Ursula Krechel: Vom Feuer lernen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ursula Krechel: Vom Feuer lernen

Krechel-Vom Feuer lernen

BRUCH

Was noch zusammen paßt
was noch zu kitten ist
Wedgewood was bleibt
Wörter wie Scherben im Mund

daß niemand sich schneide
daß kein Splitter verlorengehe
niemand klagt übers Verschüttete
Wörter und keine Vasen.

 

 

 

Ursula Krechels neue Gedichte,

geschrieben zwischen 1979 und 1985, sprechen mit befremdlicher Wärme von einer Zeit, die sich vermummt in der Kälte eingerichtet hat. Lange Gedichte, kurze Gedichte – Gedichte, die aufbrechen, Erfahrungen suchen; andere dagegen haben ihre Erfahrungen schon um und um gewendet, sind abgeschlossene Gebilde, die ihr Ziel kennen, weil sie es hinter sich gelassen haben.
Fühlbar, sichtbar bleiben die Rauhigkeiten einer ganz und gar unalltäglichen Sprache, in der Schönheit und Verwundbarkeit, sinnliches Bild und bildlich Durchdachtes miteinander so verschmelzen, daß sich das Einfachste und zugleich Schwierigste hier lernen läßt: Zuhören, Zuschauen, Wahrnehmen, durch Schaden nicht unschädlich werden.

Luchterhand Verlag, Klappentext, 1985

 

Ursula Krechel: Vom Feuer lernen

Die neuen Gedichte von Ursula Krechel haben eine sehr unterschiedliche Aufnahme erfahren. Sehr negativ urteilt M. Santak in der FR (9.10.1985): „weltabgewandtes Wortgezwitscher“, „solipsistische Poesiewelt“, „eskapistischer Zynismus“, das sind einige der Vokabeln, mit denen der Rezensent seinem Ärger darüber Luft macht, daß er die Texte nicht auf Anhieb versteht. „Krechels Lyrik bietet weder lebenspraktischen Nutzen, noch ermöglicht sie Erkenntnisgewinn“, dekretiert er und zeigt, daß er Lyrik mit einem Traktat über Krebs, Aids oder das Waldsterben verwechselt. Santak vermißt das Positive: „eine Therapie täte not“. Wieso die gerade vom Lyriker verlangt wird, bleibt unerfindlich. Santak sollte mehr Kästner lesen. Oder Krechel, bei der es auf S. 20 heißt:

Glaubst du denn, ich wollte
dir die Welt erklären
mit einem Stimmchen gezirpt bezirzt…

Sehr viel differenzierter urteilt Gerhard Stadelmeier in der ZEIT (11.10.1985), findet es eher eine Tugend, daß man mit Ursula Krechel nicht in fünf Minuten fertig sei:

Sie ,funkt‘, sie ist eine Meisterin des ,Kurzschlusses‘. Sie rückt das Unvereinbare so dicht aneinander, daß es sich gegenseitig elektrisch entlädt

Das Problem für den Leser ist vielleicht, daß Krechel hier keine Geschichte erzählt, was ihren letzten Band Rohschnitt (nur scheinbar) zugänglicher gemacht hat. Sie nimmt für sich das alte Recht der Poesie in Anspruch, eine ,andere‘ Sprache zu sprechen. Gleich das Eröffnungsgedicht „Nachtleben“ weist das aus:

Was hier leuchtet, ist nichts:
die langsame Zerstörung des Dunklen
durch Argumente, wärmste Empfehlung
der Lichtquellen als Türklappenhallo.
Was hier leuchtet, verschwindet
fallengelassen ausgetickt
in der Sucht nach Advent.

So zieht die erste Strophe die aufklärerische Lichtmetaphorik in Zweifel, ist das ,Licht der Vernunft‘ doch längst in eine kontrollierende Technik einerseits (gebunden an den Augensinn und die durchgründende Wahrnehmung) und in eine schale Kulturindustrie andererseits (Beleuchtung statt Erleuchtung) übergegangen. Daß die instrumentelle Vernunft (Argumente) das Dunkel zerstört (18. Jh.: die aufgehende Sonne der Vernunft verdringt die Nacht der Unwissenheit), erscheint nicht ohne weiteres mehr als Wert, im Gegenteil. Die Lichtquellen sind selber „nichts“ mehr; „Türklappenhallo“ ist einer der Krechelschen ,Kurzschlüsse‘ oder ,Funken‘ (was eine andere Art von Licht ergibt), und deutet auf die Einschränkung unserer Kommunikation (formal) und inhaltlich aufs Nichtwissen derer, die noch meinen, daß es uneröffnete Türen zur Weisheit gibt. (Selbst die ,Klappe‘, der Ort der flüchtigsten Begegnungen, darf noch im Wort mitgehört werden.) „Ausgetickt in der Sucht nach Advent“ verknüpft die religiöse Basis einer solchen Weltgleichgültigkeit mit der vordergründigen Wahrnehmung adventlich ausgeschmückter Einkaufsstraßen. Die zweite Strophe bringt einen Perspektivwechsel:

Die schuldige Frau umfaßt ihren Leib
als sei ihr Leib ein fremder Leib
versiegelt die geläufige Sprache
die Frau löscht das Licht
Dunkelheit malt Versöhnungsgesichter.

Die Entfremdung (ein fremder Leib, schuldig sein) wird als Konsequenz nicht beliebig angenommen. Herr Santak fände, könnte er lesen, hier bereits, im ersten Gedicht, das vermißte Positive: sie umfaßt ihren Leib. „Der Leib kann nicht lügen“, heißt es bei Nietzsche, der nicht zuletzt dieser Botschaft wegen neuerdings wieder sorgsamer gelesen wird. Die Entscheidung zum hermetischen Gedicht, die Absage an direkte Verständlichkeit und flinke Kommunikation („Türklappenhallo“) ist konsequent, wenn doch den „wärmsten Empfehlungen“ (Vertreter- wie Kasinosprache) mißtraut werden muß. Sie „versiegelt die geläufige Sprache“, ein Scheinparadox („Dunkelheit malt“) bringt, als ,überbietende correctio‘, die Gegenperspektive zur lichtvollen Zerstörung: „Versöhnungsgesichter“.
Ursula Krechels neuer Gedichtband kennt viele solcher Gesichter: die Zeit bekommt eines, die Liebenden, die Uhren und die alte Welt, eine englische Landschaft, der Vater und die vielen Kollegen, an die Grüße ergehen (Hölderlin, Goethe, Stefan George, Trakl, Rilke, Volker Braun u.a.m.) – damit letztlich auch die Poesie, der „Glücksangst“ als Schatten folgt.
Doch sei Ursula Krechels Poesie nun nicht ins eindeutig Positive umgedeutet. Noch die Naturbilder sind nirgends idyllisch/beruhigend; von „Wüstenei“ ist die Rede, von dem „was einmal gewesen“, von der Erfahrung, „daß jeder geträumte Rauchpilz / die Träumenden selbst verbrennt“. Das schöne Volkslied Goethes „Es ist ein Schnee gefallen“ wird ,verhärtet‘ wiederaufgenommen:

Es ist ein harter Schnee gefallen
über Mützen und Kopfschmerz in der Nacht.
Es ist eine Stille auf den Boden gefallen
Stein beißt den Schnee, Salz taut den Weg…

Es sind schwierige, doch (muß man „doch“ sagen?) sehr schöne Gedichte, die Krechels Band komponieren. Sie gehen von jener Wörtlichkeit, ja Buchstäblichkeit aus, die für unsere Gegenwartslyrik kennzeichnend sind und jeden dem Text vorgegebenen Sinn denunzieren. Das Gedicht für Unica Zürn mischt fleck-flick- Fluch-flenn- blick-bleck-blind usw., der ,Märzbrecher‘ bricht die Naturordnung mit einem r zuviel, der Grund, der dabei erreicht wird (das „kecke“ Spiel der Signifikanten), ist „grundlos“: „eine Rede fraß sich fest /schabte den Grund, grundlos“.

Alexander von Bormann, Deutsche Bücher, Heft 2, 1986

 

 

 

Ein Gedicht und sein Autor: Ursula Krechel und Jan Wagner am 17.7.2013 im Literarischem Colloquium Berlin moderiert von Sabine Küchler.

 

Zum 70. Geburtstag der Autorin:

Andreas Platthaus: Keine Magermilch, und bloß keine Kreide
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.12.2017

Landesart: Ursula Krechel zum 70.
SWR, 2.12.2017

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Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Ursula Krechel

 

Ursula Krechel – Neue Dichter Lieben, Komposition und Klavier: Moritz Eggert, Bariton: Yaron Windmüller, Expo 2000 Hannover.

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