Robinson Jeffers: Ausgewählte Gedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Robinson Jeffers: Ausgewählte Gedichte

Jeffers-Ausgewählte Gedichte

DER SEELE WÜSTE
(30. August 1939)

Sie wärmen die alten Ängste auf; und alles was sie
aaaaasagen ist Widerhall von Widerhall.
Beziehe keine Stellung; beobachte nur.
Dies sind nicht Kriminelle, nicht Hausierer oder
aaaaakleine Journalisten, sondern die Regierungen
Der großen Nationen, herausragende Männer,
Repräsentanten der versammelten Menschheit. Beobachte sie. Zorn und
aaaaaGelächter
Sind fehl am Platz. Eindeutig ist es Zeit
Ernüchtert zu werden, ein jeder betrete seiner eigenen Seele
Wüste Und suche Gott – den Menschen hast du gesehen.

 

Hier das gesamte Buch vom Übersetzer ins Netz gestellt.

 

 

Der Autor

John Robinson Jeffers wird am 10. Januar 1887 in Pittsbourgh/Pennsylvania geboren. Sein Vater, Theologieprofessor und Kalvinist, lehrt ihn als Kind Griechisch, Latein und Hebräisch, und läßt ihn an Schulen in Leipzig, Luzern, Zürich, Lausanne und Genf unterrichten, wo Jeffers Deutsch und Französisch lernt. Mit fünfzehn Jahren nimmt er das Studium an der Western-Pennsylvania-Universität auf. 1903 zieht die Familie nach Los Angeles, und er wechselt an das dortige Occidental College. Die Studien umfassen Theologie, Philosophie, Philologie, Astronomie und Geologie. Danach geht Jeffers an die Universitäten von South California und Zürich und beschäftigt sich mit verschiedenen Gebieten europäischer Literatur. 1906 ist er wieder in Los Angeles und nimmt ein Medizinstudium auf. An dieser Schule macht er in einem Literaturseminar die Bekanntschaft der verheirateten Una Call Kuster. Jeffers bricht 1910 das Studium ab und geht an die Universität von Washington, um Forstwirtschaft zu studieren, kehrt aber ein Jahr später ohne Abschluß zurück. Die Liebesbeziehung mit Una setzt sich fort, bis ihr Mann davon erfährt; nach Skandal und Ehescheidung können die beiden 1913 heiraten. Kurz zuvor, 1912, ist Jeffers’ erster Gedichtband Flagons and Apples verlegt worden.
Das junge Paar plant die Übersiedlung nach dem europäischen Festland oder der Ägäis, doch der Ausbruch des Ersten Weltkrieges hält sie davon ab. Zu dieser Zeit entdecken sie die kaum besiedelte Gegend von Monterey/Kalifornien für sich. Jeffers ist fasziniert von der unverdorbenen Szenerie: Zum ersten Mal sieht er Menschen so zeitlos leben wie in Idyllen, Sagas und Homers Ithaka; doch das Leben hier war nicht abgeschlossen von der modernen Welt, sondern ihrer bewußt und auf sie bezogen. 1 Jeffers trifft für sich die endgültige Entscheidung, was immer für ein Dichter er auch sein würde, auf jeden Fall kein ,Moderner‘ zu werden. 1916 bringt seine Frau Una Zwillige zur Welt, zwei Söhne.
Mittels einer kleinen Erbschaft kauft Jeffers ein Stück Land an der Küste von Monterey, südlich von Carmel. Beim Bau seines Tor House, für das er Granitblöcke vom Strand verwendet, geht er dem Baumeister zur Hand und läßt sich zum Maurer und Steinmetz ausbilden. 1919 steht das Haus, und die Familie zieht ein. Jeffers forstet den baumlosen Küstenstrich mit Hunderten von Zypressen und australischen Eukalyptus-Bäumen auf. Die Vormittage schreibt er, nachmittags baut er am Haus oder am Hawk Tower, einem zwölf Meter hohen Turm, den er mit seiner eigenen Hände Arbeit neben dem Haus errichtet. Die Jahre vergehen zunächst ohne dichterischen Erfolg. In seinem zweiten Gedichtband Californians (1916) hat Jeffers zwar schon den Gegenstand seiner Dichtung, aber noch nicht seine Sprache gefunden.
Sein langes Erzählgedicht „Tamar“ erregt 1924 große Aufmerksamkeit und wird ein kommerzieller Erfolg. Für Jeffers beginnt eine produktive Zeit. Es folgen weitere Gedichte, wie„ Roan Stallion“ (1925), „The Tower Beyond Tragedy“ (1926), „The Woman at Point Sur“ (1927), „Cawdor“ (1928), „Dear Judas“ (1929). Sein Ansehen wächst mit den Jahren, man zählt ihn bald zu den bedeutenden amerikanischen Dichtern des zwanzigsten Jahrhunderts. Allerdings sieht er sich ständigen Angriffen der Etablierten ausgesetzt, herrscht doch gerade die verfeinerte Lyrik der New Critics vor, während Jeffers in seinem poetic realism den Zeitgeschmack grob vernachlässigt. So ist sein Werk zusehends umstritten; fordert einerseits aufgeregte und heftige Attacken heraus und erregt andererseits enthusiastische bis übertriebene Verehrung. Jeffers mißt dem jedoch kaum Bedeutung bei. Es entstehen des weiteren „Thusor’s Landing“ (1932), „Such Counsels You Gave to Me“ (1937), „Be Angry at the Sun“ (1941) u.a. und festigen seinen landesweit umstrittenen Ruf. Seine Bearbeitung von Euripides’ Medea, die er der Schauspielerin Judith Anderson auf den Leib schreibt, wird 1948 ein Broadway-Erfolg.
Im selben Jahr erscheint The Double Axe. Erstmals benennt Jeffers öffentlich seine philosophische Haltung als Inhumanismus (der im wesentlichen davon ausgeht, daß der Mensch – entgegen der etablierten Sichtweise des Humanismus – nicht etwa das Maß, sondern lediglich Teil der Dinge ist). Jeffers fordert den Menschen auf, endlich erwachsen zu werden und sich nicht länger wie ein selbstbefangenes Kleinkind oder wie ein Geisteskranker aufzuführen 2 Die amerikanische Öffentlichkeit, die sich in ihrem Patriotismus durch den Sieg im Zweiten Weltkrieg bestätigt sieht und sich anschickt, ihr Heil in einer humanistischen Menschheitsbeglückung zu finden, ist auf das Äußerste empört. Selbst sein langjähriger Verlag distanziert sich im Buch von seinem Autor. Jeffers taucht fortan in Anthologien nicht mehr auf.
1950 stirbt seine Frau Una an Krebs. Dieser Verlust trifft ihn schwer und bestimmt das namensgebende Gedicht seines letzten zu Lebzeiten herausgegebenen Gedichtbandes Hungerfield (1954), das eine Auseinandersetzung mit dem Tod wird. Robinson Jeffers stirbt am 20. Januar 1962, kurz nach Vollendung seines 75. Lebensjahres. Aus dem Nachlaß erscheint ein Jahr später das unvollendet gebliebene The Beginning and the End.

Im deutschen Sprachraum blieb Jeffers nahezu unbekannt und lange Zeit unübersetzt. Im Jahre 1947 erschien das Gedicht „Cassandra“ in der Amerikanischen Rundschau (herausgegeben vom Büro der Militärverwaltung für Bayern der U.S. Army), wo Jeffers noch in einer Reihe mit anderen amerikanischen Autoren dieser Zeit vertreten ist. Es dürfte sich hierbei um die erste Veröffentlichung eines Jeffers-Gedichtes in Deutsch handeln (der Übersetzer ist nicht genannt). In den 50er Jahren wurden drei seiner Bearbeitungen griechischer Tragödien an einigen deutschen Theatern gespielt (und wurden als Buch herausgegeben in der Übersetzung von Eva Hesse). Eine Gedichtauswahl kam erst 1984 heraus (ebenfalls von Eva Hesse), erlebte drei Jahre später eine Nachauflage als Piper-Taschenbuch, fand jedoch in der breiten Öffentlichkeit kaum nachhaltige Beachtung. 1989 erschienen die Fragmente der Undeutlichkeit von Botho Strauß, in denen er sich dem Dichter Robinson Jeffers und dessen Werk annähert und Passagen einiger Gedichte und Prosatexte zitiert. Obwohl Strauß für das Buch mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt wurde, hielt sich das Interesse an Jeffers’ Werk weiterhin in Grenzen.
Bekannter ist Jeffers in Osteuropa, insbesondere in der Slowakei und Bulgarien, wo vor allem seine langen Erzählgedichte Anklang fanden. The Loving Shepherdess ist in Jugoslawien sogar verfilmt worden. Ansonsten ist die Erinnerung an ihn wohl hauptsächlich in Kalifornien lebendig, wo sie mitunter kultartige Züge annimmt. Alljährlich findet im April ein Jeffers-Festival in Carmel statt. Außerdem erscheint etwa halbjährlich der Robinson Jeffers Newsletter (hrsg. von Robert J. Brophy) am Occidental College, Los Angeles, der über Neuausgaben, Theateraufführungen und kritische Veröffentlichungen zu Jeffers’ Werk berichtet. Das Tor Hause übrigens findet man an der Ocean View Avenue, südlich von Carmel. Es kann nach vorheriger Anmeldung besichtigt werden.

Zu dieser Ausgabe

Jeffers findet in der kalifornischen Pazifikküste von Monterey sowohl den Schauplatz als auch den Hauptakteur seiner Dichtung. Seine Figuren agieren zumeist in dieser ursprünglichen Landschaft, inmitten der Gewalt der elementaren Natur, die ihnen die Größe antiker Helden beläßt. Hier konzentriert Jeffers’ Dichtung sich auf das Wesentliche, das unabhängig vom gesellschaftlichen Leben besteht, und gewinnt ihre ganz eigene Gestalt angesichts der allgegenwärtigen Beständigkeit: Sie nimmt die Ruhe der Felsen auf, die Worte beziehen ihre Kraft aus dem beständigen ungemilderten Seewind, das Versmaß ist getragen vom Rhythmus des Wellenschlags und des Blutpulses. Aus dieser Sicht erübrigt sich eine Orientierung an poetischen Tendenzen, sowohl formal als auch inhaltlich. Hier ist eine Metrik immer schon da, Halbreime oder Reime kommen gelegentlich vor, folgen aber kaum einem festen Raster. Die Sprache ist geprägt vom schlichten Leben, in dem Konkretes, nur Einfaches und Wahres 3 zählt. Dementsprechend steht das, was zu sagen ist, im Vordergrund: Der poetischen Idee ordnet sich die Form unter.
Die vorliegende Übersetzung war bestrebt, diese Eigenschaften der Verse zum Maßstab zu nehmen. Die Gedichte sind möglichst authentisch und nahezu parallel übertragen, was manchmal zu geringen Abweichungen von der deutschen Grammatik führte, andererseits aber der ,amerikanischen Anmutung‘ nähersteht. Dabei wurde weitgehende Wortschatztreue angestrebt, d.h. Wörtern, die sich im Originaltext wiederholen, ist in der Übersetzung meistens dasselbe Wort oder derselbe Wortstamm zugeordnet. Natürlich ließ sich diese Vorgabe nur dort durchhalten, wo sie die poetische Idee nicht einengte, jedoch blieben Abweichungen die Ausnahme und beschränken sich auf ein bis zwei ebenfalls feste Varianten. Da Jeffers’ Dichtung an einem konkreten Ort angesiedelt ist, für den sich in Deutschland ohnehin keine Entsprechung finden ließe, sind nicht nur konkrete Eigennamen, Maßeinheiten und geografische Begriffe beibehalten; auch für Metaphern und Redewendungen wurde nur dann eine deutsche Entsprechung gesucht, wenn die direkte Übertragung zu unverständlich gewesen wäre. Ebenso ist die originale Interpunktion bis auf gelegentliche Anpassungen der Kommasetzung erhalten, auch alle kursiven Hervorhebungen sind dem Originaltext entnommen. Reime hingegen wurden völlig vernachlässigt, da die Suche nach Reimpaaren, wenn sie sich nicht gerade anboten, zu große Abweichungen vom Inhalt nach sich gezogen hätte (zudem gebraucht Jeffers dieses Mittel nur selten und unregelmäßig, so daß es kaum als wesentlich gelten kann). Stattdessen ist der Rhythmus der betreffenden Gedichte, wo es günstig schien, deutlicher betont.
Für diese Ausgabe wurden vor allem kürzere Gedichte ab 1920 ausgewählt, um einen größeren Überblick über Jeffers’ Schaffen zu geben. Als Beispiel für seine typische erzählende Dichtung sind etwa die verhältnismäßig kurzen Erzählgedichte „Des Humanisten Tragödie“ und „Steelhead“ anzusehen (wenngleich „Steelhead“ nur der erste Teil einer Trilogie ist). Längere Erzählgedichte sind hier nicht aufgenommen, da sie oft an die hundert Seiten umfassen. Die Auswahl ist chronologisch aufgebaut. Bis 1938 folgt sie der Ausgabe von Jeffers’ gesammelter Dichtung, Band I und II (herausgegeben von Tim Hunt), in der die Gedichte nach ihrer Entstehungszeit sortiert sind, wobei vor 1920 entstandene Gedichte als untypisches Frühwerk angesehen und erst im Anhang aufgeführt werden. Da die Bände III und IV bislang noch nicht vorliegen, sind die Gedichte nach 1938 entsprechend dem Jahr ihrer Veröffentlichung geordnet. In der Fußleiste jeder Seite sind der originale Name des Gedichtes vermerkt sowie die Entstehungszeit bzw. die Ausgabe, der es entstammt. Dazu sei angemerkt, daß von der Entstehung eines Gedichtes bis zu dessen Veröffentlichung oft Jahre, manchmal Jahrzehnte vergingen.
Die Texte sind, wo die Zeilen nicht die ganze Textbreite beanspruchten, im Flattersatz dargestellt. Meist aber verwendet Jeffers zu lange Verszeilen, als daß sie sich in einer Textzeile unterbringen ließen, weshalb diese gebrochen und durch einen Einzug kenntlich gemacht werden mußten. Damit die Zeilenbrechung nicht absichtlich und vielleicht interpretierend in das Gedicht eingreift, sind die Texte im Blocksatz wiedergegeben. Allerdings bedingt diese Methode gelegentliche Worttrennungen, jedoch ist stets auf klare Silbentrennung geachtet. So dürfte den Texten kaum Schaden getan sein, setzt Jeffers doch inhaltliche Schwerpunkte weniger auf Wortbetonungen, sondern breitet sie vielmehr auf den Verslinien aus. Außerdem mag man bei den Erzählgedichten den Vorteil des festen Blocksatzes bemerken, der im Unterschied zum losen Flattersatz ein ruhigeres Lesen ermöglicht. Weiterhin fördert der Blocksatz Jeffers’ bevorzugte Art, die Absätze durch Leerzeilen zu trennen, wobei die erste Zeile des folgenden Absatzes an der Stelle beginnt, wo die letzte Zeile des vorhergehenden endet (nur, wenn die letzte Zeile die gesamte Zeilenbreite einnimmt, ist der folgende Absatz ausschließlich an der Leerzeile zu erkennen). Ferner wurden die englischen Anführungszeichen beibehalten, wie Jeffers selbst sie handschriftlich verwendete.
Auf den Abdruck der Originaltexte wurde zum einen aus Platzgründen verzichtet, zum anderen sollte der skeptische Leser nicht zu einfach abgelenkt werden (dafür findet er eine Bibliografie).
Literaturkritisches Beiwerk ist absichtlich nicht heranzitiert worden, obwohl in englischer Sprache reichlich Material vorliegt (siehe Sekundärliteraturverweis). Der Leser sollte die Möglichkeit erhalten, sich relativ unbefangen einem Dichter zu nähern, der selbst kaum Wert auf seine Kritiker legte.
Diese – wenngleich kleine – Ausgabe möchte einen abermaligen Versuch wagen, dem deutschen Leser einen ungewöhnlichen Dichter anzubieten, dessen einstige Verdrängung aus der literarischen Öffentlichkeit bis heute wirksam ist. Vielleicht aber ist unsere Zeit schon reifer für diesen ganz anderen Amerikaner Robinson Jeffers.

Kai-Michael Gustmann, Januar 1991, Nachwort

 

Vergessene Dichtung

Robinson Jeffers (1887–1962) war ein Mann, der seine Geburtsschuld bezahlt hat. Er baute ein Haus und einen Turm, zeugte zwei Söhne, schrieb zweiundzwanzig Bücher und pflanzte unzählige Bäume. Sein Werk stellt in jeder Hinsicht gelebte Dichtung dar und ist derart eigenständig, daß es heißt, ein Gedicht von Jeffers sei unter Tausenden unverkennbar. Die Konsequenz, mit der er gesellschaftliche Fragen vorwegnahm und für sich entschied, schreckte die meisten seiner Zeitgenossen ab. Aus heutiger Sicht gewinnt dieses lange verdrängte Werk zusehends an Aktualität.
Im deutschen Sprachraum blieb Jeffers obwohl er zu den Großen der amerikanischen Literatur gezählt wird, weitgehend unbekannt. Diese Neuübersetzung enthält eine Auswahl kürzerer Gedichte, die zum größten Teil erstmals in deutsch erscheinen.

Regen·Buch Verlag, Klappentext, 1997

 

Die Exzesse von Robinson Jeffers

Der Ursprung der Dinge ist das Grenzenlose. Woraus sie entstehen, darein vergehen sie auch mit Notwendigkeit. Denn sie leisten einander Buße und Vergeltung für ihr Unrecht nach der Ordnung der Zeit.
Anaximander (– 600)

Erwähnt man heute den Namen des Dichters Robinson Jeffers (1887 bis 1962) in einem Gespräch über die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen auf unserem Planeten, über die ins unmittelbare Blickfeld gerückte Möglichkeit der atomaren Zerstrahlung der menschlichen Gattung, oder über die Sinnkrise einer Jugend, die aus ihrer vergifteten und denaturierten Umwelt aussteigen möchte, so begegnet man fast ausnahmslos blanker Unkenntnis. Das gilt sogar für akademische Kreise, die ansonsten über die großen, mittleren und kleinen Reputationen der anglo-amerikanischen literarischen Moderne durchaus auf dem laufenden sind. Dieses Verschwinden eines großen amerikanischen Dichters aus dem allgemeinen Bewußtsein trägt alle Merkmale einer recht absonderlichen Verdrängung, der wir hier ein wenig nachgehen wollen. Wie anders ließe es sich sonst erklären, daß dieser Mann, der sich seit dem Jahr 1925 in über einundzwanzig Gedichtbänden mit den Problemen auseinandergesetzt hat, die für uns derzeit von so brennender Aktualität sind, heute vergessen ist? Schon zu so früher Zeit hatte der Dichter, der unter seinen literarischen Kollegen wie ein Dinosaurier im Hirschpark wirkte, ein geschärftes Sensorium für die unterschwelligen Bedrohungen des Lebens und der Natur entwickelt und daraus für seine Dichtung wie für sein Leben die heroisch durchgehaltene praktische Konsequenz des persönlichen Aussteigens aus der Industriewelt gezogen.
Sein Werk stellt somit ohne den üblichen Bruch zwischen Theorie und Praxis gelebte Dichtung dar. Dabei war Robinson Jeffers alles andere als naiv in seinem Entschluß: er wußte nur zu gut, was er mit dem Rückzug aus der westlichen Kultur aufgab, denn er hatte unter Anleitung seines strengen kalvinistischen Vaters, eines Professors am Presbyterian Theological Seminary in Allegheny (Pittsburgh), frühzeitig die humanistischen Werte der Alten Welt in sich aufgenommen. Bereits im Alter von zehn Jahren konnte er fließend Griechisch und Latein. Es folgten Internatsjahre auf dem alten Kontinent, wo er in Leipzig, Luzern, Zürich, Lausanne und Genf Deutsch, Französisch und Italienisch lernte. Als er, erst sechzehnjährig, das Studium aufnahm – an verschiedenen Universitäten der USA und in Zürich –, wandte sich sein Interesse allmählich von der Theologie, Philosophie und Philologie ab und den naturwissenschaftlichen Fächern zu: Geologie, Astronomie, Medizin und Forstwissenschaft, wobei er abermals alle Examen glänzend bestand. Der Ausbruch des 1. Weltkriegs verhinderte die geplante Niederlassung in Europa oder der Ägäis und nun kehrte sich Jeffers mit seiner jungen Frau voll Abscheu von den kulturellen Werten der Alten Welt, aber auch von der verstädterten und industrialisierten Zivilisation der Neuen Welt ab: „Zurück zur Natur“, d.h. an die Küste von Monterey in Kalifornien. Dort, im damals noch wilden und kaum besiedelten Gebiet von Carmel, baute er sich 1919 ein Haus, „Tor House“ und, mit eigenen Händen, einen Felsenturm, „Hawk Tower“, aus rohen Blöcken, die er vom Strand heraufwälzte.

(Nach dem Bericht von Robinson Jeffers’ Sohn Donnan begann der Hausbau 1919, gleich nach dem Ende von Weltkrieg I. Damals heuerte Jeffers als Arbeiter bei dem Baumeister an, teils um Geld zu sparen, teils um sich als Maurer und Steinmetz auszubilden. Das Haus wurde aus Natursteinen gebaut, die nur mit dem Maurerhammer etwas zugerichtet wurden. Der Bauunternehmer legte eine Schienenbahn mit hölzernen Loren vom Strand zu dem Felsabhang, wo das Haus errichtet werden sollte, und schaffte so die Rohsteine herauf. Das wegen der heftigen Winterstürme sehr niedrig gebaute Haus, nach dem Vorbild der Tudorhäuser in England, war 1919 bezugsfertig. Jeffers nannte es „Tor House“ („tor“ ist ein altes englisches Wort, das „Felskuppe“ bedeutet). Das Haus hatte fließendes Wasser, aber (bis 1949) keine Elektrizität, Gas oder Telefon. Die weiteren Anbauten: Garage, Felsturm, ein Speisesaal, ein Ostflügel nahm Jeffers allein in Angriff. Der Bau des Turms, den er „Hawk Tower“ nannte (nach dem Habicht, der sich während der Arbeiten darauf niederzulassen pflegte), nahm vier Jahre (1920–1924) in Anspruch. Für die halbe Höhe des Turms (ca. 6 m) trug oder wälzte er die Felsbrocken, manche 150–200kg schwer, auf einer Serie von schiefen Ebenen, die er konstruiert hatte, vom Strand herauf, für die restliche Arbeit baute er sich einen starken Flaschenzug. Während der Bauarbeiten wurde zu keiner Zeit ein Gerüst verwendet. Der fertige Turm ist 12 m hoch, seine Wände haben eine Dicke von 1,8 m. Zu den körperlichen Arbeiten des Dichters gehörten auch das Anmischen des Portland-Zements, den er verwendete, mit einer Harke in einem Trog, sowie das Anpflanzen und die Wartung von Hunderten von Bäumen.)

Die Außen- und Innenarbeiten am eigentlichen Haus waren 1919 abgeschlossen. Er bezog das ständig weiter ausgebaute Anwesen und lebte von nun an abgeschirmt von der Außenwelt mit seiner Frau und den beiden Söhnen: „Es ist besser auf Granit gebettet zu sein als auf Illusionen“, meinte er. Es war ein hartes Leben, geteilt zwischen der Arbeit an seinen Gedichten vormittags und den Steinmetzarbeiten nachmittags. Zugleich forstete er den baumlosen Küstenvorsprung auf mit Hunderten von Bäumen Zypressen und den australischen Eukalyptus:

Suchst du den Ort nach ein paar Lebzeiten,
Wird vielleicht noch etwas stehn vom Wald, den ich gepflanzt hab –
Die australischen Bäume mit den blaugrünen Blättern oder die Küstenzypressen,
Zerschlissen vom Sturmwind; aber Feuer und Axt sind wahre Teufel.
Such nach Grundfesten aus meergeschliffnem Granit; meine Finger kannten die Kunst,
Die den Stein dem Stein zugetan macht, du wirst einen Rest davon finden.
(„Tor House“, 1930)

Jeffers hatte sich sein Aussteigen aus der zivilisierten Umwelt nicht leicht gemacht – 14 Jahre habe er benötigt, wie er einmal äußerte, um sich ganz von ihren Zwängen zu befreien. Auslösender Faktor war das Nietzsche-Wort gewesen: „Die Dichter? Die Dichter lügen zuviel“ – es traf den Neunzehnjährigen wie ein Blitzstrahl:

Ich nahm mir vor, keine Lügen in dichterischer Form zu erzählen; keine Gefühle vorzutäuschen, wo ich keine hatte; nicht vorzugeben, daß ich an Optimismus oder Pessimismus oder an einen unumkehrbaren Fortschritt glaubte; nichts nur deswegen zu sagen weil es wohlgefällig oder weithin akzeptiert, oder bei den Intellektuellen Mode war, wenn ich nicht selber daran glaubte, und nicht ohne weiteres irgend was zu glauben. Diese Negationen engen das Feld schon etwas ein.

Von dem Literaturbetrieb der Zeit, der unter dem wachsenden Einfluß der „New Critics“ ab 1930 immer ausschließlicher auf die Experimente und Neuerungen der eklektischen und „schwierigen“ Dichter – T.S. Eliot, Wallace Stevens u.a.m. – fixiert war und jede Beschäftigung mit der Sinnfrage ächtete, hatte er sich mit diesen Vorsätzen grundsätzlich ausgegrenzt. Robinson Jeffers seinerseits konnte mit der akademischen Zititis und der extremen Fixierung auf das Formalistische, die die literarische Moderne beherrschten, wenig anfangen. Für ihn hatten die großen und letzten Fragen absolute Priorität gegenüber solcher Sekundärwirklichkeit – Fragen wie der Sinn des Daseins und des Leidens, die Stellung des Menschen in der Natur, der Tod, die Existenz oder Nicht-Existenz Gottes. Das waren genau die Fragen, die der modische Intellektualismus ins Abseits geschoben hatte und die bis zum heutigen Tag als Zumutung oder ziemliche Geschmacklosigkeit empfunden werden. Doch Jeffers in seiner Unbedingtheit öffnete die Türen des avantgardistischen Salons, des Cafés oder des Hörsaals auf die Wildbahn einer primären Wirklichkeit. In seinen Augen war die modische Sucht nach formaler Originalität nur „doktrinär getarnter Instinktverfall“. Der Dichter, schreibt er, solle „die Selbstverliebtheit und die alberne Gelehrsamkeit, die Primanerwitze und die ertüftelten Metaphern, die Sprunghaftigkeit und die forcierte Mystifikation, die in der zeitgenössischen Dichtung vorherrschen, hinter sich lassen“, nur so würde seine Sprache wieder direkt und natürlich werden, und wenn er etwas Neues und Wichtiges zu sagen hätte, dann käme es ihm eben deshalb auf Deutlichkeit an.
Trotz seiner Ablehnung der kritischen und experimentellen Tagesmoden wuchs sein Ansehen in den 20er und 30er Jahren unaufhaltsam, und als in den Nachkriegsjahren seine Bearbeitungen griechischer Tragödien am Broadway und in verschiedenen Ländern Europas zu Sensationserfolgen wurden, schien der Rang dieses Einsiedlers unter den Dichtern der Gegenwart gesichert. Doch schon zeigten sich die Ansätze zu seiner posthumen Mißliebigkeit. Etwa hatte Yvor Winters, ein führender Kritiker der Schule des „New Criticism“ (und Jeffers Rivale um den Titel des „Californian Poet“), schon 1930 befunden, Jeffers Aussagen seien „schlecht ausgedacht und wesensmäßig trivial“. 1957, siebenundzwanzig Jahre später, griff der Lyriker Kenneth Rexroth in einer erneuten Attacke darauf zurück, hauptsächlich infolge von Jeffers Einfluß auf den jungen aufsteigenden „West-Coast“-Lyriker William Everson, den Rexroth zu seinen Anhängern zählte. „Daß Kenneth sich nicht dazu durchringen konnte, seine ,West-Coast-Bewegung‘ auf das Vorbild von Jeffers hin zu zentrieren“, schrieb Everson (alias Brother Antoninus) 1968, „verdammt seine Bewegung in meinen Augen zur Bedeutungslosigkeit und zur Hinfälligkeit. Es steht außer Frage: wenn man von der ,entfremdeten Generation‘ unserer Tage spricht, dann ist Jeffers ihrer aller Opa. Keins unserer kleinen Talente kann diese Lücke, diese gähnende Leere füllen, die durch diesen Ausschluß entstanden ist. Und was die ,Pacific Basin Culture‘ angeht, so ist der Versuch, den kalifornischen Beitrag herauszustellen, ohne Jeffers zu erwähnen, so als ob man ein Zelt ohne den Zeltmast aufzubauen versuchte.“ Rexroth seinerseits lobte Winters Kritik genießerisch als „einen der verheerendsten Angriffe der modernen Kritik,… das Ansehn von Jeffers, das damals seinen Zenith erreicht hatte, hat sich nie davon erholt, sondern ging ständig bergab. Die jungen Leute von heute lesen ihn einfach nicht“.
Tatsächlich bedarf die Dichtung von Robinson Jeffers, anders als die von den „New Critics“ so hochgeschätzten Modernen, zu ihrem Verständnis nicht der akademischen Interpretation, die ganze Generationen in Brot gesetzt hat. Heute ist der „New Criticism“ längst selber ins modische Abseits geraten, aber seine Folgen leben weiter – vor allem in der Pedantisierung und Verengung der Lyrik, die derzeit fast ausschließlich an Hochschulen geschrieben und gelesen wird, so daß sie eigentlich nur noch durch eine Art künstliche Beatmung in der akademischen Sekundärwirklichkeit fortexistiert.
Jeffers selber hatte es schwerlich darauf angelegt, die Kollegen an Popularität zu übertreffen. Worauf er aus war, war nicht der Ruhm, sondern die Wahrheit, gleichgültig ob die jemand ansprach oder nicht. So ist es auch offenkundig, daß seine Texte gerade von denjenigen nicht zur Kenntnis genommen werden, die für ihre eigene Person nicht imstande sind, ohne die Lügen zu leben, die die drohende Katastrophe beschleunigen: die Lügen einer Rüstungspolitik des atomaren Gleichgewichts – aufgrund des Prinzips von „overkill“; die Lügen einer sozialen Sicherheit – aufgrund von Wachstumsraten, die auf dem Konkurrenzprinzip und dem Raubbau an den Lebensgrundlagen basieren; die Lügen eines Wohlstands – aufgrund der tödlichen Droge eines passiven Überkonsums, der die Verelendung der nicht-industriellen Völker immer mehr vorantreibt. Weil Jeffers sich von derlei Lügen radikal abgesetzt hatte, konnte er 1948 den Gedichtband The Double Axe veröffentlichen – mitten im Siegestaumel, der seine Landsleute befallen hatte, die sich damals rückhaltlos dem Glauben an Amerikas Weltmission verschrieben und im patriotischen Massenrausch das Sinnversprechen vergaßen, nach dem die Vereinigten Staaten angetreten waren, um sich von nun an einer globalen Vormachts-Ideologie hinzugeben. Die Empörung über die Gedichte, die Jeffers unter dem Eindruck des Kriegsgeschehens und unmittelbar danach verfaßt hatte, war dann auch grenzenlos. Seine Gedichte verschwanden aus den Gedichtanthologien.
Was Jeffers seinen triumphierenden Landsleuten ins Gesicht sagte, hörte sich so an:

Es erscheint mir an der Zeit, daß das Menschengeschlecht anfängt sich wie ein Erwachsener aufzuführen, statt wie ein egozentrisches Baby oder ein Geisteskranker.

Der viehische Blutrausch und der Wahnsinn der modernen Materialschlacht, meint Jeffers, erschöpfe sich nicht im Tod der Beteiligten, das zeige sich darin, daß keinerlei menschlicher Anstand, keine Rücksicht von Mensch zu Mensch, solche Ereignisse überleben könne. Die Greuel, die amerikanische Soldaten späterhin, etwa in My Lai, verübten, bewiesen seinen Landsleuten schockhaft die Wahrheit dieser Feststellung. Aber auch in den sog. Friedenszeiten macht sich die durch den Krieg bewirkte Verrohung der Sitten fortschreitend bemerkbar. Die von den Medien tagtäglich reproduzierten politischen Gewaltbotschaften ebenso wie die fiktiven serialisierten Grausamkeiten der Unterhaltungsindustrie sorgen für die allgemeine Immunisierung der Öffentlichkeit gegen die reale Gewalt, die – in der medialen Simulation – genossen und verinnerlicht werden kann. Robinson Jeffers hatte die professionellen Patrioten zutiefst empört und von nun an blieb er, trotz sonstiger Erfolge und Ehrungen, ein von den öffentlichen Medien weitgehend Geächteter. Der kritische Konsensus der „New Critics“ hatte eine Ergänzung gefunden von der Seite des „American Dream“, will sagen von der Seite der Geschäftspragmatiker, der Machtpolitiker und der „moral majority“, denen Jeffers Zivilisationskritik wie eine Gräte im Halse stecken blieb. Die vielgepriesene formale Demokratie unserer Tage war für ihn ja auch keineswegs die Erfüllung der ursprünglichen amerikanischen Revolution, sondern nur eine lukrative Abart der Sklaverei:

Freiheit? Freiheit war ein Feuer.
Wir haben uns davon befreit, wir fanden Wohlstand.
(„Hellenistics“, 1937)

Dennoch bleibt seine Größe bis auf den heutigen Tag unbestritten, wiewohl sie nicht näher in Augenschein genommen wird. In Deutschland ist Robinson Jeffers wohl der einzige große amerikanische Dichter des Jahrhunderts, der bislang unübersetzt blieb.
Aber die Verdrängung, von der wir anfangs sprachen, hat noch tiefere, weniger von der unmittelbaren Zeitsituation abhängige Ursachen. Sie ist letztlich Ausdruck einer Krise der westlichen Vernunft überhaupt. Jeffers selber war sich ja durchaus bewußt, daß er mit den blutrünstigen Fabeln seiner erzählenden und dramatischen Langgedichte die Leser abstieß. Aber die ungeheuerlichen und widernatürlichen Extreme, die er seinen Charakteren zudachte, haben eine bestimmte Funktion – sie sollen die Menschen aus den Zwängen, den kleinen Unlustgefühlen und den eingefahrenen Gewohnheitsbahnen ihres entfremdeten und verstädterten Daseins reißen, die ihnen die größeren Zusammenhänge ihrer Verstrickung verbergen. „Dies Buch“, schrieb er 1927 über die Women at Point Sur, „stellt einen Versuch dar, das menschliche Denken zu dezentralisieren. Es gibt keinerlei geistige Gesundheit für denjenigen, dessen Gedanken sich ausschließlich mit dem eigenen Bewußtsein und mit den eigenen Denkprozessen beschäftigen; ebenso gibt es keinerlei geistige Gesundheit für eine Gesellschaft, die unentwegt nach innen, auf ihre eigenen Angehörigen fixiert ist, wie es die unsere in immer wachsendem Maße ist – alles Interesse einwärts gekehrt, in Liebe oder Haß, im Miteinander oder Gegeneinander. Diese Dinge sind natürlich unerläßlich, aber wenn sie die Aufmerksamkeit ausschließlich in Anspruch nehmen, werden sie tödlich. Alle Hochkulturen der Vergangenheit sind zuletzt an ihrer Introversion gestorben, die unsere wird ebenfalls daran zugrunde gehen; aber der einzelne kann sich in seinem Denken aus diesem Netz befreien. Es ist eine Sache der ,Umwertung der Werte‘… Ich habe oft den Inzest als Sinnbild und Ausdruck solcher Introversion benutzt… Diese Erzählung war als tragische Handlung gedacht, d.h. als das Freilegen der eigentlichen Lebenselemente über eine Kauterisierung der unwesentlichen Anwüchse durch Schmerz und lähmenden Verfall.“
Im größeren Rahmen der unendlichen Vernetzung der Dinge gesehen, sei das menschliche Bewußtsein, das sich selbst diese Blendwerke von Macht, Qual und Untergang schafft, nichts als „das Träumen, zuweilen der Albtraum der Natur“. Diese Totalisierung ist es, bei der Jeffers ansetzt, und zu der seine Dichtungen in einem analogen Verhältnis stehen. Seine Weltanschauung hat er darum auch als „Inhumanismus“ bezeichnet, d.h. als die Ablehnung des westlichen Dogmas von der zentralen Stellung des Menschen im Kosmos, den der Nutzmensch von heute in blinder Besitzgier als die ihm zustehende Kolonie zu betrachten neigt. Aus diesem Grunde sei alles, was er schreibe, grundsätzlich „eine Satire auf das menschliche Selbstgefühl“. Ähnlich wie der große römische Dichter Lukrez in seinem philosophisch-naturwissenschaftlichen Lehrgedicht „De rerum natura“, auf das Jeffers wiederholt zurückkommt, geht es ihm um das schmerzhafte Bewußtmachen des Umstands, daß der Mensch nur ein Bestandteil eines größeren, sich selbst regelnden Daseins ist, das ihm auf keine Weise „gehört“ oder zur Verfügung gestellt ist. Uns Menschen von heute ist dieser Gedanke angesichts des immer häufigeren „Umkippens“ der Natur allmählich geläufig geworden. Aber Jeffers sah den ökologischen Zusammenhang schon im Jahr 1927, wie uns das Gedicht „The Broken Balance“ zeigt:

Die Welt verbraucht sich an Umschwüngen, Regen wird zu Gift,
Die Erde eine Gruft. Es ist Zeit zu vergehen.
Die Reben sind zerfressen, sogar die Fülle der Natur
Kränkelt das an, was ihre Grausamkeit zuvor gekräftigt hatte.
Steht man erst auf dem Scheitelpunkt der Zeit, ist es Zeit zu vergehen.

Die idealistische Metaphysik des westlichen Geistes hat das menschliche Bewußtsein zum Schöpfer der Realität erhöht und will keine Realität neben der ihren anerkennen. Aus diesem Grund ist, nach Jeffers’ Überzeugung, die wahre Hölle des Menschen unsrer Zeit der hypertrophierte menschliche Ich-Begriff, die zunehmende Unfähigkeit der subjektiven Vernunft des Menschen, sich selber zu transzendieren oder zu negieren. Aus dieser Ich-Befangenheit der Industriemenschen, die sich von allen ökologischen Grundlagen und Rückkopplungen abgeschnitten haben, nährt sich jene falsche Auswichtung zwischen dem Menschlichen und Nicht-Menschlichen, die unsere „Naturbeherrschung“ ausmacht:

Zivilisierte, ihr, die ihr danach schreit wieder menschlich
aaaaazu sein: so fängt man es an –

Kehrt euch nach außen, wendet eure Liebe an die Dinge
aaaaader Außenwelt, weg von der Menschheit,
Laßt diese Kunstfigur ruhn. Betrachtet, wenn ihr wollt,
aaaaadie Lilien des Feldes,
Lehnt euch an den stummen Fels bis ihr sein heiliges
aaaaaLeben spürt,
Laßt eure Adern erkalten, seht auf das schweigende
aaaaaSternenheer, erklimmt mit euren Augen
Die große Leiter aus dem Schacht eures Ich und der
Menschheit…
(„Sign Post“, 1935)

Das Ich und sein Bewußtsein von sich selber gilt freilich im westlichen Denken seit nunmehr zweihundert Jahren als alleiniger Träger der Vernunft. Was rational ist, definiert sich in der Folge ausschließlich am „vernünftigen Eigeninteresse“ und jede Sinngebung über die Egoismen der Individuen hinaus, die diese in einen größeren Zusammenhang binden könnte, wird als metaphysischer Schein oder ideologischer Betrug geächtet. Auf diese Weise schafft die moderne Technologie aufgrund von wissenschaftlichen Einzelerkenntnissen ein gigantisches Robotersystem, das die gemeinsamen natürlichen, gesellschaftlichen und psychologischen Lebensgrundlagen aushöhlt – letztlich als eine eng verzahnte Maschine, die ohne Ziel oder Ende abläuft und der sich der einzelne heute mutlos und machtlos unterworfen sieht. Der Begriff der Emanzipation, von dem die Aufklärung ausging, also die Befreiung des Menschen aus der gesellschaftlichen und natürlichen Übermacht der Verhältnisse, ist durch die konzentrischen Reduktionen der instrumentalen und technischen Vernunft schizophren geworden. Die beiden Momente der Emanzipation: die Bewältigung der Natur durch menschliche Arbeit und die Selbstverwirklichung des einzelnen in der Gesellschaft, treten heute in Gegensatz zueinander, denn die erstere erfordert die völlige Unterwerfung und Entmachtung des einzelnen zugunsten der industriellen Produktion, während seine Selbstverwirklichung an das menschliche Sinnbedürfnis gebunden ist – dem invariablen Verlangen nach Wiederherstellung einer „unverzerrten Kommunikation“ (Habermas), also einer Kommunikation, die nicht durch die egoistischen Zwecke von Gewinn oder Macht beschnitten ist: „wenn Macht und Wünschen zu vermählen wären“, heißt es bei Jeffers. Doch die kommunikative Ratio wird im Gegensatz zur instrumentalen Ratio unter der Herrschaft von kontrollierenden Technokraten, Medienmanagern und Sicherheitsexperten immer stärker eingeengt. Wir orientieren uns fast ausschließlich an einer „Rahmenlogik“, d.h. einer Argumentation, die im vorgegebenen Rahmen spezifischer Interessen – wie der Kapitalverzinsung – rational ist, nicht aber aufs Ganze gesehen. Die instrumentale technische Vernunft hat die Zwecke und Mittel auseinandergerissen, die Rationalität der Mittel schreitet fort „bei ungeminderter oder womöglich anwachsender Irrationalität der Zwecke“ (Th.W. Adorno). Wenn wir bedenken, daß wir in diesem Jahrhundert über einhundert Millionen unserer eigenen Gattung abgeschlachtet haben, immer im Namen von vernünftigen und legitimen Eigeninteressen, dann dämmert uns vielleicht, was es bedeutet, unter dem Diktat einer „Vernunft“ zu stehen, die sich allein aufgrund des subjektiven Interesses des einzelnen und der Gruppe und gegen das subjektive Interesse aller anderen einzelnen und Gruppen rechtfertigt und dabei die absolute imperiale Verfügungsgewalt über die „vernunftlose Natur“ beansprucht.
Eben diese Befangenheit des Industriemenschen in den Konventionen der subjektiven Vernunft und ihrer Sekundärwirklichkeit versucht Robinson Jeffers aufzubrechen, indem er den Menschen wieder in den größeren Rahmen von Natur und Kosmos stellt, wo Realität aus einem Zusammenwirken von subjektiver und objektiver Vernunft entsteht. Dabei gibt er der „objektiven Vernunft“ – die man im Mittelalter als „göttliche Vernunft“ bezeichnete und die in der Aufklärung durch den Begriff der „Natur“ und ihrer Gesetzlichkeit abgelöst wurde – deutlich die Übermacht über die subjektive Vernunft mit ihrer angemaßten „Naturbeherrschung“:

In künftigen Tagen wird der Mensch so mächtig werden,
Daß er den Himmel und den Erdkreis zu beherrschen scheint,
Daß ihm der Weltraum und alles Wissen kund geworden scheint –
Er mag sich hüten. Etwas liegt heimlich auf der Lauer.
Es ist immer ein Dolch in den Blumen. Es ist immer ein Löwe am Rand des Feuerscheins.
(„The Cretan Woman“, 1954)

Die Vorstellung einer objektiven Vernunft, einer Vernunft ohne menschlichen Träger, bzw. einer Vernunft in der Natur, gehört zu den wichtigsten hinweg-reduzierten Konstanten der westlichen Ratio. Letztlich setzt aber jede technische Erfindung die Befolgung von Naturgesetzen voraus, so daß man mit gleichem Recht von einer Kontrolle der Natur über die Tätigkeiten des homo faber sprechen könnte wie umgekehrt. Auch die „Selbsterzeugung des Menschen“ (Marx) durch die Arbeit war in jedem historischen Stadium nur eine Frage an die Natur. Somit geht eine stillschweigende Deduktion allergrößten Ausmaßes jedem wissenschaftlichen Experiment voraus: die Annahme, daß die äußere Realität ein kohärentes Ganzes bildet, in dem ein Bereich für den anderen über Analogiesetzungen erschlossen und veranschaulicht werden kann, kurz die Annahme, daß wir nicht in einem Zufalls-Universum leben – und das bedeutet im Grunde nichts anderes als die „metaphysische“ oder „irrationale“ Annahme einer objektiven Vernunft in den Dingen selbst. Mit ihr steht oder fällt die experimentelle Methode der Naturwissenschaften.
Der „poetic realism“, zu dem sich Jeffers bekennt, beruht auf einer wesensverwandten Vorstellung vom Zusammenhang zwischen Subjekt und Objekt, derzufolge Dichtung als Aktualisierung eines permanenten Dialogs zwischen Innenwelt und Außenwelt aus der Interaktion der Dinge mit dem dichterischen Organ entsteht. Der Dichter bezieht seine Worte aus dem gegenständlichen Bereich der körperlichen, sicht- und tastbaren Realität und überträgt sie auf den unsichtbaren und ungreifbaren Bereich der menschlichen Seele, oder er übersetzt seine Gedanken und Gefühle in das Idiom der sinnlich-greifbaren Entsprechungen und demonstriert so die Umkehrbarkeit der Prozesse zwischen der menschlichen Wahrnehmung und dem nicht-menschlichen Wahrgenommenen. Bei diesem Stoffwechsel wird eine ursprüngliche Relation – die Gegenseitigkeit von Geben, Nehmen und Wiedergeben – rekonstruiert. Der Autor dieser philosophischen und mythischen Gedichte entfesselt seine mächtigen Bilder gegen die abstrakte sinnentleerte Begrifflichkeit der Sprache von Heute und koppelt zugleich seine Gedanken zurück an das Sinnlich-Greifbare. So verleibt er die Bilder seinen dramatisch-epischen Erzählungen ein, in denen Denken als „Praxis“ durchlebt wird. Diese Lyrik ist folglich „poiesis“, Dichtung im ursprünglichen griechischen Sinn des Wortes, das gleichzeitig „das Machen, das Tun, die Handlung“ bedeutet, sie ist dialogisches und mythisches Geschehen, in dem die Sprache der Dinge sich gleichberechtigt mit der Sprache des Autors äußert. Das Nicht-Ich – das, was Jeffers das „Inhumane“ nennt – bleibt für ihn etwas Nicht-Manipulierbares, aus dem sich sein „poetischer Realismus“ konstituiert.
Im Sinne eines derart dialektischen Realismus sind auch die Ausführungen von Jeffers über einen anderen vitalen Leitbegriff seiner Dichtung zu verstehen:

Ich sagte vor kurzem etwas über die Schönheit des Universums, die unsere Liebe und Verehrung auslöst. Die Schönheit ist eine subjektive Empfindung wie die Farbe. Sie liegt nicht im Objekt, sondern im Bewußtsein, das es betrachtet. Dennoch glaube ich, daß sie etwas tatsächlich Vorhandenem entspricht, einer realen Vortrefflichkeit und Erhabenheit der Welt, so wie die Farbe ,rot‘ einer Realität entspricht – bestimmten Wellenlängen des Lichts, einem gewissen Rhythmus seiner Schwingungen. Es war Platon, der die Schönheit als Ausstrahlung definiert hat, das Hervorleuchten des Wahren.

Die Schönheit, die er meint, ist also für Jeffers eng mit seiner Vorstellung des Wahren verknüpft, d.h. mit einer objektiven Ordnung, die er zuweilen auch rückfällig als „Gott“ bezeichnet, wiewohl das Gemeinte an dem Gedicht „Bei der Betrachtung eines menschlichen Schädels“ viel präziser zum Ausdruck kommt. Er selber erläutert dazu: „Ein weiteres Thema, das meine Verse öfters behandelt haben, ist der Ausdruck eines religiösen Empfindens, das man vielleicht Pantheismus nennen sollte, obwohl ich es ungern mit einem Namen belege. Es ist das Gefühl, ich wage zu sagen die Gewißheit, daß das Universum ein Lebewesen ist, ein einziger Organismus, ein großes Leben, das alles Leben und alle Dinge in sich einbegreift und das so schön ist, daß man es lieben und verehren muß. Und in Augenblicken mystischer Vision identifizieren wir uns mit ihm. Dies ist in gewisser Weise genau das Gegenteil des orientalischen Pantheismus. Der mystische Hindu findet Gott in seiner eigenen Seele, für ihn ist die Außenwelt eine Illusion. Für das andere Empfinden hinwiederum ist die Außenwelt wirklich und göttlich. Die eigene Seele aber könnte eine Illusion genannt werden, so vergänglich und hinfällig wie sie ist. Dies ist die Erfahrung, die mein Orest am Ende eines langen Gedichtes ,The Tower Beyond Tragedy’ macht.“
Der wiedergewonnene Sinn für die primäre Wirklichkeit der nichtmenschlichen Außenwelt wäre der erste Schritt zur Genesung von der inzestuösen Selbstbefangenheit des Menschen, die ein Hauptanliegen dieser Dichtung ist. Durch das Abrücken von der menschlichen Selbstwichtigkeit bekommt das Erlöschen des Ich, der Tod einen neuen Aspekt – den der erwünschten Rückkehr in das reine fraglose Sein der anorganischen Dinge, in den traumlosen Schlaf der Natur. Aber es ist auch genau diese Dimension des absteigenden Lebens, die unsere auf einseitiges Wachstum ohne Kehrseite fixierte Gegenwart nicht zu akzeptieren vermag. Der westliche Identitätsbegriff beruht ja auch auf einer einseitigen, d.h. nicht umkehrbaren, Behauptung der Autonomie des Ich gegenüber allen Zwängen von Außen und Innen, er definiert seine Freiheit dementsprechend negativ – als reines Entrinnen, und klammert die tragische Dimension aus, die dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, eine Grunderfahrung unseres Jahrhunderts ist.
Der tragische Mythos entsteht nicht aus der Polarisierung, sondern aus der inneren Dialektik von Aufbau und Abbau, Wachstum und Verfall, Gewinn und Verlust und ist darum für die reduzierte Vernunft geradezu „das Bild alles Furchtbaren, Bösen, Rätselhaften, Vernichtenden, Verhängnisvollen“ (F. Nietzsche). Doch auch wenn der einzelne seine Sterblichkeit und sein Ausgeliefertsein an fremde Mächte weitgehend verdrängt, begleitet das unterschwellige Wissen von der Existenz dieses Abgrunds ihn lebenslang. Michel Foucault hat die Erfahrung des Tragischen eine „Grenzerfahrung“ des abendländischen Denkens genannt: „Nietzsche wies auf die Struktur des Tragischen hin, auf der die Geschichte des Abendlandes aufbaut und die nichts anderes ist als die Ablehnung, das Vergessen und das stumme Zurücksinken der Tragödie.“ Eben diese Abweisung des Schrecklichen aus einem wohlstands-bürgerlichen Sicherheitsbedürfnis heraus bewirkte auch die Ausblendung des Namen „Robinson Jeffers“ aus dem Literaturbetrieb. Wie sollte der Innenweltbürger auch mit dieser Vision von der „Gewalt, dem augenlosen Schrecken, dem Wurzelstock der Welt“ (R. Jeffers) fertig werden? In mehr als einer Hinsicht ist Jeffers der „poet of death“, den Walt Whitman vorausgesagt hat:

Was der Römer Lukrez so nobel, und doch so blind und negativ, für sein Zeitalter und dessen Nachfolger zu leisten suchte, muß im postitiven Sinn von einem großen künftigen Autor, genauer einem Dichter getan werden, der, während er durchaus poetisch bleibt, alles, was die Wissenschaft aufzeigt, zusammen mit der geistigen Natur in sich aufnehmen wird, um so aus ihnen, sowohl wie aus seinem eigenen Genie, das große Gedicht des Todes zu schreiben. Dann erst wird der Mensch sich wahrhaft der Natur, der Zeit und dem Raum stellen – mit Wissenschaft und mit Liebe, dann erst wird er seinen wahren Platz in ihnen einnehmen, lebensfähig und imstande, Glück und Unglück zu meistern.

Nun mag es angesichts der uneingestandenen doch allgegenwärtigen Gewalthörigkeit unserer Gesellschaft etwas seltsam anmuten, daß die Gedichte von Robinson Jeffers gemeinhin wegen ihrer „Grausamkeit“ abgelehnt werden. Was ist an diesen Werken denn so anders? Ich glaube, die Anwort darauf kann nur lauten: die tragische Komponente. Die Fabeln, die Jeffers erfindet, sind nicht Ausdruck eines hinweggelogenen Widerspruchs. Sie treten uns bestürzend genug gegenüber, aber nicht in der Verzerrung und Mißgestalt der industriebürgerlichen Verdrängung und Polarisierung. Jeffers befaßt sich mit der Gewalt nicht weil er sie liebt, wie ihm von den Kritikern unterstellt wird, sondern weil er sie loswerden will, statt, wie allgemein Üblich, durch ihre Verinnerlichung eine heimliche Komplizität mit ihr einzugehen. So ist es auch bezeichnend, daß sich vor dem großen „culture shock“ und Trauma des 1. Weltkriegs, also vor 1918, keinerlei Gewalt in seinen Gedichten finden läßt. Die bloße Darstellung des Gewalt-Erleidens erfüllt ja noch keineswegs die Bedingungen der Tragödie, das blinde Ausgeliefertsein an die Gewalt führt nur zur Frustration oder neurotischen Blockierung, während die tragische Passion zu einer Vision führt, zum Einblick in den inneren Sinnzusammenhang zwischen Aktion und Passion, der bislang verborgen war.
Jeffers’ Präokkupation mit dem Leiden, einem Leiden, bei dem der einzelne im Vergleich zu den größeren Lebenszusammenhängen zunehmend an Wichtigkeit verliert, dient der Sinn-Entdeckung. Denn das ist die Bestimmung des Menschen als denkendes Wesen:

Dann wird der Mensch erwachsen sein. Er wird noch leiden
und noch sterben, dann aber wie ein Gott
Und nicht wie ein gequältes Tier.
(„Going to Horse Flats“, 1937)

Im tragischen Geschehen wird die subjektive Rationalität des handelnden Ich zum größeren objektiven Sinnumfang erweitert und darin aufgehoben. Das Zusammenspiel der Kräfte sprengt hier die reduzierte Rahmenlogik, so daß größere Gewalten, die unser Dasein bestimmen, auf den Plan treten können. Das untragische Lebensgefühl hinwiederum beruht, wie Erich Frantzen aufgezeigt hat, darauf, daß es sich nur auf partikulare und individuelle Ziele richtet und „die Frage nach dem Gesamtzusammenhang nie stellt“.
Bei Jeffers nimmt nun aber die Sinnfrage die scheinbar irrationale Form eines Exorzismus der unheimlichen Mächte an, die, wie er meint, dem Menschen von heute auflauern und sich an ihm rächen wollen. Mag sein, daß der strafende alttestamentarische Gott seiner väterlichen kalvinistischen Vorfahren diesen paranoiden Zug seiner Dichtung bedingt hat. Für seine Person bekennt er in dem frühen Gedicht „Apologie für böse Träume“ (1925), daß seine erzählenden Gedichte als poetische Blutopfer gedacht sind, die das Böse von ihm selber und von den Seinen abwenden sollen. Den Krebstod seiner geliebten Frau Una (1950) und sein eigenes Altersleiden führt er später darauf zurück, daß er bei seinen alljährlichen Opfern „alt und saumselig“ geworden sei:

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa… So hörte ich
Auf meinen Dämon, der mich warnte, daß
aaaaaUnheil auf mich zukäme
Sobald ich einhielte in meiner Arbeit und
aaaaakeine Opfer brächte
An ausgemalten und erdachten Menschenleben.
(„But I am Growing Old and Indolent“, 1963, posthum)

Das Gefühl einer übermächtigen Bedrohung, einer Schuld auch, die für sein persönliches Lebensglück abzuleisten wäre, blieb immer gegenwärtig. Ein solches Gefühl ist, allgemein gesprochen, der Ausdruck des unzerstörbaren archaischen Triebgrunds im vermeintlich so rationalen Menschen:

der raubtierdumpfe, wahnverseuchte Schacht der Menschenseele,

wie Jeffers ihn nennt.
Dem Menschen der Frühzeit erschien es nämlich als Frevel, irgendetwas von der Natur zu nehmen, ohne es ihr, zumindest symbolisch, zurückzuerstatten. Die Natur als bloße verfügbare Materie für den Menschen war den Naturvölkern eine durchaus fremde Vorstellung. Sie war ihnen die Mutter allen Lebens, sich selber sahen sie in der Kontinuität und der Abhängigkeit von der Lebenskette: Tier-Pflanze-Stein, die ihnen die Selbstüberhebung einer Naturbeherrschung nicht erlaubte. So mußte ein Teil der ersten Feldfrucht der Erde erstattet werden, damit sie aufs neue hervorbringen und schenken konnte; ein weiterer Teil der Erträge von Ackerbau, Viehzucht und Jagd wurde beim gemeinsamen kultischen Speiseopfer den Stammes- und Naturgöttern dargebracht. Die Opferhandlungen garantierten und bekräftigten das Gesetz an der Basis der menschlichen Gesellschaftsbildung – das Gesetz der Gegenseitigkeit von Geben und Nehmen. Sie waren die feierliche Bestätigung der fortbestehenden Einheit und der wechselseitigen Bedingtheit aller Lebensformen; sie bildeten das symbolische Band zwischen Mensch und Natur und zwischen den Menschen einer Gruppe. Aus diesem frühgeschichtlichen Opferzusammenhang entstand das unabweisbare Gefühl einer Verpflichtung gegenüber der Natur, bzw. den Naturgottheiten, denn nach der damals herrschenden Vorstellung werden die unendlichen Vernetzungen des Lebens durch die gewaltsame und einseitige Entnahme des Menschen gestört, was nach Wiedergutmachung und Sühne ruft. Der Gedanke einer „Herrschaft“ der Einzelwesen über ihren Existenzgrund, die Natur, konnte hier gar nicht aufkommen. Dagegen ist unsere heutige technologische „Naturbeherrschung“, die vermeintliche Befreiung von allen Naturzwängen, bis zu der Vorstellung des reinen Entrinnens des Ich vorangetrieben worden, so daß der zivilisierte Mensch meint, straflos in der von ihm selbst erzeugten „zweiten Natur“ seiner asphaltierten und betonierten Industrielandschaft leben zu können.
Die Tieropfer, die als Repräsentanten der Triebnatur des Menschen in der Frühzeit dargebracht wurden, erscheinen uns heute als allzu blutig-barbarisch und irrational, uns, die wir im Interesse der Profitmaximierung ganze Pflanzen- und Tiergattungen ausgerottet haben und immer noch ausrotten. Die industrielle, „rationale“ Produktionsweise ist ja auch diejenige Form der politischen Ökonomie, die für ihr Wachstum nichts zahlen will. Sie funktioniert nur deshalb, weil das menschliche Opfer ebenso wie das wirtschaftliche Minus exportiert wird. Was im Bann des einseitigen Aufstiegswahns eines Wachstums ohne Verfall bejaht werden kann, das ist der Tod und Verlust der anderen: „die Todesproduktion resultiert in einer Verdrängung des Todes, die wohl beispiellos in der Geschichte ist“ (Gerd Bergfleth). Ganz offensichtlich entspricht dem Schuldensystem, auf dem die industrialisierte Wirtschaft und Landwirtschaft in finanzieller Hinsicht beruht, auch ein innerpsychisches Schuldsystem, das seinen eigenen Zins und Zinseszins an Aggression, Gewalt, Verheerung eintreibt. In diesem Kontext gesehen, wären die Stammesfeiern unserer überreichen Konsumgesellschaft dann die globalen Kriege. Ein verinnerlichtes Strafbedürfnis, die Empfindung einer unbeglichenen Sühneschuld für die fortgesetzten Gewalthandlungen gegen alle Lebensgrundlagen, begleitet und verstört den aufgeklärten Menschen der Neuzeit jedenfalls zutiefst. Nicht zu vergessen – als archetypischer Ausdruck der Schuldvertauschung – ist gerade in der westlichen Kultur, und nur in ihr, die literarische Gattung der Tragödie entstanden, „das Lied des Sündenbocks“, und in der Dichtung von Jeffers gewinnt sie, über das rein Literarische hinaus, die Dimension einer welthistorischen Gattung, denn für diesen Dichter ist das menschliche Bewußtsein mit all den Leiden, Greueln, Ungeheuerlichkeiten, die es aufführt, „ein Nervenende,… eins der Gefühlsorgane Gottes“, d.h. des Weltganzen. Der religiöse und irrationale Impuls, der Jeffers mächtig vorantreibt und gegen den er sich sein Leben lang (und öfters vergeblich) wehrt, erfährt hier eine erstaunliche Selbstreflektion: Dichtung und Religion verschmelzen zum Ausdruck einer höheren Pathologie.
Das tragische Lebensgefühl, das dieses Werk trägt, verlangt nach Leiden, nach „Pathos“ in seinem ursprünglichen Wortsinn, nicht nach dessen poetischen Ersatzformen. In ihrer höheren Gestalt, meint Georges Bataille, rufen Literatur und Theater „durch symbolische Darstellungen tragischen Ruins (Erniedrigung oder Tod) Angst und Schrecken hervor; in ihrer niedrigeren Form erregen sie durch analoge Darstellungen… Gelächter. Der Begriff Poesie, der die am wenigsten verdorbenen, am wenigsten intellektualisierten Ausdrucksformen eines Verlorenseins bezeichnet, kann als Synonym von Verschwendung angesehen werden; Poesie heißt nämlich nichts anderes als Schöpfung durch Verlust. Ihr Sinn ist also nicht weit entfernt von dem des Opfers“. Dieses, das „eigentliche Element der Poesie“ (Bataille) bewirkt dann eine Entsicherung und Entgrenzung der Spanne der für das untragische bürgerliche Bewußtsein noch zulässigen Gefühle. Dazu kommt die Vertiefung unserer gemeinhin prosaisch-flachen Sprache um die dichterische Dimension, die an gefährliche Triebstrukturen rührt. Damit erfährt das verstädterte und innenweltbürgerliche Gesichtsfeld eine Ausdehnung sowohl auf größere Räume, Meere, Kontinente, Sterne, sowie auf Themen, die nach der Weltuhrzeit eine gewisse Dauer besitzen.
Das tragische Geschehen benötigt, wie Jeffers erklärt, die direkte und schmerzhafte Konfrontation mit der Gewalt, die „Kauterisierung“ der unwesentlichen zivilisatorischen Auswüchse, um zur primären Wirklichkeit zurückzugelangen.

Die Prosa wohnt im sicheren Zimmer, wo das Lampenlicht die Wiederkehr von Tag und Nacht abgeschafft hat, und wo wir den Wechsel der Jahreszeiten vergessen können. Die menschliche Zersplitterung, der Flattersinn, das Oberflächliche an uns, kann nur in einem Schutzraum existieren. Dichtung lebt nicht in dieser Welt, sondern in einer größeren. Sie kann nicht sprechen, ohne sich an die Phasen von Sonne und Mond zu erinnern, an den Rhythmus des Ozeans und die Wiederkehr der menschlichen Geschlechter, die steigenden und fallenden Wellen von Leben und Tod. Unsere Alltagssprache ist die der Prosa, wir reden nicht sehr oft über wirkliche Dinge… Dies [die Frage der Realität] ist es, was die höheren Formen der Dichtung kennzeichnet, die mit den Mitteln der Realität von realen Dingen handeln.

Die reine räumliche Anwesenheit der Dinge reicht hier als Kriterium für den Wirklichkeitswert nicht aus, auch eine Zeitausdehnung von Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft wird dazu benötigt, eine Permanenz, die in Jeffers Werken wiederholt durch seine Affinität zum Stein reflektiert wird. Der Zeitraum, in dem die Dinge stattfinden, wäre somit ein Grundbestandteil ihrer Realität, schnell-lebigen Zeiterscheinungen kommt vergleichsweise weniger Wirklichkeitsdichte zu:

Die Dauer ist ein weiterer Aspekt der Realität; eine Eisenbahn etwa ist nicht so real wie ein Berg; sie existiert auf ihre wunderliche Weise für ein-zwei Jahrhunderte, aber sie ist nicht wirklich; in einem Großteil der menschlichen Vergangenheit und Zukunft kommt sie nicht vor… Die meisten unserer technischen Erfindungen sind nur Behelfe auf Zeit, oder es bleibt das, was ihnen möglicherweise wesentlich ist, verborgen; gerade das macht das Leben in der modernen Großstadt poetisch steril: es ist ein Leben ohne Dauer und es wird unter Irrealitäten gelebt.

Ausdrücklich will Jeffers der Dichtung „etwas von jener Kraft und Realität“ zurückgewinnen, die sie verloren hat, will:

erzählende Gedichte schreiben und Themen aus dem zeitgenössischen Leben nehmen, Aspekte des Lebens beschreiben; die die moderne Literatur übergeht und überdies philosophische und wissenschaftliche Gedankengänge in Versen zum Ausdruck bringen. Ich hatte lediglich im Sinn, ältere Freiheiten wieder in Anspruch zu nehmen.

In seinen langen Verszeilen, die sich an den Rhythmen des Meeres und den aus seiner Kindheit erinnerten griechischen Langzeilen orientieren, hat Jeffers sich ein Instrument geschaffen, das ebenso zur philosophischen Reflexion wie zum eruptiven Pathos taugt – das alles ohne die sterile Intellektualität mancher zeitgenössischer Dichter, für die jede Art von direkter allgemeiner Aussage geradezu Anathema ist. Seine bildmächtige Sprache greift auf einen Bestand zurück, in dem beides – zeitgenössisches (=prosaisches) und permanentes (=poetisches) Leben erfaßt wird: „Poetischer Gehalt (Gefühle, Gedanken und Ausdruck) ist auch in der Prosa zu finden“, schreibt Jeffers, „und kann von Prosa unterschieden werden nur insofern ihm einige Elemente stärker und andere schwächer zueigen sind. Das Denken bewegt sich [in der Poesie] auf primitiveren Bahnen und ist weniger spezialisiert. Die Sprache ist bildhaltiger, gibt eher konkrete Vorstellungen als abstrahierte Ideen wieder und ist mehr auf die eigene Musikalität bedacht. Die Dichtung spricht eher die Emotionen als den Intellekt an, insbesondere die ästhetischen Emotionen. Inständiger als die Prosa wendet sie sich an die Vorstellungskraft und an die Sinne. Sie befaßt sich mit den beständigeren Aspekten des Menschen und der Natur. Sie ist im allgemeinen dem Alltag weiter entrückt um einem natürlichen, nicht-spezialisierten und leidenschaftlichen Leben näherzukommen. Dichtung ist eher ein Feiern, Prosa eher eine Feststellung der Dinge.“
Für die beabsichtigte „Wiedergewinnung von Substanz und Sinn, physischer und psychischer Realität“ (Jeffers), war die Einsicht entscheidend, daß der technologischen „Naturbeherrschung“ Grenzen gesetzt sind, die nicht nur außen, von der natürlichen Umwelt, sondern auch im Inneren der menschlichen Natur selbst gezogen sind, und, daß die verbleibenden Möglichkeiten der Freiheit heute viel eher bei diesen Grenzen ansetzen als bei einer Technologie, die sich als phantastisches Instrument der Unterjochung bewährt hat. Diese innere Grenze im Menschen selbst – eine Grenze, die wie alle Grenzen zugleich einen Grenzübergang darstellt – bildet die Quintessenz des Jefferschen „Inhumanismus“: es ist die Wasserscheide zwischen Menschlichem und Nicht-Menschlichem, historischem Wandel und biologischer Invarianz. Dieser inneren Nahtstelle von Kultur und Natur im Menschen selbst entspricht Freuds Konzeption des „Es“ als derjenige Teil des Unbewußten (nicht des lebensgeschichtlichen Vorbewußten oder Unbewußten), in dem die Triebstrukturen des Organismus angesiedelt sind, wodurch das „Es“ für das bewußte, denkende Ich völlig unauflösbar bleibt. Das bedeutet mit anderen Worten, daß das biologische Sein des einzelnen zuletzt, unberührt von der wissenschaftlich-technischen „Selbsterzeugung“ des Menschen, „auf das Wissen unreduzierbar“ (Freud) bleibt. Eben weil dieser Teil des Unbewußten vegetativ und unbeirrt von den bewußten Vorgängen nach anderen Denkordnungen fungiert, stellt es für das bewußte Ich eine objektive Realität dar, die sich „nach innen ohne scharfe Grenzen in ein unbewußtes seelisches Wesen fortsetzt, das wir als ,Es‘ bezeichnen“ (Freud). Nun weisen aber, wieder nach Freud, genau die Es-Funktionen der Psyche über das Individuum hinaus und besorgen „seine Anknüpfung an die Gattung“, oder, wie man im Sinne von Jeffers’ „Inhumanismus“ wohl sagen mußte, seine Anknüpfung an die natürliche Evolutionskette von Tier, Pflanze, Mineralien, kurz an die belebte und unbelebte Natur. Aus diesem Wachstumspunkt, dem biologischen Sein, entsteht nach dem „Gesetz der Erhaltung im Psychischen“ in der menschlichen Vorstellungswelt ein monströses Apriori: der Bereich des Mythischen. Die Fähigkeit der Steuerung zwischen persönlichem Bewußten und unpersönlichem Unbewußten, die im Verlauf der Naturgeschichte und der Menschengeschichte entstanden ist, bildet eine ahistorische Konstante, die zwar zu verschiedenen Existenzordnungen in der Geschichte gedrängt hat, aber immer unter der Bedingung, daß sie dieser inneren Grenze der menschlichen Natur Rechnung trugen. Die Psychologie der Charaktere von Jeffers ist durchwegs auf diese negative Rückkoppelung hin angelegt – einer kompensierenden Korrektur des Unbewußten für die „Illusionen des Bewußtseins“kraft seiner „größeren Wahrheit“ (C. Lévi-Strauss).
Was überall an den verstreuten Äußerungen des Dichters zu seinem Werk auffällt, ist denn auch seine durchgängige rückläufige und rückkoppelnde Ausrichtung, der Versuch, auf mehreren Ebenen zugleich eine „Resurrektion der Natur“ in die Wege zu leiten. Seine poetische Tendenz entspricht dabei in einigen wesentlichen Punkten der Funktion der frühgeschichtlichen Kommunion durch das Opfer, aus der ja auch die Tragödie entstanden ist. Auch seine Techniken dienen einer Steigerung des Bewußtseins für die Konvergenzen der begrenzten Lebensspanne des einzelnen mit der zyklischen Wiederkehr der Natur, in der die einzelne Lebenszeit eingeschlossen ist. Rhythmus, Wiederholung, bildhafte Projektion sind hier ein Teil der Bestrebung, zu den Dingen der Außenwelt, d.h. der nicht-menschlichen Natur, zurückzufinden und an ihnen Bestätigung für den Totalzusammenhang des Lebens zu erfahren, eine Entsühnung auch für die dünne, abstrakte, nur noch von Menschen für Menschen simulierte Realität durch authentische Wirklichkeitswerte.
Nun mag man sich fragen, inwiefern die erfundenen dramatisch-epischen Aktionen des Dichters als „authentisch“ gelten können, inwiefern das fiktive poetische Opfer die ursprüngliche Verlusthandlung ablösen kann. Roland Barthes hat diese Frage einmal so formuliert:

Contre quoi échanger un récit? Que vaut le récit? (Wogegen wird die Erzählung getauscht? Was ist die Erzählung ,wert‘?)

Eine Antwort darauf bietet vielleicht der uralte erzählerische Topos an, wonach das, was der Geschichtenerzähler für seinen Vortrag erhält, das eigene Leben ist. Für Jeffers jedenfalls träfe das zu, denn seine erdachten Menschenopfer bedeuten ihm, wie er betont:

aaaaaaaaaaaaaaa mein Blut und meine Qual,
Denn es waren Geschöpfe von mir.
(„But I am Growing Old and Indolent“, 1963, posthum)

Das Lebensopfer dieses Dichters geht in einige Tiefe – es besteht nicht nur aus den Selbstversagungen, die auf der Hand liegen, etwa des Mitleids – eines Mitleids sowohl mit den erdachten Personen seiner Verserzählungen wie mit den echten Menschenopfern unseres Zeitgeschehens, eine Versagung, die ihm offensichtlich ebenso zu schaffen machte wie der Entschluß, sich aus den politischen Zeitereignissen herauszuhalten, oder die Zurückweisung seiner tiefreligiösen Veranlagung. Diese Verweigerungen gehörten, ebenso wie sein Verzicht auf populäre Resonanz, zu dem Entschluß des Aussteigens aus der Gesellschaft seiner Zeit. Man könnte das alles auch als einen intensiveren Ausdruck der heute bereits „normalen“ Entfremdung des schaffenden Künstlers von der Massengesellschaft sehen. Aber hier kommt es auf die Kosten an und Jeffers „nahm es vom Lebendigen“:

Den Dichter ernährt diese Weltzeit erst,
Wenn er sie zerfetzt hat – und sich selber dazu.
(„Tear Lire to Pieces“, 1963, posthum)

So liest es sich in einem der nachgelassenen Gedichtfragmente. Bataille hat für die Opferhandlung, in der die Überschüsse der Natur festlich vertilgt wurden, den Begriff der Verausgabung (französisch: „dépense“) eingeführt. Und er meint, daß die raison d’être der Bürger der Industriegesellschaft geradezu der Horror vor der Verausgabung sei. Tatsächlich entzieht sich dieser Begriff einer rechnenden und messenden Vernunft, für die alles, was sich nicht quantifizieren läßt, aus dem Bereich der relevanten Wirklichkeit herausfällt. In Jeffers Augen aber ist auch das Vorkommen des organischen Lebens im Weltall letztlich ein Ausdruck der Verausgabung, das Leben ist:

aaaaaaaaaa… ein notwendiger Überschwang
Im eiskalten Getriebe der Materie,
Ein Sühnopfer des Weltalls.
(„The Caged Eagle’s Death Dream“, 1928)

„Exuberance is Beauty“, hatte der englische Dichter und Maler William Blake geschrieben – ganz im Sinne von Robinson Jeffers, für den es das Überschießende ist, also das, was die heute so allmächtige Zweck-Mittel-Relation übersteigt, woraus sich die Schönheit konstituiert, die Schönheit der Natur wie die Schönheit der menschlichen Seelenkraft. Die Schönheit, die wir erfahren, sagt er uns in dem Gedicht „Gottes Exzesse“, ist reines Geschenk, jenseits aller Notwendigkeit und gerade kraft ihrer „Nutzlosigkeit“ setzt sie ein Zeichen für die Fülle und Freigebigkeit des Weltganzen:

Das Übermaß der Güte, das zum Menschen spricht
Und das auch ihm zukäme,
Wenn Macht und Wünschen zu vermählen wären.
(„God’s Excesses“, geschr. ca. 1932, veröffentl. 1956)

In der frühgeschichtlichen Verausgabung durch die Opferfeste wurde vor allem die Partizipation aller Menschen an diesem Überschuß bekundet. In ihr, als der „Lust am Verlust“, reflektiert sich eine verschwenderische Kraft, „deren einzige Bestimmung es zu sein scheint, sich hemmungslos zu vergeuden“ (G. Bergfleth). Das, was für die Natur gilt, gilt auch für die „Selbstverschwendung des Menschen“, wie es Bataille genannt hat.

Die Skala dieser Selbstverschwendung ist auch heute noch, trotz der Herrschaft des Produktionswahns, ungeheuer reich. Sie umfaßt, um nur die wichtigsten Formen zu nennen: die Kategorie der agonalen Verausgabung: Wettkämpfe, Spiele aller Art; die affektiven Formen: Lachen und Weinen und dgl.; die symbolischen Formen: Literatur, Kunst, Musik; die eigentlich exzessiven Formen: die diversen Formen des Rausches, des Tanzes, der Erotik und Orgien aller Art; und zuletzt und zuhöchst das, was ich die heutigen Formen desHeiligen nennen möchte: die Revolte, das revolutionäre Opfer, das Todesfest als Fest des Lebens, das hier erfahrbar wird. In all diesen Formen verschwende ich, was ich bin, nicht, was ich habe – es sind Verschwendungsarten, die ökonomisch nicht mehr faßbar sind und daher der Totalisierung des Produktionswahns entgehen. (Bergfleth)

Eine Zusammengehörigkeit von Kreativität und bedingungsloser Verausgabung sieht Bataille vor allem in manchen Formen der Dichtung, deren Produkt dann aufs engste mit der Selbstaufgabe des Dichters verbunden ist. Er nennt sie „das Opfer“, denn auch das Wort „Sacrificium“ ist etymologisch:

nichts anderes als die Erzeugung heiliger Dinge. Damit ist klar, daß heilige Dinge durch eine Verlusthandlung entstehen. (Bergfleth)

Welcher Art diese Verlusthandlung ist, wird in Jeffers’ Verserzählung „The Inhumanist“ (1948) ersichtlich. Dort tötet der alte Mann (der „Inhumanist“) sein alter ego, den „man of terrors“, mit seiner kretischen Doppelaxt und spricht zu dem Hund, der ihn adoptiert hat:

Aaaaaaaaaaaa„… Kein Mensch hat sich je
aaaaaselbst erkannt oder sich übertroffen,
Sofern er nicht die andere Hälfte von sich umgebracht.“
aaaaaEr beugte sich übers Dollbord und drehte
aaaaaden Toten mit dem Gesicht nach oben –
Es war sein eigenes Gesicht, so wie es in der Jugend war.

Immer noch, im Alter von 62 Jahren, sah sich Robinson Jeffers genötigt, seine Jugend, vor dem Ausstieg aus der Wettbewerbsgesellschaft, auszulöschen! Man sieht, was es mit den „erdachten Toden“ dieser Verserzählungen auf sich hat. Anders als in den Ersatzformen der Poesie hört für die wenigen Dichter, die diesen ursprünglichen Opferzusammenhang in den Griff bekommen, die poetische Verlusthandlung auf, bloße schreibende Simulation zu sein:

Die Aufgabe der Darstellung bedeutet für den, der sie übernimmt, sozusagen den Einsatz seines Lebens… Oft verfügt man über Worte nur zu seinem eigenen Verderben, und man ist gezwungen, zwischen einem Los zu wählen, das einen zum Ausgestoßenen macht, der von der Gesellschaft abgesondert ist, wie die Exkremente vom sichtbaren Leben, und einem Verzicht um den Preis einer mittelmäßigen Tätigkeit, die vulgären und oberflächlichen Bedürfnissen gehorcht. (Bataille)

Ein radikaler Bruch liegt hier in dem Unterschied zwischen dem bloß zeichenhaften und dem authentischen Sprechen des Dichters, das auch auf subverbaler Ebene vor sich geht und in dem die Gedanken durch die Lebenspraxis gedeckt sind. Nur die authentische Sprechweise hat auf die Dauer das Gewicht der Überzeugung. Dichtung, die in diesem Sinne authentisch die kultische Dimension der Poesie einsetzt, ist aber „radikal“ im Wortsinn, sie zerrüttet die abstrakten Werte der Sekundärwelt, indem sie die Dinge als Selbstwert gegenüber den Wortzeichen wieder erstarken läßt. Sie ist radikal auch darin, daß sie dem Individualismus der Gesellschaftsatome, dem Kult des isolierten Ich, entgegenwirkt, so wie es das Kommunions-Opfer tat. Der eigentliche Sinn dieser Feiern ist die Synergie, das Zusammenwirken vieler Kräfte zu einer neuen Qualität, die aus der bloßen numerischen Addition nicht zu erklären ist: eine Umkehrung der all beherrschen den rechnerischen Quantifizierung. So gehen – im Idealfall- auch die Individualität von Dichter und Leser in einem synergetischen und schöpferischen Akt der direkten Kommunikation oder „Mit-Teilung“ verloren, einem Akt, in den Elemente der Selbstaufgabe sowohl wie des gegenseitigen Schenkens eingehen, und in dem die rechenhafte Profitorientierung der Zeit glatt widerlebt wird.

Eva Hesse, in: Akzente. Zeitschrift für Literatur, Heft 5, Oktober 1983

 

 

Fakten und Vermutungen zum Übersetzer

 

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Porträtgalerie: Keystone-SDA

 

Robinson Jeffers – Dokumentation.

1 Antwort : Robinson Jeffers: Ausgewählte Gedichte”

  1. Jeffers, Bukowski und Martin schreiben alle über das Gleiche – den Alptraum und wir haben hier drei unterschiedliche Antworten darauf.

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