Silke Scheuermann: Zu Ingeborg Bachmanns Gedicht „Alkohol“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ingeborg Bachmanns Gedicht „Alkohol“ aus dem Nachlaßband Ingeborg Bachmann: Ich weiß keine bessere Welt. –

 

 

 

 

INGEBORG BACHMANN

Alkohol

Trinken, was trinken,
ich trinke, trinke den Staub auf den Flimmer auf
ich trinke in mich hinein soviel Schilling
ich trinke meine Arbeit in mich hinein trinke
heraus, ich kann nur mehr trinken
mich aus allem heraus trinken, das säuft
den Geschmack weg aus allem, aus Staub aus
ich sags nicht weil keiner es sagt
warum es trinkt, sich zu Tod säuft,
ich bins ja ja nicht, es säuft sich
an ich sag nicht, weil keiner sagt
man soll mich nicht aufrütteln
mich zwingen zu sagen, es weiß ja jeder
warum es säuft, sich besäuft, sich
sich betäubt, es betäubt sich
Und was Liebe und Krätzen und Fortschritt
es weiß ja jeder und wer nicht säuft, weiß
auch, es weiß ja jeder, das sag ich nicht mehr,
weiß weiß weiß weiß weiß weiß
weiß weiß weiß
weiß
mehr sag ich nicht
als das jeder weiß

 

Das sag ich nicht mehr

„Die Poesie“, hat der Dichter Paul Celan gesagt, „die Poesie zwingt sich nicht auf, sie setzt sich aus.“ Das Gedicht „Alkohol“ von Ingeborg Bachmann hat sich über lange Jahre nicht ausgesetzt, und zwar aus einem einfachen Grund: Die Autorin, die 1973 in Rom starb, hat es nie veröffentlicht. Dies unternahmen im Jahr 2000 die Geschwister Isolde und Heinz, indem sie im Band Ich weiß keine bessere Welt die Gedichte aus dem Nachlaß ihrer Schwester herausgaben.
Im Vorwort des Buches wird vor allem auf die Andersartigkeit dieser Gedichte gegenüber den früheren hingewiesen: „Die schönen Worte haben dem Entsetzen Platz gemacht“, heißt es da. Die Texte beschrieben das „Leiden der Kreatur“, sie zeugten davon, daß der Mensch „verletzt, verkauft, verraten“ sei „in einer Welt, in der die Lieblosigkeit umgeht“. Von Schmerz und Todesnähe ist die Rede, nicht mehr vom Können der Lyrikerin, deren Ruhm in den fünfziger Jahren die schönheitstrunkenen Gedichte in den beiden schmalen Bänden Die gestundete Zeit und Anrufung des großen Bären begründeten. Diese Aussagen beziehen sich vor allem auf die immer unglücklicher werdenden Lebensumstände der Dichterin: Sie hat die Trennung von ihrem Geliebten und Kollegen Max Frisch nur schwer verarbeitet, ebenso wie die Tatsache, daß er nicht nur eine andere heiratete, sondern die gemeinsame Zeit auch im Roman Montauk (in dem sie als Ingeborg Bachmann genannt wird) verarbeitete. Von anderen Freunden fühlt sie sich ebenfalls alleingelassen, ist zunehmend auf Medikamente angewiesen, um mit ihren Stimmungen und ihrer Trauer zurechtzukommen.
Das vorsichtige Vorwort legt die biographische Deutung nahe, und tatsächlich hat, wer Ich weiß keine bessere Welt liest, zunehmend den Eindruck, einen beklemmenden Blick in die Werkstatt zu tun – eine Werkstatt, die mehr oder minder eine private Hexenküche geworden ist, eine, in der Hexe und Inquisition in einer Person mit sich ringen. Ingeborg Bachmanns Anhänger finden in den Texten Gründe, sie weiterhin als tragische Figur zu verehren, beladen mit allen Klischees, die man von Autoren, die am Leben scheitern, kennt.
Trotzdem wäre es verkürzt, zu behaupten, die Gedichte wiesen auf nichts als auf den körperlich und seelisch schlechten Zustand der Autorin hin. Zu viele einprägsame Zeilen – in denen sich der „hohe Ton“ eben doch wiederfindet, siehe nur den Titel des Bandes – und zu viele gelungene Stücke rechtfertigen die Publikation aus ästhetischen Gründen. Die großen Themen der Nachlaßgedichte sind existentiell: Krankheit und Sprachverlust. In „Alkohol“ werden beide auf die eindringlichste, formal schlüssigste Weise zusammengeführt.
Das Gedicht arbeitet mit Wiederholungen, einem Stilmittel das die Bachmann in den veröffentlichten Bänden nie derart intensiv genutzt hat. „Trinken, was trinken“ beginnt es, man erfährt, daß das lyrische Ich „den Staub und die Flimmer“ „auf“trinkt, also alles mikroskopisch Kleine, ob nun negativ oder positiv besetzt, in der einen großen Bewegung des Trinkens verschwindet. Das hat seinen Preis: „soviel Schilling“ verschwinden einerseits, aber vor allem verschwindet „die Arbeit“: Das „Ich“ trinkt die „Arbeit in sich hinein“, das „kann nur mehr trinken“. Immer wieder dieses eine Wort: trinken. Durch die vielfache Verwendung und das variierte Auftauchen hat das Gedicht von Anfang an einen verzweifelten Rhythmus, es gleicht einer Schreckensmelodie.
Dann kommt der Punkt, an dem das „Ich“ die Kontrolle und auch die Verantwortung für sein Tun abgibt: „Ich bins ja nicht“, heißt es, „es säuft sich/ an“, „es betäubt sich“. Das „Ich“ hat sich aufgegeben, beschuldigt die Gesellschaft, spricht nur noch unspezifisch von „jeder“ oder „keiner“, bescheinigt geradezu wahnhaft „allen“, „sie wüßten“, behauptet, aus diesem Grund mache es keinen Unterschied mehr, ob man trinke oder nicht. Der Leser kann das bodenlos Erschreckende dieser Aussage spüren: Wenn Nuancen nicht mehr wahrnehmbar sind, wie kann dann überhaupt noch geschrieben werden?
In einer Bewegung unendlicher Kraft aktiviert die Autorin daraufhin erneut das lyrische Ich; sie läßt es sprechen, um sich zu verweigern:

das sag ich nicht mehr.

Dann kommt die Pointe des Gedichts, der geniale Gipfel: ganze drei Zeilen bestreitet allein das Wort „weiß“, erst in sechsfacher Wiederholung, dann dreimal, dann einmal. Hier fallen Form und Inhalt des Gedichts zusammen: Das Wort „weiß“ verschwindet vom Papier, wird immer weniger, bis konsequenterweise in der Zeile darauf nichts als das Weiß, das Papierweiß, noch da stünde. Präziser kann der Verlust nicht gezeigt werden.
Aber das Gedicht endet nicht in Leere, sondern in einem Aufschrei: „Mehr sag ich nicht / als das jeder weiß“, ruft die Autorin. „Das“ steht da, nicht „daß“: ein Schreibfehler? Wieder der Hinweis darauf, daß der Text nicht von der Autorin für die Veröffentlichung durchgesehen wurde? Krümelarbeit für Germanisten? Das Gedicht jedenfalls weiß sehr, sehr viel zu sagen – über das Verstummen.

Silke Scheuermann, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg).: Frankfurter Anthologie. Zweiunddreißigster Band, Insel Verlag, 2008

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00