Robert Desnos: Die Quellen der Nacht

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Robert Desnos: Die Quellen der Nacht

Desnos/Ludwig-Die Quellen der Nacht

EPITAPH

Ich bin der Tote, der durch jene Zeiten schritt.
Vor tausend Jahren. Aufrecht und gejagt.
Das Menschliche, von Mauern war’s umragt.
Vermummte Sklaven rings – ich lebte mit.

In jenen Zeiten lebte ich – lebt ich frei.
Mein Auge sah die Erde, es sah zum Himmel auf,
Ich sah, wie alles kreiste, ich sah den Wasserlauf.
Die Blüte gab den Honig, der Vogel zog vorbei.

Mit alledem, ihr Menschen, was fingt ihr damit an?
Die Zeit, in der ich’s schwer hatt’, tragt ihr sie noch im Sinn?
Sät ihr die Saat gemeinsam und erntet jedermann?
Ist sie durch euch jetzt schöner, die Stadt, aus der ich bin?

Ihr Lebenden, ich leb nicht, ihr braucht nicht bang zu sein.
Mein Leib, er lebt nicht weiter, mein Geist nicht, nichts, was mein

Übersetzt von Paul Celan

 

 

 

Nachwort

„Robert Desnos, dieser eigentümliche moderne Magier, trägt in jeder Falte seines Hirns fremde Schiffe.“ Diese Worte André Bretons, des zeitweiligen Mitstreiters und späteren Gegners, des führenden Vertreters der surrealistischen Bewegung, charakterisieren Werk und Persönlichkeit des Dichterfreundes in wichtigen Punkten. Nicht nur, daß Desnos die Bilder vom Meer, von den Schiffen und Sirenen immer wieder in die Zauberformeln seiner Poesie einschloß – sein ganzes Leben war ein Aufbruch zu stets neuen Ufern. Er erhoffte sich davon exotische Abenteuer, Liebe und zunehmend Menschlichkeit. Mit einigen Gleichgesinnten die Tiefen des Unterbewußten, die Ungewißheit der Träume erprobend, schritt er der Wirklichkeit entgegen. Die ihm Enttäuschung brachte, Erfolg, Verzweiflung, Glück und zuletzt grausamen Tod. Es erscheint besonders tragisch, daß er in dem Augenblick sterben mußte, da sein Schmerzensweg durch die faschistischen Konzentrationslager beendet war.
Die Poesie war ihm nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Der Vater, von Beruf Bratkoch, hatte eine Händlerstochter geheiratet und es zu einigem Ansehen gebracht. Er erblickte im Sohn den Nachfolger und wollte ihn nach den überlieferten Normen erziehen. Arbeit, Sparsamkeit, Ordnung hießen die Begriffe, die das Leben der im übrigen republikanisch gesinnten Familie Desnos regulierten. Robert, am 4. Juli 1900 in Paris geboren, sollte dementsprechend eine höhere Schule besuchen und sich auf eine gutbürgerliche Laufbahn vorbereiten. Doch Fleiß und Disziplin waren nicht seine Sache. Mit Mühe hielt er die Schülerexistenz bis zum siebzehnten Lebensjahr durch, dann versuchte er auf eigenen Füßen zu stehen. Er wurde Gehilfe bei einem Drogisten, übersetzte Prospekte für eine pharmazeutische Firma, arbeitete als Privatsekretär. Er überwarf sich mehr oder weniger mit seiner Familie und suchte sich eine eigene Unterkunft.
Allerdings waren die frühen Jahre keineswegs ohne den Einfluß der Literatur vergangen. Victor Hugo mit den Elenden gehörte zu den bevorzugten Autoren, der Abenteuerschriftsteller Gustave Aimard, Jules Verne und mancher andere. Die Gestalten berühmter Bildgeschichten prägten sich dem Kind ein: Nick Carter, Buffalo Bill und vor allem ein unbesiegbarer Gentleman-Verbrecher namens Fantomas. Die in den dreißiger Jahren für das Radio geschriebene, gruslig-komische Ballade gleichen Titels knüpft hier an. Unterschiedlichen Ganges durchwandern Piraten und Abenteurer die Bücher des Poeten.
Andere Anregungen fürs Schreiben (ab 1916 etwa entstanden erste Verse, notierte und deutete er Träume) gaben die Dichter: Rimbaud, Baudelaire, Lautréamont, Mallarmé, Apollinaire. Die Bekanntschaft mit ihrem Werk war durch verschiedene Umstände begünstigt. Einerseits wuchs Desnos im Viertel um die Rue Saint-Martin auf, das mit seinen alten Bauten (bis hin zur Kirche Notre-Dame), mit seinem Geruch nach Mittelalter den Geist des Kindes für düstere Wunder und romantische Phantasien aufschloß, andererseits fand der junge Mann bei den Poeten jene Lebenshaltung, zu der auch er sich hingezogen fühlte. In einer Zeit, da durch den Weltkrieg die scheinbar sicheren Werte in Frage gestellt wurden, faszinierte ihn besonders der geniale Außenseiter Rimbaud. Die Spur des „Trunkenen Schiffes“ zieht sich durch sein gesamtes Schaffen.
1920 war Desnos bereits ein Dichter; er hatte unter anderem „Le Fard des Argonautes“ („Der falsche Glanz der Argonauten“) geschrieben, ein Poem, das 1930 die wichtige Sammlung Corps et biens (Mit Mann und Maus) einleitete, und „L’Ode à Coco“ („Die Ode an Coco“). Nach einem zweijährigen Militärdienst in Marokko stürzte er sich mit neuem Elan ins Leben. Er wurde mit Schriftstellern wie Breton, Aragon, Tzara bekannt und bald einer der hingebungsvollsten Verfechter des Surrealismus. Für diese Bewegung, die den zerstörerisch-wilden Dadaismus ablöste, aber seine ungebärdige Revolte gegen die Gesetze und Maßstäbe der alten Welt fortführte, schien der Dichter wie geschaffen. Der Surrealismus wollte das Individuum „aus den Zwängen der Gesellschaft“ befreien, es unter den „verstümmelnden Tabus“ hervorziehn, zu einer „neuen Deklaration der Menschenrechte“ gelangen. Das freilich keineswegs durch politische Organisation, sondern durch den Gebrauch der reinen Phantasie, die dem Realismus entgegengesetzt wurde. Breton und seine Mitstreiter strebten nach dem „Überwirklichen“, das aus dem Unterbewußtsein geholt werden sollte. Rational konnte und durfte dabei nicht vorgegangen werden, aber der Traum, durch Freuds psychologische Untersuchungen zu neuem Ansehen gelangt, schien ein großartiges Mittel. Der Träumer Desnos, der sich nach Aussagen seiner Freunde fast jederzeit in Trance versetzen und so die „tieferen Wahrheiten“ ans Licht holen konnte, stand dabei in vorderster Linie.
Die Gedichte der beginnenden zwanziger Jahre sind davon geprägt, man lese „Nachtwind“, „Eines Tages des Nachts“ oder „Isabelle und Marie“ aus der 1923 entstandenen „Langage cuit“ („Gesottene Sprache“). Ein typisches Beispiel für den Sprachautomatismus stellen auch die zuerst in der surrealistischen Zeitschrift Litterature erschienenen Sprüche über „Rrose Sélavy“ (1922/23) dar. Dieser Titel schließt das Wort Rose und die Wendung „C’est la vie“ („So ist das Leben“) ein, und er bezieht sich auf ähnliche Wortspiele des dadaistischen Malers und Poeten Marcel Duchamp.
Selbstverständlich sollten derartige Experimente keinen eindeutigen Sinn vermitteln, sondern der Imagination Raum geben. Gewissermaßen nebenbei springen aber die surrealistischen Losungen ins Auge, die da Aufruhr heißen, sexuelle Befreiung, Narrheit, Selbstmord oder „Werken am Weltenende“.
Desnos blieb ein Suchender. Er erstrebte die Verwandlung der Welt durch Poesie, ließ drastischen Humor aufblitzen oder gestand in Prosagedichten um Tod und Liebe („Deuil pour deuil“, „Trauer um Trauer“, 1924) seine Verzweiflung: „Ich stoße mich ununterbrochen an unlösbaren Problemen.“ Er bekannte sich zur allumfassenden Revolution und war an den Kämpfen und Skandalen der Surrealisten beteiligt. Sein Buch La Liberté ou l’amour (Freiheit oder Liebe, 1927) wurde wegen „sexueller Anstößigkeit“ auf Gerichtsbeschluß verstümmelt. Den Lebensunterhalt verdiente sich der Autor in diesen Jahren als Buchhalter, Sekretär einer medizinischen Buchhandlung, Journalist. Er schrieb nicht nur für La Révolution Surréaliste, sondern auch für „normale“ Zeitschriften, deren Charakter er durchaus einzuschätzen wußte: „Wird eine Zeitung etwa mit Druckerschwärze gemacht? Vielleicht – aber man schreibt sie vor allem mit Erdöl, Margarine, Glanzlack, Kohle, Baumwolle, Kautschuk … wenn nicht mit Blut.“
1925 verliebte sich Desnos in eine Kabarettsängerin, die allerdings nichts von ihm wissen wollte. Diese Leidenschaft regte ihn zu einigen seiner schönsten Gedichte an: „Ich habe so sehr von dir geträumt“, „Niemals eine andere als du“ (Les Ténèbres, Finsternisse, 1927). Erst als Yvonne Georges 1930 starb und er Youki kennenlernte, eine Frau, die seine Liebe erwiderte, tauchte er langsam aus der Verzweiflung empor. Wenn „The night of loveless nights“ („Die Nacht der lieblosen Nächte“, 1929) noch das Scheitern beschwor, die Grausamkeit der Frauen anklagte, so sprach aus „Siramour“ (1931) bereits die Hoffnung.
In diesen Jahren löste sich der Dichter vom Surrealismus, der freilich auch aus dem späteren Werk nicht wegzudenken ist, und verband seine Poesie mehr und mehr dem realen Leben. Die Zeitumstände trugen dazu bei: die heraufziehende faschistische Gefahr, die Klassenauseinandersetzungen in Frankreich; und die Tatsache, daß Desnos mehr und mehr politisch dachte. Wenn er nicht, wie seine Freunde Aragon und Eluard, direkt zur kommunistischen Bewegung stieß, so stand er doch auf der Seite des Mannes von der Straße. Des „Mannes mit rotzigem Charakter“ zwar, des „Ohne-Hals“, aber eben jenes, der geduckt wurde und rebellierte. Auch das Folkloristische hatte ihn immer interessiert, er kannte sich in der populären Musik aus, begeisterte sich nach einer Kuba-Reise (1928) für die lateinamerikanischen Rhythmen. 1936 kam die Volksfront zur Macht, Franco fiel ins republikanische Spanien ein – Desnos schrieb Gedichte wie „Die Menschen der Erde“ oder „Über sich“, die er unter dem Titel Les Portes battantes (Schlagende Türen, 1936) sammelte. In dieser Zeit arbeitete er als Redakteur beim Rundfunk; er verfaßte insgesamt an die dreitausend Werbesprüche. Er versuchte sich auch als Autor von Funksendungen und Filmszenarien. 1942 vereinigte er seine in den dreißjger Jahren entstandenen Gedichte in dem Band Fortunes (Glücksfälle). In einer Fußnote dazu erklärte er, daß er „auf der Suche nach einer poetischen Sprache“ sei, „die zugleich volkstümlich und genau ist“. „Zwischen Desnos und Majakowski liegt kein allzu breiter Graben“, schrieb später Pierre Berger, der dem Dichter eine ausführliche Biographie widmete.
Fortunes, das war noch die Vorkriegspoesie, aber sie erschien bereits in der Zeit der Okkupation. Desnos stellte sich der Herausforderung des Faschismus, er nahm an der illegalen Arbeit teil, veröffentlichte unter verschiedenen Decknamen Gedichte der Abrechnung: „Dieses Herz, das den Krieg gehaßt“, „Der Wächter vom Pont-au-Change“. Er konnte nicht wissen, daß ihm nur noch wenig Zeit zum Leben blieb, aber er nutzte sie. Neue Bände entstanden: Etat de veille (Wachzustand), 1943, Contrée (Gegend) und Le Bain avec Andromède (Das Bad mit Andromeda), beide 1944; daneben ein Roman über Drogensüchtige, Kindergedichte und weitere Filme. Im Februar 1944 wurde Robert Desnos verhaftet; ein Kurier der Widerstandsgruppe, der Desnos angehörte, war von den Nazis gefaßt worden und hatte seinen Namen preisgegeben. Zunächst in französischen Lagern interniert, blieb ihm die Deportation nicht erspart. Vor seiner bevorstehenden Festnahme war er gewarnt worden, er hätte sich verbergen können, aber er fürchtete, Youki zu gefährden. Es begann der entsetzliche Leidensweg, der ihn über Auschwitz, Buchenwald, Flossenbürg, Flöha nach Theresienstadt führte. Diese letzten Monate im Leben des Poeten waren gewiß die furchtbarsten. Am 3. Mai 1945 – die Rote Armee und tschechische Partisanen hatten Anfang April die faschistischen Henker verjagt spürten ein tschechischer Student und eine Krankenschwester inmitten der ausgemergelten, todkranken oder sterbenden Häftlinge den Dichter auf, dessen Namen sie in den Gefangenenlisten entdeckt hatten. Desnos war dem Tod nahe, aber bei Bewußtsein, ihm blieben einige Tage, in denen er seine wiedergefundene Freiheit zur Kenntnis nehmen, sich unterhalten und neue Träume erdenken konnte. Am 8. Juni fünf Uhr morgens starb er infolge der Torturen und der Unterernährung.
Desnos war mutig, Aussagen von Häftlingen, die überlebten, bestätigen es. Er versuchte andere aufzurichten, schmiedete Pläne bis zuletzt. Eluard sagte: „Von allen Dichtern, die ich kannte, war Desnos der unmittelbarste, der freieste, ein Poet immer voller Inspiration, der sprechen konnte, wie wenige Dichter zu schreiben vermögen. Er war der tapferste aller Menschen.“
Der Mann, in dessen Poesie der Tod so häufig mitschwingt, glaubte an die Zukunft und die Menschlichkeit, er hat eindrucksvolle Gedichte hinterlassen, die wie „Epitaph“ oder „Morgen“ von seiner Besorgnis und von seiner Hoffnung künden.
Er war einfach, doch nicht simpel, das schlicht Poetische in seinem Werk hat überlebt und das Wundersame, das beweist auch diese Auswahl. Eine Auswahl, und das sei am Schluß erwähnt, die vor einigen Jahren von einem anderen Dichter konzipiert wurde, von Paul Wiens. Wiens hat wesentliche Teile aus Desnos’ Werk ins Deutsche gebracht, leider konnte er diese Aufgabe nicht mehr zu Ende führen. Da ich vor mehr als zwanzig Jahren als einer der ersten in der DDR einige Gedichte des französischen Poeten übersetzen durfte, bot es sich an, daß ich die Arbeit abschloß. Über die Wertschätzung für Desnos hinaus möchten der Verlag und der Autor dieser Zeilen durch den Band auch die Leistung von Paul Wiens würdigen.

Klaus Möckel, Nachwort, April 1984

 

Robert Desnos (1900–1945),

außerhalb Frankreichs bisher nur wenig bekannt, zählt indessen mit Aragon und Eluard zu den Großen der fanzösischen Lyrik dieses Jahrhunderts. „Ohne Robert Desnos… sind die Epoche des Surrealismus und die Zeit der Résistance nicht zu denken“, schrieb ein Kritiker, und Paul Eluard, der Freund, sagte von ihm: „Von allen Dichtern, die ich kannte, war Desnos der unmittelbarste, der freieste, ein Poet, immer voll Inspiration, der sprechen konnte, wie wenige Dichter zu schreiben vermögen. Er war der Tapferste aller Menschen.“
Begabt mit unerschöpflicher, überschäumender Phantasie, sensibel für das Ungewöhnliche und Geheimnisvolle wie für das Einfach-Alltägliche, gleichermaßen Träumer und Phantast wie Aufrührer und Rebell, schließt sich Desnos den Surrealisten an und wird zu einem ihrer hauptsächlichen Anreger. Später, als die Bewegung zu erstarren droht, beschreitet er eigene Wege. Auf der Suche nach der wahrhaften Dichtung strebt er nunmehr eine Poesie an, die „einzig, umfassend, allen offen“ ist, und deren Vokabular „gleichzeitig volkstümlich und treffend“ sein soll. So spannt sich folgerichtig der Bogen seines lyrischen Schaffens von den Sprachexperimenten der „Rrose Selavy“ und der „Gesottenen Sprache“ bis hin zu den Widerstandsgedichten der letzten Schaffensperiode.

Verlag Volk und Welt, Begleitzettel, 1985

 

Delirierend und Hellsichtig

– Halbschlafträume und die falsche Schachtel Schokolade: Robert Desnos. –

Die Befreiung des KZ Terezín/Theresienstadt kam für Robert Desnos zu spät. Zwar erlebte er sie noch, doch starb er, erschöpft und typhuskrank, nur wenige Wochen danach: der Dichter, den André Breton im ersten Manifest des Surrealismus (1924) als denjenigen bezeichnete, der „der surrealistischen Wahrheit vielleicht am nächsten“ gekommen sei.
Seine Tätigkeit im Résistance-Netz Agir hatte er lange tarnen können. Am 22. Februar 1944 wird er in Paris von der Gestapo verhaftet. Am 4. und 5. März muß er zwei Verhöre über sich ergehen lassen, am 20. März wird er in das Lager Royallieu bei Compiègne im Norden von Paris verbracht. Am 27. April gehört er zu einem Gefangenenkonvoi von 1.700 Menschen, der am 30. April Auschwitz erreicht. Da beginnt eine qualvolle, über ein Jahr dauernde Odyssee von KZ zu KZ. Am 12. Mai 1944 wird er nach Buchenwald verfrachtet, am 25. Mai nach Flossenbürg, am 2. Juni in das Lager Flöha in Sachsen, wo die Häftlinge für die Messerschmitt-Werke arbeiten müssen.
Mithäftlinge berichteten nach dem Krieg, Desnos habe während der Zeit der Zwangsarbeit außerordentlichen Mut gezeigt und sei seinen Leidensgenossen mit Solidarität und Würde beigestanden. Er versuchte sie aufzuheitern, las aus ihren Handlinien und sagte ihnen ein erstaunliches (und irreales) Schicksal voraus. Am 14. April 1945 wird Flöha vor der vorstoßenden Roten Armee evakuiert, ein Teil der vom Gewaltmarsch erschöpften Häftlinge kommt am 7. Mai im KZ Theresienstadt an, das von der SS bald darauf, beim Anrücken der Alliierten, ebenfalls aufgegeben wird. Desnos überlebt die Befreiung nur kurze Zeit und stirbt am 8. Juni 1945.
Aufgewachsen war der 1900 geborene Desnos im Pariser Hallenviertel, wo sein Vater dem Wild- und Geflügelmarkt vorstand. Mit sechzehn verließ er die Familie, trieb sich in Anarchistenkreisen herum und landete 1919 bei der Literatur, bei den Dadaisten natürlich. Einige seiner ersten Gedichte unter dem Titel Prospectus verbinden witzige bis absurde Sprach- und Gedankenspiele mit Werbetexten, Slogans von Aushängeschildern und Prospekten, offiziellen Losungen aus der Alltags- und Bürowelt, die im Kontext des Gedichts plötzlich neue Schwingungen erhalten („Es ist verboten auf den Boden zu spucken“, „Eintreten ohne zu klopfen“, „Wenn Sie Schokolade möchten, werfen Sie zwei Sous in den Automaten“ u.ä.).
Im Jahr 1922 nimmt er an den Hypnose- und Halbschlaf-Experimenten der Surrealisten um André Breton teil und gilt sehr schnell als das begabteste Medium für die in diesem Kreis gehätschelten Traumreiche und Bilderströme, die direkt aus dem Unbewußten hervorfließen sollen. Das Foto von Desnos, der mit halbgeschlossenen Augen in einem Sessel liegt und sich ungehemmt den heranströmenden Bildern aussetzt, ist eine surrealistische Ikone. Auch später wird er ein treuer Traumnotierer sein, als ein Sekretär des Unbewußten die ungefilterten Botschaften fortschreibend.

Eros ist das Leben
Darüber hinaus war er ein überzeugter Erotiker. Ebenfalls 1922 erscheint in der Zeitschrift Littérature seine bizarre Sammlung von sprachspielerischen Aphorismen, Kalauern und abstrusen Verballhornungen unter dem von Marcel Duchamp geliehenen Titel „Rrose Sélavy, der sich leicht als „Eros c’est la vie“ entschlüsseln ließ. Vieles ist hier, wie die Franzosen sagen, „nicht sehr katholisch“. Im Jahr 1923 schreibt er für den Couturier und Sammler Jacques Doucet den Traktat „De l’érotisme“. Das Buch La Liberté ou l’amour! von 1927 wird in einem Prozeß als obszön beurteilt und gemäß Gerichtsbeschluß von den schlimmsten Stellen gesäubert. Das Reich des Eros wird für Desnos immer auch ein Reich der Freiheit bleiben.
Und das Reich der Sprache. Kein anderer Surrealist besaß so viel Sprachwitz und einen solchen Spieltrieb, so viel Nähe auch zur französischen Volkssprache mit ihren ausdrucksstarken, saftigen – und vergänglichen – Redewendungen und Bildern. Darin war Desnos ein getreuer Abkömmling des Hallenviertels geblieben. Noch in den späten „Réflexions sur la poésie“ vom Januar 1944 findet er nach all den surrealistischen Anstrengungen um eine Genealogie des Surrealismus zu Góngora und Nerval zurück, zu den mittelalterlichen Gedichten François Villons, zu dessen krudesten und schwierigsten, in die Sprache der Diebe verschlüsselten Jargon-Balladen:

Diesen geheimnisvollen Bereich… fühle ich hinter Nerval, von dem man wieder auszugehen hätte, um sich von Mallarmé, von Rimbaud, von Lautréamont zu befreien. Doch die Tore zu diesem Bereich werden sich vielleicht nur mit einem Wort aus Villons Jargon-Balladen öffnen lassen.

Dieselben Reflexionen sprechen noch einmal von der Freiheit der Poesie, die ohne Scham und ohne Grenzen sich äußern soll:

Die Poesie kann von allem in aller Freiheit sprechen.

Eine Einschränkung will er dennoch machen:

Die Poesie kann dies oder das sein. Sie muß nicht unbedingt dies oder das sein… außer: delirierend und hellsichtig.

Delirierend ist Desnos’ Poesie geblieben. Und hellsichtig – auch im politischen Sinne – der Poet selber. Als André Breton, Louis Aragon und Paul Eluard 1927 ihren Beitritt zur kommunistischen Partei Frankreichs verkünden, beharrt Desnos auf der Unvereinbarkeit von freier surrealistischer Betätigung und militanter Aktion im Rahmen einer Partei. Die dichtenden Kollegen suchten für die surrealistische Revolution eine Entsprechung im politischen Kampf und hätten gern die ganze Gruppe der Surrealisten unter die Fittiche des PCF bugsiert. Desnos verweigerte sich diesen Absichten, und 1929 kommt es zum Bruch. Als 1930 das zweite Manifest des Surrealismus erscheint, ist Desnos von dem gewohnt päpstlich sich gebenden Breton bereits exkommuniziert. Der paradoxerweise im selben Jahr erscheinende Gedichtband Corps et biens versammelte noch einmal eine Desnossche Hochblüte surrealistischer Gedichte von 1919 bis 1929.

Frei sein
Zur selben Zeit von Desnos’ Weigerung und dem letztlich selbstprovozierten Ausschluß aus der Gruppe der Surrealisten beweihräuchert Louis Aragon im sowjetischen Rundfunk (und bald darauf in seinem Gedicht „Präludium zur Kirschenzeit“) das „bewundernswerte Reinigungswerk der GPU“, will sagen: der Stalinschen Folter- und Erschießungsmannschaft in der Moskauer Lubjanka. In Hymnen auf den „genialen Stalin“ zur Zeit des Terrors und der großen Moskauer Schauprozesse 1936 bis 1938 wird sich Aragon noch einmal übertreffen wollen. Manches an dieser Verblendung streifte die Verblödung: Der Stalinschen Verfassung von 1936 wird Aragon im „unermeßlichen Schatz der Kultur der Menschheit“ den ersten Platz einräumen und ihren „geistigen Gehalt“ über die Werke Shakespeares, Rimbauds, Goethes und Puschkins stellen…
Desnos kroch keinem der Totalitarismen dieses Jahrhunderts auf den Leim, zu sehr war der magische Bereich der Poesie für ihn mit der Idee der Freiheit – in jedem Sinne – verbunden. Seit 1933 beunruhigt über den Aufschwung des Faschismus in Europa, stand er 1936 auf der Seite des Front populaire und des republikanischen Spanien und verwahrte sich weiterhin gegen totalitäre Dogmen, woher sie auch stammten. Im Jahr 1941 polemisierte er gegen den Nazisympathisanten und antisemitischen Geiferer Louis-Ferdinand Céline und fand seinen Weg zur Résistance. Das Nachwort seiner Sammlung Etat de veille (Wachzustand) von 1943 schließt mit dem Satz:

Letztlich ist es nicht die Poesie, die frei sein muß, sondern der Dichter.

Gerade Aragon war es, der Jahre nach dem Krieg dem ehemaligen Surrealistenkollegen Robert Desnos in seinem Opus Les Poètes (1960) mit dem Gedicht „Complainte de Robert le Diable“ ein Denkmal setzte – und sich dabei Desnos’ Freiheitssinn und dessen Legende recht unverfroren aneignete. Es wurde 1971 von dem Chansonnier Jean Ferrat vertont und lag mit seiner wuchtigen Anfangszeile „Tu portais dans ta voix comme un chant de Nerval“ und dem hämmernden Refrain „Je pense à toi Desnos“ in aller Ohren:

Je pense à toi Desnos qui partis de Compiègne
Comme un soir en dormant tu nous en fis récit
Accomplir jusqu’au bout ta propre prophétie
Là-bas où le destin de notre siècle saigne

Ich denk an dich Desnos der du wegfuhrst von Compiègne
Wie du uns eines Abends im Schlafen erzählt hast
Um bis zum Ende deine eigene Prophezeiung zu erfüllen
Dort wo das Schicksal unseres Jahrhunderts blutet

Desnos’ Dichtung der dreißiger Jahre ist geprägt von der Liebe zu seiner Frau Youki (ein Gedichtband heißt Youki 1930 Poésie), die als seine „Sirène“ auftaucht und als eine ebenfalls begabte Träumerin. Aufzeichnungen ihrer Träume wechseln in der Sammlung Les nuits blanches (1932) ab mit den Gedichten und Chansons von Desnos. Als Rundfunkjournalist, Musik- und Filmkritiker bringt sich Desnos bis zum Krieg über die Runden. Mit der Zeitgebundenheit und Vergänglichkeit – auch von poetischen Texten – erklärte sich Desnos zutiefst einverstanden. Noch im Januar 1944, im Monat vor seiner Verhaftung, in den „Réflexions sur la poésie“:

Die größten Namen unserer Epoche (ich spreche von den Dichtern) haben keine Garantie, daß sie über einen Platz auf dem dritten Bücherbrett in der Bibliothek eines neugierigen Gebildeten im Jahr 2000 hinauskommen werden. Das hat im übrigen nicht die geringste Wichtigkeit. Große Dichtung darf notwendigerweise aktuell sein, Gelegenheitsdichtung… sie kann also vergänglich sein.

Während des Krieges und im besetzten Paris schreibt Desnos Gedichte in volkssprachlichem Argot gegen die Besatzer und ihre Helfer, und mit ebenso schelmischem Vergnügen auch Kindergedichte. Gerade darin findet er zum Sprachwitz und zur überbordenden Phantasie seiner surrealistischen Glanzzeit zurück. Kinder sind ja bekanntlich die besten Surrealisten, die man sich denken kann. Als 1944 Desnos bereits von KZ zu KZ verfrachtet wird, erscheinen in Paris seine entzückenden Chantefables et Chantefleurs, verschmitzt-poetische Tier- und Blumengedichte für Kinder. Mit diesen Texten knüpfte er nicht nur an die mittelalterliche Tradition des Bestiariums an, sondern auch an den wichtigsten Anreger des Surrealismus, Guillaume Apollinaire, und dessen Bestiaire d’Orphée (Orpheus’ Bestiarium) von 1911.

„Das letzte Gedicht“
Berühmt wurde Desnos’ im Lager Flöha geschriebener Brief an seine Frau Youki vom 15. Juli 1944, der voller Vitalität ist, voller Zuversicht, und vielleicht deshalb so bitter klingen muß:

Unser Leiden wäre nicht auszuhalten, wenn wir es nicht als eine vorübergehende und sentimentale Krankheit betrachten könnten. Unsere Wiedersehensfreude wird unser Leben auf mindestens dreißig Jahre hinaus verschönen. Ich meinerseits nehme einen guten Schluck Jugendlichkeit; ich werde zurückkommen voller Liebe und Kraft! (…) Ich hoffe, daß dieser Brief unser künftiges Leben ist.

Nach dem Krieg zirkulierte auch sein angeblich „letztes Gedicht“, das er erschöpft in Theresienstadt notiert haben soll, das ins Tschechische übersetzt und dann ins Französische zurückübersetzt wurde. Herausgeber späterer Ausgaben, z.B. des Bandes Destinée arbitraire (Willkürliches Schicksal) von 1975, weigerten sich, das Gedicht aufzunehmen, da es sich nur um eine stark verkürzte, nicht-autorisierte Version des berühmten surrealistischen Gedichtes „J’ai tant rêvé de toi“ (Ich habe so viel von dir geträumt) von 1926 handeln soll. Gerade in der Brechung durch eine Fremdsprache, gerade durch die besondere Schreibsituation des erschöpften, im KZ aus dem Gedächtnis zitierenden Dichters ohne Bücher, wurde es trotz allem zum Dokument. Paul Celan übertrug es 1958 ins Deutsche, und in dieser Form fand es in Hans Magnus Enzensbergers Museum der modernen Poesie (1960) Eingang:

J’ai rêvé tellement fort de toi,
j’ai tellement marché, tellement parlé,
tellement aimé ton ombre,
qu’il ne me reste plus rien de toi.
Il me reste d’être l’ombre parmi les ombres,
d’être l’ombre qui viendra et reviendra dans ta vie ensoleillée.

Paul Celan:

Vor lauter Von-dir-Träumen,
lauter Gehn, lauter Sprechen
mit deinem Schatten,
lauter Ihn-Lieben,
bleibt mir nun nichts mehr von dir,
bleibt mir nur dies:
der Schatten Schatten zu sein,
der Schatten-Schemen,
der ein und aus geht
bei deinem sonnigen Leben.

Ein gebrochenes Epitaph von einem Dichter, der sich selbst Epitaphe schrieb. „Nichts bleibt“ heißt es auch im Gedicht „L’épitaphe“ von 1944, und noch einmal findet sich tief eingeschrieben darin – neben dem deutlichen Appell an die Lebenden – das Einverständnis mit dem Vergänglichen. Was macht es schon, daß vieles zeitgebunden ist, verspielt und traumverloren, surrealistisch überdreht, flüchtig und manchmal obszön? Die wirkliche Obszönität liegt ohnehin in der Liste der KZ, die Desnos gekannt hat.

Die falsche Schachtel Schokolade

Als sich am 8. Juni 1995 Robert Desnos’ Tod zum fünfzigsten Male jährte, waren die genauen Umstände seines Todes noch unbekannt. Am 16. Juni 1995 brachte die Pariser Zeitung Le Monde den Bericht „Le dernier jour de Desnos“ (Desnos’ letzter Tag) und ein neu aufgetauchtes Dokument. Bekannt war, daß ein junger Prager Medizinstudent, Josef Stuna, nach der Befreiung des Lagers Theresienstadt in einem Haufen erschöpfter Häftlinge auf Desnos traf, sich um ihn kümmerte und das aus dem Gedächtnis verkürzt rekonstruierte „letzte Gedicht“ notierte. Das von Le Monde beigebrachte Dokument war ein erstmals veröffentlichter Brief der Witwe Youki Desnos vom 15. Oktober 1958 an Gaston Gallimard. Das Schreiben betraf Desnos’ trauriges Ende sowie den legendären „Liebesroman einer ganz neuen Art“, den Desnos im Jahr seiner KZ-Aufenthalte entworfen haben soll und den er in seinem Brief an Youki vom 15. Juli 1944 erwähnt.
Aufzeichnungen zu diesem Roman habe Desnos, wie seine Witwe in Erfahrung gebracht hatte, in einer leeren Pralinenschachtel der Marke „Marquise de Sévigné“ aufbewahrt. Sie selber habe ihm die Süßigkeiten ins Lager geschickt. Ein russischer Häftling in Theresienstadt soll diese Pralinenschachtel gestohlen haben, weil er darin Leckerbissen vermutete und keine Liebesbriefe, Gedicht- oder Romanmanuskripte. Youki Desnos schreibt, ihr Mann sei dieser Schachtel wegen umgekommen. Desnos war bereits frei und hätte einen Zug besteigen können, doch er suchte in Theresienstadt weiter nach der gestohlenen Pralinenschachtel mit den literarischen Schätzen. In dieser Zeit bekam er Socken geschenkt („ein unerhörter Luxus“, schreibt Youki D.), die schlecht desinfiziert und mit Typhusflöhen verseucht waren und schließlich für den äußerst geschwächten Häftling das Ende bedeuteten. So haben im surrealsten aller Jahrhunderte bizarre Einzelheiten wie eine zweckentfremdete und gestohlene Schokoladenschachtel das Schicksal der Poesie bestimmt und auf absurde Weise verzerrt.

ROBERT DESNOS (1900 BIS 1945)

Mon tombeau mon joli tombeau,
il sera peint au ripolin
avec des agrès de bateau
et des tatouages de marin.

Sur mon tombeau un phonographe
chantera soir et matin
la complainte du guerrier cafre
navré d’un coup d’œil libertin.

Sur mon tombeau un phonographe
récitera cette épitaphe

LIBERTÉ ÉGALITÉ FRATERNITÉ

aaaaaaaaaa1919 (in: Prospectus)

Mein Grab mein hübsches Grab
wird weiß sein und poliert
mit hohem Segelwerk das ragt,
wie ein Matrose tätowiert.

Auf meinem Grab ein Grammophon,
das morgens, abends singt und klickt
die Klage von dem Kaffern-Sohn,
durchbohrt von einem lockern Blick.

Auf meinem Grab ein Grammo-phön
sagt diesen Grabspruch auf so schön:

FREIHEIT GLEICHHEIT BRÜDERLICHKEIT

 

FAIRE PART

Sur le pont du navire la couturière fait le point
couturière taille-moi un grand paon de mercure
je fais ce soir ma dernière communion
La dernière hirondelle fait l’automne
D’entre les becs de gaz blêmes
Se lève une figure sans signification.
Statues de verre flacon simulacre de l’amour
Vient la fameuse dame
Facteur de soustraction
avec une lettre pour moi
Mon cher Desnos Mon eher Desnos
Je vous donne rendez-vous
dans quelques jours
On vous préviendra
Vous mettrez votre habit d’outre-monde
Et tout le monde sera bien content.

aaaaaaaaaa1926 (in: C’est les bottes de 7 lieues)

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Auf Deck des Schiffs die Näherin sie zieht den Faden ab
schneid Näherin mir einen großen Quecksilber-Pfau
ich hab heute abend meine letzte Kommunion
die letzte Schwalbe zeigt den Herbst mir an
zwischen den blassen Gaslaternen
erscheint eine Gestalt ganz ohne Sinn.
Gläserne Statuen ein Fläschchen Anschein von Liebe
kommt die bekannte Dame
Faktor der Subtraktion
mit einem Brief für mich
Mein lieber Desnos Mein lieber Desnos
ich gebe Ihnen einen Termin
in ein paar Tagen
man wird Ihnen noch Bescheid geben
Sie werden Ihr Jenseitskleid anziehen
und alle Welt wird darüber froh sein.

 

L’ÉPITAPHE

J’ai vécu dans ces temps et depuis mille années
Je suis mort. Je vivais, non déchu mais traqué.
Toute noblesse humaine étant emprisonnée
J’étais libre parmi les esclaves masqués,

J’ai vécu dans ces temps et pourtant j’étais libre.
Je regardais le fleuve et la terre et le ciel
Tourner autour de moi, garder leur équilibre
Et les saisons fournir leurs oiseaux et leur miel.

Vous qui vivez qu’avez-vous fait de ces fortunes?
Regrettez-vous les temps où je me débattais?
Avez-vous cultivé pour des moissons communes?
Avez-vous enrichi la ville où j’habitais ?

Vivants, ne craignez rien de moi, car je suis mort.
Rien ne survit de mon esprit ni de mon corps.

aaaaaaaaaa1944 (in: Contrée)

 EPITAPH

Ich hab gelebt in dieser Zeit, seit tausend Jahren
Bin ich schon tot. Ich lebte stolz doch oft gejagt.
Die Menschenwürde lag gefangen und geplagt,
Ich wollte frei sein unter den maskierten Sklaven.

Ich hab gelebt in dieser Zeit und war doch frei.
Ich schaute wie der Fluß, der Himmel und die Erde
Noch kreisten rund um mich, es standen mir noch bei
Die Jahreszeiten, die die Vögel und den Honig bergen.

Was, Menschen, habt mit diesen Schätzen ihr getan?
Die Zeit, in der ich rang, denkt ihr noch manchmal hin?
Habt ihr gesät, was einmal jeder ernten kann?
Habt ihr sie reich gemacht, die Stadt aus der ich bin?

Ihr Lebenden nur keine Angst, denn ich bin tot.
Mein Geist, mein Leib: nichts bleibt, nichts was euch droht.

(Diese drei Übersetzungen sind von Ralph Dutli)

Ralph Dutli, aus Ralph Dutli: Nichts als Wunder. Ammann Verlag, 2007

 

 

neopostpunk: Die surrealistische Revolution. Robert Desnos – Worte zu Überleben… 

 

,DOMAINE PUBLIC‘
in memoriam Robert Desnos,
1945 gestorben in Theresienstadt

Zur Lektüre kann ich nur die alten Väter
aaaaaaaaaaaaaaaempfehlen. Wie sie
das verderbende Fleisch zu verfeinern wissen:

zu schmackhaften Betrachtungen: reinlich
aaaaaaaaaaaaaaaschäumen Maden die Milz
zu Milch: Spleen. Und zur Übung: ausgedehnte

Verdrängung einer sehr unanständigen
aaaaaaaaaaaaaaaRede von anständigen Gräbern.
Wenn sich die Erde auftut, sollen sich

dann auch Menschenmäuler auftun? „Ich bin
aaaaaaaaaaaaaaaNichts, wenn nicht jetzt gerettet!“
oder „Gott, welch eine Grimasse!“ Die

Wochentage sind sieben Höllen. Sehen
aaaaaaaaaaaaaaaSie, Seigneur, wir auf-
erstehen und die Richter nahen.

Geoffrey Hill
Aus dem Englischen übertragen von Manfred Allié und Hans Jürgen Balmes

 

 

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