Rudolf Bussmann: Zu Mani Matters Gedicht „Dädulus oder: Der Satzbau“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

− Zu Mani Matters Gedicht „Dädulus oder: Der Satzbau“ aus dem Lyrikband Mani Matter: Rumpelbuch. −

 

 

 

 

MANI MATTER

Dädulus oder: Der Satzbau

Dr Dädulus het emal, uf em’ene Chünig sys Verlange,
es Gfängnis bout, us däm me nümm het chönnen usecho.
Wär dry isch, het sech ohni Schloß und Rigel drin verfange.
Es isch es Labyrinth gsy; dir heit sicher ghört dervo.

Es isch es Labyrinth gsy und es het sech drin verfange
ganz ohni Schloß und Rigel – dir heit sicher ghört dervo –
wär i das Gfängnis isch, wo uf em’ne Chünig sys Verlange
dr Dädulus het bout, me het nümm chönnen usecho.

Dr Dädulus het ds Gfängnis uf em Chünig sys Verlange,
– es isch es Labyrinth gsy – so bout, daß nümm usecho
het chönne, wär dert dry isch und sech drinne het verfange
ganz ohni Schloß und Rigel; dir heit sicher ghört dervo.

Us däm vom Dädalus und uf em Chünig sys Verlange
ganz ohni Schloß und Rigel boute – s‘isch (dir heit dervo
dänk ghört) es Labyrinth gsy – Gfängnis wil sech het verfange
wär dry isch, drinn, da het me nie meh chönne usecho.

 

Wochengedicht #33: Mani Matter

In der zweiten Strophe merkst du, dass etwas nicht stimmt. Erzählt Mani Matter hier nicht noch einmal genau das, was du schon gelesen hast? Deine Augen gehen zum Anfang zurück und begegnen tatsächlich den selben Wörtern, dem selben Rhythmus, dem selben Inhalt. Du kommst noch einmal zur zweiten Strophe. Hier ist zwar nichts gleich wie in der ersten Strophe, und doch kennst du jedes Element, das darin vorkommt.
Und schon sitzt du in der Falle. Gleich einem Gefangenen gehst du hin und her und triffst stets auf das Gleiche, obwohl du weisst, dass es nicht das Selbe sein kann. Mani Matter, der Arrangeur, hat wie Dädalus in der griechischen Sage ein Labyrinth geschaffen, in dem er dich herumirren lässt. Mit dem Beginn der dritten Strophe hast du die Anspielung auf das sagenhafte Labyrinth auf Kreta, das König Minos vom Ingenieur Dädalus erbauen liess, restlos begriffen. Es reicht. Du möchtest jetzt aussteigen. Aber du kannst nicht. Es geht weiter, die Strophe lockt, sie könnte eine überraschende Wende, vielleicht den Höhepunkt, gar den Ausgang bereit halten. Du liest weiter.
Das Gedicht scheint nicht gewillt deine Erwartungen zu erfüllen, es ist ganz dem Prinzip des Labyrinths verpflichtet. Unerbittlich führt es durch die zunehmende Unübersichtlichkeit der immergleichen Satzkonstrukte, ohne das geschlossene System durch neue Bilder und Inhalte aufzubrechen. Es beharrt auf der Wiederholung des Bekannten, auf inhaltlichem Leerlauf. Und macht durch seine Form das Herumgehen im Labyrinth sinnlich erfahrbar.
Nach Strophe vier wirst du freigelassen. Wenn du das Gift der Repetition jetzt wie eine Droge in dir pulsieren fühlst, kannst du dich als Sprachdädalus betätigen und eine weitere Strophe hinzuzufügen versuchen. Es mag erlösend sein, sich im Satzbau für einmal vorsätzlich – und nach Plan – zu verlaufen und nicht, wie es beim Schreiben so oft passiert, aus Unachtsamkeit oder fehlender Übersicht. Beim Schreiben ist die Kunst gefragt, die auch der Erbauer des Labyrinths beherrschen musste: Es gilt aus dem selbst Geschaffenen heil wieder herauszukommen. Deine Fixpunkte beim Weiterschreiben sind:

4 Zeilen
7 Jamben pro Zeile
2 Reimpaare

Diesen vorgegebenen Raum kannst du beliebig mit den Wortelementen möblieren, die Mani Matter zur Verfügung stellt. Und wenn es dich überkommt, komponierst du die Melodie, die der jung verstorbene Berner Troubadour nicht mehr hat schreiben können, gleich dazu. Viel Vergnügen!

Rudolf Bussmann, TagesWoche, 19.11.2012

Fakten und Vermutungen zum Autor

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