter des Überbaus, die luftige Rhetorik und Phraseologie klassizistischer Poeten wieder unbeschwert auf ihre materialistisch-sensualistische Basis zurückführt („Zu wahr, um schön zu sein: / auch der Feingeist muß fressen.“), erlangt er für sich selbst ein neues Selbstbewußtsein.
Solche Versuche, in gelöster, fast spielerischer Haltung die eigene Identität einzukreisen, die noch für seine frühe Lyrik, also für die Gedichte der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre, charakteristisch sind, vermag Rühmkorf allerdings nicht mehr vollständig in die Gedichte hinüberzuretten, die er verstärkt seit der Mitte der siebziger Jahre schreibt und publiziert. Ironie, Satire, Skepsis, Distanzierung, der saloppe Sprachton, alle diese Mittel und Haltungen charakterisieren zwar auch seine Lyrik aus dieser Zeit, doch sie eignen nicht mehr einem Lyriker, der sich dennoch vitalistisch, ungezwungen, fast amüsiert über die eigene Fragilität äußern kann; sie sind im Ton dunkler gehalten und enden häufig in Melancholie, in einer schmerzhaft empfundenen Resignation. „Der nicht sein Teil will leiden, / dem steht der Kopf ins Grab, / Mein Hirn ist schon am Scheiden. / Mein Augenlicht läuft ab.“ So beginnt und endet beispielsweise das Gedicht „Allegro doloroso molto cantabile“ in dem bislang letzten Gedichtband Rühmkorfs. „Eigentlich, und das stimmt: / Von einem gewissen Alter an ist die Wahrheit / doch nur noch widerwärtig. / All der Müll, der sich um deine Gestalt rankt. / Deine Vergangenheit? – Ein Kippencontainer. / Dein Tagebuch? – Ein Grab.“ Das Bewußtsein des Alters („Man blickt an sich selber runter / wie auf Sanierungsgelände.“) prägt selbst oder gerade dort, wo es ironisch oder aggressiv-sarkastisch überspielt wird, die Rühmkorfsche Lyrik am Ende der siebziger Jahre.
Ein typisches Beispiel für diese veränderte Einstellung Rühmkorfs ist das Einleitungsgedicht in der 1979 publizierten Anthologie Haltbar bis 1999. Bezeichnenderweise handelt es sich hier wieder – so auch der Titel des Gedichts – um ein „Selbstporträt“.

SELBSTPORTRÄT

Wie ich höre, hast du lange nicht von dir selbst
aaaaagesungen, Onkelchen?!
Die Menschheit muß ja allmählich denken,
aaaaasie ist unter sich –
Wieviele Reiche haben inzwischen
aaaaaihren Besitzer gewechselt?
Das Bewußtsein ist siebenmal umgeschlagen.
aaaaaDa schnei ich nun herein
aaaaamit lauter letzten Fragen.

Darf man eintreten, Platz nehmen,
aaaaafragen, wie man wieder nach draußen kommt?
Aber Kinder, da ist doch irgendwas
aaaaamit der Perspektive los!
Alle Wände verzogen
aaaaaseit wir das letzte Mal über Zukunft sprachen.
Prinzip Hoffnung total aus der Flucht.
’N wahres Wunder, daß wir nicht
aaaaaalle schon schielen.

Soll ich euch mal sagen, was ist?
Also von mir aus können wir sofort-hier
aaaaavom Tisch aufstehn und die Welt umwälzen,
aber mit-wem-denn, mit wem?
Mit der Arbeiterklasse hängt Ihr
aaaaadoch auch nur noch übers Weltall zusammen
(Ein Medium von höchster kommunikativer Kompetenz)
Ihr atmet die gleiche Luft –
aaaaamehr ist bald nicht.

lchweiß – Ichweiß, man soll den Sozialismus
aaaaanie völlig verloren geben.
,20000 STICKSTOFFWERKER HABEN EINE FREIWILLIGE SONDERSCHICHT
aaaaaZU EHREN DES GENOSSEN LE‘ na was ist?!
Dagegen IG Metall: ,150000 ARBEITSPLÄTZE DER DEUTSCHEN
aaaaaWAFFENINDUSTRIE LANGFRISTIG GEFÄHRDET!‘
Die Wahrheit macht einem immer mal wieder
aaaaaeinen dicken Strich durch den Glauben.
Man kuckt in die Zukunft – jedenfalls ich! –
aaaaawie in eine Geschützmündung

Vielleicht ist es einfach nur dies:
aaaaamein Herz zieht allmählich die Geier an.
Wer links kein Land mehr sieht,
aaaaafür den rast die Erde bald
wie ein abgeriebener Pneu auf die ewigen Müllgründe zu –
Düdelüdüt, nu lauf doch nicht gleich
aaaaazur Mama mit deinen Verwüstungen.
Düdelüdüt! noch ’n Tusch für das Krankenversicherungs-
aaaaakostendämpfungsgesetz!
Konstantinopolitanischerdudelsackpfeifenmachergesellenrisikozulage!

In diesem Gedicht artikulieren sich – an diesem Selbstverständnis hat sich gegenüber den fünfziger Jahren nichts geändert – „die Bewußtseinsanfechtungen eines zwischen Wert- und Unwertvorstellungen zerteilten Zeit-Genossen“. Es ist schlechterdings wiederum nichts anderes als ein bekannter Versuch „für Möglichkeiten, mit den ungeheuerlichen Widersprüchen der Welt und der eigenen Person in eine lebensmögliche Balance zu kommen“.
Zunächst ist allerdings von diesen Widersprüchen nichts zu spüren. Der Anfang des Gedichtes ist – wir kennen die Stillage aus früheren Texten – salopp, ungezwungen, schnoddrig und ironisch. Als Frage und Appell versteht sich die spontane Selbstansprache des Ich in den beiden ersten Zeilen. Unterschwellig wirken sie abtastend, fast ein wenig lauernd. Diese fordern ihn zur Bestimmung seines dichterischen Selbstverständnisses, überhaupt seines Standortes am Ende der siebziger Jahre heraus. Die Verwunderung dessen, der von anderen hört, er habe lange Zeit nicht mehr gesungen, wird zum Anlaß, das Schweigen sich selbst und dem Publikum gegenüber zu brechen. Solche Abstinenz, sich im Gedicht zu porträtieren, hat, wie wir gesehen haben, historische Gründe, auf die wir im Eingangskapitel kurz verwiesen haben und über die wir in dem Abschnitt über die Dramenproduktion Rühmkorfs noch detaillierter sprechen. Es ist auffällig, daß die Rolle, in der das Ich hier zu Beginn auftritt, sich gegenüber den fünfziger Jahren gewandelt hat. Es sieht sich nicht mehr als den asthenischen Wolf; es taucht zwanzig Jahre später in der privaten Rolle des Onkels auf. Dabei signalisiert der Gebrauch des Diminutivs Behäbigkeit, Gemütlichkeit und nicht zuletzt Harmlosigkeit. Sind solche Attitüden die Konsequenz des langen Schweigens des Autors? Ist der „rote Rühmkorf, wie er singt und spinnt“, nun bürgerlich geworden? Der Autor gibt vorerst in seinem Gedicht noch keine Antwort auf diese Frage. Die Selbstbespiegelung erfolgt aus der Distanz („Wie ich höre“). Noch oder gerade in der selbstironischen Befragung und Anrede hält er souverän die Fäden in der Hand und bewahrt den Überblick. Das zeigen auch die folgenden Verse: Diese thematisieren zunächst die Reaktion, den Eindruck, den solches Schweigen beim Publikum evoziert hat. Herausfordernd wirkt der überhebliche Ton, den Rühmkorf nun anschlägt. Das Publikum ist nicht der begrenzte Leserkreis Rühmkorfscher Lyrik, sondern die ganze Menschheit. Der Topos vom Dichtertum, das der Welt, der Menschheit etwas Existentiell-Wichtiges zu verkünden habe, wird hier indirekt von ihm abgerufen, aber zugleich auch respektlos-ironisch entzaubert. Die Welt und die Menschheit werden von ihm privatistisch-salopp vereinnahmt; ihr wird kokett das Bewußtsein unterstellt, sie habe sich, seitdem der Dichter schwieg, zu einer Art geschlossenen Gesellschaft gewandelt. Daß dieses Bewußtsein einen freilich ironisch gefärbten Abglanz auf die Würde des Dichters selbst wirft, der nun endlich sein Schweigen brechen will, wird von Rühmkorf augenzwinkernd nahegelegt.
Solche Selbststilisierung, die sprachlich allerdings immer wieder den Boden des Alltäglichen, des Gewöhnlichen, des Tatsächlichen sucht und auch findet, wird in den folgenden Versen fortgeschrieben. Der Autor versucht, seinen eigenen historischen Standort festzumachen, indem er die jüngste Weltgeschichte noch einmal Revue passieren läßt, ohne dabei allerdings nichts anderes als den Wechsel von Machtstrukturen und Herrschaftsverhältnissen zu beobachten. Die in pathetisierenden Worten formulierte Frage, die rhetorisch gesetzt ist, enthüllt sogleich unmißverständlich den Charakter der vergangenen politischen Welthändel. Nur nominell, nur an der Oberfläche haben sich die politischen Verhältnisse und ideologischen Denkformen verändert, die ihnen zugrunde liegenden Herrschaftsstrukturen sind qualitativ unverändert geblieben. Der mit der Zahl sieben fast magisch heraufbeschworene Wechsel im Überbau enthüllt letztlich nichts anderes als ein beliebiges, richtungsloses Hin- und Herpendeln von Bewußtseinsformen. Auch hier wird der fast feierlich-archaisch anmutende Sprachgestus, ehe er rechte Geltung erlangen kann, von Rühmkorf durch Verfremdung als hohles idealistisches Pathos entlarvt: Die beiden Schlußverse der Strophe greifen wiederum – im Kontrast zu den universalen Kategorien bürgerlicher Geschichtsschreibung – auf den schnoddrigen Sprachton des Gedichtanfangs zurück, so daß sprachlich eine Art Rahmen entsteht. Dieser läßt sich auch inhaltlich motivieren: Nachdem die jüngste Welthistorie – wenn auch sehr abstrakt – rückblickend beschrieben wurde, findet der Autor – welch unvermittelter Gegensatz – wieder zu sich selbst zurück. Das Ich will das letzte Wort behalten, will nach dem steten Wechsel der politischen Konstellationen und ideologischen Denkformen für sich selbst einen neuen Standort finden. Und diesen erhofft es über seine spezifische Befähigung und Tätigkeit zu gewinnen, nämlich die, Fragen zu stellen oder in frage zu stellen. Dabei rekurriert er durchaus auf ein Dichter- und Dichtungsverständnis, das schon fast in einer ehernen poetologischen Tradition steht: Der Dichter hat die „letzten“, die grundlegenden Fragen zu stellen, er fragt auch dann noch, wenn alle ihre Fragen gestellt haben, wenn alles fraglos erscheint. Doch auch hier wird, wie wir schon ganz oben andeuteten, die Ernsthaftigkeit solcher Funktion selbstironisch relativiert. Der Jargon der Eigentlichkeit wird selbst durch umgangssprachliche Konnotationen und Floskeln aufgehoben: Das Wort „letzten“ ist in seinem Bedeutungsgehalt zumindest schillernd; im alltäglichen Sprachgebrauch läßt es zumindest auch pejorative Nebentöne anklingen. Nicht zuletzt gilt es der Öffentlichkeit als Stereotyp, wenn man es darauf anlegt, dem verschroben Denkenden und Fragenden überhaupt jegliche Ernsthaftigkeit abzusprechen. Die Partikel „Da“, die spontan den laufenden Augenblick festhält, bringt zudem wiederum Bewegung in den ruhigen, fast gemessenen Sprachduktus der Verse. Sie ist ebenso wie die metaphorische Wendung vom „Hereinschneien“ kaum verträglich mit dem pathetischen, der Universalhistorie abgeborgten Vokabular. Dennoch haben sie ihre Berechtigung und lösen gerade in dem hier dargestellten situativen Kontext spezifische Wirkungen aus: Der Dichter taucht just in dem Augenblick in der „geschlossenen Gesellschaft“ auf, in dem er sich selbst deplaciert, ja ungebeten wähnt. Gleichwohl scheint ihn solche Ungebetenheit wenig zu stören. Gegen Kritik ist er gefeit: Leslie Meier hat, obwohl sensibel, immer noch „enorme Nehmerqualitäten“.
Die erste Strophe erweckt den Eindruck, als habe sich der Dichter seit 20 Jahren nicht verändert: Rühmkorf ist der Entertainer, der Spaßmacher, der Bruder Lustig geblieben, der sich wieder einmal forsch zu Wort meldet, sich keck in öffentliche Zeitgespräch mischt. Er scheint nichts an Selbstbewußtsein eingebüßt zu haben. Diese Haltung des Autors wird auch in der zweiten Strophe bestätigt. Auch hier dominiert ein gestisches Sprechen. Wiederum bemüht Rühmkorf gezielt die Füllsel und Versatzstücke der Umgangssprache. Diesmal gebraucht er die ritualisierten Höflichkeitsfloskeln des Alltags, ohne sie freilich ernst zu nehmen. Indem er sie ausspricht, setzt er sie schon außer Kraft. Alle Fragen, die das Ich stellt, beantworten sich schon durch die de facto vollzogenen Handlungen. Das Gespräch, das es der Form nach sucht, wird in dem Moment, in dem es eröffnet wird, durch die Art seines Sprechens sogleich beendet. Schon beim Eintritt in den imaginären Gesprächsraum wird der Rückzug aus ihm in Erwägung gezogen; die Resonanz der Zuhörer auf die forsche Selbst-Einladung gar nicht erst abgewartet. Offensichtlich ist dieser Raum für Rühmkorf nicht der Ort, an dem er sich auf Dauer wohlfühlt. Er fingiert hier für Augenblicke das Gespräch, ohne sich dessen Verständigungsregeln zu unterwerfen.
„Aber Kinder, da ist doch irgendwas / mit der Perspektive los!“. Der in den voraufgegangenen Fragen implizit mitgemeinte Adressat wird nun direkt angesprochen. Solcher Appell verrät indes mehr über die Beziehung des Sprechers zum Angesprochenen als über diesen selbst. Wiederum herrscht der onkelhafte Sprachton des Anfangs vor, die Haltung desjenigen, der sich überlegen und mündig wähnt, der aufgrund seines Alters Erfahrungen gesammelt zu haben glaubt und nun – nach einiger Zeit der Abwesenheit – lässig, fast lax Ratschläge erteilen kann: Als Betrachter des Raumes, den das Ich gerade betreten hat, notiert es spontan Unstimmigkeiten in der Perspektive, ohne diese konkret festzumachen. Der Satz gibt sich diffus („irgendwas“), artikuliert ein Unbehagen („doch“), mehr nicht. Erst die beiden folgenden Verse versuchen, solche Unstimmigkeiten in der Perspektive empirisch zu belegen und zu erklären: „Alle Wände verzogen / seit wir das letzte Mal über Zukunft sprachen.“ Damit werden zunehmend die abstrakten Kategorien der Raumarchitektur mit politischen Gehalten metaphorisch aufgeladen. Beabsichtigt wird mit solcher Bildlichkeit fraglos Beschreibung und Analyse der politischen Verhältnisse in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Und die sind – seit der Zukunftseuphorie am Ende der sechziger Jahre – mittlerweile wieder auf einen restaurativen Kurs getrimmt worden. („Wo waren wir stehen geblieben, / damals, / Sommer Siemundsechzig?“) Man hat sich mit den Verhältnissen abgefunden, man hat sich in ihnen eingerichtet, und man richtet sich nach ihnen. Die Utopien der demokratischen Initiativgruppen und Basisgruppen sind außerhalb des Blickfeldes; es dominiert die pragmatische Einstellung, die dem Zwang der („verzogenen“) Sache gehorcht. Gleichwohl weiß sich Rühmkorf zunächst gemeinsam mit den von ihm intendierten Adressaten von solchen politischen Fehlentwicklungen abzusetzen. Das kordiale „wir“ – gleichviel, ob es sich dabei um die Leser Rühmkorfscher Texte oder die unter sich zerstrittenen Linksintellektuellen der Gegenwart handelt – bezeichnet eine Gruppe, die allerdings solchen historischen Prozessen ziemlich mutlos – und dieser Befund trifft genau die Frustrationsphase und Katerstimmung linker Intellektueller nach dem Scheitern der APO-Bewegung – gegenüberstand, die selbst der Gefahr erlag oder noch erliegt, den richtigen Blick für die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verlieren. Freilich identifiziert sich Rühmkorf nicht vollends mit dieser Gruppe. Mit seiner Sprache geht er wieder geschickt auf Distanz: Das innerhalb der Studentenbewegung adoptierte Schlagwort der Bloch-Philosophie, „Das Prinzip Hoffnung“ als das große utopische Integral, wirkt im konkreten Kontext von umgangssprachlichen Wendungen („schielen“) und Satzmustern einigermaßen fremd. Dennoch will es Rühmkorf nicht preisgeben. Das Thema Zukunftsperspektive ist auch oder gerade noch Ende der siebziger Jahre virulent. „Nein, ich will weg von hier“, so formuliert er in dem Gedicht „Von mir – zu euch – für uns“ energisch, „und zwar: / wie dieser Kugelschreiber, wenn er auf den Rest / geht, nochmal richtig loskleckst, werd ich ungebremst / auslaufen wie verrückt und offen hinschmieren; Richtig, ich red von mir, / zu euch, für uns.“
Die Rolle des engagierten Beobachters, die das Ich in den ersten beiden Strophen spielte, behält es auch im folgenden bei. Dennoch bekommt der plaudernde, fast entertainerhafte Sprachton nun in der dritten Strophe ernstere, insistierende Züge. Das Ich kündigt das, was es sagen will, explizit an. Der Vers, obwohl der Oberflächenstruktur nach als Frage konzipiert, drängt zur Wesensaussage, zum lakonischen So-ist-es-und-nicht-anders. Doch nichts liegt dem Widerspruchsgeist, dem Dialektiker Rühmkorf ferner, als Patentrezepte auszustellen. Ironisch mutet die Darstellung des Aufbruches und der ihm unterstellten revolutionären Intentionen an. Der Aufbruch wird sprachlich intim – privatistisch („vom Tisch aufstehn“) als Rollenspiel inszeniert, derweil seine möglichen öffentlichen Auswirkungen in klotziger Weise, d.h. unter Zuhilfenahme der schon oben beschriebenen Totalitätskategorien („die Welt umwälzen“) schon überdimensionale Formen annehmen. Die Intention, die mit solcher Kontrastierung verfolgt wird, ist klar: Illusionär ist eine Vorstellung von Revolution, die vom Schreib- oder Wohnzimmertisch und nicht von der Straße ihren Ausgang nimmt.
Der Sprecher liefert sogleich im zweiten Teilsatz die Begründung für solche Diskrepanz. Der in aller Schärfe formulierte Fragesatz enthüllt das alte Dilemma linksintellektueller Avantgarde: den fehlenden Basisbezug für jegliche revolutionäre Umwälzung. Damit bezeichnet er auch eine der zentralen Aporien, die mit zum Scheitern der APO-Bewegung geführt haben. Die zweimal gestellte Frage nach dem Träger, der kollektiven Basis der Revolution verhallt im Leeren, bleibt unbeantwortet, muß unbeantwortet bleiben, da die Verbindung von räsonnierender Intelligenz und industriellem Proletariat zwar von der ersten Gruppierung häufig postuliert wurde, de facta aber nie zustande kam. In witzig-ironischer Form bestreitet Rühmkorf die Verbindung zwischen intellektueller Avantgarde und Arbeiterschaft, indem er sie geradewegs, freilich nur noch in minimaler Form, behauptet. Die Leere des Raumes soll beide verbinden; solche Beziehung ist im wörtlichen Sinne entleert. Rühmkorf beläßt es allerdings nicht nur bei diesem „kosmologischen Beweisgang“; nebenbei erteilt er jenen Intellektuellen noch eine Lektion, die weiterhin in exotischer Begrifflichkeit den herrschaftsfreien Diskurs in luftigen Höhen propagieren, die kommunikative Kompetenz dort unterstellen, wo ein restringierter Sprachkode die alltägliche Lebenspraxis beherrscht. Der Begriff der kommunikativen Kompetenz selbst wird schnippisch gegen den Protagonisten der Frankfurter Schule gewendet, der ihn in einer in wissenschaftlichen Kreisen vielbeachteten Untersuchung zur Grundlage seiner ideologiekritischen Ausführungen und seiner Theorie eines vernunftgeleiteten Diskurses machte. Das, was dieser Begriff in der Theoriebildung suggeriert, nämlich Medium zu sein, Verstehen zu ermöglichen, leistet er in der Praxis eben nicht. Die sprachliche Kluft zwischen Intellektuellen und Arbeitern, die „Freunde, Fließbandleuchten, Stechuhrasse / Überlebenskünstler“, wird geradewegs noch durch diejenigen, die sich Gedanken über sie machen, vergrößert. Die Realität ist in elitärer Form auf die Seinsweise des abstrakten, toten Begriffs heraufakademisiert worden. Die einzige Verbindung, die der Dichter jetzt und für die Zukunft zugestehen mag, ist der physiologische Prozeß des Atmens der gleichen Luft. Die Gleichheit beschränkt sich also auf die vitalen Bedingungen des Stoffwechsels. Das Einhalten vor dem letzten Vers akzentuiert diese Aussage, unterstreicht ihre Bedeutungsschwere und gibt ihm einen resümierenden Charakter: Die Hoffnung auf baldige qualitative Veränderung („mehr“) in der gesellschaftlichen Praxis wird vom Ich apodiktisch verneint.
Dennoch, trotz aller Kritik, trotz Skepsis und Zweifel ist dieses fast resignativ anmutende Urteil noch nicht das letzte Wort des Dialektikers Rühmkorf. Zu Beginn der vierten Strophe baut er zunächst einmal eine Gegenposition auf. Geschickt nimmt er Argumente gegen die zuvor eingenommene Position vorweg. Der Hamburger „Linksausleger“ will von den Genossen nicht als Abtrünniger oder gar als Defaitist gescholten werden. Der Autor inszeniert ein Gespräch mit verteilten Rollen, arrangiert aber alle Rollen selbst. Schon in den folgenden Zeilen montiert er zwei weitere Stimmen in den fingierten Dialog ein. Die allgemeine Durchhalteparole, man solle – trotz Frustration, trotz gegenteiliger politischer Erfahrungen – sich weiterhin zum Sozialismus bekennen und ihn als Ziel im Auge behalten, konfrontiert er abrupt mit dessen problematischen Realisierungsformen im Osten und im Westen. Die eingeblendeten Parolen – vermutlich handelt es sich um Zitate aus Flugblättern oder Zeitungen – werfen, ohne daß der Autor sie ausführlich zu kommentieren brauchte, ein ironisches Licht auf die Ideologieproduktion von Parteien und Verbänden, die die sozialistische Sache zu vertreten glauben. Da kaschiert die bombastisch propagierte Parteiparole von der Übernahme einer freiwilligen Sonderschicht durch 20.000 Stickstoffwerker Systemzwänge des sozialistischen Wirtschaftssystems: Gedacht wird hier unzweifelhaft an die Erfüllung von Plansollwerten, vorgegaukelt wird allerdings die solidarische Aktion, die selbst wiederum ideologisch durch den politischen Personenkult bestimmt ist. Um solche Indoktrination vollends zu entlarven, bedarf es nur noch der verfremdend wirkenden Unterbrechung des knöchernen Parteijargons und der provokativ gemeinten Zwischenfrage, die sich gleichzeitig als Appell an den besorgten Genossen versteht, sich solcher Verschleierungstaktiken zu vergewissern und sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen.
Aus dieser Entlarvung sozialistischer Parteiideologeme sollen allerdings die sog. westlichen Statthalter des Sozialismus, die bundesdeutsche Vertretung der Arbeiter, die Gewerkschaften, kein Kapital schlagen können. Diesem fragwürdigem Versuch, aus dem Verblendungszusammenhang der anderen Seite, der sich in abgegriffenen „Verkündigungs-Idiomen“, „präfabrizierten Versatzstücken“ kundtut, ein Alibi für sich zu gewinnen, schiebt Rühmkorf sogleich den Riegel, das „Dagegen“ vor. Auch die Gewerkschaftsfunktionäre tragen ihren Teil zur ideologischen Verzerrung sozialistischer Fortschrittsideen bei. Das, was sich in ihrem Statement als Sorge um den Arbeitsplatz gibt, bezeichnet letztlich nichts anderes als die Verstrickung der Gewerkschaften ins politische System. Der Arbeitsplatz ist nur um den Preis der Aufrüstung zu erhalten, er muß erhalten werden, gleichviel, ob das hergestellte Produkt nun kriegerischen Zwecken dient oder nicht. Damit entlarvt Rühmkorf den „Fürsorge- und Versicherungsjargon“ der Funktionäre, ohne daß er ihn indes ausführlich zu kommentieren brauchte: Der vorgebliche Vertreter der Arbeiterschaft degeneriert zum Handlanger globaler politischer und wirtschaftlicher Interessenzusammenhänge. In solcher Abhängigkeit postuliert er zwar weiterhin abstrakt das Recht auf Arbeit, aber nicht auf eine menschenwürdige
In beiden Fällen wird die Sache des Sozialismus verraten, auch wenn jeweils Zahlenmaterial den kollektiven Anspruch nahelegen soll. Die „Wahrheit“ des Sozialismus, und das ist eben die durch die Macht- und Meinungszentralen ideologisch deformierte Praxis, desillusioniert deshalb „immer mal wieder“, da feste Kalkulationen sowieso nicht mehr stimmen, den Glauben an eine sozialistische Zukunft, zumal, wenn es sie auf Erden zu realisieren gilt. „Ich will ja nicht hetzen“, so sagt er in dem Gedicht „Zum Jahreswechsel“ bitterböse, „aber so rum betrachtet / ist der Sozialismus eigentlich / mehr ne Sache fürs Jenseits: / Ohne Hoffnung nicht zu ertragen, und zum Leben – wie sagt man? – keine echte Alternative.“ Doch damit nicht genug: Der Autor holt, freilich nicht ohne Bitterkeit, zu einem letzten Schlag aus. Die beiden Schlußverse der Strophe verdichten in einem fast visionären Bild seine Zukunftserwartungen: statt abstrakter Hoffnung auf sozialistische Befreiung die konkrete Wahrnehmung einer Zukunft, deren Bedrohungspotential durch zunehmende Aufrüstung; immer weiter eskaliert, statt Offenheit, statt Entscheidungsmöglichkeiten, der Blick in eine enge Mündung, die nichts anderes als den Tod verheißt. Dennoch schränkt Rühmkorf die Allgemeinheit dieses Urteils etwas ein; er bindet es an die Subjektivität seiner Position zurück. Das „Man“, das breite Öffentlichkeit bedeutet, wird parenthetisch durch ein emphatisch gesprochenes „jedenfalls ich“ relativiert. Reklamiert wird freilich damit nur der alte Topos von den prophetischen Gaben des Dichters, der das, was die Zukunft bietet, in seinen Werken anklingen läßt.
Ist das nun die endgültige Bankrotterklärung des Linksliteraten Rühmkorf, des Autors, der in den fünfziger Jahren mit jugendlichem Elan in seiner vitalistischen Lyrik und in seinen polemisierenden Essays die bildungsbürgerlichen Bastionen einer selbstgefälligen Restaurationsgesellschaft zu stürmen suchte? Eine Antwort darauf erteilt die letzte Strophe.
Der Sprachgestus des ersten Verses der Strophe macht dem Adressaten die hinter ihm stehende Haltung transparent: Selbstbeschwichtigung. Die Radikalität der voraufgegangenen Ausführungen und der aus ihr resultierenden Konsequenzen wird zunächst zurückgenommen. Schon das „vielleicht“ schränkt die Drastik der voraufgegangenen Aussagen ein. Dem Suchen nach möglichen Gründen für diesen düsteren Blick des Autors in die Zukunft wird die eingängige, „einfache“ Erklärung gegenübergestellt, obwohl diese wahrlich nicht einfach formuliert ist – das belegen die vielen Metaphern in den folgenden Versen. Dem entspricht, daß diese zunächst nicht in sozialen Faktoren gesucht werden. Der Autor findet sie in dem schlichten Faktum seiner Biographie: Er ist älter geworden. Der Elan und die Vitalität der fünfziger Jahre sind verloren gegangen, das frische literarische Herzblut ist verbraucht, es zieht die Totenvögel an. Der politische Aufklärer hat resigniert. Er ist offensichtlich nur noch zu skeptischen Einschätzungen seiner Umwelt fähig. Die vielen Enttäuschungen haben ihn anscheinend geschafft, er hat sich abgefunden. „Eigentlich, und das stimmt: /“ so heißt es an anderer Stelle des Gedichtbandes Haltbar bis 1999, „Von einem gewissen Alter an ist die Wahrheit / doch nur noch widerwärtig. /“ Gleichwohl, gerade solche Gedanken will Rühmkorf nun doch nicht, obwohl er sie selber paradoxerweise nahegelegt hat, weiterverfolgen. Die einfach naheliegende Erklärung ist nicht nur schlicht, sondern auch schlecht.
Mit dem zweiten Vers wird die Tonlage des Gedichtes nun noch ernster, dunkler, melancholisch-depressiver. Die umgangssprachlichen Elemente, die vielen Partikel, Ellipsen, Synkopen sind reduziert worden. Allenfalls im folgenden Vers klingt noch eine bildliche Redewendung des Alltags an, die allerdings auch wörtlich verstanden werden kann. Die Metaphern, die der Autor nun in dichter Folge einsetzt, wirken, obwohl mit Bildern einer depravierten Zivilisation durchsetzt („abgeriebener Pneu“, „ewigen Müllgründe“), bedeutungsschwer-mythisierend. Der Blick des Dichters zielt noch einmal auf die Totale. Dementsprechend fallt sein Urteil allgemein aus, ohne daß dabei der ihm eingeschriebene Appell verlorenginge: Dieser wirkt geradezu apodiktisch: Wem links die Orientierungspunkte für politisches Engagement und Handeln fehlen, für den endet die Geschichte, der Lauf der Welt, im Orkus, jedenfalls in einem Raum, der keine Lebensmöglichkeiten mehr bietet. Anklänge an die barocke Metapher von der Universalhistorie als einer „Rennebahn“ sind hier unverkennbar. Solches Todesurteil über die Zivilisation fordert notwendig, damit es in seiner Sinnschwere voll zur Geltung gelangt, die Pause, den Gedankenstrich ein. Diese Pause ist aber auch just die Gelegenheit für Rühmkorf, sich aus seiner Lage zu befreien, nach Regenerationsmöglichkeiten zu suchen. Diese nutzt der Autor dann auch voll aus, der nachfolgende Tusch, das „Düdelüdüt“, unterbricht das für den Leser fast quälend anmutende Schweigen. Mit dem Tusch reißt er sich wie am eigenen Schopfe aus dem Morast seiner Depressionen. Diese Lautmalerei und die umgangssprachlich abgeschliffene Wendung „nu lauf doch nicht gleich“ setzen sich fast spielerisch über die apokalyptischen Visionen in den voraufgegangenen Versen hinweg. Sie stoßen diese abrupt von ihrem sprachlichen Sockel herunter. Die voraufgegangenen prophetischen Sprachgesten werden nun – paradoxerweise – nicht mehr als Alterssymptome erklärt, sondern als Naivität, als Hilflosigkeit gedeutet. Das Bild vom schutz- und hilfebedürftigen Kind, das sich mit seinen Sorgen zur Mutter flüchtet, pervertiert sarkastisch die Funktion des Dichters, der im Alter skeptisch-depressiv die universale Katastrophe heraufbeschwört. Im szenischen Arrangement und im plötzlichen Rollenwechsel gewinnt Rühmkorf zu sich selbst Distanz. Die „Normallage“ ist für ihn wieder erreicht. Diese bedeutet für ihn indes nie eine vorschnelle Harmonisierung von Widersprüchen, falsche Versöhnung mit dem Gegebenen. Spannung und Widerspruch müssen sichtbar und im dialektischen Zugriff auch ausgehalten werden. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind für ihn noch lange nicht im Lot. Der Tusch, der vorher noch der eigenen Desillusionierung, Entzauberung diente, gilt nun im folgenden – freilich in beißender Satire – den politisch Reformierten, Pragmatikern, den Gesetzesmachern (der sozial-liberalen Koalition). So, wie im komplexen Begriff vom Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz durch den vierfach ineinandergeschachtelten Genitiv das eigentliche Beziehungswort, die „Kranken“, semantisch entleert, grammatisch ausgehöhlt wird, sind in den Prozeduren der Gesetzgebung deren Resultate, das, was real an Gesetzen verabschiedet wird, den eigentlichen Impulsen entfremdet. Das zugrunde liegende Problem verschwindet meist auf dem Weg über die vielfältigen politischen Instanzen und Gremien; es wird gleichsam bürokratisch ausgetrocknet, so daß am Ende für die Bürger, die eigentlich Leidtragenden, ein schlechterdings unverständliches sprachliches Machwerk entsteht. Peter Handke hat uns für die sprachliche Verzerrung und ideologische Verbrämung eines Gesetzes mit dem Text „Die drei Lesungen des Gesetzes“ ein höchst illustratives Beispiel gegeben. Nichts anders will eben der Rühmkorfsche Vers demonstrieren. Doch damit nicht genug: Der Autor scheint plötzlich Spaß an der Koppelung von Begriffen zu Mammutwörtern gefunden zu haben. Die letzte Zeile des Gedichtes füllt ein einziges Monsterwort aus. Spielerisch wird nun der oben geschilderte politische Verfahrensweg – das undemokratische Signum der sog. repräsentativen Demokratie – gänzlich ad absurdum geführt. Der Vers erinnert – was sollte Rühmkorf, dem Sammler und Interpretierer subversiver Kinderreime und Gruppengesänge näherliegen – an Sprachspiele der Kinder, die komplizierte Laut-, Wort- und Satzkombinationen zur Examinierung ihrer Zungenfertigkeit gern als „Zungenbrecher“ benutzen. Doch was bei den Kindern Spiel ist, in dem dessen Träger gerade die Hauptrolle spielen, ist in der sozialpolitischen Realität bitterer Ernst. Der Genitiv wird hier zum sprachlichen Zeichen der Relativierung, der Entfremdung, er wird zum Abbild dafür, wie sehr die Menschen schon in die Abhängigkeit, in die Funktionale gerutscht sind. So plötzlich, wie der Autor auftauchte, verschwindet er auch wieder. Er hat sich nochmals einen Spaß erlaubt, bevor er abtritt, einen Jux freilich, der dem Leser – fast wörtlich – im Halse stecken bleibt. Rühmkorf hat, so wie man ihn kennt, nach allen Seiten – und seine Seite ist dabei nicht ausgeschlossen – ironische Hiebe verteilt. In diesen Versgebilden ist das wieder sinnfällig geworden, was er selbst einmal als seine „eigentümlichverrückte Schiefstellung zur Welt“ charakterisiert hat. Allerdings, auch in diesem Selbstporträt ist er selbst kaum zu fassen. „Wer du wirklich bist, ist gar noch nicht entdeckt: / etwas zwischen Einzelstern und Rudeln / bißchen Kunstgeschmack und bißchen Hundsgeruch; / nicht mal klassisch-klarer Widerspruch.“ Er läßt sich nicht festlegen. Er spielt virtuos die verschiedensten Rollen, Onkel und Kind, Provokateur und Spaßmacher, Kritiker und Kritisierter etc. („Ich spiel mit meinem Astralleib Klavier vierfüßig – vierzigzehig –“); er inszeniert sich selbst, zeigt seine Betroffenheit, sein Mitgenommensein, ohne die Szene zur Stätte bloßer Konfession erstarren zu lassen. Patentrezepte kann und will er nicht anbieten. Er hat sich versuchsweise auf die Welt eingelassen. Entweder versucht er sich selbst vor dem Hintergrund der Probleme seiner sozialpolitischen Umwelt zu formulieren, oder er beschreibt, kritisiert und ironisiert die Verhältnisse im Horizont seiner eigenen Individualität.

Hier, meine Damen und Herren, bezeugt sich noch einmal aufs Würdigste: Der Versuch des Individuums, die tragisch verlorene Einheitlichkeit… na, sehn sie schon, wie es Balance übt zwischen Krisen- und Klassenbewußtsein.

3. Formen, Themen und Motive
Überblickt man Rühmkorfs lyrische Produktion von ihren Anfängen in den fünfziger Jahren bis zum letzten Band Haltbar bis Ende 1999, so fällt die Homogenität und Konstanz der äußeren Gestalt dieser Gedichte auf. Dieser Sachverhalt läßt auf den ausgeprägten Stilwillen Rühmkorfs schließen, der bemüht ist, eine spezifische lyrische Schreibweise zu entwickeln, innerhalb deren sich die zentralen inhaltlichen Absichten ausdrücken und transportieren lassen. Es ist dieser konsequent durchgehaltene Stilwille, der die Gedichte Rühmkorfs typisch und unverkennbar in dem Sinne macht, daß sie sich weitgehend freihalten von Tendenzen und Moden des literarischen Marktes. Freilich ist solche Distanzierung, wie wir bereits eingangs ausführten, vom bloß Zeitgemäßen und Aktuellen immer schon Ausdruck seines Selbstverständnisses als Lyriker.
Solche Typik eines Individualstils ist nun keineswegs Stereotypie oder etwa fortgesetzte Selbstimitation. Es lassen sich nämlich innerhalb aller stilistischen Kontinuität qualitative Wandlungen feststellen, die die Entwicklung der lyrischen Produktion Rühmkorfs einsichtig machen.
Den besten Gesamteindruck von den Formen und Themen seiner Lyrik gibt die Anthologie Gesammelte Gedichte, die die von 1953 bis 1975 entstandenen Gedichte im wesentlichen enthält. Innerhalb dieser Produktion lassen sich zwei Gruppen von Gedichten unterscheiden, die Rühmkorf quasi zu Gattungsformen seiner Lyrik macht: die Gruppe der Reimgedichte und die der ungereimten. Innerhalb jeder dieser Gruppen lassen sich einerseits für die betreffende je typische Merkmale, andererseits aber auch übergreifende Gemeinsamkeiten beobachten. Die leitenden Stichworte einer näheren Analyse sind Traditionalität und Antithetik.
Rühmkorfs Lyrik wurzelt deutlicher und bewußter als die anderer zeitgenössischer Autoren in der Tradition deutscher Lyrik seit dem 17. Jahrhundert, wobei ausdrücklich die jeweiligen großen Vertreter der literarischen Epochen Gegenstand seiner Auseinandersetzung sind.
Mit seinen beiden Typen von Gedichten greift Rühmkorf nun ganz heterogene Traditionsstränge heraus, die, durch einen einheitlichen lyrischen Stil, eine spezifische Weise lyrischen Sprechens vermittelt, zu eben der typischen Rühmkorfschen Lyrik synthetisiert werden, ohne daß solche Verschmelzung einer nivellierenden Harmonisierung gleichkäme. Wenn nämlich hier differierende und zentrifugal wirksame Traditionsströme aufgenommen und zu verarbeiten gesucht werden, ist dies gerade wiederum Signum der dialektischen Verfassung der Texte und ebensolcher Denkweise des Autors. Der besondere Ausdruck von dialektischer Auseinandersetzung mit der Tradition ist die Form der Parodie, auf die wir noch gesondert einzugehen haben werden.
Wenn wir uns nun den beiden Formen dieser Lyrik einzeln näher zuwenden, so muß sofort gesagt werden, daß beide Formen im Rahmen der zeitgenössischen Lyrik vereinzelt und isoliert stehen.
Schon seit geraumer Zeit ist der Reim zum Beispiel in der Gegenwartslyrik selten geworden; das ungereimte Gedicht Rühmkorfscher Prägung gehört seinem Entstehen und seiner Blüte nach eher dem 18. und frühen 19. Jahrhundert an. Diese ungereimten Gedichte sind nämlich keineswegs jener Lyrik vergleichbar, die sich der Prosa annähert und durch eine gewisse Formlosigkeit auffällt, sieht man von der Beibehaltung einer häufig eher zufällig als ,gesetzlich‘ geregelten Zeilenschreibung ab. Rühmkorfs ungereimte Gedichte sind zunächst lange, ausschweifende, ausgesprochen redefreudig, streckenweise geschwätzig anmutende Texte. Mit ihnen steht Rühmkorf gegen eine unverkennbare Tendenz zeitgenössischer Lyrik zum eher epigrammatischen, lakonischen, aperçuhaften Gedicht, gegen den Zug zu Andeutung, Verschlüsselung, zur Verschwiegenheit. Diese Gedichte Rühmkorfs stehen vielmehr, gerade ihres rhetorischen Schwunges, ihres patherischen Sprachgestus’ wegen in der Nachfolge der Hymnen- und Odendichtung des 18./19. Jahrhunderts. Es handelt sich dabei um Gedichte in freien Rhythmen, also durchaus kalkuliert rhythmisierte Texte, deren rhapsodischer Sprachduktus und hymnische Stilhaltung ihre Vorläufer im Spätbarock, in Klopstock und den Lyrikern des Göttinger Hains, in Hölderlin hat. Der Sprachgestus ist scheinbar angenähert an Prosadiktion, eine ausgesprochene Kunstprosa freilich, die Zeilengliederung zumeist rhythmisch, nicht selten jedoch auch optisch motiviert. Solches Verfahren erinnert dann stark an die Mittelachsenlyrik des Arno Holz. Überhaupt läßt sich ein expressionistischer und vor allem naturalistischer Einfluß in der Diktion dieser Texte erkennen.
Die Antithetik dieser Gedichte ergibt sich aus einem unverkennbaren Gegensatz zwischen Form und Inhalt. Der hymnische Stil transportiert einen ganz und gar antihymnischen, antiidyllischen Gehalt. Die Traditionalität dieser Gedichte ist mithin vorwiegend eine solche der Form, die sich hier als rhetorische Geste, als ornamentaler Zierat über einen Inhalt wirft, der jene Rhetorik als Versatzstück einer künstlichen Feierlichkeit jeweils lächerlich macht. Etwas holzschnittartig läßt sich der Gegensatz auf den zwischen Idealismus und Materialismus festmachen.
Form und Stil dieser Gedichte nämlich schöpfen aus dem rhetorischen und begrifflichen Fundus der Natur- und Gedankenlyrik der erwähnten Epochen und werden im Gedicht Elementen eines sinnlich-konkreten Materialismus kontrastiert. Dieser Kontrast macht unter anderem die Gedichte humorvoll, gewinnt aber aus dem Widerspruch zwischen traditionellen Formen und den ihnen zugeordneten Inhalten ganz neue Wirkungen. Die Intention eines solchen antithetischen Verfahrens, innerhalb dessen Rühmkorf mit einer Fülle rhetorischer und stilistischer Mittel aufwartet, liegt vor allem in der Entidealisierung, in der Entheroisierung des Poeten, der Poesie und des Lebens. Gerade in der Stilisierung der Gedichte spricht sich der Wille aus, jeglicher unwahren Stilisierung, einer falschen Poetisierung des Daseins zu entsagen.
Die virtuos und rhetorisch prunkend daherkommenden Gesänge sind daher letztlich nicht solche der Feier und der Größe, sondern solche der Bedürftigkeit. Nicht die Entgrenzung erstreben diese Texte, sondern den Aufweis der Alltäglichkeit. Begrenztheit durch den Rekurs auf die Materialität.
Neben den eher hymnischen Gedichten, deren Titel bereits bezeichnend sind („Hymne“, „Dem Endlichen“, „Im Vollbesitz seiner Zweifel“, „Über heroische Landschaften“, „Daß ihm sein Sparren grüne“), die hauptsächlich durch die visuelle Gliederung der Zeilen auffallen, stehen zahlreiche strophische Gedichte in freien Rhythmen, die in der Tradition der Odendichtung anzusiedeln sind. Es sind dies Gedichte unterschiedlicher Länge, die keineswegs die herkömmlich feierlichen Inhalte der Ode aufnehmen, aber doch durch den gewollt gehobenen Sprachton auffallen. Vielfach tritt in den Titeln dieser Gedichte die Bezeichnung „Ode“ explizit auf („Ode an die Hoffnung“, „Urenkels Ode“), meist allerdings in ironisierender und verballhornter Form („Anode“, „A la mode“, „Marode“, „Kommode“, „Kathode“). Solche spielerischen Titel sind bezeichnend und programmatisch; es geht weniger um ihre Bezeichnungsfunktion, um Typisierung und Charakterisierung des Gedichtinhalts, um die Vorgabe des Themas oder des Gegenstandes, sondern um die semantische Mehrdeutigkeit, um den Doppelsinn, um das Wortspiel. Die Verfremdungen und Verwandlungen des Wortes „Ode“ weisen dabei auf den spielerisch verändernden und umgestaltenden Umgang mit der Form und ihren herkömmlichen Inhalten selbst hin. Häufig gar stehen diese Titel in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Gedichttext selbst; sie haben dann Selbstzweckcharakter und erschöpfen sich im Spiel mit dem Wort und der Form. Immer nehmen sie dabei den Gedichten etwas von ihrer Ernsthaftigkeit, heben sie gleichsam auf, so gravitätisch die Texte auch daherkommen mögen.
Neben Hymnen- und Odenformen entwickelt Rühmkorf eine Sonderform des Gedichts, in dem überwiegend vierzeilige gereimte Langzeilenstrophen abwechseln mit Prosaabschnitten, die häufig wie Kommentare des – eigentlichen – Gedichttextes wirken und ausgesprochen ironisierende und relativierende Funktion haben. Ansätze dazu weist das bereits besprochene „Selbstporträt 1958“ schon auf; andere Texte machen von diesem Verfahren ausdrücklicher und ausladender Gebrauch („Um die Bestände zu überprüfen“, „Anti-Ikarus“, „Druse“). Vorgeprägt ist damit ein Gedichttypus, der im vorläufig letzten Gedichtband Rühmkorfs, Haltbar bis Ende 1999, häufiger auftritt: das Prosa und lyrische Elemente verquickende Langgedicht, das als „Prosagedicht“ am besten anzusprechen ist und überwiegend reflexiven Inhalt aufweist.
Innerhalb der Gruppe der Reimgedichte überwiegen Lieder oder liedähnliche Gedichte, deren Sangbarkeit von Rühmkorf bewußt intendiert ist. Solche Sangbarkeit ist durch die Form vermittelt, häufig genug aber im Titel zusätzlich indiziert („Klagesang“, „Bocks-Gesang“, „Davon singet sein Mund“). Ungezählt sind die Texte, die im Titel bereits die Bezeichnung „Lied“ enthalten. Interessant ist hierbei wiederum, wie bestimmte Formen der traditionellen Lieddichtung aufgenommen, mit spezifisch eigenen Intentionen verbunden oder einfach nur persifliert und parodiert werden. So erscheinen Titel, die Themen und Motive induzieren, die traditionell mit der Liedform eng verbunden sind („Wiegen- und Aufklärelied“, „Tran- und Abendlied“, „Schäfer-Lied“, „Gemeines Liebeslied“, „Guter Freunde Nachtlied“, „Des fröhlichen Faunen Klagelied“); daneben stehen Titel, die, ebenfalls aus der Tradition bekannt und viel gebräuchlich, die Gelegenheiten angeben, bei denen das Lied zu singen ist oder aus denen es entsteht („Lied, unter dem Messer zu singen“, „Lied für den Nu“, „Verliere-Lied“), oder solche, die einfach etwas besingen („Auf einen alten Klang“, „Auf ein rohes Herz“). Damit knüpft Rühmkorf an die Gelegenheitspoesie des frühen 18. Jahrhunderts an und macht solche Formen für seine lyrischen Intentionen fruchtbar.
Die Vorbilder solcher Lieddichtung sind vor allem Claudius, die Romantiker Brentano und Eichendorff, die breite Volksliedtradition und sicher auch Heine. So heißt dann ein Text auch ausdrücklich „Heinrich-Heine-Gedenk-Lied“. Mit Heine, der sich – freilich ironisch – als „letzten Romantiker“ zu bezeichnen pflegte, verbindet Rühmkorf, den „roten Romantiker“, vor allem die Haltung der Ironie, der Parodie, der persiflierenden Verspottung.
Rühmkorfs bewußt romantisierende Lieder, denen tatsächlich manches von Heinescher Musikalität, Leichtigkeit, aber auch Melancholie eignet, schärfen gerade durch ihre Form das Bewußtsein für die in ihnen vermittelten Inhalte, die nicht ohne ironische Verstellung, ohne antithetische, dialektische Haltungen vermittelt werden, wie ja zum Beispiel die ausdrücklich antithetischen Titel verdeutlichen: Das „Wiegen- und Aufklärelied“ will den Einzuschläfernden nicht einlullen, sondern ihm noch schnell die Augen öffnen, das „Tran- und Abendlied“ verspottet eine bestimmte Schlafmützengesinnung.
Auch die Form der Lieder entspricht der erwähnten Tradition. Rühmkorf verwendet nahezu ausschließlich die herkömmliche drei- oder vierhebige, vierzeilige Liedstrophe; an Reimformen bedient er sich des Kreuz-, Paar- und Schweifreims, bevorzugt dabei eindeutig den Kreuzreim.
Auffällig und bezeichnend für Rühmkorfs artistische Sprachhandhabung, die gleichermaßen gekonnt wie spielerisch ist, ist die virtuose, niemals schematisch oder gewollt und krampfhaft wirkende Reimgebung, die nicht nur immer natürlich wirkt, sondern dem Gedicht vielfach neue Qualitäten verleiht. So kann er beispielsweise Pointen bieten, ironische Volten und Scherze, kann spielerisch lustig sein bis hin zur kalauernden Blödelei. Rühmkorfs Reim ist von einer ausgesprochenen und gegenwärtig einzig dastehenden Originalität. Er ist, wie nahezu alle Gedichte beweisen, nicht bloß formale Obligation, mühsam eingehaltene poetologische Vorschrift und Fessel und damit, wie Holz sagt, „Leierkasten“, sondern vielmehr strukturell konstitutives Element; er trägt in erheblichem Maße zur Musikalität und Leichtigkeit der Verse bei und leistet, als ein Vehikel Rühmkorfscher Rhetorik, Aufklärungsarbeit.
Neben Liedern im engeren Sinne stehen die gereimten Gedichte der frühen Zeit, die vor allem Benn verpflichtet sind und formal mancherlei Gemeinsamkeiten mit dessen Texten erkennen lassen. Diese Gedichte sind meist kürzer als die späteren Lieder, thematisch anders motiviert und zudem ihrer Intention nach wesentlich ernster. Erst das bereits zitierte „Lied der Benn-Epigonen“ bringt in Ton und Stimmung etwas von der später sich stärker ausprägenden ironisch-polemischen Haltung zum Ausdruck. (Ein gutes Beispiel für den Reim als Träger des Witzes liefert bereits dieses Gedicht: „Die schönsten Verse der Menschen / nun finden sie bereits einen Reim / sind die Gottfried Bennschen / Hirn, lernäischer Leim.“ Rühmkorf darf übrigens den Ruhm für sich beanspruchen, einen weiteren Reim auf das Wort „Mensch“ gefunden zu haben, der gleichzeitig und pikanterweise dieses Wort selbst in heute ungebräuchlichem, doppeldeutigem Sinn verwendet: „Himmel ist wetterwendsch, / und so bin ich es. / Du bist ein schlimmes Mensch, / ich bin ein wunderliches.“ – „Auf ein rohes Herz“.) In demselben Sinne verwendet Rühmkorf häufig den an sich seltenen gebrochenen Reim.
Neben der Übernahme und Anverwandlung traditioneller Gedichtformen zeigt sich die Traditionalität der Lyrik Rühmkorfs auf verschiedenen Ebenen seines lyrischen Stils, der seiner Struktur und seinem Wesen nach als antithetisch im Sinne der parodischen Relativierung und der ironischen Distanzierung bezeichnet werden muß.
Die Dialektik von Geist und Sinnlichkeit, von Idee und Materie bestimmt, wie erwähnt, den Inhalt der Gedichte, damit aber auch den lyrischen Ausdruck, in dem oxymorontische Verfahren einen breiten Raum einnehmen. Rühmkorf liebt die krasse Antithetik von Abstraktum und Konkretum, wobei jeweils das unmittelbar sinnlich greifbare Element die Bildlichkeit bestimmt und das gleichzeitig verwendete begrifflich-abstrakte Vokabular aus dem gedanklichen Kontext löst und in einen sensualistisch fundierten Lebens- und Erlebenszusammenhang transponiert. Traditionelle Themen der hohen Natur- und Gedankenlyrik (Ewigkeit, Jenseits, Kosmos, Gestirne, Luft, Licht, Äther, Zeit und Unendlichkeit) werden durch die Verschränkung mit elementar sinnlichen Verrichtungen und Handlungsvollzügen, dem Essen, Trinken und Lieben etwa, mit unmittelbar vitalen Daseinsäußerungen also, entspiritualisiert. Damit erzielt Rühmkorf nicht nur die – freilich jeweils auch intendierte – Heiterkeit, die aus der schockierenden Verspottung sich ergeben mag, sondern die immer wieder erneute Bewußtmachung der Notwendigkeit, die Einheit von Körper und Geist auf der Grundlage eines unmittelbaren „Begreifens“, im wörtlichen Sinne, zu verdeutlichen. Natur erscheint so in Rühmkorfs Gedichten nicht etwa als etwas entrückt Hehres, sondern als Lebensraum; Idealität und Abstraktion, die in ihrer Bedeutung keineswegs geleugnet werden, scheinen aber gerade in ihrer Umwegigkeit, in ihrer Unnatürlichkeit, in ihrer Mittelbarkeit auf. Zu Recht hat Enzensberger deswegen Rühmkorf als denjenigen bezeichnet, dessen Verdienst es sei, die Lyrik materialisiert zu haben.
An einigen Textbeispielen mag verdeutlich werden, wie Rühmkorfs Vitalismus, seine Lust an der Sinnlichkeit, die freilich epistemologisch fundiert und motiviert ist, seine lyrische Bildlichkeit, auch als Ausdruck seiner Weltsicht, bestimmt und welche Wirkungen ein solches Verfahren hat. So heißt es in „Wes Pfeil?“: „In Tag getunkt, wo ich am Licht schmarotze / und gurgle mit der Luft, die mich erhält, / ins blonde Haar gefüllt der Sonnen-Votze, / das unserm Haus die Schulter runterfällt.“ Vom „Duft der überdrehten Schöpfung“ („Dem Endlichen“) wird ebenso gesungen wie vom „gähnenden Himmel“ („Selbstporträt 1958“), vom „Chloroformgeruch der Unendlichkeit“ („Über heroische Landschaften“), vom „Zorn des Sommers, ganz mit Gold bekotzt“ („Um die Bestände zu überprüfen“), von der „Speichelwoge, flüssige Zeit“ („Wiegen- und Aufklärelied“). Die Geistigkeit und ihre Elemente erscheinen als „Denkproviant“ („Heinrich-Heine-Gedenk-Lied“). Da ist die „wortlos mampfende Erde“ („Variation auf ein Thema von Friedrich Gottlieb Klopstock“) und das All und der Kosmos als „Unendlichkeitskino“ („Um die Bestände zu überprüfen“).
Bildlich und begrifflich zentral steht die „Schwerkraft“ als ein Vorstellungssyndrom, als Signal für Materialität, Natürlichkeit, für irdische Körperhaftigkeit („schooon / sog uns die Schwerkraft am Hintern.“ – „Klopstock-Variation“) und handfeste Sinnlichkeit. Auch und gerade der Poet steht mit beiden Beinen fest auf der Erde und lebt von seinen körperlichen Bedürfnissen und für sie, lebt von seinen Wahrnehmungen, nimmt mit seinen Sinnesorganen wahr („Oh Lust am Greifbaren“, „Im Vollbesitz seiner Zweifel“). Der Dichter ist einer „vom Boden, jawohl, von der Erde…, von den Steinen“ („Anti-lkarus“), und entsprechend ist seine Bildersprache.
Diese Erdhaftigkeit des Poeten schlägt sich nun in einer kühnen Metaphorik nieder, in kraß-extremen Kontextverfremdungen, unerwarteten Beziehungs- und Vorstellungsgefügen, die überraschend und originell wirken. Das vitalistische Vokabular ist ja zunächst ein ganz und gar unlyrisches. Bei Rühmkorf tritt es in reichem Maße auf, ohne daß dabei ein Gewöhnungs- oder gar Ermüdungseffekt einträte.
Die Sinnesorgane (Auge, Ohr, Mund, Nase, Zunge) und damit zusammenhängende Vorgänge und Tätigkeiten (lecken, schlürfen, lutschen, saugen, riechen, schmecken), häufig noch in eher degoutanten Detaillierungen (Augenlid, Zungenspitze, Ohrenschmalz, Nasenloch), die durch die Reduktion auf das Detail die Plastizität der Sinnlichkeit aufs äußerste steigern, die Banalität und Trivialität des Alltäglich-Kleinen, Asthenischen und Häßlichen hervorheben, indem sie es zunächst aus der Tabuzone befreien, bestimmen und tragen diese Metaphorik ebenso wie Körperteile (Hintern, Knie, Steiß, Haar, Hoden, Achselhaar) und deren Defekte (Gebiß, Mundgeruch, Plattfuß). Wenn plötzlich in einem lyrischen Text vom „Gurren der Wassertoilette“ („Daß ihm sein Sparren grüne“) die Rede ist, ein „magisches Jucken im Stiefel“ („Über heroische Landschaften“) ebenso besungen wird wie „Durchgetretene Füße und ausgeleierte Schuh“ („Was seine Freunde sagen“), wenn „die Schuppen auf dem Kopf gezählt“ („Sentimentalisch“) und „bei Scheitel und Steiß“ („Daß ihm sein Sparren grüne“) geschworen wird, wenn von „Socken“, vom „Hemd“ und der „Wunderhose aus Redon“ die Rede ist, dann kann sich all dies nicht in bloßer Verspottung, in der Lust am Schock, im Tabubruch intentional erschöpfen wollen. Solche lyrische Sprechweise signalisiert die Dürftig- und Bedürftigkeit des Menschen und Poeten, und dies im weitesten Sinne, nämlich existentiell, politisch und ökonomisch. Im Beschreiben von Speisekarten und Kochvorgängen offenbart sich die Bescheidenheit und Bescheidung eines Menschen, der gerade daraus, nicht aber aus Sublimierung und Kompensation, seine Lebenslust und seinen Zukunftsmut schöpft. Bei aller Selbstironie klingt gerade solche Haltung bei Rühmkorf durchaus optimistisch und programmatisch; erst später mischt sich ein langsam dominant werdender resignativer Ton in die Gedichte.

Auf dem Prometheus-Gasbrenner koche ich meine Zamek-Suppe. Ich habe die Flamme nicht erfunden. Ich werde die Glut nicht erläutern. Überhaupt sind meine Gedanken auf die nächsten drei Tage zugeschnitten: wie ich mein Brot mache für ein Leben, das ich sowieso nicht versteh. Und sieh nur, wie das Gulasch strampelt im Dural-Patenttopf… Wer wächst da über sich hinaus? Nun noch den Pfeffer und Lorbeer, frisch von der Stirn gepflückt –:
Ich werde kein absolutes Ding drehn!
(„Anti-Ikarus“)

So wie die Gedichte subjektiv empfunden sind, bleiben sie auch situativ rückbezogen und rückgebunden an die Privat- und Intimsphäre, hierin vielen Grassschen Gedichten nicht unähnlich. Sie sind selbst bei scheinbar ausgreifender Großräumigkeit des Themas lokalisiert und damit fixiert auf wiederum konkrete, materielle Kleinräumigkeit, auf Küchentisch und Gasherd, Balkon und Blumenkasten, Stammkneipe und Ausflugslokal. („Oh, ich habe mein Maß und mein Bett und verbleibe / meiner Geranien Poet / und der Sänger meiner Gebrechen!“ – „Im Vollbesitz seiner Zweifel“.) Rühmkorfs Gedichte sind immer räumlich lokalisierbar und entfalten ihre Metaphorik jeweils assoziativ aus dem situativen, privaten Bereich. Diese Rückbindung an die Bedingungen der Subjektivität, verbunden mit der Konstruktion eines „lyrischen Weltbildes“ auf dem Hintergrund banaler Alltäglichkeit, bildet auch die Grundlage des lyrischen Sprechens der Rühmkorfschen Gedichte. Es ist, wiederum antithetisch, gekennzeichnet durch einen konstitutiven Kontrast hoher und niedriger Stillage. Deutlich wurde ja bereits, daß Umgangssprache, volkstümliche Wendungen und ein ausgeprägter Hang zur sprachlichen Schnoddrigkeit, die bis zur Verwendung von Gossen- und Vulgärausdrücken reicht („mach die Funzel aus, oh-du-Sterbliche“ – „Himmel abgespeckt“; „weil mir dein Arsch den Kopf verdreht“ – „Elbterrassen“), ein wesentliches Element der dichterischen Sprache Rühmkorfs ausmachen. Freilich sind hier Gossen- und Bierthekenjargon, sprachliche Obszönität kein Selbstzweck, sondern programmatischer Ausdruck der beschriebenen Geisteshaltung und als solcher immer auch aufklärerische Provokation. Vor allem aber liegt der besondere Reiz dieses Vokabulars in den umgebenden Kontexten und der Wirkung, die sich aus dieser Verschränkung ergibt. Rühmkorf beherrscht ja genauso virtuos wie das volkstümliche Sprechen die Stilhaltung und das Vokabular traditioneller hoher Kunstlyrik. Entsprechend weisen die Gedichte eine Fülle von Techniken auf, die der Entfaltung dieser beeindruckenden Sprachgewalt breiten Raum gewähren. Die schon angesprochene Verwendung des traditionellen Vokabulars ist dabei ein noch ganz vordergründiges Element. Der Bezug auf die Tradition wird auch dadurch sichtbar, daß neben den traditionellen Gedichtformen häufig und gleichzeitig ein in Syntax und Wortwahl auffällig archaisierender Sprachgestus das Bild der Gedichte bestimmt. Die Sprache schmiegt sich also immer der je gewählten traditionellen Gedichtform an.
Dazu gehört dann zunächst die ungewöhnliche Satzfügung, die – etwa nach Klopstockschem Muster – eher durch Rhythmus und klangliche Gestalt denn durch grammatische Logik sich bestimmt. Dazu gehören solche Techniken wie Auslassung von Pronomina, Versetzung von Satzgliedern, Nachstellung und Einschub von Adjektiven, affektischer Satzbeginn mit Verben und Adjektiven, Verwendung seltener Genitive, Häufung des Genitivs überhaupt, Schlußstellung des Hauptsatzes. Diese Tendenz zur Archaisierung seiner Sprache setzt Rühmkorf über die syntaktische auf der lexikalisch-semantischen bis in die morphematisch-phonologische Ebene fort. Er verwendet zahlreiche veraltete, ungebräuchliche Worte, archaische Redewendungen und Floskeln, heute seltene Konjunktionen und Pronomina, greift altertümliche Flexionsformen auf, schreibt in der Orthographie des achtzehnten Jahrhunderts. Diese Techniken und die Häufigkeit, mit der sie angewandt werden, erschweren das Verständnis seiner Texte.
Verstärkt wird dies durch die ebenfalls aus der Tradition geläufige Praxis, seine Texte mit gelehrtem Bildungsgut anzureichern. Den archaischen Charakter der Gedichte erhöht dies Verfahren vor allem dann, wenn es sich antikisierend gibt, griechische und lateinische Zitate und Namen einflicht („Hoi barbaroi“, „bei der Kardioide“, „Pentatonflöte“, „Präputium“), Begriffe und Namen aus der antiken Mythologie einstreut („Was lüstet es Antäen“, „Herr Charon, zwei Lethe“). Damit allein aber begnügt Rühmkorf sich nicht; neben diesen hergebrachten Verfahren der Kunstlyrik liebt er es, in seine Gedichte weitergreifende gelehrte und bildungsbürgerliche Anspielungen einzumontieren. Dabei greift er auf alle möglichen Wissensbereiche zurück, bevorzugt allerdings erwartungsgemäß Geschichte, Kunst, Literatur und Politik. Daraus werden nun nicht nur Namen und Begriffe entlehnt; Rühmkorf arbeitet auch gerne mit dem Zitat, der Aufnahme und Verwandlung geläufiger und ungeläufiger geflügelter Worte, die für Theorien und geistesgeschichtlich bedeutende Haltungen stehen. (So etwa Anspielungen auf Leibniz, Kant, Hegel und Heidegger.)
Er verarbeitet Sprichworte, wissenschaftliche Termini, fremdsprachliche Redewendungen, Ausrufe und Floskeln. Er greift auf ältere Sprachstufen, alt- und mittelhochdeutsch, zurück und schreibt niederdeutsche Verse („Eiris sazun idi- / si und trieben lidi- / renki vor die Tür“ – „Auf einen alten Klang“; „De du mine Leevste büst, / heur, wat ick segg!“ – „Lied für polnisches Mädchen, zu Quickborn in Stellung“).
All diese Verfahren geben seiner Sprache ihren differenzierten Ausdrucks- und Nuancenreichtum, ihre vielfach facettierte Plastizität, ihre Lebendigkeit und bildliche Kraft. Seinen Gedichten gibt diese Sprache das Gepräge ausgesprochener Künstlichkeit und ausgeklügelter Kalkuliertheit. Sie entstammen also keineswegs einer spontanen Intuition, sondern sind samt und sonders gemacht, ausgefeilt und berechnet, ohne daß dies im Text nachteilig sich bemerkbar machte; vielmehr bewährt sich die Könnerschaft gerade in der Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der diese Gedichte beeindrucken.
Nun zeichnet die Gedichte Rühmkorfs ferner eine Eigenart des Tones aus, die als affektisch und emphatisch, vielleicht als pathetisch bezeichnet werden muß. Bringt dies schon die Struktur seiner lyrischen Sprache mit sich, so wird die darin angelegte Tendenz verstärkt durch eine Fülle zusätzlicher Techniken, die für diese Lyrik signifikant sind. Wir erwähnten bereits die herausragende Bedeutung der Rhythmik im Bereich der ungereimten, der Melodik und Musikalität für die gereimten Gedichte. Gemeinsam ist beiden die Ausrichtung auf den mündlichen Vortrag. Rühmkorfs rhapsodische Gedichte in freien Rhythmen sollen laut gelesen werden, die Reimgedichte zielen, soweit sie als Lieder verfaßt sind, wirklich auf Gesang. So sind die letzteren, neben dem bindenden Reim und rhythmischer Wiederholung, häufig versehen mit den lautmalenden musikalischen Trillern der Volksliedpoesie („diridum“, „Lirum-Larum-Löffelsteiß“, „Tirilyrileier“). Etwas von der Musikalität solcher Verse teilt sich beispielsweise in den folgenden mit:

Hollerbusch-Hollerbusch schlägt sein grün Rad.
Ich tret zurück an des Dummeren Statt –
Wenn dann der Abend steigt, links vor der Stirn,
bin ich der Wölkner, der hütet die Zirrn,

Bin ich der Nachtmann, schwinge den Kris,
wende behende mein Weltbild am Spieß.
Du vergewisserst dich noch deines Glücks –
Ich gebe alles um nichts für die Nix.
(„Alles-für die-Nix-Lied“)

Die enge Anlehnung an den sprachlichen Vortrag bindet die Sprache selbst, bei aller Artifizialität, auch an Prosasprache. Die Einbrüche gesprochener Sprache dokumentieren sich vor allem an jenen schon erwähnten Versatzstücken der Umgangssprache, Redewendungen, Sprichwörtern, Floskeln. Daneben aber ist der rhythmische Duktus der Texte, die klare Strukturierung der Sinn- und Spannungseinheiten, die graphische Verdeutlichung von Pausen, Beschleunigungen und retardierenden Passagen ein deutliches Indiz für die Intention auf den Vortrag hin. Wenn es nämlich weiter oben hieß, Rühmkorfs Texte seien häufig nur optisch gegliedert, so muß dies ergänzt werden. Das akustische Element hält dem optischen durchaus die Waage, wenn es nicht gar überwiegt. Die Funktion, die Gedichte dem Vortrag anzunähern, hat zunächst die Interpunktion, die bei Rühmkorf, exzessiv verwendet, zum Stilmittel wird. Die Fülle der Kommata, Semikola, Doppelpunkte, Gedankenstriche und Ausrufezeichen verleiht den Gedichten ihre eigentliche rhythmische Gliederung.
Wo die Zeilen und Strophen die großen Sinn- und Sprecheinheiten zusammenfassen, strukturiert die Interpunktion die Spannungsführung, das Tempo und die Intonation. Dabei kommt es durchaus häufig zu Kontrasten, zu Verschleppungen und Brüchen, zu Pausen innerhalb scheinbarer Sinneinheiten, zu Beschleunigungen über Zeilen und Strophen hinweg. Der intendierte Sprachduktus der Gedichte bemächtigt sich oft der optischen Gliederung, bricht oder betont sie, überlagert sie jedenfalls dominant. Freilich hat die optische Gliederung der Texte immer die Aufgabe, die großen Züge des Rhythmus’ typographisch umzusetzen.
Neben der Interpunktion haben die zahlreichen Einsprengsel die Interjektionen, die lautmalenden Partikel, die Fragepronomen – vor allem rhythmisierende Funktion. Sie sind aber auch Indiz für die ausgeprägte Haltung assoziativen Sprechens, das ja bereits als konstitutives Element der Bildlichkeit bei Rühmkorf erschien. Die Neigung zu Parenthesen, Einschüben, Abschweifungen, Anspielungen, Einbezug von Mehrdeutigkeiten, Sprüngen und Brüchen deutet ja vor allem auch auf den dialektischen, undogmatischen Denkstil des Autors hin und wiederum auf die Tendenz, die Gewohnheiten gesprochener Sprache: die zögernde Verfertigung der Gedanken, die Zurücknahme und Relativierung von bereits Gesagtem, den Zweifel in den Text der Gedichte einzubeziehen, kurz: die Endgültigkeit des Verfaßten durch sich selbst bereits aufzuheben.
Dieses parenthetische Sprechen hat neben der rhythmisierenden Funktion auch die Aufgabe, Affekt und Emphase zu versinnlichen, wie alle anderen erwähnten Stilmerkmale auch. Es erübrigt sich der Hinweis, daß Rühmkorf alle herkömmlichen Verfahren rhythmisierten Sprechens ebenfalls ausgiebig anwendet: Alliterationen, Binnenreime, Vokalgleichklänge, Assonanzen.
Als eine Besonderheit seines Stils mag schließlich noch die häufig anzutreffende artikulationsbezogene Schreibung bestimmter Worte angemerkt werden; wiederum hat dies die Funktion, affektisch zu wirken und den Sprachrhythmus zu strukturieren bzw. rhythmische Schwerpunkte sichtbar zu machen. Man könnte dies als eine Technik phonetischen Schreibens bezeichnen. („Jaaa, Mooond“, „grohoß“, „schooon“, „Mythos kapuuut“, „Woooooo“).
Anfänglich selten, später aber immer häufiger geht Rühmkorf dazu über, zentrale Begriffe oder Teile seiner Texte durch andersartigen Druck (große Lettern, Sperr- oder Kursivdruck) optisch – und damit akustisch – hervorzuheben.
Die schillernde Wirkung dieser nicht immer leicht verständlichen Lyrik mit ihren Brüchen und Brechungen, mit ihrem Humor und Wortwitz, ihren Gags bis hin zum Kalauer („Bei Schuppen droht Haarausfall – Lichtung des Seins“), mit ihren Anspielungen und Spielereien kann hier nicht dargestellt werden. Davon hat die Lektüre der Texte zu überzeugen. Auch das volle Ausmaß der Traditionalität, der Unzeitgemäßheit bei gleichzeitiger Aktualität, eine Leistung von Theorie und Praxis der Parodie, kann durch Beschreibung allein nicht vermittelt werden.
Immer wieder wird deutlich, daß die beschriebenen Techniken, Schreibweisen und Stilhaltungen nie unvermittelt sind, nie Selbstzweckcharakter haben oder im bloßen Spaß sich erschöpfen. Der Spaß und die Ironie haben Vermittlungsfunktion, sind Ausdruck dialektischen Verfahrens in der Lyrik. Hinter ihnen steht nicht nur der Spaßmacher Rühmkorf, sondern ebenso der ernsthafte Aufklärer:

Ich möchte sogar bezweifeln, ob es für Dichtkunst im Augenblick ernsthaftere als ironische Verhaltensweisen gegenüber unseren gesellschaftlichen Wirklichkeiten gibt.

4. Parodie als dialektische Vermittlung
Das literarische Verfahren, in dem sich der Rühmkorfsche Widerspruchsgeist am nachdrücklichsten mit seiner Artistik verbindet, die sprachliche Dialektik als Ironie sich am virtuosesten entfaltet, ist die Parodie. Noch bevor Rühmkorf sich und anderen über den Begriff der Parodie theoretisch Rechenschaft ablegte, ist diese Parodie als kritisches Sondierungs- und Tradierungsverfahren von Anfang an seiner Lyrik eigentümlich.

Eigenartigerweise habe ich die Parodie selbst als eine Art Naturverfahren betrieben, eine Zeitlang. Es hat sogar eine Weile gedauert, bis ich gemerkt habe, wie ich alles parodiere, wieviele Zeilen aus traditioneller Literatur, wieviele umgangssprachliche Versatzstücke ich verwende und einbaue; und diese parodistische Kunst, die ja auch starke Montagemomente hat, habe ich vergleichsweise naiv betrieben, und erst später ist es mir aufgefallen; dann habe ich mich auch theoretisch über dieses Problem hergemacht.

Parodie als gezielter Zugriff auf historische und zeitgenössische Formulierungangebote ist als genuin dialektischer Prozeß zu verstehen, in dem Position und Negation, These und Antithese noch beide wahrhaft ernstgenommen werden. Konkreter: Autoren, an denen Rühmkorf nichts liegt, deren Texte er nicht schätzt, werden von ihm schlechterdings nicht parodiert. Dabei kollidiert sein Verständnis von Parodie als kritisches Verfahren massiv mit den herkömmlichen Vorstellungen von diesem Begriff. Das geläufige Verständnis der Parodie als einer Methode der Literaturpolemik, „die: einen Autor, einen Epochenstil, eine literarische Mode insofern bloßstellt, als sie gewisse stilistische Eigentümlichkeiten überdehnt, Ausdrucksmarotten liebevoll-gehässig nachäfft, Manieren der Schreibweise übersteigernd persifliert und bestimmten Formalitäten unpassende Inhalte einverleibt“, vermag er nicht zu teilen. Ihm ist nicht darum zu tun, sich über die Texte, die er parodiert, lustig zu machen, sie zu entlarven oder ihnen vom literarischen Olymp aus mit literarischen Geistesblitzen endgültig den Garaus zu machen. Der konventionellen Bestimmung der Parodie stellt er mit den Parodien in seinem Gedichtwerk, mit seinen ,Variationen‘ auf Klopstock, Hölderlin, Eichendorff und Claudius, ein Verfahren entgegen, das aufnimmt und anverwandelt, aneignet und abstößt und damit die wirkungsgeschichtliche Bedeutung der von ihm umgearbeiteten literarischen Vorlage jeweils anerkennt. Dabei zeigt sein Verständnis von Parodie durchweg Gemeinsamkeiten mit den Vorstellungen der Romantik, vor allem der literaturkritischen Auffassung der Gebrüder Schlegel, die ja nur das überhaupt kritisierten, was ihnen als kritikwürdig galt.
„Hier“, so formulierte er in seinem Lyrikband Kunststücke sein Verständnis von Parodie, „wird von einer Parodie zu handeln sein, deren Objekt und eigentlicher Streitgegenstand nun gar nicht mehr die Literaturvorlage ist, sondern – vorerst ganz allgemein genommen – ein Zeitproblem, Gegenwartsbefund, Gesellschaftszustand. Wobei der Parodand – nicht selbst das Angriffsziel und Opfer der Kritik – in bündigem Doppelsinn als Vorwand zu betrachten wäre, als Filter, Medium und Transparentfolie, durch die der Autor mit seiner Welt in Vergleich tritt.“ Parodie ist also das der Lyrik Rühmkorfs gemäße Verfahren der Auseinandersetzung mit der Umwelt und der Geschichte. Sie leistet als Gegengesang den Nachweis der Vermitteltheit, der Relativität, der Geschichtlichkeit des Gegenwärtigen. Sie arbeitet sich ab an der Gegenwart „als einem eigentlich bereits Vergangenen, Erledigten, Abgeschlossenen. Wobei die literarische Antiquität wortwörtlich das zum Plusquamperfekt verdammte Präsens repräsentierte und sich an Brechung und Entstehung gefallen lassen mußte, was an Kritik und Aggressionen der Zeit, der überfällig-derangierten zugedacht war.“
Am sinnfälligsten entwickelte Rühmkorf sein Verständnis der Parodie aus der Geschichte eines in der deutschen Lyrik wohlbekannten und häufig gestalteten Stoffes – der Darstellung und literarischen Verarbeitung des Mondes als Paradigma für einen repräsentativen Typus deutscher Lyrik: das Abend- oder Nachtlied. „Abendliche Gedanken über das Schreiben von Mondgedichten“, so heißt bezeichnenderweise der Essay, der dem Lyrikband Kunststücke als programmatisches Nachwort beigegeben ist und anhand dessen sich die Genese und die Intentionen von Verfahren und Begriff der Parodie bei Rühmkorf nachweisen lassen. Sie erwächst regelmäßig aus der Auseinandersetzung mit bestimmten signifikanten Elementen und Tendenzen der Literaturgeschichte. Man denke in diesem Zusammenhang, um einen Vergleichsfall anzuführen, an das in der jüngsten deutschen Lyrik geführte „Gespräch über Bäume“, das durch die Brechtsche Elegie „An die Nachgeborenen“, mit einiger Verspätung allerdings, ausgelöst wurde. Wie es sich in diesem Falle um das Schreiben von Gedichten über die Möglichkeiten von Gedichten, über bestimmte Gegenstände zu schreiben, handelt, so sind auch Rühmkorfs parodische Gedichte in diesem Sinne wirkungsgeschichtlich vermittelte Gedichte; Rühmkorfs Variation auf Claudius’ Abendlied ist ein typisches Beispiel für Zustandekommen, für Intention und Funktion des parodischen Verstehens. Ein Licht auf diese Zusammenhänge wirft bereits der äußere Anlaß der Entstehung dieser Parodie: Am 13.9.1959, 22.02 Uhr MEZ, brach, nach dem Wort Rühmkorfs, „nämlich das sowjetische Raumschiff Lunik Zwo das Monopol der Dichter, mit IHM (dem Mond, Verf.) sich ins intime Benehmen zu setzen“. Ein solches Ereignis mußte also bestimmte historische Denkstile und Schreibweisen in der Literatur unter den Bedingungen des gegenwärtigen technisch-wissenschaftlichen Entwicklungsstandes eben als historisch überlebt erscheinen lassen. Das gilt nun für die zwei Beispiele, an denen Rühmkorf seine Kritik festmacht, für das in der DDR produzierte Gelegenheitslied auf den Genossen Tito, der der Menschheit neue sozialistische Heilsdimensionen erschlossen habe, sowie für die dann von der Zeitung Die Welt als Antwort „auf solche Emphase“ ausgeworfenen Empfehlungen, sich auf das Abendlied von Claudius zu besinnen.
„Aber hier nun“, so räsonniert er angesichts dieser konträren Reaktionen, „genau an dieser Stelle war für mich Bewußtseinsschneide. Da mischten sich die Töne falscher Hoffahrt und falscher Demut in meinem Ohr, die Hymnen der Forschen und der Frommen, die Heilsbotschaften der Stürmer und Verdränger, […]. Da sah ich die einen sich gebärden, als hätten sie bereits den Menschen selbst in die Höhe getrieben und unter die Sterne versetzt, da sah ich andere von unten die Mitte füllen und über den alten Himmel die Vergänglichkeit preisen, da sah ich beide sich emporschwindeln und sich Gesänge simulieren, die ihnen – so oder so gewendet – nicht zukamen,…“.
Rühmkorf selbst hat aus dieser schiefen Alternative herausgeführt. Zwischen falscher Progressivität und reaktionärer Heraufbeschwörung von Innerlichkeit weist er den dritten Weg: Er schreibt eine Parodie auf das Abendlied von Claudius. Dieses gilt es zunächst kurz zu analysieren.

ABENDLIED

Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
aaaAm Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget
Und aus den Wiesen steiget
aaaaaDer weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
aaaaaSo traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
aaaaaVerschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen? –
Er ist nur halb zu sehen,
aaaaaUnd ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
aaaaaWeil unsre Augen sie nicht sehn!

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
aaaaaUnd wissen gar nicht viel.
Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste,
aaaaaUnd kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
aaaaaNicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
aaaaaWie Kinder fromm und fröhlich sein!

Wollst endlich, sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
aaaaaDurch einen sanften Tod!
Und wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
aaaaaDu unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
aaaaaKalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
aaaaaUnd unsern kranken Nachbar auch.

Dieses Gedicht von Matthias Claudius, veröffentlicht erstmals 1779 im Hamburger Musenalmanach, ist vor allem durch seine Vertonung bis heute nahezu jedermann bekannt. Die Volkstümlichkeit des Textes stützt sich auf die melodiöse Versgestaltung, den naiv-innigen Gebetscharakter, die schlichte, eingängige Sprache und die einfältige, vertrauensvoll-demütige Religiosität.
Das Gedicht hat sieben sechszeilige Strophen; Claudius verwendet den Schweifreim mit weiblichem Paar- und männlichem Klammerreim. Die metrische Gliederung der Verse entspricht dem Aufbau der Volksliedzeile: vierhebige bzw. dreihebig pausierte Zeilen mit freier, unregelmäßiger Silbenzahl in den Senkungen.
Das Gedicht entfaltet in dreifacher Stufung von Naturbetrachtung, Besinnung auf menschliches Dasein und Hoffnung im Gebet die Situation des Menschen vor dem Schlafengehen. Die ersten drei Strophen setzen in sinnlicher Eindringlichkeit die Stimmung abendlicher Natur ins Bild, so wie sie sich dem lyrischen Ich als Betrachter, ohne daß dieses sich direkt nennt, darbietet. Der Betrachter erfährt die einfältige Schönheit und friedvolle Harmonie der Natur als Geborgenheit, in der sich ihm jenseits bloßer Sinnlichkeit die kosmische Einheit der Schöpfung als unbegriffliche Ahnung des Wunderbar-Einfachen offenbart. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung, so expliziert die vierte Strophe, stellen sich die vernünftelnden Bemühungen des Menschen um ,Wissen‘ als eitle „Luftgespinste“ und armselige Künste dar. Solche vordergründige Rationalität beschleunigt die fortschreitende Entfremdung von der nur gläubiger Hingabe zugänglichen Einheit der Natur. Diese Einheit, das Ziel menschlichen Lebens, ist Erfahrung der Transzendenz, ist Gotteserfahrung. In den letzten Strophen wird in demutsvoller Anrufung das Heil dieser Gotteserfahrung erfleht. Abwendung von irdischer Vergänglichkeit, Einfältigkeit des Gemüts, schmerzloser Tod, Aufnahme in die ewige Seligkeit, Verschonung von Strafen, Ruhe und Frieden – das sind die ersehnten Gottesgnaden, dies um so mehr, als in jeder Abendsituation und im Schlaf das Bild des Lebensabends und des Todes aufscheint.
Will man nun die bisher allgemein und formal aufgeführten Merkmale, Gestaltungsweisen und Arbeitsverfahren Rühmkorfscher Parodietechnik und -intention konziser fassen, kann man das nur in detaillierter vergleichender Einzelanalyse tun.

Variation auf ,Abendlied‘
von Matthias Claudius

Der Mond ist aufgegangen.
Ich, zwischen Hoff- und Hangen,
rühr an den Himmel nicht.
Was Jagen oder Yoga?
Ich zieh die Tintentoga
des Abends vor mein Angesicht.

Die Sterne rücken dichter,
nachtschaffenes Gelichter,
wie’s in die Wette äfft –
So will ich sing- und gleißen
und Narr vor allen heißen,
eh mir der Herr die Zunge refft.

Laßt mir den Mond dort stehen.
Was lüstet es Antäen
und regt das Flügelklein?
Ich habe gute Weile.
der Platz auf meinem Seile
wird immer uneinnehmbar sein.

Da wär ich und da stünd ich,
barnäsig, flammenmündig
auf Säkels Widerrist.
Bis daß ich niederstürze
in Gäas grüne Schürze
wie mir der Arsch gewachsen ist.

Herr, laß mich dein Reich scheuen!
Wer salzt mir dort den Maien?
Wer sämt die Freuden an?
Wer rückt mein Luderbette
an vorgewärmte Stätte,
da ich in Frieden scheitern kann?

Oh Himmel, unberufen,
wenn Mond auf goldenem Hufe
über die Erde springt –
Was Hunde hochgetrieben?
So legt euch denn, ihr Lieben
und schürt, was euch ein Feuer dünkt.

Wollt endlich, sonder Sträuben,
still linkskant liegen bleiben,
wo euch kein Schmerz mehr trifft.
Müde des oft Gesehnen,
gönnt euch ein reines Gähnen
und nehmt getrost vom Abendgift.

Rühmkorf verfährt nun keineswegs so, daß der Claudius-Text etwa pauschal die Folie parodischer Verspottung abgibt, wie es ja dem geläufigen Verständnis von Parodie entspräche. Vielmehr ist im einzelnen eine hochdifferenzierte Fülle von Anspielungen, Gemeinsamkeiten, Abwandlungen und Verfremdungen nachweisbar, die zusammen verdeutlichen, daß einerseits die geschichtlich legitimierte Existenz des Textes, damit dieser als geschichtlich legitimierter selbst unangetastet bleibt, andererseits aber Haltung, Anspruch und Wirkung des Textes eine den gewandelten geschichtlichen Bedingungen entsprechende radikale Änderung erfahren. Der aus der Parodie entstehende Text Rühmkorfs ist literarisch ebenso selbständig und eigenwertig wie das Abendlied, andererseits freilich entsteht zwischen beiden Texten eine Beziehung, in der die Parodie aufscheint nicht so sehr als eine des Produkts, sondern eher als eine der Rezeption und der Rezeptionsgeschichte. Eine solche Parodie greift eben das Thema des zu parodierenden Textes auf und verwandelt es entsprechend den geschichtlich vorliegenden Bedingungen. Indem also Rühmkorf das Abendlied aufgreift, um ein Gedicht über die Möglichkeit von Abend- oder Mondgedichten zu schreiben, wird gerade der geschichtliche Abstand zum Gedicht von Claudius deutlich und die Parodie zur Aussageweise von Geschichtlichkeit selbst.
Die thematische Orientierung, die Rühmkorfs parodische Technik begründet und die Parodie selbst motiviert, ist bereits ablesbar am Titel dieser Parodie. ,Variation‘ nennt sie sich in Anlehnung an ein musikalisches Verfahren. Solche Variation anerkennt bereits durch ihren Namen die Verwandtschaft mit dem ursprünglichen Gegenstand, die Verpflichtung auf ihn. Sie nähert sich ihm nicht, wie die gewöhnliche Parodie, aus der Negation. Das Ergebnis der Variation existiert nur durch die Existenz des Variierten, ist insofern bereits selbst immer etwas Vermitteltes. Die Doppelsinnigkeit des Wortes, nämlich Prozeß und Produkt zu meinen, markiert dies noch einmal. Der Gegenstand der Variation gibt dabei nicht nur das Thema und das Material vor, sondern seine Bedeutung und seine Form ebenso. Auf beide Aspekte bezieht sich die Variation als etwas Neues zurück und hält ja gerade dadurch den variierten Gegenstand in seiner ursprünglichen Gestalt hoch und im Bewußtsein wach. „Variation“ im Sinne Rühmkorfs ist also immer auch Berufung auf und Vergegenwärtigung von Tradition.
Wie nun die Variation immer gleichzeitig beibehalten und ändern muß, um überhaupt als solche erkennbar zu bleiben, so kennzeichnet dies Verhältnis von Übereinstimmung und Übernahme zu Abwandlung und Verfremdung die Rühmkorfsche Variation. Dazwischen tritt nun bei ihm eine Fülle von Anspielungen auf, deren Wert ambivalent zwischen den Polen ,Zitat‘ und ,Persiflage‘ schwebt und den parodischen Gedichten ihren besonderen ironischen Reiz verleiht.
Zunächst fällt auf, und dies gilt wesentlich für alle literarischen Variationen Rühmkorfs, daß die Form des parodierten Textes exakt beibehalten wird. Innerhalb des Gedichtes von Rühmkorf bleibt die Strophenzahl, bei den Strophen die Verszahl unangetastet. Das Reimschema bleibt ebenso wie das Metrum gegenüber der Vorlage unverändert. In gewisser, wenn auch modifizierter Weise erhalten bleibt auch deren Sprachton, der angesichts der gewandelten Inhalte freilich einen persiflierend-ironischen Charakter bekommt und die Wirkung, die ,Stimmung‘ des Originals wandelt.
Diese Beibehaltung der wesentlichen formalen Gattungsmerkmale des Textes von Claudius hat durchaus programmatischen Charakter. Es zeigt sich nämlich hier, daß diese Form als Ordnungsregulativ etwas Vermitteltes ist. Sie ist in eigentümlicher Weise ungeschichtlich und geschichtlich zugleich. Sie bewährt sich als Bekräftigung des Originals und gewinnt doch durch den gewandelten Inhalt einen ganz anderen Wert. Während also in herkömmlicher Parodie die beibehaltene Form lediglich Signalcharakter hat und in dieser Funktion selbst nicht Gegenstand der Parodie ist, ruft Rühmkorfs Aufnahme ein differenzierteres Bewußtsein für sie wach und nimmt sie in die Parodie mit hinein.
Die erste Zeile der Variation ist identisch mit dem Text von Claudius, identisch im Wortlaut, nicht aber in der Satzführung. Wo bei Claudius die Feststellung einleitet und anhebt zur idealisierten Naturbeobachtung, quasi Auftaktcharakter hat, bricht sie bei Rühmkorf in sich selbst ab und beendet damit schon das Thema, das bei Claudius mit dieser Einleitung erst beginnt. Ist nämlich hier der Stimmton gehoben und hinwegzuführen über die Versgrenze hinaus, weil eben eine harmonisch-einheitliche Situation entfaltet wird, so ist im Text von Rühmkorf die Stimme zu senken, der indizierte Vorgang bleibt dadurch nicht als Vorstellung wach und im Bild, sondern kontrastiert deutlich mit der Rede vom Ich direkt zu Beginn der zweiten Strophe. Solcher gewollte Bruch markiert die Distanz zwischen Ich und Natur, die Feststellung der ersten Zeile wirkt trivial oder banal. Immerhin ist mit dieser einzigen wörtlichen Übernahme zweierlei erreicht: Das Zitieren dieses wohl bekanntesten Teils des Gedichtes, bekannter sicher als der Titel, genügt, um im Horizont des Rezipienten den Stimmungsgehalt des Gedichtes wachzurufen.
Gleichzeitig aber ist damit der Kontext des Gedichtes von Claudius im Rühmkorfschen beibehalten. Auch hier ist die Abendsituation, die Vorbereitung auf das Zubettgehen Anlaß und Situation für das Gedicht. Daran knüpft sich auch hier die Reflexion, die allerdings bei Rühmkorf anders, direkter und unvermittelter als bei Claudius sich artikuliert. Das lyrische Ich, das bei Claudius nicht als solches hervortritt, sich in Naturbeschreibung und in einen appellativen Plural zurückzieht, um den Eindruck allgemeinmenschlicher Dimension hervorzurufen, artikuliert sich bei Rühmkorf sofort und direkt: „Ich, zwischen Hoff- und Hangen, / rühr an den Himmel nicht.“ Aus dieser Distanzierung vom Gegenstand seiner Parodie, aus der Ablehnung der Hinwendung an den Mond als Gegenstand des Gedichts wird, im Kontrast zur ersten Zeile, sofort deutlich, was Rühmkorf sagen will. Das Zitat steht hier, auch darum der Punkt, pars pro toto, für das ganze Gedicht und die Haltung von Claudius. „Ich“, zu ergänzen: im Gegensatz zu oder anders als Claudius, „rühr an den Himmel nicht.“
Bereits mit den ersten drei Versen ist also das parodierte Gedicht seiner gegenwärtigen Möglichkeit nach negiert. Aus dieser Distanzierung nun entfaltet sich eine erneute Bezugnahme auf Claudius, die aber nicht mehr auf die Inhalte, die Haltung und die existentielle Dimension des Originals zielt, sondern bereits literarisiert ist. Alle im Text der Parodie folgenden Anspielungen entfalten ihre parodische Wirkung allein aus der schroff zurückweisenden Kontrastierung der unterschiedlichen Haltungen in den ersten drei Zeilen. Den „Himmel“ erwähnt Rühmkorf, anders als Claudius, nicht als den Raum der Gestirne im nächtlichen Bild des Firmaments, sondern, ex negativo, als einen transzendenten Gegenstand. Er wird so genauer zu einem Phänomen, an das das Gedicht ausdrücklich nicht mehr heranreicht.
Entsprechendes gilt für die zitathafte Anspielung im ersten Vers der dritten Strophe. Wo es bei Claudius heißt: „Seht ihr den Mond dort stehen?“ setzt Rühmkorf ein: „Laßt mir den Mond dort stehen.“ Während die Frage, die Claudius stellt, Aufforderungscharakter hat und dazu dient, die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand zu lenken, auf ihn also hinzuweisen, verfährt Rühmkorf restriktiv, wie der Himmel wird in gleichem Sinne der Mond negativ oder ausklammernd-indirekt benannt. Dabei ist an diesen beiden Versen auch die gewandelte Sprechhaltung gut sichtbar. Die behutsam appellative Frage will das Schauen, die Kontemplation bewirken und entspricht in ihrer inhaltlichen Schlichtheit dem einfältigen und demütigen Charakter des gesamten Textes. Wo sie also etwas auslösen soll, was dann im Text selbst entfaltet wird, will das Verbot Rühmkorfs ausdrücklich etwas unterbinden. Der Imperativ verknüpft dabei geschickt den etwas unmutigen Ton mit der Anrede, die allerdings unspezifiziert ist, weil sie sich nicht ausdrücklich pronominal an jemanden richtet (Claudius: „Seht ihr…“), vielmehr rückgewandt ist auf das lyrische Ich (Rühmkorf: „Laßt mir…“). Dies ist – in Verbindung mit den letzten sieben Zeilen des Gedichts – die einzige Stelle, an der überhaupt der Adressatenbezug des Originals, die Sprechhaltung scheinbar aufgenommen wird, allerdings dann auch wieder in dieser gebrochenen Form.
Mit einer weiteren Anspielung an gleicher Stelle verhält es sich ähnlich. Bei Claudius heißt es in der ersten Zeile der fünften Strophe: „Gott, laß uns dein Heil schauen“, bei Rühmkorf dagegen: „Herr, laß mich dein Reich scheuen!“ Wieder fällt die auf das Ich, das konkrete Subjekt restringierte Sprechhaltung auf, die jeden brüderlich umfassenden Gestus meidet und gleichsam privatissime redet. Ihr Appellcharakter ist entsprechend – anders als bei Claudius – wiederum nicht Aufforderung, Bitte und Hoffnung, sondern eher Warnung seiner selbst.
Rühmkorf ändert „Gott“ in „Herr“ und „Heil“ in „Reich“. Damit ist zunächst der explizit religiöse Charakter des ,Abendlieds‘ relativiert. Wenn nämlich das „Heil“ die Vorstellung religiöser Erlösung, die Seligkeit als einen metaphysischen Zustand meint, dann hat „Reich“ hier eher den bloß räumlichen Aspekt und verweist auf den stellaren Bezirk, in dem landläufig Gott gesucht wird. Es wird entsprechend nicht Gott als Gegenstand und Ziel der Religiosität angesprochen, sondern neutraler gleichsam als „Herr“, nämlich Beherrscher von Etwas, was sich dem lyrischen Zugriff hier gerade entziehen soll.
Typisch für die Techniken der Parodie ist dann das Wortspiel mit schauen und scheuen; hier wird durch Austausch lediglich eines Buchstabens der Sinn der parodierten Vorlage umgekehrt und gleichzeitig der Kern der Differenz beider Texte blitzartig und aperçuhaft erhellt. Statt „Schau“, der sinnlichen Erfahrung der Transzendenz, die Claudius intendiert, steht bei Rühmkorf der erklärte Verzicht auf das Ausweichen ins Kosmische als „Scheu“.
Zwei weitere Anspielungen nun unterscheiden sich von den erwähnten dadurch, daß Rühmkorf sie an andere Stelle setzt als Claudius. Dies ist möglich, weil Rühmkorf einer dieser Anspielungen einen ganz anderen Sinn gibt. Heißt es bei Claudius zu Beginn der sechsten Strophe als Fürbitte an Gott: „Wollst endlich, sonder Grämen […]“, so wendet Rühmkorf dies als Ratschlag an die „Lieben“: „Wollt endlich, sonder Sträuben […]“. Diese Anspielung ist also, im Gegensatz zu den anderen, nicht mehr inhaltliche Bezugnahme, sondern bloße verbale Reminiszenz. Anders dagegen im zweiten Fall. Claudius schreibt: „So legt euch denn, ihr Brüder […]“ und Rühmkorf: „So legt euch denn, ihr Lieben […]“. Hier ist wiederum der Gebetscharakter und damit der kontemplative Ton der Vorlage durch Änderung der Anrede parodisch unterlaufen. Anstelle der Assoziation christlicher Brüderlichkeit im Sinne gleichartiger elementarer existentieller Bedürftigkeit und Endlichkeit steht hier das ironisch-unverbindliche „ihr Lieben“.
Wir haben bisher also gesehen, wie Rühmkorf aus der Veränderung der Sprechhaltung heraus das Thema des Gedichts von Claudius parodisch aufnimmt, indem er es an den entscheidenden Stellen negiert, in dieser Negation freilich gleichzeitig behandelt. Zum Opfer muß dieser Negation die Gebetshaltung und damit die religiöse Dimension des Textes fallen, die den Mond hier quasi nur zum Anlaß nimmt, sich auf die Transzendenz zu besinnen. Mit dem Verzicht auf den Mond als Gegenstand zum ,Einstieg‘ fehlt dieser Bezug dann wie selbstverständlich. Diese parodische Veränderung des Textes gelingt Rühmkorf mit wenigen zitathaften Anspielungen, deren Nähe zum Original wesentlich sprachlicher Natur ist. Gerade diese Anspielungen sind als die markanten inhaltlichen Distanzierungen die Gelenkstellen der Parodie. Wo also Rühmkorf scheinbar am dichtesten auf die Vorlage sich einläßt, ist die parodische Entfernung von ihr am größten. Da diese Technik getragen wird von einem virtuosen Sprachvermögen, ist die Parodie bei Rühmkorf vor allem Sache der Sprache und des Sprachspiels.
Dies zeigt sich auch an anderen Stellen des Textes von Rühmkorf. Er bewegt sich sprachlich und rhetorisch im Feld der Tradition, in der das parodierte Gedicht selbst steht. Hier heißt dies konkret, daß Rühmkorfs Sprache die Patina des Altertümlichen annimmt; sprachliche Analogien zum lyrischen Stil des 18. Jahrhunderts springen ins Auge. Solche Affinitäten zur Sprache des parodierten Textes sind etwa lexikalischer, semantischer und syntaktischer Art. Da wird ein seltener Genitiv gebraucht („des Abends“), Verben werden kontaminiert („zwischen Hoff- und Hangen“, „so will ich sing- und gleißen“), gleichzeitig in altertümlicher Form verwendet („hangen“), oder sie sind selbst schon archaisch („gleißen“, „reffen“, „lüsten“). Da werden elliptische Konstruktion emphatischen Sprechens gebraucht („Was Jagen oder Yoga“, „Was Hunde hochgetrieben“), Attribute ungewöhnlich und unter Verzicht auf den Artikel nachgestellt („Die Sterne rücken dichter, / nachtschaffenes Gelichter“), seltene Wortbildungen gebraucht („nachtschaffen“, „barnäsig“, „flammenmündig“) und archaisierende präpositionale Fügungen („wie’s in die Wette äfft“, „und Narr vor allen heißen“), Redewendungen aufgegriffen („Ich habe gute Weile“, „sonder Sträuben“), Flexionsendungen wiederbelebt („Wer salzt mir dort den Maien?“, „wer rückt mein Luderbette“ […]).
Auch die Anspielungen auf die antike Mythologie unterstützen diesen antikisierenden Gestus der Parodie („Antäus“, „Gäa“, „Mond auf goldenem Hufe“). Solche sprachlichen Mittel und Techniken, die uns bereits aus dem Kapitel über Rühmkorfs Lyrik vertraut sind, stellen selbst wesentliche Elemente der Parodie dar, verselbständiget sich aber auch in – im engeren Sinne – nichtparodischen Texten Rühmkorfs zum kennzeichnenden Sprachgestus, der dadurch parodisch an sich selbst, d.h. auch ohne Vorlage wird. Dazu gehört dann natürlich auch die Beibehaltung der Form; so hat der Reim bei Rühmkorf letztlich selbst ebenfalls parodische Funktion, nicht weniger als die benutzten Vers- und Strophenformen.
Diese sprachlichen Elemente und ihr Stellenwert für die Parodie sind allerdings differenziert zu beurteilen. Man kann bei Rühmkorf wohl drei Formen unterscheiden. Zunächst ist da die bewußte und „ernstgemeinte“ Übernahme und Anknüpfung, die Rühmkorfs lyrischer Sprache häufig gerade ihren eigentümlich kraftvollen und plastischen Reiz gibt und ihre Traditionalität im guten Sinne ausmacht. Beispiele für solche Übernahmen sind etwa die im Stile Klopstocks gebildeten Adjektive „barnäsig“ und „flammenmündig“; überhaupt schöpft Rühmkorf seine Metaphorik aus dem Sprachreservoir des 18. Jahrhunderts.
Dann gibt es eine Verwendung, die man etwa als spielerisch und ironisch schwebend bezeichnen kann und die die Intention Rühmkorfs nicht ohne weiteres erkennen läßt. Dazu gehört etwa die Rede von „Gäas grüne(r) Schürze“, in der mit dem kosmologischen Mythos und dem Gedanken des Urmatriarchats metaphorisch augenzwinkernd gespielt wird. Gleichzeitig ist mit solcher Rede, die Sprachgewohnheiten und geläufige Anspielungen der erwähnten Tradition aufnimmt, sich also im Horizont der hier parodierten Vorlage bewegt, dessen christlicher Grundgehalt allerdings spielerisch verneint.
Vergleicht man nämlich die Beschreibung und Bewertung des Sterbens bei Rühmkorf:

Bis daß ich niederstürze
in Gäas grüne Schürze,
wie mir der Arsch gewachsen ist.

mit der entsprechenden Stelle bei Claudius:

Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod!
Und wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!

so wird nicht nur diese antitranszendente und damit antireligiöse Tendenz deutlich, sondern gleichzeitig eine dritte Weise, diese Archaismen zu verwenden. Sie dienen nämlich letztlich der Verfremdung, der Distanzierung durch Verschränkung mit niedriger Stillage. Der Einbruch der Drastik und der Vulgarismen signalisiert dabei regelmäßig den eigentlichen intentionalen Sinn der Texte, so auch hier konkret den der Claudius-Variation.
Die in der zweiten und dritten Zeile der ersten Strophe bereits angesprochene Distanzierung vom Himmel und seinen Gestirnen verneint ja nicht nur die Möglichkeit, den Mond als einen legitimen Gegenstand der Lyrik zu betrachten und damit gleichzeitig die Möglichkeit, die Transzendenz – und sei es auch nur in der Form friedvoller Besinnung – in das Gedicht hereinzuholen, sondern stellt dieser Verneinung das tatsächlich Mögliche im folgenden entgegen. Der apodiktischen Verneinung entspricht dabei die programmatische Neubestimmung. Wichtig ist hier festzuhalten, daß die Parodie Rühmkorfs – im Gegensatz zur landläufigen – eben deshalb Vermittlungsfunktion hat, weil sie nicht wie jene bei der bloßen Denunziation und Verspottung stehenbleibt, sondern aus der zweifelnden Befragung überlieferter Denkmuster und Sprachhaltungen neue Inhalte gewinnt, ohne die Historizität dabei aufzugeben.
Rühmkorf will angesichts des Mondes nichts einfallen, was dem ähnelt, was noch Claudius eingefallen ist. In der Parodie erscheint diese Differenz als eine geschichtliche. Die Produktivität der Variation liegt also darin, den geschichtlich bedingten Wandel im Zugriff auf das Thema zu erweisen und gleichzeitig über sie hinaus eine wiederum geschichtlich fundierte Antwort auf dies Thema zu erteilen.
Das lyrische Ich verschließt hier die Augen vor dem Mond:

Ich zieh die Tintentoga
des Abends vor mein Angesicht.

Es konzentriert sich auf seine Endlichkeit und Materialität. Gegen die bei Claudius mit dem Schlaf sich einstellende Bitte um künftiges Heil, um sanften Tod und Erlösung, gegen diese vom Bewußtsein der Endlichkeit getragene Zukunftshoffnung stellt Rühmkorf handfeste, auf die Gegenwart gerichtete Bedürfnisse. Entsprechend fällt der Ratschlag an die ,Lieben‘ sehr viel pragmatischer aus als bei Claudius. Der Mond hat jeden Ewigkeitsreiz verloren; er macht nur noch müde:

Müde des oft Gesehnen
gönnt euch ein reines Gähnen […]

Zu solcher Haltung trägt freilich auch die gewandelte Bedeutung des Mondes für den Menschen bei. Er ist nicht länger bloßes Bewunderungsobjekt für naive Einfalt, Anlaß zur Besinnung auf die Winzigkeit des vergänglichen Menschen angesichts hehrer und unverstandener kosmischer Zeitlosigkeit, sondern er ist Forschungsobjekt – Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung und damit in den intellektuellen und pragmatischen Aktionsradius des Menschen und seiner Weltbewältigung gerückt. Solche Profanisierung muß jeden Versuch verhindern, ihn länger zum Auslöser religiöser Ehrfurchtsstimmung zu machen. Mit der geschichtlich fortgeschrittenen wissenschaftlichen Zivilisation hat sich der rationale Zugriff auf die Welt auch auf den Mond erstreckt. Damit ist der Anlaß der Reflexion und diese selbst der Möglichkeit nach vernichtet.

Die Sterne rücken dichter […]

Gerade diese – wissenschaftliche – Annäherung der Gestirne rückt ja den unmittelbar sinnlich-kontemplativen Zugriff des Claudius, in die geschichtliche Ferne und Fremde. Dennoch bleibt auch diese neue Haltung wissenschaftlicher Hinwendung zum Mond nicht fraglos und unkritisch: „Laßt mir den Mond dort stehen.“ gilt ja als Mahnung nicht nur für die dichterischen Versuche der Annäherung, die an der Wirklichkeit in geradezu lächerlicher Weise vorbeiführen würden, sondern ebensogut für die der Forschung, deren Sinnhaftigkeit zumindest in Frage gestellt ist:

Was Hunde hochgetrieben?

Zwischen falscher Bescheidung und hochfahrender Euphorie sucht Rühmkorf, beides parodierend, den Weg. Er ergibt sich aus dem veränderten Bezug des Ich zur Welt, aus dem Rückzug aus der gläubig-demütigen Hinwendung an das große Jenseits einerseits und dem Verzicht auf den himmelstürmenden Tatendrang blauäugiger Fortschrittsfanatiker andererseits. Selbstbescheidung ist das Stichwort solcher Privatisierung, die sich auch hier in der für Rühmkorf typischen Weise äußert. Entsprechend trägt diese Privatisierung wie gewohnt autobiographische Züge, wenn nämlich verschiedene Anspielungen auf die Existenz als Schriftsteller anklingen.

Ich habe gute Weile,
der Platz auf meinem Seile
wird immer uneinnehmbar sein.

Die hier sich aussprechende Bescheidung in dieser Schriftstellerexistenz gewinnt freilich eine ganz andere Qualität als die demütige Bescheidenheit und Ergebenheit in göttliches Lenken bei Claudius. Sie gibt das Subjekt in seine eigene Verantwortung zurück; der Schriftsteller singt und ist notfalls ein ,Narr auf eigene Faust‘.
Diese Bescheidung auf die im Subjekt selbst liegenden Möglichkeiten der Lebensgestaltung und des Glückgewinns bleibt daher notwendig weltlich-endlich. Das Thema des ,Abendliedes‘ muß folgerichtig auf die Bedürfnisse dieser materiellen Existenz hin säkularisiert sein:

Wer salzt mir dort den Maien?
Wer sämt die Freuden an?
Wer rückt mein Luderbette
an vorgewärmte Stätte,
da ich in Frieden scheitern kann?

Mit solchen Fragen klingt auch in dieser Parodie wieder die uns schon bekannte Haltung des „asthenischen Wolfes“ an, der sich freilich seiner eigenen Schwäche bewußt bleibt. Der Rat, den diese Haltung zu geben weiß, mutet denn auch in seiner Weltlichkeit vielleicht wenig erbaulich an, ist aber immerhin wirklichkeitsbezogen und pragmatisch und insofern gewiß nicht unnütz:

So legt euch denn, ihr Lieben
und schürt, was euch ein Feuer dünkt.

Der Mond als gewöhnliche Begleiterscheinung der Nacht fordert allenfalls noch dazu auf, zu tun, was eben nachts getan wird: zu lieben und zu schlafen.

5. Der Reim als Träger der Dialektik
Während die Parodie, wie wir gesehen haben, bei Rühmkorf das dialektische Verfahren der literarischen Aneignung einer je historisch bestimmten Wirklichkeit ist, so ist vor allem der Reim poetisches Ausdrucks- und Darstellungsmittel dieser Aneignung. Insofern ist er historischer Träger solcher Dialektik. Daher kann es kaum verwundern, daß Rühmkorf in seinen Gedichten den Reim in heute ungewöhnlicher Fülle verwendet. Der periodisch aufkommende Meinungsdruck, der von Zeit zu Zeit von normativ sich gebenden Poetologien ausgelöst wird, der Reim sei hohl und preziös, habe überhaupt im wissenschaftlich-technischen Zeitalter keine historische Berechtigung mehr, hat die lyrische Arbeit Rühmkorfs nie beeinflußt. Auch hierin zeigt sich ihre Kontinuität. Die Originalität und Vielfalt der Rühmkorfschen Reimsprache verweisen dabei darauf, daß er nicht aus bloßer Konvention oder aus Verpflichtung gegenüber einer wirkungsmächtigen literarischen Tradition reimt, sondern daß dies methodisch und mit äußerster sprachlicher Bewußtheit geschieht.
Neuerdings hat Rühmkorf die Bedeutung des Reims überhaupt und für seine lyrische Produktion im besonderen auch theoretisch abgesichert, um dem Gewicht, das er der Fähigkeit der Sprache, klangliche Bindungen herzustellen, beimißt, Ausdruck zu verleihen. In seinem 1981 erschienenen Buch mit dem zunächst befremdlichen Titel agar agar – zaurzaurim, dem eine Vorlesungsreihe an der Universität Frankfurt zugrunde liegt, will er die zentrale Stellung des Reims als sprachlichen Bindemittels („Zusammenhang im Zusammenklang“) bewußt machen. Das Programm dieses Buches ist in seinem Untertitel umrissen: „Zur Naturgeschichte des Reims und der menschlichen Anklangsnerven“. Über eine breite Sammlung von Belegmaterial, das vor dem Leser stakkatoartig ausgebreitet wird, will Rühmkorf nicht nur Genese und Geschichte des Reims beleuchten, seine historischen Funktionen untersuchen, sondern seine Bedeutung festmachen an korrespondierenden Vermögen im Menschen, die ihn für das Phänomen empfänglich machen, ihn geradezu anfällig dafür erscheinen lassen. Solche Instanz sucht er in dem, was er „Anklangsnerven“ oder auch „Resonanzboden“ nennt. Ohne nun freilich ernsthaft den Versuch zu unternehmen, bestimmte Organe als Träger solch geheimnisvoller Fähigkeit empirisch namhaft zu machen, spielt er spekulativ-ironisch und metaphorisch, aber nicht ohne imponierende Überzeugungsarbeit und -kraft, mit der Möglichkeit eines solchen Vermögens.
Als jemand, der „seit längerem eine subjektive Wissenschaft“ verficht, „in der noch die allerpersönlichsten Obsessionen und Interessenverwinkelungen einen Ansatzpunkt finden, aber auch der Traum seinen Platz hat und der phantasievoll aussagekräftige Ausrutscher […]“, beginnt er mit einigen Hypothesen, die im Fortgang der Darstellung über die bloße Beleg- oder Illustrationsfunktion hinaus mehr und mehr überzeugende Beweiskraft gewinnen, ohne das spielerisch Behauptete ernsthaft als bewiesen reklamieren zu wollen. Dies liegt sicher an der Fülle des Materials und der Weite und Breite der angelegten Perspektive. Kulturhistorische, sprach- und literaturgeschichtliche, ethnographische Quer- und Längsschnitte belegen ein Phänomen, das in der Tat menschheitstypisch zu sein scheint und dessen Ursprünge in magisch-mythischem Kult, in präreflexiver Beschwörung gesucht werden. Frühgeschichtliche Weltzustände und -zugriffe, fremde Kulturkreise, abendländische Entwicklungen sind Quellen ebenso wie existentielle Früh- (Kindheit, Mutter-Kind-Beziehungen, Ammen- und Märchen-, auch Zaubersprache) und zivilisatorisch spätzeitliche Phasen (Werbung, Zerstreuungsindustrie, Medien, Sport etc.).
Bestechend wirkt diese wahrlich umfassende Theorie des Reims weniger durch ihre wissenschaftliche Methode oder ihre abstrakt argumentative Kraft als vielmehr durch die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der Assoziationen und Bezüge sich herstellen, Entwicklungslinien konturiert werden, Disparates plötzlich synthetisiert erscheint kraft der Häufung oft verblüffender Beispiele und des daraus sich ergebenden wachsenden Lesevergnügens. Der Leser wird eines Phänomens gewahr und bewußt, dessen Reich- und Tragweite er sich vorher nicht hat träumen lassen.
Geschickt verzichtet Rühmkorf auf eine voreilige Eingrenzung des Themas auf das bloß Literarische, das Künstlich-Stilisierte. Der Reim ist, so will er gerade zeigen, kein Kunst-, Muße- und Selbstzweckprodukt, sondern eine welt- und zeitenumspannende Natur- und daher auch alltägliche Erscheinung, die eben wegen der inneren Disposition des Menschen ihre Kraft im Stillen und unbemerkt entfaltet, deren Heil- und Zauberwirkung sich deshalb jedermann bedürftig erweist, niemand sich entziehen kann.
Die Darstellung engt sich schrittweise, nachdem so der Boden bereitet ist, die suggestive Häufung des Materials ihre Überzeugungsarbeit geleistet hat, auf die literarische Bedeutung des Reims überhaupt, schließlich für Rühmkorfs eigene Lyrik ein. Indem also die literarische Erscheinung des Reims lediglich als ein Sonderfall eines weit ursprünglicher-umfassenderen Phänomens begriffen ist, kann es gelingen, Notwendigkeit, Funktion und Leistung des Reims jenseits der bekannten Kategorien „Konvention“, „formale Fessel“, „überlebte Schablone“ und „verkrampftes Geklapper“ transparent zu machen. Dabei muß freilich nach Artifizialität und Originalität des Reims differenziert werden. Nur da, wo der Reim unerwartet, echt (= neu) und spontan erklingt, kann er, was er nach Rühmkorf soll: Erkenntnis stiften. Nur da ist der Reim überhaupt Reim, nur da kann er als „Zaubervers […] mehr über den Hintersinn von Kunst verlautbaren […], als nüchterne Zergliederungsprosa sich jemals träumen läßt […]“.
Nicht auf den dümmlichen Allerwelts- und Einfaltsreim einer „restaurativen Harmonielehre“, die zusammenreimt, „was tatsächlich nur noch zusammenklingt“ und die die „wirklichen Trennungsschäden einer unorganisch verrüttelten Welt großzügig übersieht“ kommt es hier an, sondern auf den echten Reim, der „ein ewig schwärender Widerstreit […] zwischen dem betörenden Vers und dem belehrenden“ ist. Der Reim stellt „gleichzeitig ein Gleichgewichtsorgan und einen Disproportionsanzeiger […]“ dar, „einen Peacemaker und einen Unruhestifter, einen Beschwörungsort und eine Beschwerdestelle, was seiner doppelten Abkunft ganz genau entspricht“.
Der Reim hat, wie an anderen Stellen hervorgehoben dialektische Funktion. Seine magische Kraft, die sich im Resonanzvermögen des Menschen entfaltet, vermag es Gegensätzlichkeit zu vereinigen und darin und dadurch Aufklärung zu leisten. Freilich darf diese Fähigkeit nicht mit ideologischer Verkleisterung, mit vordergründiger Harmonisierung verwechselt werden:

Auch das Reimgedicht kann die ungeratene Welt nicht einfach wieder zusammenreimen […]

Vielmehr muß der Reim begriffen werden als ein „Zusammenhangssimulator, der mit gutem Recht auch Desillusionsmaschine genannt werden kann.“
Dabei mißt Rühmkorf dem Reim gerade heute, in „unserem eigenen Entfremdungsjahrhundert“ entscheidende Bedeutung bei. Die unzeitgemäße Forderung einer erneuten Reflexion auf das Verhältnis von Inhalt und Form, und zwar in ihrer wechselseitigen Durchdringung und Erhellung, spricht sich in seiner These aus, daß „die Vertrauensfrage der Kunst nur gemeinsam mit der Formfrage behandelt werden kann“. Die Formfrage in der hier interessierenden lyrischen Kunst kulminiert aber in der Frage nach der Bedeutung des Reims als dem konstitutiven lyrischen Formelement. Seine Bedeutung erhält er aus dem ihn auszeichnenden Vermögen zum Paradox: Er ist in sich, so Rühmkorf, „ein Widerspruch, der sich immer neu als Coincidentia Oppositorum zu fassen sucht“, der sich darstellt als die „Wiederholung in der Unwiederholbarkeit“.
Soziologisch – aus seiner Doppelfunktion abgeleitet – geradezu begriffen als „gesellschaftliches Entfremdungsprodukt“, hat er die aufklärerische Funktion, auf „Konfrontationskurs“ zu gehen, „Querstellung zu verkörpern und noch im lieblichsten Zusammenklang Entzweiung anzuzeigen. Der Reim präsentiert sich also als die Voraussetzung seiner tieferen Qualität. Als „Zusammenhang im Zusammenklang“ bringt er durch den Zusammenhang des Klanges die Dissonanz, den Mißklang gleichzeitig zum Tönen. Das Bindevermögen des Reims ist die bloß äußere Seite seiner inneren Trennungskraft.
Dies Buch wäre nun kein ,echter Rühmkorf‘, erfüllte es nicht mindestens zwei typische Voraussetzungen: den Spaß zu implizieren als Vermittlungs- und Relativierungsfaktor und den Widerspruch zum Anlaß zu nehmen.
Das eifrige Forschen nach dem Urreim, seinen Bedingungen und seinen Wirkungen relativiert sich trotz der Betonung der ernsthaften und würdevollen Stellung des Reims in der Geschichte, indem es sich aufhebt im Vergnügen:

Einer allerletzten Wahrheit zuliebe muß ich nämlich unsern ganzen gesammelten Ernst noch einmal wieder in Frage stellen und auf jenen Rest von Narretei und Gaukelwesen zu sprechen kommen, der dem Reim anhängt wie eine unabschüttelbare Mitgift seiner zwiegebackenen Natur.

Der Reim mit seinem Janusgesicht des „Entfremdungszeugen“ und des „geborene[n] Lustgeschöpf[s]“ ist der prädestinierte Träger dialektischer Ironie und Parodie, denn „der Jux ist aus der Diabolik gar nicht wegzudenken“. Solche „heimlich gespeicherte Komik“ kennzeichnet den Reim seiner doppelten aufklärend-vergnüglichen Natur nach grundlegend; seine parodische Funktion ist Wesenszug, der erst dann „unfreiwillig mißtönig“ sich darstellt, „wenn er uns – eine Heine-Formulierung – mit ,sacerdotalem Ernst‘ aufs Fell zu rücken sucht, […], bedeutungsvollem Feiertagsglockenklang, dem sich die Narrenschelle der Parodie wie eine unerbetene Erinnerung an längst verdrängte Kindertage anzuhängen pflegt“.
Soll also die Parodie hier eben nicht zur – unbeabsichtigten Narrenschelle werden, muß sie von vornherein im Reim bewußt und gewollt sich entfalten. Dazu gehört es, „eine unironische Formulierung nie ganz ernst zu nehmen“. Ein solches Bewußtsein gehört wohlgemerkt nicht allein dem reflektiert Schaffenden an, es muß auch die Rezeption leiten und begleiten, wenn sie denn wirklich verstehend sein soll. Erst dann nämlich enthüllt sich die echte Bedeutung des Reims:

Und nichts Edleres hat er im Sinn als den Zusammenklang des tragisch Getrennten, fatal Auseinandergerissenen, umständehalber Zerteilten wenigstens für einige Atemzüge lang als möglich erscheinen zu lassen.

Rühmkorfs Buch über den Reim ist, bei aller Vergnüglichkeit, bei allem Spiel mit der spekulativen Hypothetik, ein durchaus ernstzunehmendes Buch, denn es hält sich an die von seinem Verfasser propagierte Maxime: Es enthält nämlich keine letztlich unironische Formulierung. „Der Reim ist an sich kein Thema“. So lauten die ersten Worte eines Buches, das dann diesem Unthema nahezu 160 Seiten ausschweifendster Darstellung widmet.
Damit steht auch diese Theorie des Reims quer zu gegenwärtigen Strömungen, in Widerspruch zur herrschenden Diskussion. Rühmkorf beweist wieder einmal sein unablässiges Bemühen um Aufklärung mittels dialektischen Denkens, indem er aus der Negation eines Themas gerade ein Thema – und was für eins – macht. Die Ausführungen schließen im Bewußtsein des Außenseiters, der sich mit der Einschätzung wichtiger Dinge allein weiß. Er prophezeit dem Reim angesichts der allgemeinen Ignoranz keine große Zukunft mehr und vermutet, es sei „vielleicht wirklich bald Feierabend mit einer jahrtausende alten Kunsttradition – denn daß sich aus den Anreißreimen von Kommerz und Markenwerbung einmal eine richtige Reimkultur entwickelt, ist selbst bei dem äußersten Regressionsoptimismus kaum zu erwarten“.
Direkt anschließend aber wird – in typisch Rühmkorfscher Manier – diese gerade noch resignativ und im Ton definitiver Überzeugung vorgetragene These augenzwinkernd-ironisch zurückgenommen, aufgehoben in der und für die Offenheit zukünftiger Entwicklungen, in denen vielleicht ja auch der Reimvirtuose Rühmkorf noch ein Wörtchen mitzureden gedenkt:

PS. indes, kenn einer die Nachwelt, die entwickelt manchmal seltsame Passionen.

Peter Bekes & Michael Bielefeld: Peter Rühmkorf, Verlag C.H. Beck und Verlag edition text + kritik, 1982

 

 

Hans Edwin Friedrich: Phönix voran!.  Ringvorlesung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Bernd Erhard Fischer: Peter Rühmkorf in Altona

Peter Rühmkorf-Tagung vom 23. bis zum 26.10.2009: Im Vollbesitz meiner Zweifel – Peter Rühmkorf

 

 

Gespräch I – Walter Höllerer spricht mit Peter Rühmkorf über seine Schulzeit

 

Gespräch II – Das Gespräch dreht sich um Rühmkorfs Studienzeit

 

Gespräch III und Lesung I – Peter Rühmkorf spricht über seine Zeit bei der Zeitschrift Konkret und liest Lyrik

 

Gespräch IV und Lesung II – Walter Höllerer spricht mit Rühmkorf über Politik und Rühmkorf liest Lyrik

 

Gespräch V und Lesung III – Ein Gespräch über Peter Rühmkorf als Poet und Poetologe. Noch einmal liest Rühmkorf Lyrik

 

Lesung und Gespräch VI – Peter Rühmkorf liest Gedichte aus dem Band Kleine Fleckenkunde, dann beantwortet er Fragen aus dem Publikum

 

Heinz Ludwig Arnold: Meine Gespräche mit Schriftstellern 

 

Zeitzeugen – Thomas Hocke im Gespräch mit Peter Rühmkorf (1993)

 

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Hajo Steinert: Ein Leben in doll
Deutschlandfunk, 24.10.1999

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Hanjo Kesting: In meinen Kopf passen viele Widersprüche
Sinn und Form, Heft 1, Januar/Februar 2005

Volker Weidermann: Der Eckensteher
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.9.2004

Zum 10. Todestag des Autors:

Ulrike Sárkány: Zum zehnten Todestag des Poeten Peter Rühmkorf
ndr.de, 7.6.2018

Zum 90. Geburtstag des Autors:

Stiftung Historische Museen Hamburg: Laß leuchten!
shmh.de, 20.7.2019

Julika Pohle: „Wer Lyriks schreibt, ist verrückt“
Die Welt, 21.8.2019

Vera Fengler: Peter Rühmkorf: Der Dichter, die die Welt verändern wollte
Hamburger Abendblatt, 21.8.2019

Volker Stahl: Lästerlustiger Wortakrobat
neues deutschland, 22.8.2019

Hubert Spiegel: Der Wortschnuppenfänger
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.8.2019

Anina Pommerenke: „Laß leuchten!“: Rühmkorf Ausstellung in Altona
NDR, 20.8.2019

Maren Schönfeld: Herausragende Ausstellung über den Lyriker Peter Rühmkorf
Die Auswärtige Presse e.V., 21.8.2019

Thomas Schaefer: Nicht bloß im seligen Erinnern
Badische Zeitung, 26.8.2019

Willi Winkler: Der Dichter als Messie
Süddeutsche Zeitung, 28.8.2019

Paul Jandl: Hanf ist dem Dichter ein nützliches Utensil. Peter Rühmkorf rauchte seine Muse herbei
Neue Zürcher Zeitung, 11.9.2019

 

„Laß leuchten!“ Susanne Fischer über die Rühmkorf-Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum.

 

„Laß leuchten!“ Friedrich Forssman über die Rühmkorf-Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum.

 

„Laß leuchten!“ Jan Philipp Reemtsma über die Rühmkorf-Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum.

 

„Laß leuchten!“ Ein Sonntag für Peter Rühmkorf in Marbach. Lesung und Gespräch mit Jan Wagner.

 

„Jazz & Lyrik“ – Ein Fest mit Peter Rühmkorfs Freunden

 

Fakten und Vermutungen zum AutorKLGIMDb +
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Georg-Büchner-Preis 1 & 2Johann-Heinrich-Merck-Preis +
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Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde Ohlbaum + Keystone-SDA +
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Nachrufe auf Peter Rühmkorf: Spiegel ✝ Die Welt ✝ FAZ 1 + 2 ✝
literaturkritik.de 1 + 2 ✝ Die tageszeitung ✝ Die Zeit ✝
Badische Zeitung ✝ Haus der Literatur  Tagung ✝ Stufe ✝

 

Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Rühmkorfzahn“.

 

Bild von Juliane Duda mit den Zeichnungen von Klaus Ensikat und den Texten von Fritz J. Raddatz aus seinem Bestiarium der deutschen Literatur. Hier „Rühmkorf, der“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Peter Rühmkorf

 

Film über Peter RühmkorfBleib erschütterbar und widersteh. 1/2

 

Film über Peter RühmkorfBleib erschütterbar und widersteh. 2/2

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