Reinhard Priessnitz & Johanes Zechner: Blaue Lauben

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Reinhard Priessnitz & Johanes Zechner: Blaue Lauben

Priessnitz/Zechner-Blaue Lauben

DIE ERMÜDETE NACHT

manchmal hab ich grosse schwere
in der fühle, so in der fühle so,
wenn das leichte etwas wieder und
wieder als etwas leichtet lastet:
mancmal han ic suo bleierne swere
in der fruo und wers niamer fruo
wenn das liachde tsu und tsu leichd
dunkl wigend, etwan als ob ich swere:
manchmal, mit der leichten habe,
und schwer grösser die früh, fühl ich,
wenn wieder das lastende bleit
und bleit und bleibt etwas als etwas:
manchmal hätte ich die leichte grösse
in der schweren fühle, belastet,
das frühe, das etwas, das bleibende,
das blei, als das etwas, das wieder als frühe,
als last, schwer bleibt, die wiege,
habe das licht, etwa, das idiotische
licht, wie es sich gross fühlt!
manchmal in dieser grossen fühle
leuchtet leicht etwas als bleibend,
aber sehr dunkel. schwirre schweres!
idiotisch, zu und zu, frühes blei!
manchmal hätte ich das wiegend leichte,
das wieder und wieder als etwas als
etwas schwert, und das licht fühlt, früh,
hätte ich schon groß das blei, manchmal.

 

 

 

Im Fall des Falles

Gewiß habe ich ihn nicht besser gekannt als die meisten, die meinen, ihn gut gekannt zu haben. Das sogenannte literarische Leben (was immer man darunter versteht) war, als wir miteinander umgingen, auf einige wenige Möglichkeiten und Anlässe beschränkt. Man begegnete sich also unwillkürlich (und das heißt: ob man es wollte oder nicht) und immer wieder.
Jene notorische langjährige Nichtbeachtung, unter der andere zu leiden hatten, ist ihm erspart geblieben. Er war nach seinem ersten Hervortreten in der literarischen Öffentlichkeit gewissermaßen vom Fleck weg präsent. Ohne daß man zunächst sonderlich viel über ihn wußte, galt er als ungemein (also faktisch: gemein) begabt, überaus belesen und überhaupt in vielem kompetent. Er kannte sich aus, wenn er (eher selten) von sich einmischte. Wenn er etwas sagen wollte, tat er es freundlich schmunzelnd, aber so, daß man nicht recht wußte, ob er es wirklich meinte. Er war keiner, der andere zertrümmerte (wie etwa sein Freund Hermann Schürrer), doch ließ er, auf seine Weise, hartnäckig von dem nicht ab, was er „vorzubringen“ hatte. Wie zum Beispiel in seinem denkwürdigen Beitrag zum in die Geschichte des Wiener Aktionismus eingegangenen ZOCK-Fest im „Grünen Anker“: Als Mr. Message verlas er halblaut eine „Hymne auf ZOCK“ und brachte den brodelnden Saal zum Überkochen (wie es keine vorausgegangene Provokation des Abends vermocht hatte). Semmelknödel wurden geschleudert, die Polizei rückte mit Diensthunden an.
Hartnäckig war er, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Zum Beispiel verwickelte er mich in ein stundenlanges Gespräch, das die gesamte Bahnfahrt von St. Veit an der Glan bis nach Bruck/Mur dauerte. Es fand an der Tür zur Zugtoilette statt, wohin mich Priessnitz zunächst einmal begleitet hatte. Zuvor hatte es (in St. Veit an der Glan) ein von mir für die Österreichische Gesellschaft für Literatur mitorganisiertes Dichtertreffen gegeben. Alles hatte sich eingefunden, was damals in der neuen österreichischen Literatur von Peter Handke bis Thomas Bernhard Rang & Namen hatte. Das einheimische Publikum reagierte verschreckt, insbesondere Priessnitz schmeckte den Kärntnern nicht. Ein Protestbrief ist mit noch gut in Erinnerung. Eine enttäuschte Literaturfreundin schilderte ihre Eindrücke. Und speziell zum Priessnitz-Auftritt meinte sie: zuletzt sei dann ein abstoßend schmutziges Subjekt aufs Podium gekommen und habe ein abstoßend schmutziges Gedicht gelesen, „und froh fuhr ich heim in mein reines Gailtal.“
Priessnitz, von den Auguren des Betriebs freundlich geduldet, wurde von den „Jungen“ respektiert. Man mochte ihn und half ihm nach Kräften, verschaffte ihm in einer Situation, in der für neue Literatur kaum was zu lukrieren war, immerhin Chancen für redaktionelle Mitarbeit. So werkelte Priessnitz (mehr gelegentlich als angelegentlich, versteht sich) in der Redaktion der eben erst zum Erscheinen gebrachten Zeitschrift Literatur und Kritik, bei Nennings „Neuem Forum“ oder im Vorstand der Grazer Autorenversammlung (die er mitbegründet hatte). Er veröffentlichte, nicht allzu häufig, aber immerhin, in Zeitschriften und Zeitungen und hätte dort wohl noch viel öfter und mehr veröffentlichen können, wenn er es darauf angelegt hätte. Er ließ sich aber, auch wenn man ihn noch so drangsalierte, zu nichts drängen und tauchte, wie ich es öfters so erfahren habe, im Fall des Falles regelrecht unter. Bei Lebzeiten hat er lediglich den Band mit den vierundvierzig gedichten in Heimrad Bäckers edition neue texte herausgebracht, der als erster Band der posthumen fünfbändigen Gesamtausgabe der Schriften figuriert. Ein Essay-Band war ihm verbindlich zugesagt, doch hat er das Manuskript dazu nie zusammengestellt, geschweige denn geliefert. Für das, was er selber verfaßte, hatte er höchste Ansprüche. Die es miterlebt haben, wissen, wie skrupulös er sich und seine Meinungen absicherte und zwanghaft differenzierte. Als fertig ausgegebene Manuskripte wurden nicht abgeschickt, weil sie nie geschrieben worden oder in den Anfängen steckengeblieben sind. Obzwar man dermaßen in ihm jemand hatte, auf den man sich ganz bestimmt nicht verlassen durfte, hat ihm das aber niemand nachgetragen.
Schon deshalb nicht, weil die Literatur (damals wie heute) keineswegs als auch nur einigermaßen ersprießlicher Beruf angesehen und ausgeübt wurde. Wo man im Grunde nichts zu bieten hat, kann man nichts verlangen. Damals (wie heute) galt Literatur, so wie Priessnitz sie im Sinn hatte, als Liebhaberei, welche sich die Zuständigen mit Preisen und Stipendien vom Leib halten. Deshalb (aber nicht nur deshalb) kamen für solche Literatur größer konzipierte Vorhaben (wie etwa Romane) nicht in Betracht. Vielmehr waren es, wie bei Priessnitz, bemerkenswerte Versuche in die verschiedenen Richtungen, bei denen es darum ging, sich mit Sinn und Aufgabe, Art und Weise des Schreibens und den diesbezüglichen eigenen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Erst ziemlich im nachhinein zeichnet sich ab, was damals bei wem und wie wesentlich und womöglich sogar zukunftsträchtig zugange gewesen ist. Man riskierte und „experimentierte“ also je nachdem und für sich hin.
Was sich um und mit ihm in dieser bewußten Hinsicht getan hat, kann man ermessen, wenn man in den fünf Bänden seiner Gesammelten Schriften blättert und das dort zu Tage Gebrachte bedenkt und entsprechend vergleicht. Auf seine bestimmte Weise war Reinhard Priessnitz Dichter, aber zugleich auch ein Schriftsteller, der die Notwendigkeit literarischen „Vorkommens“ erlebte und damit seine liebe Not hatte. Ohne groß anzuecken, aber irgendwie seine Façon zu haben. Es war nicht viel, was ihn dabei im weiteren „bestätigte“. Trotzdem hat er es nicht schlecht vermocht, sich mit dem, was er war und wollte, freundlich (ja sogar freundschaftlich) zu arrangieren.
„Wer spricht vom Siegen, Überstehen ist alles“, könnte Rilke dazu zitiert haben: bei einem der selber gern und oft zitierte: berühmte Gedicht-Zeilen (etwa von Benn) oder aus jenem Vokabular, das damals in den fortschrittlichen Kreisen zirkulierte wie zwischen Anführungszeichen, Die Tatsache, daß er vieles intensiv gelesen hatte, manch einen mit dessen Meinen durchschaute, war eines. Das Hauptsächliche, das Verfassen dichterischer Texte, passierte (nie recht wahrgenommen und geachtet) wie nebenher und zwischendurch: Seine standpünktlichen Äußerungen zu Literatur und Kunst waren das, was allenfalls von ihm begehrt (und verwendet) wurde. Also entstanden ab und an (aber immer wieder) originelle Texte über gut Bekannte und ihre Hervorbringungen. Wobei Priessnitz beachtlich sicheres Gespür dafür bekundete, was wesentlich und wichtig unterwegs war. Zu den ortsansässigen Aktionisten ist er gestoßen, als noch niemand außer Polizei und Ordnungshüter sich ihrer annahmen. Einen Beitrag zu einer ersten Publikation über die frühen surrealistischen Zeichnungen Rainers bewerkstelligte er als „Zetterl-Interview“. Des öfteren mogelte er sich aus der Kunstbetrachtung in eine Schilderung von Vorkommnissen (so wenn er mit dem Zeichner Schönwald durch die Wiener Beisel-Szene unterwegs war oder den Maler Ringel 1967 zu einer kuriosen Ausstellungseröffnung nach Linz begleitete). Priessnitz äußerte sich über Fotografen und Fotografie, über die „Dinger“ eines Gerhardt Moswitzer, zu Franz West und den Künstlern aus Gugging – Längeres (zum Beispiel über die Bilderwelt Kurt Kocherscheidts), zumeist aber eher Knappes und Lakonisches. Priessnitz schrieb und lieferte, was man zumeist dringend von ihm haben wollte, so er dazu einigermaßen aufgelegt war. Wie über das eben in Schwung gekommene Österreichische Filmmuseum, Texte, in die er je nachdem seine Ansichten und Überzeugungen einschmuggelte, Freundschaftliches über Freunde und (immer wieder) über Arnulf Rainer und das Theater eines Hermann Nitsch. Man sollte aber diese Aufsätze (oder was immer sie sind) nicht unterschätzen. Sie ergänzen und füllen nicht nur das literarische Schaffen, sondern bilden, so man sie im Zusammenhang überblickt und bedenkt, eine gewisse Kontinuität von Person und Persönlichkeit.
Trotz der fünfbändigen Werk-Ausgabe ist Priessnitz, vom gängigen Literaturbetrieb nicht wirklich entdeckt, weit, so er für diesen überhaupt vorkommt, unter seinem tatsächlichen Wert gehandelt. Zumal, wenn man das, was er (naturgemäß im großen Ganzen bruchstückhaft) hinterlassen hat, mit dem vergleicht, was an neuer österreichischer Literatur zwischen Bachmann und Bernhard zur Kenntnis genommen wird und für eine akademische Auseinandersetzung in Frage kommt. Noch immer ist, was Reinhard Priessnitz trotz allem Wenn & Aber geschaffen hat, ein Terrain für Spezialisten, höchst beachtlich für (allerdings nicht wenige) Freunde und wenige (aber dafür ins besonders anhängliche) Bewunderer. Was indessen die Zuversicht nicht ausschließt, daß seine Zeit (vielleicht schon bald einmal?!) noch gehörig kommen wird.

Otta Breicha, Vorwort

Sehen und Lesen ist nicht ein und dasselbe

– Johanes Zechner – Reinhard Priessnitz. –

Bilder lesen sich nicht wie ein Gedicht. Einen Roman betrachtet man nicht wie ein Bild. Sehen und Lesen sind zwei unterschiedliche Arten des Intellektualisierungsprozesses. Sie folgen verschiedenen Wahrnehmungsmustern. Bilder kann man mit einem Blick erfassen, Literatur hingegen nur über den linearen Prozeß des Lesens von Wort zu Wort aufnehmen. Was aber, wenn diese unterschiedlichen Wahrnehmungsformen aufeinandertreffen, wenn der Text ins Bild rutscht oder die Malerei Literatur durchdringt?
Als Anfang der 80er Jahre eine neue österreichische Malergeneration den Kunstmarkt mit figurativ-expressionistischen Bildern überflutete, versuchte auch Johanes Zechner die zeitgenössische Kunstentwicklung zu stimulieren. Er tat dies jedoch aus der Position eines Einzelgängers heraus, der mit Moden und Trends nichts zu tun haben wollte. Johanes Zechner wurde zu Beginn seines künstlerischen Werdegangs mit dem sogenannten ABC-Zyklus von 1982 bekannt. Er kann als der Durchbruch zu Zechners eigener Bildsprache angesehen werden. Bei dem ABC-Zyklus wurde jeweils ein Vokal oder Konsonant als kleinste Einheit des Wortes in changierende Farbgründe eingebettet – frei von den Zwängen der Rechtschreibung und Grammatik. Zechners Buchstabenbilder sind Mandalas für das Auge, magisch-malerische Ruhepunkte einer Informationsgesellschaft, die über den Daten-Highway mit sich selbst verkehrt. Die ABC-Bilder schwelgen nicht in Redseligkeit, sondern artikulieren sich wortkarg mit Buchstaben. In ihnen drückt sich etwas von dem Widerstand gegen den Disziplinierungscharakter der Sprache aus, dem Schulanfänger ausgesetzt sind und von dem sich Johanes Zechner bedroht fühlte. Die Gestaltung des Kataloges als Schulheft erinnert daran.
Buchstaben, Worte und Sätze, kurz gesagt, Texte stellen im Schaffen von Johanes Zechner ein Leitmotiv dar. Die künstlerische Entwicklung vom Buchstaben zum Wort und vom Wort zum Satz und vom Satz zum Textbild wurde durch die Literatur des Schriftstellers Peter Waterhouse mit beeinflußt. Zechners Auseinandersetzung seit 1983 mit Prosa und Poesie von Waterhouse kommt in den Katalogen etwa darin zum Ausdruck, daß er seinen Bildern Gedichte von Waterhouse gegenüberstellt oder diese im Abbildungsteil einreiht. Umgekehrt schrieb Waterhouse zu Werken von Zechner Gedichte.
Anders als dieser interaktive Prozeß einer gegenseitigen Annäherung verläuft Zechners Beschäftigung mit dem 1985 verstorbenen Wiener Dichter Reinhard Priessnitz kommemorativ. Mit Priessnitz, der stets die Nähe zu den bildenden Künstlern suchte, hatte Zechner seit Anfang der 80er Jahre Kontakt. Aus dieser Zeit stammt auch Priessnitz’ einziger Prosatext über den Maler: „Narziß und Echo auf dem Papier“. Zechners erste künstlerische Auseinandersetzung mit Priessnitz geht auf das Jahr 1995 zurück, als er für das Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal ein modernes Pendant zu dem mittelalterlichen Adelheid-Kreuz malte, in das er das Gedicht „white horse song“ einfließen ließ.
Die enge Beziehung zwischen Schriftstellern und Künstlern ist für die Entwicklung der Kunst im 20. Jahrhundert entscheidend gewesen. Dies belegt beispielsweise die stimulierende Rolle, die Apollinaire für die Kubisten, Marinetti für die Futuristen, Tzara für die Dadaisten oder Breton für die Surrealisten verkörperten. Mit Blick auf das (Œuvre von Johanes Zechner läßt sich festhalten, daß er durch seine posthume Beschäftigung mit Reinhard Priessnitz wichtige Impulse für das eigene Schaffen erhalten hat.
Was die überwiegend in den 90er Jahren entstandenen Textbilder zu einer eindrucksvollen Werkgruppe verbindet, ist die auffällige Textdichte gegenüber Arbeiten aus früheren Bilderzyklen, wie zum Beispiel den sogenannten Gedichten (1987) oder den Koffer-Arbeiten (1985-94), die sich, auch wenn sie Worte oder Kurztexte aufnehmen, am Rande von figurativen und abstrakten Motiven bewegen. Für den Priessnitz-Zyklus, an dem Zechner seit 1997 arbeitet, hat er den Band vierundvierzig gedichte (1978) als Inspirationsquelle herangezogen und etwa die Hälfte der darin veröffentlichten Poeme in die Welt der Bilder übertragen. Einer Revelation kam für den Künstler dabei der „white horse song“ gleich. Das Gedicht „Orvieto“, das mit dem bedeutsamen Vers „in schrift sei eine inschrift eintrompetet“ beginnt, spielt für Zechner ebenfalls eine zentrale Rolle. Ihm widmete er 12 resedagrüne Gemälde. Sie bilden den Nukleus der umfangreichen Priessnitz-Serie von mehr als 50 Werken in verschiedenen Formaten.
Während bei den älteren Arbeiten die Literatur innerhalb des Bildes einen bestimmten Platz zugewiesen bekam, sind die Textzeilen beim Priessnitz-Zyklus im Sinne des All-over über die gesamte Fläche gespannt. Sie bilden das graphische Netz auf zumeist pastellfarbenen, zuweilen silbrig schimmernden Untergründen. Unterfangen oder überspielt wird die Beschriftung von Pinselzeichnungen, die sich entweder unmittelbar auf das Zitat beziehen, wie etwa die synchronen Ruderer in Meer Meer (1997), oder abstrakte Äquivalente darstellen wie in Weiße Zeit (?) (1998).
Zechner geht mit der lyrischen Sprache von Priessnitz aber auch frei um. Er blendet ein paar Zeilen als Textbalken in seine Kompositionen ein oder malt drei Gedichttitel als Worttriade: Triest, Rose, Orvieto (1997). Es kommt vor, daß Zechner nur die Kehrreime anführt oder einzelne Schlüsselworte herausgreift. Umgekehrt zitierte er das Liebesgedicht „reise“, zu dem er eine besondere Affinität verspürt, in seiner ganzen Länge. In dem gleichnamigen Bild trug Zechner den Text nicht mit Farbe auf, sondern ritzte ihn mit dem Pinselende in die feuchten Farbschichten, so wie Verliebte ihre Gefühle in Baumrinden verewigen. Mit seinen plastischen Aspekten greift diese „Inschrift“ auf haptische Erfahrungen zurück, die Zechner schon 1987 bei seinen sogenannten Blindenschrift-Zeichnungen gemacht hat. Damals legte er mit dem Graphitstift ein visuelles Zeichensystem über die gestanzte Brailleschrift. Aus der Überlagerung von „Sinnschichten“ wurde später Überblendung. In Am offenen Meer (1998) vermischen sich drei graphische Ebenen, die sich auf den ersten Blick einem Verständnis entziehen. Das Priessnitz-Anagramm „schlafe falsche flasche“ zerlegte Zechner in einzelne Buchstabenbilder, die er bei der Hängung wieder zu Worten zusammenfügt.
Johanes Zechners Gemälde setzen die Tradition einer Liaison von Bildender Kunst und Literatur in unserem Jahrhundert fort, die zahlreiche Erscheinungsformen der gegenseitigen Durchdringung und Steigerung hat. Die Maler brachten mit der Schrift ein zusätzliches Zeichensystem in ihre Bildgattung ein. Umgekehrt suchten die Literaten immer wieder nach Möglichkeiten, ihrer Sprache einen ergänzenden visuellen Ausdruck zu verleihen. Die Ikonisierung von Sprache ist eine davon. – Nach 1900 begann die Literarisierung, die Lingualisierung der Malerei, vereinfacht gesagt, mit den kubistischen Textstilleben à la Picasso und wurde als futuristischer Sprachstrudel (z.B. Carrà), in den Wortbildern des Dadaismus und Surrealismus (z.B. Picabia, Magritte), in den Leuchtschriften der Pop-Kunst (z.B. Rauschenberg), in den linguistischen Untersuchungen der Art & Language-Group bis hin zu den mit Hilfe von Texten umschriebenen Kunstwerken der Konzept-Kunst (z.B. Kosuth, Weiner) immer wieder thematisiert. In radikaler Konsequenz dieser wechselseitigen Annäherung bis in unsere Gegenwart präsentiert sich „Literatur“ als Werk der Bildenden Kunst und das „Bild“ als literarische Formulierung. – Johanes Zechners Textbilder sind dieser Entwicklung hin zur Textmalerei, wie sie seit Beginn der Klassischen Moderne ihren Lauf genommen hat, zuzuordnen, auch wenn sie sich dieser nicht unterordnen. Mit seiner Sicht auf das Reich der Bilder und die Welt der Literatur spitzt er die Auseinandersetzung von Bild und Wort am Ende dieses Jahrhunderts noch einmal zu.
Johanes Zechner verwendet Worte, Sätze und Texte als künstlerische Strategie: zur Steigerung seiner Malerei und als Versuch, diese zu überschreiten. Mit Hilfe des Textes strukturiert Zechner seine Bildkomposition, indem er ihn zum Blocksatz zusammenfaßt, ihn als Rahmenform einsetzt oder zur Organisation der Fläche über den Farbfond laufen läßt. Die Texte, die Johanes Zechner in der langwierigen und im Vergleich mit den Möglichkeiten der neuen Medien umständlicheren Eitemperamalerei auf die Leinwand setzt, sind die Ergebnisse eines Prozesses, im Laufe dessen sich der Maler für neue Ausdrucksformen öffnet. Wenn Johanes Zechner dabei Literatur heranzieht, dann vor allem deshalb, weil er darin jene „innere Wirklichkeit“, jene Erfahrung wiederfindet, die er in seinen früheren Bildern wie etwa dem Gedicht-Zyklus (1987) oder den auf der Ausstellung „Wien B“ (Chemnitz 1993) präsentierten Triptychen mit mehr oder minder einfachen Zeichen, dafür aber reich gesättigten Farbfeldern auf die Leinwand bannte. An die Stelle der graphischen Elemente aus Zechners früheren Werken treten jetzt die Druckbuchstaben; der Text erscheint. Die Auswahl der Zitate kann nach dem Prinzip der „glücklichen Zufälle“, wie es der Künstler beschrieben hat, zustande; „glücklich“ daran ist, daß die Zitate Themen behandeln, die für Zechner relevant sind. Die ausgesuchten Verse und Strophen ergeben keinen Zusammenhang. Der Bilderzyklus erzählt keine zusammenhängende Geschichte. Statt dessen schildert er Erlebnisse, Beobachtungen, gibt Reflexionen wieder.

Die Texte in Zechners Werken sind weder gesprochene Worte noch freie Rede. Sie sind nicht geschrieben, sie verraten keine Handschrift, sie sind überhaupt nicht im herkömmlichen Sinne „Schrift“. Sie sind lesbarer Text. Als Maler schafft Zechner auf der Leinwand ein farbiges Milieu. Als Zeichner setzt er mit dem Text Zeichen. So wie der Buchstabe in seiner Vereinzelung in den bereits erwähnten ABC-Bildern Schrift und Bild in einem war, so hat der Textkorpus bei den Gemälden die Doppelfunktion von Zeichensystem und Prosa beziehungsweise Lyrik. Johanes Zechner ist fasziniert von der Idee, diese beiden Fäden – den visuellen und den literarischen – zu verknüpfen und dabei die ästhetische Konvention in Frage zu stellen. Die Literatur gelangt über das Visuelle zum Malerischen. Ihr Inhalt tritt zurück, wenn er nicht gar entwertet wird. Umgekehrt legt die Farbfeldmalerei mit dem Text die Beschränktheit ihrer eigenen Mitteilbarkeit offen. Über die Priessnitz-Zitate rührt sie erneut an den Grenzen der Narrativität. Anders formuliert: Johanes Zechner hat den Text aus seiner durch das Lesen diktierten Zweckbestimmung befreit. Sprechen seine Textbilder deshalb zu allererst zum Betrachter und erst dann zum Leser? Ich meine ja, denn die Sprache der Farben, Formen und Zeichen richtet sich primär an das Auge.
Johanes Zechners Zugang zur Literatur ist kein wissenschaftlicher. Er nähert sich der Prosa und Poesie wie jemand, der um die Magie der Syntax weiß und sich deshalb vor ihr hütet. Anders als sein ausdrücklich „zwangloses“ Verhältnis zu Buchstaben ist seine Beziehung zur Sprache, wie er meint, „problematisch“. Diese schwierige Beziehung zum gesprochenen Wort steckt hinter Zechners Beschäftigung mit Literatur im allgemeinen und mit Priessnitz im speziellen. Sein „sprechender Spiegel“ (Priessnitz) ist deshalb die Malerei.
Johanes Zechner erweitert seine Bilder um die Literatur, öffnet seine Gemälde für den Text. Als artfremdes Element migriert Literatur durch seine Malerei und erhält im neuen Medium ein Gastrecht, ein Aufenthalts- und Existenzrecht. Der gewaltfreie Einbruch von Sprache in die materielle Praxis von Malerei und ihr Vorhandensein in den Gemälden verwischt die Grenze von Bildender Kunst einerseits und Literatur andererseits. In den Bildern Zechners ist der Text kein Asylant, dem die Abschiebung droht. Literatur wird hier nicht nur toleriert, ihr wird ein eigener Platz eingeräumt beziehungsweise zugewiesen. Die Malerei assimiliert den Text, macht sich mit dem ihr Fremden/Anderen vertraut. Gerade dadurch aber werden Zechners Gemälde auch für ein literaturbeflissenes Publikum interessant.

Astrit Schmidt-Burkhardt, Nachwort

 

Reinhard Priessnitz’ Gedichtband vierundvierzig gedichte,

1978 als einziges Buch des Dichters zu dessen Lebzeiten erschienen, ist längst in den Rang eines Klassikers gerückt, ohne das Entwicklungen späterer Dichtung nicht denkbar wären. Insbesondere bei Schriftsteller- und Künstlerkollegen wirkt das schmale Œuvre des 1985 verstorbenen Autors in diversen Formen fort.

Seit 1995 hat nun der Kärntner Maler Johanes Zechner, der bereits mit Peter Waterhouse eine beispielhafte Form der Kollaboration zwischen Bild und Text gefunden hat (1993–1995), zwanzig Gedichte von Reinhard Priessnitz in seine Malerei „übersetzt“.

Literaturverlag Droschl, Ankündigung, 1998

 

1

im fleisch geschrieben ins fleisch geschrieben
fleisch schreibt die schleife des fleisches,
das feilschen, das falsche fleisch
die flasche

schleif den schlaf
die falsche flasche,
den falschen schlaf
falsch geschliffen

gibs auf gibs drauf gib auf
das schlaffe fleisch,
die schleife schlaf

im schlaf geschrieben ins fleisch
geschliffen die schleife der flasche,
schlaf, drauf gibs auf geschrieben aus

gips auf gips geschrieben aufs fleisch
der flasche, aus schlaf flaschen, auf der
schleife des fleisches drauf, aus,

alles feilschen falsch fälschen
alles falsch.

(nach Reinhard Priessnitz )

Eckhard Rhode

 

MARE NOSTRUM, ZU REINHARD PRIESSNITZ

auf hoher odyssee uns endlich wieder sehn,
dies mittelmeer jetzt um so mehr erkunden.
da uns in allgemeinen nöten angetroffen,

generisch loten aus uns hieroglyphen,
ob auch in seichten spässen falscher noten
nie ganz entwunden sind. so schwer jedoch die see,

in den verstössen uns in einem boot und tief
aus einem mund empfunden: von grund auf offen,
stehn zu geboten euch, in wasserattributen,

kommun den flutgefässen. da dies in tränen riefen,
ja triefen oder troffen, mehrmals die botschaft
versenden, dass gemeinsam über-, untergehn,

so trunken von den blössen, die hier gaben.
in fluten abgesoffen, sind uns bald entschwunden.
als unsern stiefel doppelt liess rebooten

dass auf ein neues nasser in den stoffen segeln,
die runden drehn, in einem fort uns sputen.
uns das geschehen umso krasser einzuflössen.

auf alten rauten damit nichts bewenden liessen,
da nicht den regen nur, auch traufen spenden,
ob noch im schroffen oder bald im guten:

nein, am trocknen allein sich nichts vollenden liess,
daher nun auch in euren namen das erhoffen,
worauf des ozeans totenstillen stets beruhten.

Franz Josef Czernin

 

Fakten und Vermutungen zum Künstler

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + ÖM + KLG +
Archiv 1 & 2Internet Archive
Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde Ohlbaum + Keystone-SDA

Nachrufe auf Reinhard Priessnitz:

Hans Haider: Im Wenigen die Fülle
Die Presse,  7.11.1985

Jörg Drews: Mit Spott gegen Sentimentalität
Süddeutsche Zeitung, 9./10.11.1985

Schuldt: Radikaler
Die Zeit, 15.11.1985

Felix Philipp Ingold: „Und stirbt bei vollem Licht“
Neue Zürcher Zeitung, 19.11.1985

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