René Hamann: berge und täler, davor männer und frauen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von René Hamann: berge und täler, davor männer und frauen

Hamann-berge und täler, davor männer und frauen

DIESSEITS DES KANALS

ich komme ins material, ich schweige mich aus
ein ortungssystem, ein schiffsfahrschein
in den händen ein beleg, in den augen dein rock
hält sich an die StVO, nachmittagsfahrt, rechts
vor links. ein panorama, ein abbild, diesseits des
aaaaakanals
bin ich ein schatten, der sich langsam auf uns legt

 

 

 

Überschärft …

wie mit der Photoshop-Filter-Funktion „unscharf maskieren“ bearbeitet und hernach in der Ebenenfunktion mittels „multiplizieren“ vereint: Dermaßen stehen die Kulissen-, die Figuren-, Handlungs- und möglicherweise Erinnerungsebenen der Gedichte des 1971 in Solingen geborenen, in Emmerich am Rhein aufgewachsenen und in Berlin lebenden René Hamann zueinander: Das eine scheint durch das andere hindurch, stärkt und dunkelt es zugleich: Alles ist Hinter- und alles ist Vordergrund, wie eine der zahllosen, nur noch am Dialektfirnis erkennbaren, in Berlin gelebten Heimaten. Und keineswegs selbstverständlich ist seine „Provinz“ das Thema dieses Lyrikers. In fassbinderschen und brinkmannschen Traditionen stehend, erdet oder „reduziert“ Hamann die einzelnen Ge-Schichten immer wieder auf das Weiß der Hintergrundebene: Eine Technik, die die Pointen („im unterstand jeder mensch / ein bett, mancher nur ein halbes“) vieldeutig verschleift oder sie wie in Lütticher Str. 58 („erzähl mir, woher ich dich kenne / deine muttermale sagen mir nichts“) mit den oft sprechenden Namen – wie gesagt – überschärfter Ortsbestimmung konfrontiert. Es sind Gedichte, die es gar nicht erst versuchen, sich den Perversionen der Zusammenhänge (z.B. von Erscheinung und Verschwinden, von Meinung und Farbe, von Name und Funktion) zu entziehen, sie der Ebene des Sprechens anzuverwandeln. Es sind Gedichte, die mich, den Lesenden, dazu provozieren, die eigenen längst von negativer Gravitation dominierten Zusammenhänge wachzurufen, und sei es nur, um wiedermal nach-zusehen, was richtig ist und was falsch.

S. Anderson, Gutleut Verlag, Ankündigung

 

„Ein Fax aus dem Befindlichkeitsbüro“

– Porträt mit viel Musik. –

Der Lyriker HEL stellte vor einigen Jahren in dem nicht mehr existierenden Periodikum Impressum die streitbare These auf, daß der Popmusiker der bessere Lyriker sei. Eine These, die, wenn man die Texte von Bands wie Tocotronic, Blumfeld und anderen als Beispiele heranführt, nicht mehr allzu streitbar wäre. Genau dies sind die Zeilen, die hin und wieder als literarisches und Pop-Material bei René Hamann aufgerufen und bearbeitet werden. Als Beispiel schwingt bei René Hamanns Gedicht „diesseits des kanals“ Tocotronics Songtitel „Jenseits des Kanals“ mit, und die ersten drei Zeilen dieses Gedichts könnten in ihrem Rhythmus mit den Texten früher Blumfeld-Songs in Verbindung gebracht werden.

DIESSEITS DES KANALS

ich komme ins material, ich schweige mich aus
ein ortungssystem, ein schiffsfahrschein
in den händen ein beleg, in den augen dein rock
hält sich an die StVO, nachmittagsfahrt, rechts
vor links ein panorama, ein abbild, diesseits des kanals
stehe ich als schatten, der sich langsam auf uns legt

Hamanns Gedichte jedoch allein auf eine Popmusik-Sozialisation zu beschränken, wäre falsch. Seine Gedichte sind in städtischen Räumen, auf Straßen, in Wohnungen, in Büros, auf Partys, in Beziehungskisten verankert. Da wird aufs Gerede geachtet, Zeitung gelesen, werden Bewegungsabläufe beobachtet, wird auf zwischenmenschliche Interaktionen sensibel reagiert, wobei das lyrische Ich zurückgenommen wird, bis es gar nicht stattfindet („ich komme ins material, ich schweige mich aus“). Aus diesem Sammeln kommen Inhalte, die zwar dicht am Leben und Erleben des Autors sein mögen, aber textuell eine allgemeinere Stoßrichtung verfolgen. Seine Gedichte scheinen sich wie voyeuristische Flaneure in der gesellschaftlichen Realität zu bewegen, ohne sie allerdings zu verachten, zu verschweigen oder zu verschönern, nur wenden sie die Strategie der Ironie an, jawohl, René Hamann ist nämlich der Hochsprungweltmeister der Ironie, eine Ironie, die mal feiner, mal grob daherkommt, ohne aber in Zynismus oder Schenkelklopfer zu münden. Wie sonst kann man Gedichten die Titel „befangen im eigengeräusch“ oder „diese lampe ist sehr ich“ verpassen, oder seinen ersten Gedichtband Neue Kokons (Lyrikedition 2000, München, 2003) nennen [die in dem Buch Neue Kokons versammelten Gedichte haben den Siegener Lyriker Crauss so beeindruckt, daß er in seinem neuen Buch Alles über Ruth (auch: Lyrikedition 2000, München, 2004) viele Gedichte Hamanns als Ausgangs- und Bearbeitungsmaterial benutzte]. Bei Hamann wird man auf keine Naturgedichte, keine ruhigen Beobachtungen oder gar metaphysischen Erhebungen stoßen, auf kein Wortgeklingel, das einer Schreibästhetik unterliegt und dadurch unfähig wird, Inhalte zu transportieren. Es findet sich in vielen seiner Gedichte ein Stakkato-Tonfall, wie in „zweite ode“: „blumenmuster, urige szene, flackerlicht / von bogenlampe, selbstdarstellungsmittel“, doch läßt er das Gedicht dann erstaunlich und ruhig mit „ihr name steht wieder nicht drin“ plötzlich als Sehnsuchtstext ausklingen. In vielen seiner Gedichte werden immer wieder Begriffe aus Film, Funk und Fernsehen genutzt, ohne eine Art von medialem Overkill anzuprangern. Viel mehr ist wie in „ode an die schauspielerin“ das Leben der Dus und Ichs (hier einer Schauspielerin) zu illustrieren und gegen eine weitere Umwelt, Umgebung abzugrenzen, die unerreichbar aber beeinflussend in einer Ferne existent ist. Eine Körperlichkeit, die in den Texten meistens ausgespart ist, wird dann in wenigen Gedichten wie in „vivre sa vie“ in den Zeilen „ein kanarienvogel, dem ich nachstaune / während du eine kirsche isst, zu sehen / wie etwas in dir verschwindet“ um so beeeindruckender und nachbleibender. René Hamann wurde am 23.8.71 in Solingen geboren. Nach Stationen in Leichlingen und Emmerich am Rhein und Abitur und Zivildienst zog er 1992 nach Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie studierte. In dieser Zeit machte er Bekanntschaft mit Ingo Jacobs, Thorsten Krämer und anderen Kölner Schriftstellern, 1995 folgte die erste Lesung sowie die erste Zeitschriftenveröffentlichung. Seitdem veröffentlicht er regelmäßig in Zeitschriften, Anthologien, im Rundfunk wie im Internet. Seit 2001 arbeitet er verstärkt als freier Autor und auch Journalist, erst für den Musiksender VIVA, dann für Deutschlands größte Musikmesse Popkomm, und seit 2002 schreibt er regelmäßig Musikkritiken für die Popkulturzeitschrift Spex. 2003 zog er nach Berlin um, wo er zunächst als technischer Übersetzer arbeitete, und im Prenzlauer Berg wohnt. Zudem verstärkte er seine journalistischen Arbeiten, die er für die taz, die Berliner Zeitung u.a. schreibt. In seiner letzten veröffentlichten Biografie heißt es auszugsweise:

Jetzt lebt er in Berlin, ist ledig und hat keine Kinder. Er ist Nichtraucher, arbeitslos und manchmal Journalist.

In seiner Kölner Zeit tauschte er sich auf einer „round-about“ getauften Homepage mit anderen Kölner Autoren aus. Mittlerweile ist er eines der aktiven Mitglieder des www.forum-der-13.de, einem losen Zusammenschluß junger deutscher Schriftsteller. Unter der genannten Internet-Seite lassen sich immer wieder neue Gedichte und Kurzprosatexte von ihm lesen. Eine Miniatur-Prosa-Reihe, die er dort in losen Abständen veröffentlichte, ist nun gebündelt in seiner ersten Prosa-Veröffentlichung, nämlich in dem schmalen, unbedingt zu empfehlenden Heftchen Das Mädchen und die Stadt (www.sukultur.de, 16 S., 1 Euro!!!) erschienen. Mit dieser wunderbaren, humorvoll-komponierten kleinen Prosa im Kopf bin ich sehr gespannt auf seinen Roman, an dem er gerade arbeitet. René Hamann, das war der Mann, der in einer kleinen Kölner Bar, seitlich des Tresens hinter zwei Plattentellern stand und Musik auflegte. Die war größtenteils deutschsprachig und erinnerte mich zwangsläufig an das, was ich daheim im Musik-Regal zu stehen hatte. Das war ein gutes Kennenlernen. Ach ja, noch was zum Steckbild:

Augenfarbe grün, Haarfarbe dunkelblond, Sternzeichen Löwe, Körpergröße 186 cm

Björn Kuhligk, Ostragehege, Heft 36, 2004

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + literaturport

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