Peter Rühmkorf: Zu Walter Mehrings Gedicht: „Denn: Aller Anfang ist schwer“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Walter Mehrings Gedicht „Denn: Aller Anfang ist schwer“ aus dem Buch Walter Mehring: Das neue Ketzerbrevier. –

 

 

 

 

WALTER MEHRING

Denn: Aller Anfang ist schwer

Und als er an der Reling stand,
Winkt sie, die Fackel in der Hand.
aaaDa küßte er dem Riesenweib
aaaVon fern den nebelweichen Leib
Und schaut sie an.
aaaaaaDoch sie verschwand
In einer Wolkenkratzer-Wand…

Und als er die „First Papers“ nahm,
Sich brüstet als ihr Bräutigam,
aaaSich hart durch’s neue Leben schlug,
aaaIhr jeden Cent nach Hause trug –
Sie schaut nicht hin, wie er sich plagt,
Und hat sich steinern ihm versagt…

Fünf Jahre dient er um sie ab,
Schaut keine an, und lebte knapp.
aaaDoch als man in den Sarg ihn tat,
aaaGeschminkt, in seinem Hochzeitsstaat,
Da haucht sie:
aaaaaaWandre in mich ein!
Ich bin, die Freiheit, Ewig Dein…

 

Ein Leichenhemd als Hochzeitsstaat

Walter Mehrings Moritat von der Schwierigkeit des Beginnens ist ein zur Unzeit gesungenes Zeitgedicht. Es hat in den ersten Exiljahren seines Verfassers vergebens versucht, das Herz seiner Mitwelt zu rühren und ist auch später nie einem schauerlichen Vergessen entrissen worden. Dabei gehörten Mehring-Chansons wie „Heimat Berlin“, „Sechstagerennen“ oder „Wenn wir Stadtbahn fahren“ einmal zum allgemeinen urbanen Kulturbesitz, ganz zu schweigen von dem unvergänglich/-vergeßlichen Seefahrersong „Wir haben die ganze Welt gesehn / – Die Welt war kugelrund –“. Es wurde selbst zur Nazizeit unbekümmert weitergesungen, Verfasser unbekannt, aber der Wortlaut war einfach nicht totzukriegen, was für einen Shanty fast so etwas wie ein insgeheimer Gottesbeweis ist.
Das erinnert an Heines „Loreley“, und als Loreleylied läßt sich auch unser „Aller Anfang ist schwer“ verstehen, obwohl ihm bekannter Zeit- und Begleitumstände wegen ein vergleichbares Echo versagt blieb. Vor den Nazis außer Landes geflohen, vom französischen Vichy-Regime eine Zeitlang in unwürdiger Haft gehalten (unwürdig zumal für das Zufluchtsland), gelingt es dem Gejagten mit so viel Glück wie Verstand eine Passage nach Übersee zu ergattern, und da steht sie ihm eines nebelfrauen Tages beinah greifbar und doch unbegreiflich vor Augen: Die amerikanische Freiheitsstatue: ein machtvolles „Riesenweib“ und für einen den Hakenkreuzkrallen nur mit knapper Not entronnenen Dichter „die schönste Jungfrau… wunderbar.“
Daß das steinerne Sinnbild womöglich nur eine fromme Sinnentäuschung ist, läßt allerdings bereits der Schluß der ersten Strophe erahnen. Dennoch geben verzweifelte Wunschvorstellungen so leicht keine Ruhe, und wo der „Schiffer im kleinen Schiffe“ der Sirenenmusik seiner Schönen nur allzu willig erliegt, legt sich unser Mann erstmal richtig ins Zeug, seiner eigenen Angebeteten als honoriger Freier unter die Augen treten zu können. Aber Vorsicht, das Gedicht ist ein Vexiergedicht und die „first papers“ (die vorläufigen Einbürgerungspapiere) weder schon ein reelles Heiratsversprechen noch die mühsam zusammengekratzten Cents naiv für bare Münze zu nehmen.
Genauer gesagt, unser Sinngedicht spricht in verschlüsselter Sprache, und statt an money-money-money ist wohl eher an eine immaterielle Mitgift zu denken. Dazu muß man wissen, daß Mehring wie andere deutsche Kollegen für eine Zeitlang aus einem Charity-Fond der Metro Goldwyn Mayer Pictures unterstützt wurde – mit der verfänglichen Auflage, den Gedanken an Drehbücher lieber gleich zu vergessen. Das ist nun allerdings ein etwas seltsames Angebot.
Beinah schon ein Knebelvertrag. Aber wo ihm schon keine Filmscripts abverlangt werden, besinnt er sich unentmutigt auf seine alten Künste und versucht sich wenigstens als Zeitpoet in der Erinnerung zu halten. Schade nur, daß er von Berufs wegen kein gelernter Lobredner ist und sich ihm partout keine Preisgesänge auf das Gelobte Land entringen wollen. Eher geraten ihm seine lyrischen Widmungsblätter zunehmend lästerlicher („Im Reservat auf Charity gebettet“), krächziger („Du greifst, wo man die Zinsen drischt, nach tauben Halmen“) ungefälliger („Er langte nach dem Spülicht-Gold und dachte, / Was er wohl wert sei nach dem Dollarstand“), für einen Minnewerber nicht gerade die glücklichste Selbsteinführung und für einen verbotenen und verfolgten Dichter nur die Fortsetzung seiner Unheilskarriere in die wirtschaftliche und moralische Erfolglosigkeit.
Noch einmal zurück zu Heines „Loreley“ und was uns zwei seelenverwandte Dichter von zwei unterschiedlichen Scheiterkandidaten zu vermelden haben. Was uns in dem einen Lied als verführerischer Sog des Gesanges immer noch süß zu Ohren geht, liest sich in Mehrings schneidender Kontrafaktur als unendlich traurige Jeremiade von der Unwillkommenheit der Poesie. „Sag, warum schreibst du?“ – „Was schreibst du?“ – „ Du schreibst und schreibst … für wen?“, so steht es fragend und nagend in der Flüchtlingsepistel „Riverside Drive“ zu lesen, die allerletzten Dichterfragen, und für mich weit ergreifender als unser ganzes zeitgenössische Gebarme von „Tod der Literatur“. Der Schluß, wie bitter er uns ankommt, zeigt dennoch keinen Anflug von Weinerlichkeit, er gibt sich gefaßt und fängt sich in einem Bild von diabolischer Komik. Der Sterbekittel als Hochzeitsstaat des Zeitgedichts, das ist schon eine Pointe von beinah überirdischem Witz, schaurig zu Herzen gehend und zugleich ganz fürchterlich zum Lachen.

Peter Rühmkorf, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.2.2001

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