Robert Gernhardt: Zu Peter Hacks’ Gedicht „Rote Sommer“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Peter Hacks’ Gedicht „Rote Sommer“. –

 

 

 

 

PETER HACKS

Rote Sommer

Derweil der große Haufen sich, in überengen
Behältern drangvoll duldend wie auf Viehtransporten,
Aus Deutschlands nördlich milden Breiten oder Längen
Hinquält zu seinen grauenhaften Urlaubsorten,

Begeben Preußens dünkelhafte Kommunisten,
Gewohnt, in völliger Absonderung zu glänzen,
In Linnen leichtgewandet, duftenden Batisten,
Nach ihren Dörfern sich und Sommerresidenzen.

Und sie verharren vor Parterren mit Verbenen
Und nippen edlen Wein in schattigen Remisen.
Manchmal, nicht allzu oft, empfängt wohl dieser jenen,
Beziehungsweise jener bewillkommnet diesen.

Dann nehmen sie den Tee aus köstlichen Geschirren,
Plaudernd vom Klassenkampf, während ein Pfau, ein bunter,
Gekrönter Mohrenvogel, mit metallnem Flirren
Durch Heckenwege schreitet und zum See hinunter.

 

Die blanke Wahrheit

Der 2003 im Alter von funfundsiebzig Jahren verstorbene Peter Hacks ist vor allem als Dramatiker bekannt geworden, doch wie Bertolt Brecht, das Vorbild seiner frühen Bühnenstücke, war auch er zeitlebens Lyriker.
Rund fünfhundert Seiten füllt die Ernte seiner überwiegend in der DDR verfaßten Gedichte: 1955 war Peter Hacks von München nach Ostberlin gegangen, 1989 war das von ihm gewählte Staatswesen vergangen und der Kommunist und Dichter Hacks gezwungen, sich einen Reim auf die neue Zeit zu machen. Der fällt in einem achtundzwanzigteiligen, mit „Jetztzeit“ überschriebenen Zyklus so überraschend wie unterhaltend aus: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.
Noch zu DDR-Zeiten hatte Peter Hacks das Recht auf Ungerechtigkeit eingeklagt: Man dürfe einen Dichter nur dann für „übertrieben oder ungerecht“ halten, wenn „er es verabsäumt anzudeuten, daß er selbst weiß, wie sehr er übertreibt oder sich dem Unmut hingibt“.
Dem Unmut oder dem Übermut – beiden gibt Hacks in seinem Gedicht „Rote Sommer“ derart die Sporen, daß alles in Grund und Boden gereimt wird, was dem Kommunisten lieb und dem Sozialisten teuer sein sollte.
Mitleidlos hält Hacks in der ersten Strophe jenem „großen Haufen“ den Spiegel vor, dem einst als „Volk“ angeblich Betriebe und Ländereien eigen waren. Wohl nur auf dem Papier – müßten sie sich sonst nach dem Mauerfall in den grauenhaft heißen Süden quälen?
Indes hat sich für „Preußens dünkelhafte Kommunisten“ nichts geändert. Wie schon zu DDR-Zeiten können sie sich ungestört auf ihre nahe gelegenen „Sommerresidenzen“ zurückziehen, in welchen es sich zugleich klassenbewußt und klasse leben läßt: Reimten sich sonst „Kommunisten“ auf „Batisten“?
Und es kommt noch klassischer. Der bereits gehobene Tonfall der zweiten Strophe schwingt sich in der dritten vollends zum hohen Ton empor, Gedicht wird zu Gesang, George läßt grüßen.
„Und sie verharren vor Parterren mit Verbenen“ – welch edle e-a-a-e-Parade, die in der Folgezeile in ein nicht minder kostbares i-e-e-i-Defilee mündet: „Und nippen edlen Wein in schattigen Remisen“ – ach, wer da mitnippen könnte!
Hoch, höher, am – tiefsten. Denn in der vierten Zeile plumpst der Dichter in den Graben: „Beziehungsweise jener bewillkommnet diesen“ – ja, „bewillkommnet“, anders als falsch betont ist das viersilbige Wort nicht in der sechshebigen Zeile unterzubringen.
Dichterpech? Dichterglück! Denn der in Metrum und Reim bestens bewanderte Hacks hat den Ton ja nur deswegen so hoch geschraubt, um desto tiefer plumpsen zu können. „Fallhöhe“ – dieser von Komiktheoretikern gern verwandte Begriff entfaltet beim Praktiker Hacks sein komisches Potential, nicht zuletzt dann, wenn der Dichter abschließend seine Kommunisten vom Klassenkampf plaudern läßt, indes ein Pfau, ein bunter, durch Heckenwege schreitet, „zum See hinunter“ denn natürlich besitzen sie allesamt Wassergrundstücke, diese vorgeblichen Verlierer der Geschichte – ach, wer da hätte mitverlieren dürfen!
Ganz wie dem Grimmelshausenschen „Simplicius Simplicissimus“ hat es Hacks „wollen behagen, mit Lachen die Wahrheit zu sagen“. Wann hätte es das vor der von ihm so benannten „Schreckenswende“ gegeben: daß ein dünkelhafter Kommunist in duftendem Batist die linnenen Hosen runterläßt, um allem Volk die blanke Kehrseite der Geschichte zu zeigen?

Robert Gernhardt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.9.2005

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