Susanne Opfermann und Helmbrecht Breinig (Hrsg.): Gedichte für eine neue Welt

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Susanne Opfermann und Helmbrecht Breinig (Hrsg.): Gedichte für eine neue Welt

Opfermann und Breinig (Hrsg.)-Gedichte für eine neue Welt

BEWEGUNG

Uralte Stämme, diese Galaxien
beschreiben ihre psychedelischen Strudel
durch den pockennarbigen
Weltraum, wo schwarze Löcher aus heißem
Atem alles Licht einatmen,
das sie erjagen können – es dann in ein
anderes Universum blasen?

Und erscheint dort Gott
als Spiegelbild?
Kehrt Kant seinen Imperativ um?
Tauschen Beobachtete ihren Platz
mit Beobachtern,
immer verstrickt
in die Unschärferelation, das Gegenstück
zu jeder Interaktion?

Inge Israel

 

 

 

Vorwort 

Gedichte für eine neue Welt ist ein Titel, den wir dem Gedichtband Poems for a New World der indigenen kanadischen Dichterin Connie Fife entlehnt haben. Er verweist auf die europäische Vorstellung von einer Neuen Welt, auf die Hoffnung auf einen Neuanfang, auf neue gesellschaftliche, ökonomische und kulturelle Möglichkeiten. Er verweist andererseits, ironisch, auf die Kehrseite dieses Neuanfangs: die reale Eroberung der Amerikas, die Unterjochung und weitgehende Vernichtung ihrer indigenen Völker. Dieser Vorgang hat sich auch auf dem Boden des heutigen Kanada vollzogen; seine sozialen und ökologischen Folgen sind noch immer gravierend. Der Titel verweist drittens und vielleicht am wichtigsten auf die Vision von einer besseren Welt für alle Menschen und anderen Lebewesen, und speziell in Kanada den Glauben an eine tolerante und solidarische multikulturelle Gesellschaft. Kanada als das im Vergleich zu den südlich angrenzenden Vereinigten Staaten „bessere Amerika“, ohne imperiale Ansprüche und mit einer gerechteren Gesellschaftsordnung, hat viele US-Amerikanerinnen und -Amerikaner zur Emigration nach Norden veranlasst; sie sind auch in diesem Band vertreten.
Das Konzept des Multikulturalismus, des friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens unterschiedlicher ethnischer und anderer Gruppen in einem gemeinsamen Nationalstaat, wurde vornehmlich in Kanada entwickelt. Es wurde in den 1970er Jahren zur Grundlage des kanadischen politischen Selbstverständnisses erhoben: das ohnehin zweisprachige Land bekennt sich zu seiner Rolle als Aufnahmeort für Immigrantinnen und Immigranten, die neben der indigenen Bevölkerung ihren Platz finden sollen. Dass dies nicht konfliktfrei gelingen konnte und kann, belegen manche Texte in diesem Band. Die Probleme der Identitätsfindung in einer nicht nur ethnisch, sondern auch nach Genderzugehörigkeit, regionaler Situierung und sozialen Klassen pluralen Gesellschaft ist ein wiederkehrendes Thema kanadischer Literatur. Ein zentraler Konfliktpunkt sind die Rechte der Indigenen gegenüber denen der Immigranten und ihren Nachfahren. Aus diesem Konflikt entspringen weitere, wie die oft desolaten Familien- und Gruppenbeziehungen in den indigenen Reservaten oder bei den Stadtindianern. Solche Themen tauchen auch in den Gedichten dieses Buches auf.
Ein weiteres wichtiges Thema der kanadischen Lyrik ist die Natur des Landes, seine überwältigende Weite, die Härte des subpolaren Winters, die kanadische Tier- und Pflanzenwelt, aber auch deren Bedrohung durch den ökologischen Raubbau, der sich in Kanada seit langem vollzieht. Ein Teil der Autorinnen und Autoren, die hier vorgestellt werden, könnte auch als Naturlyrikerinnen und -lyriker klassifiziert werden. Sie bleiben damit aber auch politische Dichterinnen und Dichter, denn die Erkenntnis, dass selbst die kanadische Natur nicht unerschöpflich und unverletzlich ist, hat der Aufmerksamkeit auf ihre Erscheinungsformen eine weitere Dimension verliehen.
Kanadas Erzählliteratur ist weltbekannt – man denke an die Romane und Kurzgeschichten von Margaret Atwood, Alice Munro oder Michael Ondaatje, um nur einige zu nennen. Die kanadische Lyrik hat weit weniger internationale Aufmerksamkeit erfahren, sieht man von den Gedichten Atwoods ab. Und doch steht sie der Prosaliteratur an formaler Exzellenz und thematischer Tiefe und Vielfalt nicht nach. Seit vielen Jahren hat der kleine, aber angesehene und überaus aktive Literaturverlag Ronsdale Press in Vancouver es sich zur Aufgabe gemacht, Bücher aus dem gesamten literarischen Spektrum Kanadas zu veröffentlichen, darunter zahlreiche Lyrikbände. Die in Gedichte für eine neue Welt vorgestellten acht englischsprachigen Autorinnen und Autoren repräsentieren eine Vielfalt von Stilen und literarischen Ansätzen. Sie sind selbst repräsentativ für die multikulturelle kanadische Gesellschaft. Neben Indigenen (First Nations und Metis – ursprünglich Nachfahren von französischen Pelzhändlern und indigenen Frauen) wie Joanne Arnott, Connie Fife und Garry Gottfriedson ist mit Marya Fiamengo eine Dichterin mit kroatischen Wurzeln vertreten, und mit Inge Israel eine in Deutschland geborene jüdische Autorin, Kind russisch-polnischer Eltern. Pamela Porter war US-Amerikanerin, bevor sie nach Kanada emigrierte. Antony Di Nardo wurde im französischsprachigen Montreal geboren und ist sich seiner südeuropäischen Vorfahren bewusst. Den angle-kanadischen mainstream und zugleich das ländliche Kanada vertritt John Donlan. Alle schreiben über Spezifisches, das mit ihrer Herkunft und der Geschichte ihrer Vorfahren zusammenhängt, wie über Allgemeingültiges, das die Gesamtgesellschaft betrifft. Sie schreiben über Beziehungsprobleme, das Geschlechter- und das Generationenverhältnis, aber auch darüber, was es heißt, Lyrik zu schreiben, speziell englischsprachige Lyrik in Auseinandersetzung mit anderen Herkunftssprachen (die gelegentlich einfließen). Sie alle repräsentieren die kanadische Gegenwartsdichtung als eine Beschäftigung mit den Gegebenheiten, Gefahren und Chancen einer kanadischen „neuen Welt“.
Wir haben versucht, uns den unterschiedlichen Formprinzipien der Autorinnen und Autoren anzunähern. Hieraus erklärt sich die wechselnde Groß-Kleinschreibung und Zeichensetzung im Deutschen. 

Helmbrecht Breinig, Susanne Opfermann, Vorwort

 

Seit vielen Jahren

hat der kleine, aber angesehene und überaus aktive Literaturverlag Ronsdale Press in Vancouver es sich zur Aufgabe gemacht, Bücher aus dem gesamten literarischen Spektrum Kanadas zu veröffentlichen, darunter zahlreiche Lyrikbände. Die in Gedichte für eine Neue Welt vorgestellten acht englischsprachigen Autorinnen und Autoren repräsentieren eine Vielfalt von Stilen und literarischen Ansätzen. Sie sind selbst repräsentativ für die multikulturelle kanadische Gesellschaft. Neben Indigenen (First Nations und Métis – ursprünglich Nachfahren von französischen Pelzhändlern und indigenen Frauen) wie Joanne Arnott, Connie Fife und Garry Gottfriedson ist mit Marya Fiamengo eine Dichterin mit kroatischen Wurzeln vertreten, und mit Inge Israel eine in Deutschland geborene jüdische Autorin, Kind russisch-polnischer Eltern. Pamela Porter war US-Amerikanerin, bevor sie nach Kanada emigrierte. Antony Di Nardo wurde im französischsprachigen Montreal geboren und ist sich seiner südeuropäischen Vorfahren bewusst. Den anglo-kanadischen Mainstream und zugleich das ländliche Kanada vertritt John Donlan. Alle schreiben über Spezifisches, das mit ihrer Herkunft und der Geschichte ihrer Vorfahren zusammenhängt, wie über Allgemeingültiges, das die Gesamtgesellschaft betrifft.

Leipziger Literaturverlag, Klappentext, 2020

 

Fakten und Vermutungen zur Herausgeberin
Fakten und Vermutungen zum Herausgeber + Kalliope

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