Tanja Dückers: Fundbüros und Verstecke

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Tanja Dückers: Fundbüros und Verstecke

Dückers-Fundbüros und Verstecke

AM HIMMEL EIN SCHACHBRETT

Am Himmel ein Schachbrett
festgefrorene Kondensstreifen
deren Anfang und Ende
ich nicht kenne
Du schon
Du hast sie
aus der kleinen Welt
in die große geworfen
Beim Brettspiel Gott gefunden
und dann doch vom Platz gefegt

Ich umschlinge deine Knie
verrate mir das Geheimnis der Aerotechnik
den Sinn der Rochade
Sieh’ wie unsere Hände die Farbe der Wolken
bei Abend annehmen
Zeig mir wie Leben entsteht und verweht

Nach oben
winke ich kurz
zur Weißen Dame
Du hast sie wahrscheinlich übersehen
zitternder Punkt am Rand des Riesenfeldes
klammheimlich ab in den Süden
Zieh schon sagst du
es wird dunkler

 

 

 

In Fundbüros und Verstecke

erhebt Tanja Dückers Einspruch gegen die Schwerkraft, besingt das Fallen, setzt an zum Fliegen – und folgt dabei dem roten Faden, „der unsere Leben / zusammenhielt“. Sie umkreist die Welt, findet sie im Nahen wie im Fernen, in ausgedehnter Zeit wie in der Flüchtigkeit. Reisen haben immer eine existenzielle Dimension, ihr Blick geht oft nach Osteuropa. Tanja Dückers’ Poesie ist mal melancholisch, mal träumerisch, oft spielt sie mit schroff ironischen Kontrasten.
Das Zusammenspiel von Öffentlichem und Privatem wird in Hommagen an Emily Dickinson, Hans Magnus Enzensberger und Fernando Pessoa erkundet. Dabei lässt sich Tanja Dückers von Märchenmotiven und urbaner Alltagspoesie inspirieren: Unter dem Motto „Man kommt nicht los / von dem was man nicht kennt“, blickt sie „über den Tellerrand der Erde“ und spiegelt kritisch unsere Gegenwart: „Zeichen am Himmel / auch wir“. Nach Tanja Dückers’ Lyrik-CD Mehrsprachige Tomaten. Reisen im Kopf (2004) werden hier neue Gedichte der auch für ihre Prosawerke und Essays gefeierten Autorin vorgelegt.

Schöffling Verlag, Klappentext, 2012

 

Tanja Dückers, 1968 geboren,

ist im Gegensatz zu Wulf Kirsten sehr maritim. In ihrem neuen Band Fundbüros und Verstecke – jenen Orten, an denen Gedichte am besten aufgehoben sind – ist mit „Frachtschiffe (Norden und Süden ein schwarzes Zelt)“ ein ganzer Zyklus mit Meeresgedichten enthalten. Die ablegenden Schiffe sind für die Autorin natürlich nicht mehr das Symbol für die Sehnsucht nach unbekannter Ferne. Diese Unschuld haben die Ozeanriesen verloren. Bei Tanja Dückers steuern die Schiffe mal den Hafen von Barcelona an, dann fahren sie, wie im Gedicht „Frachtschiff (nächtliches Grübeln)“, mit fremder Flagge im Kopf des lyrischen Ichs vor und zurück. Aber nicht nur dem Meer, auch der Oder hat Tanja Dückers mehrere Texte gewidmet. „Am Tag der EU-Osterweiterung“, so heißt es im Untertitel „Frankfurt (Oder) – Słubice“, überquert sie die Europa-Brücke, die beide Städte miteinander verbindet. Mit der Autorin gehen wir über den pittoresken Altmarkt von Krakau, beobachten mit ihr von Wroclaw aus einen Kometen und das Unkraut auf dem Bahnsteig von Gliwice. Das „Haus der Krähen (Bukarest)“ ist zuletzt ein ganz unspektakuläres Denkmal, das Tanja Dückers der gigantomanischen Architektur des von Ceauşescus Gnaden errichteten „Haus des Volkes“ in der rumänischen Hauptstadt mit seinen 3.000 Zimmern entgegengestellt.
Die Autorin ist in ihren Texten nicht nur in allen Himmelsrichtungen, sondern auch in den eigenen vier Wänden unterwegs. Das Thema Zweisamkeit etwa wird in Fundbüros und Verstecke überaus facettenreich variiert. Auch viel Atmosphärisches ist hier eingeflossen und als Tag-, Nacht- und Wolkengedichte Vers geworden. „Dass du lebst“ ist nicht nur das längste Gedicht der Sammlung, sondern auch eine überaus berührende Hommage an die Großmutter und ihr langsames Vergehen in Altersschwäche und Demenz, in der sich das lyrische Ich dankbar an das erinnert, was es als Kind von der Frau, die immer schon eine Greisin gewesen zu sein scheint, erfahren hat.
Aus dem Buch werden wir mit dem Zyklus „Etwas gefunden“ in unsere raue Wirklichkeit entlassen. Das Gedicht formuliert nichts weniger als einen frommen Wunsch: Wieder in jenen Urzustand zurückkehren zu dürfen, den man Kindheit, mit Jean Paul gar das einzige Paradies nennt, aus dem wir nicht vertrieben werden können: 

Warum finde ich nichts mehr
früher
war alles bedeutsam
heute
genügt nichts mehr 

Früher
unterhielt ich mich mit leeren Joghurtbechern 

dorthin möchte ich zurück.

Kai Agthe, die horen, Heft 246, 2. Quartal 2012

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Tobias Roth: Wolken und blaue Flecken
fixpoetry.com, 25.4.2012
Fakten und Vermutungen zur Autorin + Linksammlung + Facebook
Porträtgalerie: Autorenarchiv Susanne SchleyerKeystone-SDA +
Brigitte Friedrich Autorenfotos

 

Tanja Dückers bei AutorInnen im Gespräch.

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