Rainer Malkowski: Gedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Rainer Malkowski: Gedichte

Malkowski-Gedichte

SPÄTER NACHRUF AUF AUDEN

Sein rissiges Gesicht: Erde
in der Trockenzeit.
Flüssig, manchmal allzusehr,
seine Gedichte.

Muß man sich nicht schämen,
weil es einem nicht
die Sprache verschlägt?

Oft,
in wütender Bewunderung
seiner Meisterschaft,
starrte ich auf das Zeitungsfoto
über meinem Bett.

Streng war ich als junger Mann −
und tadelte, wovon ich nicht
genug bekam.

 

 

 

„Hier hat es einer sozusagen auf Anhieb

geschafft. Wer wesentliche Lyriker der mittleren Generation aufzählen will, wird fortan nicht umhin können, auch Rainer Malkowski zu nennen.“ So Heinz Piontek über Was für ein morgen. Dies war das ungewöhnlich erfolgreiche Debut 1975, der Beginn einer Entwicklung, die sich stetig und unbeeinflußt von Moden und plakativ formulierten Programmen vollzog. Was für den Autor zählt, ist allein das Gewicht des einzelnen Gedichts. Das klingt selbstverständlicher, als es ist. Karl Krolow bemerkt dazu: „Man erwartet, noch unbewußt, irgend etwas Auffälliges, wenn schon nicht Reißerisches in Gedichten, die doch einen klaren Kopf, einen Sinn fürs Konkrete, für Einzelheiten, eine sensible und intelligible Potenz gleichermaßen benötigen. Über diese verfügt Rainer Malkowski seit seinem ersten Gedichtband gewiß.“ Die vorliegende Auswahl belegt diese Einschätzung und macht zugleich deutlich, warum die Neue Zürcher Zeitung schrieb: „Malkowskis Sprache ist vorbildlich einfach, von allem Überflüssigen befreit. Die Behutsamkeit seiner Wortwahl kann ihresgleichen suchen.“

Suhrkamp Verlag, Klappentext, 1989

 

Beiträge zu diesem Buch:

Charitas Jenny-Ebeling: „Schöne Genauigkeit, Schwester…“
Neue Zürcher Zeitung, 1.9.1989

Heinz Piontek: Brandung in den Bäumen
Rheinischer Merkur  / Christ und Welt, 13.10.1989

 

Rainer Malkowski: „Warum schreibt man überhaupt Gedichte?“

Weil man das Bedürfnis hat, es zu tun. Und warum hat man das Bedürfnis? Das weiß ich nicht. Den meisten Menschen fehlt dieses Bedürfnis, und sie leben deswegen weder glücklicher noch unglücklicher. Talent ist keine Erklärung für das Verlangen, Gedichte zu schreiben. Vielleicht ist Talent auch nur ein anderes Wort für ein spezifisches Bedürfnis – für ein bestimmtes, zwanghaftes Wollen, das durch seine Entschiedenheit zu einer Form kommt.
Oft halte ich das Schreiben von Gedichten für eine nutzlose Beschäftigung und manchmal sogar für eine Art Verrücktheit. Aber es geschieht auch, daß ich stolz darauf bin, das Nutzlose zu tun und etwas herzustellen, das keinen gesellschaftlich verfügten Zwecken dient.
Wenn ich Gedichte schreibe, fühle ich mich intensiv am Leben. Ich vergewissere mich der Wirklichkeit, indem ich sie zur Sprache bringe. Bis zu einem gewissen Grad, denke ich, steckt die Wirklichkeit in den Worten, aber sie tritt nur in Erscheinung, wenn es gelingt, die Worte in einer bestimmten Ordnung zusammenzufügen. Das Auffinden dieser Wort-Konstellation, des verbalen Beziehungssystems, in dem Wirklichkeit vielschichtig, also in unbeantwortbare Fragen mündend, zur Anschauung kommt – das ist das Abenteuer. Mit jedem einzelnen Gedicht ist es neu zu bestehen.
Es gibt immer wieder Phasen, in denen ich keine Gedichte schreiben kann. Dann fühle ich mich reduziert, unvollständig, nicht auf der Höhe meiner Lebensmöglichkeiten. Das Leben selbst rückt fern. Auf die früher geschriebenen Gedichte blicke ich in solchen Dürrezeiten zurück wie auf die Fußspuren eines fremden Wesens.
Zum Schreiben gehört die Erfahrung der Ohnmacht. Aber in glücklichen Augenblicken ist es die Lust, etwas zu machen, in dem sowohl die Welt als auch ich selbst auf geheimnisvolle Weise anwesend sind – durch nichts als eine Handvoll Wörter. Und das zugleich ein Drittes ist, ein Ding für sich, mit eigenem Atem.
Ob dieses ,Ding für sich’ auch tatsächlich entsteht, liegt letztlich nicht in meiner Hand. Es muß sich ereignen. Eine angeborene Wahmehmungsdisposition, Arbeit und künstlerisches Kalkül schaffen Umstände, die das Eintreten des Ereignisses begünstigen, herbeizwingen können sie es nicht. Zwischen den bloß gut gemachten Gedichten und jenen, die sich ereignen, weil das Wichtigste unversehens hinzutritt, ist zu unterscheiden.
Auf die kleine Zahl von Gedichten der zweiten Kategorie, die einem möglich ist, schreibt man zu. Und man liest sich immer wieder an sie heran. Schriftsteller sind ja zunächst Leser – ein Leser sein oder, noch früher, ein Hörer von Geschichten, das stand am Beginn. Und der Nachahmungstrieb, der das Schreiben mit in Gang setzte, verliert sich auch beim erwachsenen Autor, der längst seinen Ausdruck gefunden hat, nie ganz. Nun ist er allerdings auf das Wesen der Sache gerichtet, auf ihre prinzipielle Qualität, und nicht mehr auf eine individuelle Erscheinungsform. Auch das spielerische Element verliert sich nicht, das dem Schreiben von Anfang an beigemischt war. Manches unterläuft aus Kritzelsucht, beginnt unbestimmt und schweifend und weil es ein sonderbares Gefühl im Magen oder in der Kehle verursacht, einen Bogen weißes Papier mit Buchstaben zu bedecken. Man muß sich deswegen nicht genieren. Der Kopf, hier anderen Körperteilen nachgeordnet, hat später noch genug zu tun.

aus: Christof Kneer: Rainer Malkowski. Neue Objektivität in der Lyrik. Monographie zu Leben und Werk Rainer Malkowskis, Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, 1997

 

MALKOWSKI

Seine Augen hinter immer
dickeren Gläsern
liebten das zuletzt noch Sichtbare
notfalls ein Feuer bei Tisch
das seine Zigarette entflammte
Das ich löschte
mit Wein aus seinem Glas

Harald Hartung

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv + Kalliope + KLG
Porträtgalerie
Nachrufe auf Rainer Malkowski: NZZ ✝ FAZ ✝ literaturkritik.deTagesspiegel

Walter Helmut Fritz: Ein leises Echo des entschwundenen Lebens
Stuttgarter Zeitung, 3.9.2003

Albert von Schirnding: Gehen und Sehen
Süddeutsche Zeitung, 3.9.2003

Zum 10. Todestag des Autors:

Hans-Dieter Schütt: Glücklich im Bahnhofsrestaurant
neues deutschland, 31.8./1 9 2013

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