Theodor Kramer: Unser Land

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Theodor Kramer: Unser Land

Kramer-Unser Land

AN EINEM SCHÖNEN HERBSTTAG MÖCHT ICH STERBEN…

An einem schönen Herbsttag möcht ich sterben,
der schon ein wenig rauh und frostig ist,
vor unserm alten Haus daheim im herben
Geruch von Unkraut und von Rankenmist.

Den Hauch der schwarzen Schalen möcht ich
aaaaaschlürfen,
die von den Nüssen fallen, und den Pflug
die morschen Stoppeln stürzen sehen dürfen
ins fette Erdreich bis zum letzten Bug.

Dann könnt ich leichter glauben, daß das gleiche
Gesetz, nach dem der Fechsung morscher Rest
den Boden wieder düngt, auch mir das Gleiche
gewährt und mich nicht ganz vergehen läßt.

 

 

 

Lyrik als Vermächtnis

(…)
Wenn der Club Niederösterreich nun erneut eine Sammlung von landschaftsmalerischen Gedichten eines niederösterreichischen Dichters publiziert, dann geschieht dies aus mannigfaltigen Gründen – umso mehr, wenn es sich um den sozialdemokratischen, jüdischen, in die Emigration gezwungenen Theodor Kramer handelt. Zunächst soll der Bekanntheitsgrad des Schriftstellers vergrößert und gleichzeitig auch sein Schicksal in Erinnerung gerufen werden – Vergangenheitsbewältigung ohne erhobenen Zeigefinger oder geschichtsverfälschende Schönfärberei. Gleichzeitig geht es uns aber auch darum, die Beschäftigung mit dem ländlichen Raum zu verstärken und ein klareres, eben nicht verklärtes Bild vom Dorf und seinen Bewohnern zu zeichnen.
Das Dorf war und ist nicht die „heile Welt“ schlechthin, heute genauso wenig wie damals. Aber das Dorf birgt enorme Chancen in sich und kann Beispiel werden für harmonisches Zusammenleben von Menschen untereinander und im Einklang mit der Natur. Dazu bedarf es jedoch eines ständigen Hinterfragens von Wertigkeiten, Traditionen und Gepflogenheiten sowie des unermüdlichen Versuches, auch dem Schwächeren, gleich ob Mensch, Tier oder Pflanze, sein Teil zu sichern. Theodor Kramers Gedichte mögen dabei Hilfe sein.

Ernst Scheiber und Erwin Pröll, Vorwort

 

Unser Land ist eine Sammlung

jener Gedichte Theodor Kramers, die sich mit dem Dorf und seiner Umgebung auseinandersetzen. Die mit geradezu penibler Genauigkeit ausgeführte Festmachung jahreszeitlicher Erscheinungen, deren Charakterisik nicht unbedingt an einen bestimmten Punkt gebunden ist, zeugt von einer bewussten Beziehung zu unterschiedlichen Plätzen des Landes und trägt durchaus erlebnishaften Charakter. Kramers Ausführungen lassen aber nicht nur wechselnde landschaftliche Formen und jahreszeitliche Farben erkennen, sondern zeigen gleichzeitig auch die Schichtungen und Bruchlinien gesellschaftlicher Art. Das häufig gezeichnete Bild vom einheitlichen ländlichen Raum übermalt er dadurch genauso wie die idyllische, teils auch ideologische Vorstellung von der Geschlossenheit der Dörfer. Am meisten beeindruckt Kramers Fähigkeit, über die „Heimat“ zu schreiben, ohne dabei in den Kitsch abzufallen, über das „Land“ zu schreiben, ohne zu langweilen, über soziale Ungerechtigkeit und gesellschaftliche Missstände zu schreiben, ohne einzelne Gruppen zu beschimpfen. Und es beeindruckt vor allem seine Liebe zu „diesem Land“, die Triebkraft für sein Schaffen war und die er in jedem einzelnen Gedicht spürbar werden lässt.

Club Niederösterreich, Ankündigung

 

Theodor Kramer, der Spurenleger

Im Zitat ist er der Universitätsgermanistik und dem größeren Teil des Lesepublikums immer noch nicht geläufig. Theodor Kramer fällt den meisten nur unter dem Stichwort Theodor Kramer ein; er ist noch nicht Gemeingut einer sich aus der literarischen Prägung nährenden Phantasie geworden, in das assoziative Material nicht eingedrungen; als „verhinderten österreichischen Nationalautor“ hat ihn Daniela Strigl im Zusammenhang mit ihrer Theodor Kramer-Monographie apostrophiert („Wo niemand zuhaus ist, dort bin ich zuhaus“. Theodor Kramer – Heimatdichter und Sozialdemokrat zwischen den Fronten, Wien 1993). Aber Kramer wird nicht verziehen, daß er, ein Opfer des Nationalsozialismus, aus Österreich vertrieben war, und daß er aus dem Exil ohne internationales Renommee zurückgekommen ist, vielmehr als einer, der „in den mitleiderregenden Zustand geraten ist, sich nicht mehr selber helfen zu können“, der also, statt uns zu nützen, wie es sich für einen Emigranten gehört, dem Staat am Ende sogar zur Last gefallen ist. Hätte er nur wirklich etwas angerichtet, eine Ode auf Hitler geschrieben, wie Weinheber, wir könnten ihm verzeihen. Aber wie sollen wir ihm verzeihen, wo es nichts zu verzeihen gibt? Mag sein, es entstünde uns keine Schwierigkeit, hätte ihn nicht eine Hilde Spiel als „groß, geplagt, einzigartig, unvergessen“, ein Carl Zuckmayer „als den stärksten Lyriker Österreichs seit Georg Trakl“ bezeichnet.
Nicht auszuräumen sind auch die Bedenken gegen die wenig innovativen Formen der Kramerschen Poesie: gegen sein Festhalten an Reim und Strophe, an der gebundenen Sprache der Verse. Warum blieben diesem österreichischen Lyriker, einem Zeitgenossen Pablo Nerudas und Jannis Ritsos’, die offenen Formen seiner freieren Brüder aus anderen Ländern verschlossen? Vielleicht aus persönlicher Subalternität, Unterwürfigkeit des an den sozialen Rand Gedrängten gegenüber dem etablierten Kanon? Oder wußte er sich an die Marktlage anzupassen, an die geringe Akzeptanz des Ungereimten in Zeitungsredaktionen? Oder zeichnet der Mangel an ästhetischer Souveränität im Werk Kramers ein Stück österreichischer Misere nach, eine Verstelltheit des Horizonts, mehr noch in den Lebensperspektiven der Bewohner des Landes als im intellektuellen Bereich?
Kramer lesen, bedeutet einiges an narzißtischer Kränkung in Kauf nehmen, an Stolz über unser So-und-nicht-anders-Gewordensein überwinden. Kramer lesen ist ein trauriges Geschäft, nicht nur weil seine besten Gedichte tief traurig sind und erst durch die Trauer hindurch klar und von Gegenständlichkeit erfüllt, somit heiter werden. Nein, viel einfacher: Nur wer bereit ist, um Vergangenes zu trauern, wird Kramer adäquat lesen können. Wer nicht trauern will, muß sich bei ihm ans Heimatliche halten, ans Weinviertel und sonstige Reminiszenz an Vertrautes. Verstehen wird er im Grunde nichts: Kramer, der scheinbar jedermann verständliche, ist gar nicht so leicht zu verstehen.

Den tiefen Riß, du schüttest nicht
so lang du lebst, mit nichts ihn zu.
Am Barren schwingt das rote Licht,
die fahlen Sterne gehn zur Ruh.
Ein Zug geht, draußen auf dem Steig
verhallt der letzte Krampenschlag;
ans Fenster schlägt ein schwarzer Zweig.
Mich friert. Es ist noch lang nicht Tag.

Kramer hat dieses Gedicht, „Ein Krampenschlag vor Tag“, ein Gedicht über die Entzweiung (der fortwährend Arbeitende mit der Krampe und der Arbeitslose, der in schlafloser Nacht auf ihn lauscht), nach seiner Rückkehr nach Wien 1957 noch auf Band gesprochen. Die letzte Zeile sprach er ganz langsam, ließ sie aus dem konkreten Szenario des Gedichts ins Allgemeine herauswachsen. Kramer hätte es nicht wie Jura Soyfer über sich vermocht, die Zeile „Ihr nennt uns Menschen, wartet noch damit!“ zu schreiben. Er hätte sich gefragt, wer so etwas sagt, und hätte vielleicht ein Gedicht über ihn geschrieben. Vor allem aber geht Kramer von der Endgültigkeit des menschlichen Lebens in seiner Zeit aus – um so tragischer sind die Niederlagen, das Versagen, das Versäumte. Nichts ist vorläufig, alles ist geschehen. Dem Leser wird keine Entschädigung angeboten, kein Gestus, in den er sich hineinmachen mag, keine Lehre, die er daraus ziehen soll. Man ist jedoch eingeladen, Kramer auf seinen lyrischen Wanderungen zu begleiten.
Kramer lesen, heißt die ungezählten Spuren, die er durch die Lebensmaterie der Jahrhunderts gelegt hat, verfolgen: nicht Spuren einer erhabenen Subjektivität, die sich in mancher menschlicher Bildung oder Mißbildung niedergeschlagen hat, sondern Hinweise auf wirkliche Wege, die Kramer entweder selbst abgegangen ist, oder deren Begehbarkeit er vermutete. Etwa die Spuren, die Kramer ins Gesicht einer Prostituierten zeichnet: die Geschichte, die er sich mit diesem Gesicht, hinter diesem Gesicht vorstellt – ihren kleinen Kampf mit der Obrigkeit, „Büchel“ und Heimatschein, ihre Orte der Sehnsucht und einer vorübergehenden Wärme. Unzählige einzelne sind in seinen Gedichten unterwegs, zusammengehalten durch die feste Klammer seiner schmucklosen Reime, seiner kompakten Strophen. Die Perspektive einer Vereinigung dieser einzelnen zu einem gemeinsamen Strom wird nicht ausgemalt; aber als Möglichkeit ist sie in Kramers Gedichte eingezeichnet.
In seiner „klassischen“ Periode befand sich Kramer auf einem Höhepunkt der Geistesgegenwart, die bei ihm raffinierteste Auffassungsfähigkeit war. Nichts entzog sich seiner Vermutung, seiner „Vision“. Mit Recht sprach er von seiner „Methode“, Gedichte zu schreiben. Atemlos vorangetrieben von dem ungeheuren Gehalt, den es zu fassen galt, ehe er entschwand, fand Kramer keine Zeit für Experimente, bewährte er dennoch Richtigkeit und Genauigkeit seiner Auffassung. Ihr können Lesende vertrauen.

Konstantin Kaiser, Buchkultur, Nr. 2/1994

 

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber + Kalliope

 

Zum 25. Todestag des Autors:

Josef Schweikhardt: Ein Lyriker kehrt heim
Die Furche, 1.12.1983

Zum 50. Todestag des Autors:

Günther Doliwa: Gewaltig ist das Leben
literaturkritik.de, April 2008

Daniela Strigl: Hieb auf den Kopf, Griff ans Geschlecht
Der Standart, 29./30.3.2008

Cornelius Hell: Für die, die ohne Stimme sind
Die Furche, 27.3.2008

Georg Siegl, Doris Windhager und Adula Ibn Quadr: Beim Stromwirt – Lieder nach Texten von Theodor Kramer

Fakten und Vermutungen zum Autor + ÖM + Archiv 1, 2 & 3 +
Internet Archive + Kalliope

 

Theodor Kramers Gedicht „Geboren ward ich in die Wende“ gesungen von Wenzel.

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