Sarah Kirsch: Zu Peter Huchels Gedicht „Traum im Tellereisen“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Peter Huchels Gedicht „Traum im Tellereisen“ aus Peter Huchel: Gesammelte Werke Band 1 – Die Gedichte. –

 

 

 

 

PETER HUCHEL

Traum im Tellereisen

Gefangen bist du, Traum.
Dein Knöchel brennt,
Zerschlagen im Tellereisen.

Wind blättert
Ein Stück Rinde auf.
Eröffnet ist
Das Testament gestürzter Tannen,
Geschrieben
In regengrauer Geduld
Unauslöschlich
Ihr letztes Vermächtnis –
Das Schweigen.

Der Hagel meißelt
Die Grabschrift auf die schwarze Glätte
Der Wasserlache.

 

Flatternde Rinde

Mit der Nummer 14 endete 1962 die Herausgeberschaft Peter Huchels von Sinn und Form, dem einzigen über längere Zeiträume ernstzunehmenden Literaturblatt der DDR. In diesem Heft ist sein Gedicht „Traum im Tellereisen“ enthalten, was man als Huchels großen Abgesang auf den Staat DDR und seine Kulturpolitik lesen kann. Ein hartes Urteil, das Todesurteil wohl auch.
Das Tellereisen ist keine Metapher. Huchel ist kein Metapherndichter. Das Tellereisen ist ihm aus früher Kindheit bekannt. Huchel wuchs bei seinem Großvater im Märkischen auf, und die Tellereisen ziehen sich durch die Gedichtbände, sie gehören zum Alltag. Wie das Stellen der Reusen in den Havelseen. In einem Fiebertraum schleift der Großvater ein Tellereisen über das Eis, ohne Licht, ohne Gesicht. Aber der „Traum im Tellereisen“ von 1962 spricht vom Ende künstlerischer Arbeit im sozialistischen Staat.
Die offiziellen Dreinredner und Schafsköpfe hatten einen Grad der Verblödung erschaffen, der alle Hoffnung auf Besserung zunichte machte. Ein Zeitpunkt der Resignation also des Dichters. Zugeschlagen das Eisen. Keine Bewegung ist möglich. Die Atmosphäre ist zerstört und vergiftet. So die Rinde der Bäume das einzige ist, was aufgeblättert werden kann, ist doch alles verloren. Natur und Kunst sterben gemeinsam. Für Huchel, der ein Stück Natur selber ja ist, fällt das zusammen. Ein gespenstisches Bild, wie wir es vom Waldsterben inzwischen sehen gelernt haben.
Das war nicht nur Resignation, es war die Erkenntnis der wirklichen Lage. Einsicht, daß weiteres Verharren in Hoffnung Stärkung der Gegner und Selbstbetrug sei. Blieb ihm damals das Schweigen. Die gefangene Seele war ohne Laut. Schweigen war eine Tat in dieser Zeit, in diesem Land. Das Maul nicht halten, aber niemals die verlangten Gedichte, Kantaten und Sprüche liefern, wie es die Dummheit befahl. Die Verzweiflung, die Verweigerung nun. Solche Gestalten gab es nicht viele. Er würde sich Jahre im Walde verschanzen, dennoch Botschaften senden.
Hinkend bewegt er sich sacht, und es entstehen weiterhin ketzerische Verse, nachdem die Lage bewußt ist. Zehn Jahre später gibt es zum Beispiel das Gedicht „Hubertusweg“, in welchem das Frühjahr beschrieben wird – und die eigentlich normale Zeile „langsam dreht sich das Jahr ins Licht“ wie Sprengstoff auf den kommt, der Änderung will. „Traum im Tellereisen“ ist eine wichtige Bestandsaufnahme gewesen. Hier kann sich nichts mehr ereignen. Dies ist ein abgestorbenes Land. Es flattert die Rinde der Bäume, die ehrwürdigen Häuser zerbröseln, den Menschen ergeht es nicht besser, und wenn sich nichts ändert, setzte Peter Huchel 1962 in die Nummer 14 der Zeitschrift Sinn und Form, sind wir des Todes. Die Mächtigen haben verstanden. Huchel lebte hinfort als Verbannter. War aber dennoch nicht ohne Wirkung.
Während mein Magier, der schöne alte Peter Huchel, von Jan Skácel verehrt – während beide wunderbaren Dichter also unter elenden Bedingungen ihre normalen störenden Gedichte schrieben, schickte unter anderem die Anfängerin auf dem Bleistiftgebiet sich an, in die Hauptstadt zu gehen, ein Kind als Anker auszuwerfen, daß sie nichts anfechten kann. Ein Grundgesetz des Sozialismus hatte sie so verstanden: Du sollst in der Hauptstadt wohnen! War man geschützter, gab es mehr Kollegen, gab es einen Appell für das winzige Kind. Die Nachbarn selbstverständlich auch, aus einem anderen Huchelgedicht, welche die Autonummern der Freunde notieren. Aber das war real existierender Alltag, damit war man vertraut.
Doch Huchel in seinem Waldstück – das war ein wirksames Zauberbild. Die Verkörperung des anderen Schreibens. Schrieb, was er wollte, nicht was verordnet wurde. Das war die profunde Erkenntnis für die Anfängerin. Seine ausgesparte Anwesenheit hat mich gerettet, Huchel sei Dank. War mir eine Wegschnur, der Phantomschmerz des Knöchels im Tellereisen.

Sarah Kirschaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zwanzigster Band, Insel Verlag, 1997

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