Rüdiger Görner zu Arno Schmidts Gedicht „Trunkner im Dunkel“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Arno Schmidts Gedicht „Trunkner im Dunkel“. –

 

 

 

 

ARNO SCHMIDT

Trunkner im Dunkel

Da eine Geige flüstert um Mitternacht,
hat mich mein Rausch in mondhelle Gassen gebracht;
leicht tönt mein Schritt in der Nacht.

Lampiges Fenster weht auf, Stimmen und Wolkenzug;
Brunnengeliebte am Markt spendet aus steinernem Krug.
Herbstliches Wasser trank ich in stummem Zug.

Wind im Gehölz, Wanderwind striegelt mein Haar;
Kammer in der Du schläfst, füllt er dir wunderbar,
Mond auf den Kissen küßt dich schon manches Jahr.

Da alle Wolken reisen um Mitternacht,
habe auch ich den Weg zu deinem Fenster gemacht:
flüstert mein Lied in der Nacht …..

 

Sehnsucht, geliebt und erhört zu werden

Ein frühes Gedicht zu später Stunde, geschrieben von einem Sprachartisten der esoterischen Art, einem gewitzten Hermetiker, der nur zu gerne ausgefallene Worte für geläufig erklärte: Arno Schmidt, der Widerspenstige aus Bargfeld, der Explosives in Klopstock entdeckte, selbst in Wieland, und mit Fouqué sich verbrüderte – und das wohlgemerkt zu einer Zeit, als diese Namen radikal passé schienen.
Man glaubt sie zu kennen, die Prosa des Arno Schmidt: spröde, widerborstig, verschroben, bizarr dialogisierend. Aber das ist sie eben auch, ungemein poetisch:

Baumlos: links dafür dürrleibige Maismumien; Röcheln, trocken, unerfreulich; Dämmerung schlich mit schweren Körben über die Felder; und vorn verschwand das blutründige Sonnenunheil durch gußeiserne Wolkenwände.

Ein Gutteil dieses Werkes besteht aus poetischer Prosa, voller Neologismen und sprachlicher Altertümer.
Vermeintlich Idyllisches (Genaues weiß man bei Schmidt nie!) steht neben Neoexpressionistischem; Sprachblitze, modernistisch aufgeladen, durchzucken Gefühlsszenarien, die unmittelbar der Spätromantik entlaufen sind. Schmidt pflegte das Anachronistische als anspruchsvollste Form der Zeitgemäßheit. Das gilt auch für das Gedicht „Trunkner im Dunkel“, das den Eindruck erweckt, als habe Hofmannsthal für ein Treffen von Eichendorff mit Trakl seine Terzinen ausgeliehen, die Schmidt nur noch zu reimen brauchte; denn dieses Gedicht kommt fast ganz ohne Sprachexperimente aus.
Wovon das Gedicht ,handelt‘? Vom Einklagen des Zaubers in entzauberter Zeit, vom Anspruch des Gefühls auf Gehörtwerden und von einer Liebe, die so scheu ist, daß sie sich allenfalls dem Flüstern einer Geige überantworten kann. Das vom „herbstlichen Wasser“ und seinen Gefühlen berauschte Ich findet nur den Weg zum Fenster der Geliebten, das Schmidt durch den einzigen Neologismus dieses Gedichts hervorhebt: lampig, eine besonders geglückte Wendung, weil sie den Schein der Lampe adjektivisch vergegenständlicht. „Brunnengeliebte“ und „Wanderwind“ sind demgegenüber eher konventionell gearbeitete Wortzusammensetzungen. Man kann (und soll wohl) dieses Gedicht als Parodie auf romantische Empfindungen lesen, nur daß hier ein Lied in allen Dingen wacht und nicht schläft. Man mag an das Nachtwandler-Lied aus Nietzsches Zarathustra denken („Oh Mensch! Gieb Acht! / Was spricht die tiefe Mitternacht?“). Wo aber beginnt Parodie, wo artikuliert sich ,wirkliches‘ Gefühl? Dieses Gedicht ermöglicht durchaus, sich den berückenden Sprachbildern hinzugeben, etwa jenem vom die (heimlich) Angebetete küssenden Mond, der neben ihr auf dem Kissen liegt, dem Wolkenzug, der stillen Marktszene. Hinzu kommt die einfache Reimstruktur. Das Schlichte, der wasserspendende Krug der Brunnenfigur, die Kammer, das Kissen, das Fenster, steht der komplexeren Atmosphäre gegenüber, dem Mond, der Rauscherfahrung und der flüsternden Geigenmelodie. Erst die letzte Zeile bestätigt, was schon der erste Vers nahelegte, daß es nämlich dieses „Lied“ der Geige ist, das diese ganze Vorstellungswelt in Gang gesetzt hat. Diese Verse sind der Inhalt dieses Liedes. Was in der Mitternachtsstunde geschieht, ereignet sich durch den sanft berauschenden Gesang der Geige. Der Trunkene tappt im Dunkeln seiner Gefühle – mehr musik – als mondsüchtig.
In einer anderen (wohl ersten) Fassung des Gedichts heißt es: „Da eine Geige weinte um Mitternacht“; dieser Klagelaut wird gleichsam aufgefangen durch eine weitere Variante: „leis tönt mein Schritt in der Nacht“. Von diesem elegischen Moment ist in der gültigen Fassung des Gedichts nichts mehr zu spüren. Der scheue Liebende weiß in beiden Fassungen, daß er nur einer von vielen Bewerbern um die Gunst seiner Schein-Geliebten ist („habe auch ich den Weg zu deinem Fenster gemacht“); die anderen sind der Mond, jene, zu denen die „Stimmen“ gehören, die Wolken, der Wind. Vielleicht ist diese – im Lied – Angebetete eine Windesbraut. Der Liebes- und Musiktrunkene, der nur das Wasser des Herbstes braucht, erinnert auch an jenen Wassertrinker in Nietzsches Gedicht „An Hafis“, der den persischen Dichter fragt:

Bist aller Trunkenen Trunkenheit
– wozu, wo
dir – Wein?

Was Nietzsches Wassertrinker jedoch fehlt, hat Arno Schmidts einsam Trunkener und trunken Hörender im Überfluß: Sehnsucht danach, geliebt, erhört zu werden.

Rüdiger Görner, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg).: Frankfurter Anthologie. Zweiunddreißigster Band, Insel Verlag, 2008

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