Stefan Wieczorek: Zu Erich Arendts Gedicht „Hiddensee“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Erich Arendts Gedicht „Hiddensee“ aus Erich Arendt: Aus fünf Jahrzehnten. –

 

 

 

 

ERICH ARENDT

Hiddensee

Gehoben vom leisen Licht
in des Himmels größeren Ozean:
schwebende Insel,
unter der Traumdrift
der Wolken
Zärtlichste, nur
von Bläuen gesäumt und Winden.
Wo Meer dich berührt,
rinnt hörbar die Stunde noch
unserer Dauer:

Lausche.

Schwalbenflug dein Gruß,
ihr von goldener Küste
singend gepfeilte.
Und über dem Fischer
die schwarze Maske, die
im harten Winde lautlos steht
und späht…
Du großes Gelock
der blauen Rosse um ihn,
weißschäumend und an bäumenden Hälsen,
von klingenden Inseln kommend
aus röterem Stein,
wo mir die Traube gereift
unvergeßlich.

Wer wirft,
hier, Netze noch aus?
Leer unter Sonnenbögen
die Wasser!
Die Schuppenschwärme fernhin
zogen zu Fjorden und Schären.
Doch dreht den Rücken zum Meer
und knüpft die zähen Netze der Fischer,
wartend auf bessere Stunde
der uralten Flut.
Aus der Hand des Nordwest
fiel der einsame Fisch
auf den Strand, da
unterm Dünendunkel –
meerwilder Schlag der Woge! – das Herz
der Insel zuckte.

Lauschende:
du hältst nicht den Wind
und die Türme Sands:
unsichtbar Wandern
im Anhauch der Zeit.
Jahre, wie zerbracht ihr
das Lächeln des Steilhangs!
Aber es wachsen und steigen
die Tiefen um dich,
dir nur vertraut und
versunkenem Raunen von Mitternächten,
den salzenen Klippen
blutleeren Monds.

Untermeerisch
blühen
die Ambersteine
und die meergroßen Gräser, die,
im Wellentod treibend, sich
um die Schulter legen
dem Schwimmenden, wenn
großblickend
das Rund des Abends die Insel trifft
und Hügel und Wolken klingen
rot
und silbern der fliehende Mund
der Bucht,
immer ins Ferne ein Segel zieht.

 

3.1.2 Erich Arendt Hiddensee 

Huchels „Südliche Insel“ und Arendts „Hiddensee“ weisen auch jenseits der vordergründigen Motiv-Verwandtschaft interessante Parallelen auf: Der Horizont beider Gedichte ist das Einstweilen, sie finden in der Ambivalenz des Nicht-Mehr/Noch-Nicht statt. Beide Texte skizzieren im Mittelteil die Situation einer existentiellen Bedrohung. 

Wer wirft,
hier, Netze noch aus?

(„Hiddensee“, Vers 28) 

Wann ankert das schwarze Wasserschiff?
(„Südliche Insel“, Vers 17) 

Jedes der Gedichte entläßt den Leser an einer anderen Position im Spannungsraum des Nicht-Mehr/Noch-Nicht, schafft ein anderes Verhältnis zwischen Natur und Mensch; weist dem Menschen einen spezifischen Ort in der Geschichte der Natur zu. Hierdurch ist auch der Interpretation eine Perspektive vorgegeben. „Hiddensee“ soll daher nun nicht primär immanent gelesen werden, sondern zunehmend in Distanz und Nähe zu „Südliche Insel“.
Durch den Titel „Hiddensee“ wird das Objekt des lyrischen Sprechens anscheinend deutlicher noch als bei „Südliche Insel“ topographisch verortet. Aber schon in der ersten Strophe entrückt die Insel irdischer Topographie und findet im Surrealen ihren Platz:

Gehoben vom leisen Licht
in des Himmels größeren Ozean:
schwebende Insel,
unter der Traumdrift
der Wolken
Zärtlichste, nur
von Bläuen gesäumt und Winden.

Somit ist die Insel einer anderen Ordnung unterworfen.
Gerade dadurch, daß die Insel benannt wird, zunächst also zum Beispiel ein Gelegenheitsgedicht antizipiert wird, dann aber ins Surreale entrückt, entsteht Verfremdung. Diese setzt sich fort, da das angesprochene Du des Textes die Insel selbst ist. Das eigentliche Faszinosum des Gedichts liegt darüber hinaus darin, daß Arendt in den folgenden Strophen Sichtweisen in die deutsche Nachkriegslyrik einführt, die geschult sind an den „exotischen“ Landschaften Lateinamerikas. Aus der Zeit der Exillyrik überträgt Arendt eine Konstellation der Beziehung Landschaft/Mensch auf die Ostseeinsel: Der Mensch müht sich in der menschenabweisenden Natur, um sich zu behaupten. Die Landschaft ist noch in einer eigentlicheren Bedeutung Natur als die Landschaft Huchels, da der Mensch nur eine Randerscheinung ist. Weder prägt er die Landschaft, noch nimmt er sie, wie bei Huchel, primär kulturell-narrativ vermittelt wahr. In diesem Sinne ist die Natur bei Arendt archaischer. Um die Kontinuität dieser Konstellation bei Arendt zu zeigen, läßt sich beispielsweise das späte Exilgedicht „Verlorene Bucht“ (1949) heranziehen:

[…]
Seit Jahren kein Vogelschrei.
Meer
und sein Himmel sind leer.

Aus Asche das leblose Land.
Sand,
ein meergraues Aschenland.
Sprießt kein Hahn in der Welt,
aber,
oben am Hang, ein Neger. Der hält
den hölzernen Pflug in der Hand.
Wägt
jede Scholle, die fällt!
1

Stellt man diesen Versen „Hiddensee“ gegenüber, läßt sich folgende Konstellation Natur/Mensch/Geschichte festmachen: Die Natur, die vor allem unbelebte Natur ist, befindet sich in der Destruktion. Dies allerdings nicht durch den Eingriff der Zivilisation, sondern durch den „Anhauch der Zeit“, einen Alterungsprozeß („Lauschende: / du hältst nicht den Wind / und die Türme Sands: / unsichtbar Wandern / im Anhauch der Zeit. / Jahre, wie zerbracht ihr / das Lächeln des Steilhangs!“) Was eine Entwicklungsgeschichte hat, ist die Natur. Arendt verkehrt die Prämissen der Naturlyrik: Nicht die Natur ist ein ewiges Kontinuum und der Mensch Altern und Vergänglichkeit unterworfen, sondern der Mensch geschichtslos (chiffrengleich) in einer personalen Natur. In „Südliche Insel“ werden die Naturobjekte integriert in die Geschichte menschlicher Sinnstiftungen, in „Hiddensee“ hat die Natur diese Deutungsmacht.
Die zurückgelassene Landschaft ist in der Insellandschaft Hiddensees gegenwärtig:

Du großes Gelock […]
von klingenden Inseln kommend
aus röterem Stein,
wo mir die Traube gereift
unvergeßlich.

Was dem lyrischen Ich hier reifen wird, ist ungewiß; in der Metapher des gestrandeten Fisches findet sich sein Schicksal.
In „Südliche Insel“ löst sich die Spannung der existentiellen Bedrohung: Der Mensch richtet sich ein, nutzt die Hitze des Mittags zum Dörren von Feigen und Trauben, verlagert sein Leben auf den Abend. Diese Koexistenz ist dem Menschen bei Arendt nicht möglich. Seine Bedrohung umfaßt die ganze Existenz. 

„Wo aber Gefahr ist, wächst / das Rettende auch“2 („Patmos“) – die hölderlinsche Dialektik markiert den Trost, der sich dem lyrischen Ich bietet: 

Aber es wachsen und steigen
die Tiefen um dich,
dir nur vertraut und
versunkenem Raunen von Mitternächten,
den salzenen Klippen
blutleeren Monds.

Untermeerisch
blühen
die Ambersteine
[…]

Rettung liegt nicht in der Errettung des Menschen sondern in der Versöhnung der erodierten Natur. In diesen Versen ist die Kenntnis der lateinamerikanischen Lyrik, insbesondere die Pablo Nerudas, den er in diesen Jahren intensiv übersetzt, unverkennbar. Übersetzung und eigener Text schreiben die gleiche Bilderwelt aus. Hier lohnt insbesondere ein Vergleich mit dem ersten Abschnitt des Großen Gesangs von Neruda, „Die Leuchte auf Erden“.3 Den durch Neruda beeinflußten Guillén, den Arendt in dieser Zeit ebenfalls übersetzt, charakterisiert Curt Mayer-Clason zum Beispiel mit „Heilsicht des Intellekts, Leidenschaft des Gefühls, reine Poesie, Romantik und Superrealismus, die metaphysische Frage und sozialer Protest.“4 Arendt ist sich dieses Einflusses und anderer natürlich bewußt, wehrt sich aber gegen eine negative Wertung:

Und ist mein ,Herkommen‘ (wer kommt nicht her?) – ein anderes Problem – nicht längst eigen umgesetzt, in eigene Sprache, eigenen Rhythmus? Ich frage Sie, ernsthaft. Ich leugne nicht ,meinen‘ Hölderlin, ,meinen‘ Rimbaud, wie wohl Huchel ,seinen‘ Loerke, ,seinen‘ Heym nicht ablegen darf. Die Wurzeln sollten bleiben und neue Blüten treiben.5

In beiden Gedichten mündet die Frage, wie das Einstweilen der Bedrohung zu lösen ist, in eine abschließende Abendszene. Bei Huchel wird das menschenfeindliche Szenario in der Abendstimmung versöhnt; wie in „Hiddensee“ ist der Fischer das Hoffnungssymbol. „Durch die dämmernde Brandung / Stemmen Fischer ihr Boot.“ – „Doch dreht den Rücken zum Meer / und knüpft die zähen Netze der Fischer, wartend auf bessere Stunde / der uralten Flut.“ Wie man sieht, ist bei Arendt diese Hoffnung viel fragiler.
Die letzte Strophe von „Hiddensee“ weist daraufhin, daß Arendts Bilderwelt trotz aller expressionistischer und lateinamerikanischer Einflüsse, natürlich auch auf der (deutschen) Tradition des 19. Jahrhunderts fußt. Denn die Schlußstrophe skizziert beinahe einen Locus amoenus, bewegt sich am Rande des klischeemäßigen Topos:

Untermeerisch
blühen
die Ambersteine
und die meergroßen Gräser, die,
im Wellentod treibend, sich
um die Schulter legen
dem Schwimmenden, wenn
großblickend
das Rund des Abends die Insel trifft
und Hügel und Wolken klingen
rot
und silbern der fliehende Mund
der Bucht,
immer ins Ferne ein Segel zieht.

Bereits Eberhard Horst macht bei Erscheinen des Gedichtbandes Gesang der sieben Inseln, in den „Hiddensee“ aufgenommen wurde, auf den „romantischen Wortschatz“ aufmerksam und sieht darin Anknüpfungspunkte zu Huchel.6
Schon bei Huchels „Südliche Insel“ wurde von mir Ähnliches bezüglich der Schlußstrophe kritisiert wie hier bei Arendt. Trotz ihres viel beschworenen, unterschiedlichen Herkommens, haben sie als Schreibende in der gleichen Sprache auch eine gemeinsame Herkunft, die für die Modernität ihres Werkes – wenn das ein Kriterium ist – mitunter auch eine Gefährdung darstellen kann.
Die zu Anfang dieses Abschnittes abgedruckte Version des Gedichtes stellt die letzte Fassung dar und wurde 1968 veröffentlicht.7 In die 1981 in Westdeutschland erschienene Ausgabe der Gedichte wurde es nicht wieder aufgenommen.8 Lohnend ist der Vergleich mit früheren Fassungen des Textes, da das Weiterschreiben am Gedicht beziehungsweise die Korrektur gerade da stattfindet, wo es zu nah an epigonale romantische Bilder rückt. Eine frühe, noch unpublizierte Fassung des Gedichts findet sich im Erich-Arendt-Archiv der Akademie der Künste.9 Zuerst publiziert wurde „Hiddensee“ in Sinn und Form 1954.10
Die Manuskriptfassung im Nachlaß Arendts entspricht weitgehend der in Sinn und Form veröffentlichten Version. Aussagekräftig ist vor allem eine Änderung im späteren Text. Arendt streicht in der ersten Strophe einen Versanfang, der an das Kirchenlied oder die freien Rhythmen Klopstocks erinnern würde: „O schwebende Insel“ zu „schwebende Insel“. In der zweiten Strophe läßt er Ähnliches allerdings stehen:

O du großes Gelock […]

Diese ändert er erst in der Buchfassung. Dort ersetzt er auch Konjugationsformen, die allzu sehr hymnischen Gestus ausdrücken, durch die gebräuchlicheren Konjugationsformen (e-Elision): „spähet“ zu „späht“, „zerbrachet“ zu „zerbracht“.
Die entscheidenden Korrekturen finden nämlich im Übergang von der Sinn und Form-Fassung zur Buchfassung statt. Arendt ändert nicht nur die Stellung einiger Verseinheiten sowie Zeilenumbrüche sondern versucht, sich von der romantischen Bilderwelt zu distanzieren.11 Die erste Strophe lautet in Sinn und Form:

Gehoben vom leisen Licht
in des Himmels größeren Ozean:
schwebende Insel,
unter der Traumdrift
der Wolken
die zärtlichste du,
gesäumt nur von Bläuen und Winden.
Wo Meer dich berührt,
rinnt hörbar die Stunde noch
unserer Ewigkeit:
lausche
.12

Arendt ändert den 6. und 7. Vers, sowie den 10. Der Schlußvers wird besonders betont, indem das Einzelwort nun eine ganze Strophe ausmacht:

[…]
unter der Traumdrift
der Wolken
Zärtlichste, nur
von Bläuen gesäumt und Winden.
Wo Meer dich berührt,
rinnt hörbar die Stunde noch
unserer Dauer: 

Lausche.13

Die romantisch und religiös geprägte Ewigkeitsvorstellung wird durch das lakonischere „Dauer“ ersetzt. Ähnlich wurde der 6. und 7. Vers weniger schwärmerisch, wenn auch am riskanten/epigonalen Bildinhalt, der Insel als Wolke, nichts geändert wurde. Auch andere Korrekturen deuten darauf hin, daß Arendt den romantisierenden Gestus einiger Passagen zwar mildern will, seine Naturauffassung jedoch nicht gänzlich autonom bestimmt sieht. „[G]eheimnisvoll“ legen sich in der Sinn und Form-Fassung die „meergroßen Gräser“ um die Schultern des Schwimmenden. Dieses „Geheimnisvoll“, das der Natur einen Handlungswillen einräumt und daher letztlich eher in naturmagische Konzepte gehört, fehlt in der abschließenden Fassung. Gleichzeitig läßt er allerdings das „Raunen von Mitternächten“ (5. Strophe), das in einen ähnlichen Zusammenhang gehört, stehen.

Bild und Text: Breughels Ikarus
Arendts Poesie ist – in allen Perioden – geprägt von visuellen Metaphern. Der sinnliche Eindruck scheint als Auslöser für den Schreibprozeß unverzichtbar. Nicht zufällig kann Arendt erst dann wieder produktiv werden, als er eine Landschaft findet, die ihn herausfordert, die alltägliche Spracherstarrung zu durchbrechen:

Diese Landschaft ist es hier, die mich hält. Landschaft aus dem Geist dieses Bildes [Sturz des Ikarus, S. W.], seiner Struktur, Weite, seinem Glanz.14

Wolfgang Emmerich spricht von einer „elementare[n] Erlebnisästhetik“ in den Gedichten Arendts.15 Die wesentliche Frage ist jedoch, wie das Erleben im Gedicht gestaltet wird, welche Ordnung, Transformation das Wahrgenommene erfährt. Letztlich: Ob das Gedicht auf der Ebene des Erlebten, Deskriptiven verharrt, oder zum autonomen Erlebnis wird, das nicht mehr auf das ursprüngliche Ereignis reduziert werden kann.
Bei Huchels Gedicht „Südliche Insel“ konnte gezeigt werden, daß der vordergründig nur mimetisch wiedergegebene sinnliche Eindruck tatsächlich eine stark intertextuell ausgerichtete Komposition ist. „Hiddensee“ steht in gewissen poetischen Traditionen, ohne daß man von einer expliziten Referenz an einen fremden Text sprechen könnte. Trotzdem sind die Wirklichkeitsfragmente geordnet und verknappt nach einem Gestaltungskriterium, das außerhalb des Textes liegt. Dieses Korrelativ der Textgenese ist in der bildenden Kunst zu suchen. Bei den Gedichten des Bandes Gesang der sieben Inseln ist es sogar so, daß viele der Texte einem bestimmtem Bild eine Referenz erweisen, ohne es jedoch jemals zu benennen: Breughels Sturz des Ikarus.
Adolf Endler hat neben anderen auf die große Bedeutung der bildenden Kunst für Arendts Biographie und Werk aufmerksam gemacht:

Man müßte nur Arendts Gedichte über Werke der Bildhauerkunst chronologisch nebeneinanderstellen – schon hätte man Arendts Entwicklung in der Nußschale […]16

Durchgeführt worden ist eine derartige Analyse noch nicht und fragwürdig scheint auch, ob sie an die Bedeutung, die die bildenden Kunst für die Textgenese hat, heranreicht, da sie nur Gedichte berücksichtigt, die im traditionellen Sinne Gedichte auf Bilder/Skulpturen sind. Derartige Texte hat Arendt vor allem vor der Rückkehr nach Deutschland geschrieben. Aus dem Jahr 1942 oder 1943 stammt das Sonett-Tryptichon „Pieter Breughel“. Ein traditionelles Bildgedicht, das den Gedankeninhalt der Darstellung in Versform fassen will. Im dritten und somit letzten Sonett wird „Der Sturz des Ikarus“ thematisiert: 

III
Der Blinde wird nicht sehend. – Da die Welt
kein Wunder wirkt, kann auch das Bild nicht lügen.
So malt er Ikarus, der ungesehen fällt.
Wichtig bleibt nur der Bauer, bleibt sein Pflügen.

Der zieht die Furchen auf. In deren Spur
vollendet mühend sich ein ganzes Leben.
Wald, Schnee und Sonne, Ackergrund, die Flur
besät mit viel Getier: sie alle geben

sich ihm nur ganz beim Tagwerk seiner Hände.
Dies ist der Einklang, den die Leinwand preist.
Am Gelb des Korns, am Grün ist zu ermessen,

wie groß das Glück ist. Doch das Glück verschwände
mit unsrem Schweiß auf Stirn und Leib. Die Erde kreist –
o ernst gemaltes Lob! –, wenn deine Menschen essen
.17

Die Verse arbeiten sich am Bild ab. Dabei bestimmt dieses den Inhalt, aber nicht die Form des Gedichts. Das Bild dient einer materialistischen Auslegung als Anlaß. Der Bauer, nur ein Element des Bildes, dominiert dabei das Gedicht, das nicht frei von Pathos bleibt. Der schaffende Mensch, der in die Landschaft eingreift, ist in „Hiddensee“ nur noch Randerscheinung. Die Hände, wichtiges Motiv vieler Texte aus dem Exil und dem Spanischen Bürgerkrieg, die in „Pieter Breughel“ noch Ausdruck der Kraft und Zuversicht sind, dienen dem Fischer in „Hiddensee“ nur noch zum vielleicht sinnlosen Knüpfen der Netze, nicht mehr zum Fischen. Arendt rezipiert in dieser Phase seines Schreibens an Breughels Bild fast ausschließlich den Menschen, kaum die Landschaft oder den Bildaufbau. Das eigentliche Skandalon des Gemäldes, der unbeobachtete Untergang des Ikarus, wird erst in den fünfziger Jahren zur Prämisse des Schreibens.18

Über das Leiden wußten sie gut Bescheid,
die alten Meister:
[…]
In Breughels Ikarus zum Beispiel: wie alles sich beinah
gelassen vom Unheil abkehrt; vielleicht hat der Bauer
den Aufschlag gehört, den verlorenen Schrei,
aber für ihn war das nichts von Bedeutung; die Sonne
beschien, wie es ihre Pflicht war, die weißen im Wasser
verschwindenden Beine; und das kostspielige, stolze Schiff, das staunend
etwas gesehen haben mußte, – einen Jungen, der aus dem Himmel fiel –,
hatte ein Ziel und segelte ruhevoll weiter.

Wystan Hugh Auden: Musée Des Beaux Arts. Übers. v. Kurt Heinrich Hansen. In: Luftfracht. Internationale Poesie 1940 bis 1990, Hrsg. v. Harald Hartung. Frankfurt/M., Eichhorn 1991, S. 38f.
Arendts Rezeption des Gemäldes in „Hiddensee“ ist tatsächlich ein neuer Dialog mit dem Bild, da dieses nun nicht mehr Objekt des Gedichts ist, sondern in diesem strukturbildend wirkt.
„Hiddensee“ läßt sich nicht nur – wie bislang – durch die Abfolge einzelner (Handlungs-)Elemente gliedern (Exposition im Surrealen, Vogelflug, Fischer, Unterwasserszenario, Abend etc.) sondern auch als Farbkomposition darstellen. Insgesamt werden achtmal Farben angegeben.19 Hinzu kommen Metaphern wie die „salzenen Klippen / blutleeren Monds“, die eng an farbliche Vorstellungen gekoppelt sind.
In der ersten Strophe herrscht ein Farbeindruck: Blau. („von Bläuen gesäumt“). Ergänzt wird diese Farbnennung durch Assoziationen gekoppelt an „Himmel[]“, „Ozean“, „Meer“. Dies entspricht inhaltlich der romantisierenden Entgrenzung/Harmonie, denn „[j]e tiefer das Blau wird, desto mehr ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich übersinnlichem […] Sehr tiefgehend entwickelt das Blau das Element der Ruhe.“20
Erich Arendts wesentlich werdende Begegnung mit der bildenden Kunst der Avantgarde erfolgte in Herwarth Waldens Kunstsalon – „Sehr selbstverständlich, wie aus einer eigenen Welt stammend, empfingen mich die Bilder Kandinskys, Klees, Chagalls und vieler Expressionisten […]“21 Die Schulung der Gestaltung an diesen Kunstwerken und ihrem theoretischen Hintergrund prägt noch in „Hiddensee“ die Farbkomposition. Kandinsky schreibt zur Bedeutung von „Weiß“, das in der ersten Strophe durch die „Wolken“ zum blauen Farbeindruck hinzu kommt: 

Bei der näheren Bezeichnung ist das Weiß […] wie ein Symbol einer Welt, wo alle Farben, als materielle Eigenschaften und Substanzen, verschwunden sind. Diese Welt ist so hoch über uns, daß wir keinen Klang von dort hören können. Es kommt ein großes Schweigen von dort […] Deshalb wirkt auch das Weiß auf unsere Psyche als ein großes Schweigen, welches für uns absolut ist […] Es ist ein Schweigen, welches nicht tot ist, sondern voll Möglichkeiten. Das Weiß klingt wie Schweigen, welches plötzlich verstanden werden kann.22

Arendt greift mit dem Imperativ „Lausche“ in der zweiten (Einzelwort-)Strophe genau diese Metaphysik des Weiß auf: Verstehen und Verständnis. (In der Abschlußstrophe ist schließlich vom „fliehende[n] Mund / der Bucht“ die Rede.)
Arendt setzt dann Farbangaben verdichtet in der dritten Strophe ein, die ja die beschreibendste des Gedichts ist. Durch unterschiedliche Farbsetzungen schafft er räumlich abgegrenzte Landschaftssegmente beziehungsweise -Objekte. Durch fünf Farben in dieser vierzehnzeiligen Strophe entsteht ein ,Bild‘ der Landschaft: „goldener Küste“, „schwarze Maske“, „blauen Rosse“, „weißschäumend“, „aus röterem Stein“. Er greift die Blau/Weiß-Kombination der Eingangsstrophe wieder auf, schafft durch die „goldene[] Küste“ eine deutliche Trennungslinie und führt durch die „schwarze Maske“ (des Raubvogels) ein Element der Disharmonie ein.23 Andererseits wird mit Rot eine Farbe eingeführt, die die Farben der Insel relativiert und auf angenehmere Landschaft verweist.
Auffällig ist dann, daß in den eher reflektierenden Strophen im Mittelteil keine Farben vorkommen. Erst die Impression am Ausgang des Gedichts wird wieder durch Farb-Adverbien unterstützt. Dort taucht dann auch „rot“ wieder auf, so daß auf farblicher Ebene Fernweh und Realität in Einklang gebracht werden. Eine Eigenart der arendtschen Farbverwendung ist auch, daß die Landschaft vor allem mit metallischen Farbeindrücken assoziiert wird, mit denen sich Härte verbindet („goldener Küste“, „silbern der fliehende Mund / der Bucht“.)
Bevor auf die Korrespondenzen dieser Farbkomposition mit Breughels Sturz des Ikarus eingegangen werden soll, muß noch auf einen weiteren Nachhall der expressionistischen bildenden Kunst in „Hiddensee“ aufmerksam gemacht werden. In der dritten Strophe heißt es: 

Und über dem Fischer
die schwarze Maske
[…]
Du großes Gelock
der blauen Rosse um ihn,
weißschäumend und an bäumenden Hälsen,

[…]

Ausgebend von „blauen Rosse“ ist die Assoziation von Marcs Turm der blauen Pferde beinahe zwingend. Dabei wird das Bild zur Wahrnehmungs-Chiffre. Hier wird diese Chiffre noch durch Partizipien ausgeführt, die den sinnlichen Eindruck mimetisch abbilden. In anderen Gedichten reicht schon die Namensnennung des Künstlers als Chiffre, um einen sinnlichen Eindruck zu evozieren:

Und blau und
blau aus den Büschen blicken
die Augen Chagalls.
24

Kaum kann man noch von einem Referieren des Textes an bestimmte Bilder sprechen, eher ist es schon so, daß die Kunstwahrnehmung auch die Wirklichkeitswahrnehmung lenkt.
Dies läßt sich auch für die Korrespondenzen des Gedichts mit Breughels Sturz des Ikarus sagen. Im Erich-Arendt-Archiv der Akademie der Künste befindet sich ein Photo Hiddensees, das eine ähnliche Raumeinteilung wie Breughels Gemälde hat.25
Die Farbkomposition im Gedicht scheint mir weniger mimetisch die des Gemäldes abzubilden, als durch eine äquivalente Technik eine entsprechende Raumaufteilung schaffen zu wollen. Durch die klare Abgrenzung räumlicher Elemente, die farblich unterschiedlich bestimmt sind, vollzieht das Gedicht die Aufteilung der Landschaft in Einzelsegmente/Szenen nach. In den Inselgedichten dieser Zeit komponiert Arendt immer wieder diese Einzelsegmente neu miteinander. Dabei ist wohl am auffälligsten, welche Darstellungen aus Breughels Ikarus er nicht übernimmt, nämlich die der Stadt im Hintergrund. Die Aufmerksamkeit gilt der Landschaft und dem isolierten Menschen in der Landschaft. Nicht die gesellschaftliche Situation des Arbeitenden, wie noch im ersten Breughel Gedicht (insbesondere die ersten beiden Teile), sondern die existentiell menschliche, ist das Erkenntnisinteresse des Gedichts.
In „Hiddensee“ lassen sich folgende parallele Strukturen zum Bild zeigen: Ins Auge fällt zuerst der räumliche Aufbau. Beidemal eine Bucht, die weit ins Meer reicht („der fliehende Mund / der Bucht“), Klippen und Hügel, schließlich der Strand. Beidemal steht im Kontrast dazu der blaue Himmel, dessen Übergang zum Meer kaum auszumachen ist. Auch im Gedicht verläßt ein Schiff die Bucht („immer ins Ferne ein Segel zieht“.) Sogar der Fischer ist dem Bild im gewissen Sinne entnommen. Wie der Fischer in Breughels Gemälde vom Sturz des Ikarus anscheinend nichts wahrnimmt, so wendet sich auch der Fischer in „Hiddensee“ ab:

Doch dreht den Rücken zum Meer
und knüpft die zähen Netze der Fischer

Das eigentliche Ikarus-Motiv fällt vielleicht nicht direkt auf, ist aber gleich zweimal verarbeitet. Einmal in der Todesassoziation beim Schwimmenden („die meergroßen Gräser, die / im Wellentod treibend, sich / um die Schulter legen / dem Schwimmenden“) und vorher schon im Sturz des Fisches („Aus der Hand des Nordwest / fiel der einsame Fisch / auf den Strand“.)
Schwieriger als diese Inventarisierung ist die Frage nach der Funktion dieser Rezeption. Gesagt wurde bereits, daß sie nicht in der Auslegung des Bildes liegt, sondern daß das Bild vielmehr strukturbildend für das Gedicht wirkt. (Eigentlich müßte man für die Gedichte schreiben, denn, wie noch gezeigt wird, besteht zwischen mehreren Gedichten und dem Gemälde ein Dialogfeld.) Das Gemälde gibt Elemente für eine Konstellation vor, keineswegs aber eine Grundkonstellation, die nur ausgefüllt wird. In diesem Sinne diszipliniert das Gemälde die sinnlichen Wahrnehmungen ohne eine Aussage zu determinieren. Gleichzeitig gibt es einer Anzahl Gedichten einen gemeinsamen Charakter, da sie alle an gleichen Motiven fortschreiben.
Gemein ist den Gedichten des Bandes Gesang der sieben Inseln die durch das Ikarus-Motiv vorgegebene Distanz zur Landschaft. Diese Distanz ist nicht zwingend als Flug-Perspektive zu sehen, sondern als räumlicher Abstand.

Und über die glosende Fläche
seligen Fluges
gleitet ein einsames
Flügelpaar.

(„Meeresstille“)26

Dadurch rückt statt des außergewöhnlichen Details die Variation elementarer Chiffren ins Blickfeld. Mit dem stürzenden Ikarus ist der Tod im Gedicht gegenwärtig 

das Netz,
[…] nun vor dem weltäugigen
Meer, fängt es
den flossenlosen Fisch, die
große Stille, ein.

(„Meeresstille“)27

Algenlos, bodenlos
webende, Fäden Bluts, wo
der Tote versank.

(„Über der Insel die Nacht“)28

Erich Arendt betitelte das Konvolut Gedichte bei der Aufnahme in den Sammelband Aus fünf Jahrzehnten neu, nämlich mit „Und wirft die feurigen Netze“.29 (Ursprünglich veröffentlichte Arendt sie unter dem Titel „Gesang der sieben Inseln“, was insofern in die Irre führt, als daß dies der Titel eines Zyklusses innerhalb des Konvoluts ist.) Der neue Titel entspricht den Schlußversen des Gedichts „Über die Insel der Nacht“.30 Wegweisend ist er, weil er den Fischer, den handelnden Menschen, mehr als ein Prinzip, „sein Gesicht blieb / aus der Zeit“,31 als ein Individuum in den Mittelpunkt des Konvoluts rückt.

Herkunft und Autonomie
Ausgehend von gründlichen Lektüren wurde in diesem Kapitel exemplarisch eine Vielzahl von Einzelbemerkungen gemacht, die in den folgenden Kapiteln an anderen Texten verifiziert werden müssen. Zu vermerken sind zuerst die zahlreichen Korrespondenzen in den kommentierten Gedichten, die so vielleicht nicht zu erwarten waren. Sie reichen von formalen Aspekten (Kurzzeile, freie Rhythmen) bis zur Erlebnisästhetik als Charakteristik beider Autoren. Gezeigt werden konnte bei beiden Dichtern, daß die Erlebnisgedichte intertextuelle Kompositionen sind, die auf Ordnung und Reflexion beruhen: über Natur wird nicht poetisch gesprochen, sondern sie ist selbst schon ein poetisches Konzept.32 Bei „Hiddensee“ konnte insbesondere die Bedeutung der bildenden Kunst für die Textgenese nachvollzogen werden, während die „Südliche Insel“ vor allem auf andere Texte/Narrationen verweist.
Betrachtet man jedoch das Verhältnis Natur/Mensch/Geschichte lassen sich markante Differenzen aufzeigen. Bei Huchel integriert sich der Mensch in die Natur, macht sie zur Landschaft. Die Wahrnehmung der Landschaft erfolgt über kulturelle Codes. Bei Arendt bleibt der Mensch Randerscheinung als immer gleiche Existenz. Ist das Verhältnis Landschaft/Mensch bei Huchel durch eine gemeinsame Geschichte definiert, steht der Mensch bei Arendt in diesem Gedicht außerhalb dieser Entwicklungsgeschichte. „Was an Zeugnissen und Ruinen überkommener Geschichte ablesbar ist, wird […] zur Struktur für das Gedicht […]“ – so kommentiert Gerhard Wolf das Geschichtsbewußtsein der arendtschen Texte.33 Beim Vergleich der hier behandelten Gedichte träfe die Bemerkung allerdings mehr auf das Gedicht von Huchel zu. In dieser Schaffensphase Mitte der fünfziger Jahre ist Natur für Arendt Konstellation der menschlichen Existenz, nicht der von Menschen gemachten Geschichte. (Damit sie auch dazu wird, muß im Spätwerk ein Vermittler zwischen Individuum und Landschaft treten: der Mythos.) Beide Gedichte organisieren sich um die Existenz des Individuums. In der Einleitung zu diesem Kapitel wurde Existenz als Verlusterfahrung beschrieben; als Verlusterfahrung, in der die Prämissen des eigenen Daseins erst einsichtig werden. In beiden Gedichten resultiert aus dieser Einsicht in den Schlußstrophen eine neue Freiheit.
Unterschiedlich ist die Sprachgestaltung beider Autoren. Besonders in Kenntnis des Spät- und des Frühwerks suggeriert sie eine größere Distanz, als die Einzelanalysen der Gedichte aus den fünfziger/frühen sechziger Jahren ergeben haben. So durchbrechen nur wenige Verse der Gedichte die syntaktische Ordnung. In der Einleitung des Lektüreteils dieser Arbeit wurde auf die besondere Bedeutung der Metaphernkonstruktion für die Sprachverfassung des modernen Gedichts hingewiesen. Bei einigen Metaphern konnte sogar die gemeinsame Verwurzelung beider Dichter in der Sprach- und insbesondere Lyrikgeschichte herausgearbeitet werden.
Um der Sprachgestaltung von Peter Huchel und Erich Arendt eine deutlichere Kontur zu geben, scheint es mir sinnvoll, die Metaphernkonstruktion und ihre literaturgeschichtliche Herkunft noch einmal genauer zu betrachten.
Hellmuth Karasek folgert anhand der Inselgedichte:

Huchels Dichtung berührt sich hier weniger mit der Naturlyrik Wilhelm Lehmanns als mit den Meeresgedichten Albertis, Nerudas, mit Brechts „Ballade vom ertrunkenen Mädchen“.34

Ob Huchel ein Nachfolger der naturmagischen Schule und damit Lehmanns ist, wird in der Huchel-Forschung umstritten diskutiert.35 Keinesfalls ist diese Nachfolgeschaft allerdings als formale und motivische Abhängigkeit zu sehen. Christof Siemes zeigt, daß die lyrische Entwicklung beider zeitgleich stattgefunden hat, häufig sogar in den gleichen Zeitschriften: 

Eine Abhängigkeit der Dichter voneinander besteht nicht, wohl aber eine in der Zeitgenossenschaft begründete formale und inhaltliche Verwandtschaft […] Doch ein erster Blick […] zeigt neben den von den Dichtern selbst betonten Unterschieden deutliche Berührungspunkte. Das Grundmuster der meisten Gedichte, die Huchel im Knabenteich veröffentlichen wollte, ist eine einfache, meist paar- oder kreuzgereimte vierzeilige Strophe. 56 der 71 nachweisbar zum Band gehörigen Gedichte sind nach dem Muster dieser im Volkslied und in der Lieddichtung der Romantik weit verbreiteten Strophe gebaut […]36

Huchel löst sich, wie gezeigt, von diesen metrischen und formalen Vorgaben, von der Idee, daß die Unordnung der Welt in der Ordnung des Reimes aufgehoben werden kann. Auch inhaltlich dominiert nicht mehr die gesuchte, extravagante Metapher sondern das klare Bild. Huchels Konzeption der Metaphern ist jedoch eine ganz andere als die von Alberti oder Neruda. Peter Huchel schöpft aus einem anderen, eigenen Sprachvorrat, der die Verbindung zu seinen frühen Gedichten schlägt, nämlich aus dem des ländlichen, märkischen Milieus: „Tenne des Regens“ (Vers 14), „Den Pflugbaum / Aus flimmernden Sternen“ (Vers 28/29) Allerdings evozieren diese Elemente kein „bäuerliche[s] Ambiente“37 mehr wie in den Gedichten zuvor, sondern sind knappe, kaum ausgeschmückte Markierungen spannungsgeladener Konstellationen zwischen Natur und Mensch, Schöpfung und Schaffung. Dabei haftet den Metaphern aber immer noch eine materielle Substanz an, ihr Ausgangspunkt ist die mimetische Abbildung, die Vertextung des sinnlichen Eindrucks. Bildspender und Bildempfänger sind klar zu unterscheiden.
Arendts Landschaft besteht aus einzelnen Elementen, die trennungsscharf gegeneinander gesetzt werden: Insel, Meer, Stein, Fischer, Sand, Licht. Viel weniger als bei Huchel sind sie dadurch Abbild einer möglichen realen Landschaft. Während Huchel die Naturobjekte in seinem Gedicht überhöht, indem er sie eingliedert in die mythische Narration, sie also mit Bedeutung auflädt, isoliert Arendt sie von ihrem naturmagischen Zeichencharakter. Die Landschaft wird zur Konstellation elementarer Metaphern. Dabei dienen diese nicht primär der Vertextung eines sinnlich-materiell gebundenen Eindrucks, sondern verfügen über eine eigene Qualität, die nicht paraphrasierbar ist. Diese Entwicklung der Metaphern hängt auch mit der Transformation der Bilder aus anderen Kunsträumen zusammen. Das „pragmatische Wissen“,38 das zum Auseinanderdifferieren der Metaphern nötig ist, wird mehr und mehr unzureichend: Bildempfänger und Bildspender fragliche Kategorien. Viel stärker als Huchel arbeitet Arendt mit Kompositionsmetaphern. Arendt eignet seiner Sprache damit aber nicht nur einige Details an, sondern betritt eine Sphäre des lyrischen Sprechens, in der die Metaphern eine neue Eigenständigkeit besitzen. Eine Entwicklung, die in letzter Konsequenz zum hermetischen Gedicht führen würde. Im folgenden Kapitel wird unter anderem dieser Vergleich der metaphorischen Technik weiter ausgeführt und konkretisiert.

Stefan Wieczorek, aus Stefan Wieczorek: Erich Arendt und Peter Huchel. Kleine Duographie sowie vergleichende Lektüren der lyrischen Werke, Tectum Verlag, 2001

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