Utz Rachowski: Es fielen die schönen Bilder

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Utz Rachowski: Es fielen die schönen Bilder

Rachowski-Es fielen die schönen Bilder

RILKE LESEND

An der Kreuzung zweier
Herzwege steht kein Tempel für Apoll.
… und was im Tod uns entfernt,
ist nicht entschleiert.
aus: Die Sonette an Orpheus

 

I

Wieviel dicken Brei
er doch aufkochte

aus
diesem einen

Samenkorn: Gott

Als hätte er
an dessen Hof geweilt

so wie er lebte
Orte ohne Verortung 

zurück auf
einfache Erde

gefallen
säte er selbst: 

Der Panther
Das Karussell
Herbsttag
Orpheus. Hermes. Eurydike.

Bis ihn das Streunende
anfällt das Ende

Blutkrebs

(✝︎ 29. Dezember 1926
Valmont sur Territet bei Montreux)

 

II

So starb
auch mein Freund

Jürgen Fuchs
auf einfacher Erde

vergiftet:
schwarzes Mutterkorn Stasi

jung
erst um die fünfzig

zusammen beide
keine hundert

gelbe landschaft leben
Gedächtnisprotokolle
Vernehmungsprotokolle
Magdalena

 

Sein letztes Gedicht:

BESUCH

Wie schön
Das Morgenlicht
Hinter den Drähten
Der Oberleitung
Wie schön
Im Zug zu sitzen nach Hamburg
Und abends zurück
Bald kommt mein Tod
Vielleicht sollte ich reisen
Mich verstecken?
An einem schönen heißen sonnigen Tag
Kam er
Der Schwarze, Glänzende, Gefiederte
Vom Transport
Gelackt, mit modischer Jacke
Stand im Zimmer 4 Station 51a, breite Schultern
Kein Gesicht, bediente ein Handy
Tippte, horchte, wartete. Nur seinen Rücken sah ich
Die Farben, die Finger beweglich
Routiniert

Du Bote, Du Bürschchen!
So glänzend, so poliert
Und gefiedert
So deutlich
So nahe kamst du heran…

Die beiden Dichter 

Hatten sie etwas miteinander zu tun? 

Ich weiß nur
dass mein Freund

der polnische Dichter
Adam Zagajewski

sie mag 

Mi, 22. Apr. 2020

 

 

 

Die Erdachse

– Zu den Gedichten von Utz Rachowski. –

1
Das Vogtland ist das Zentrum der Welt. Hier kreuzen sich wie in allen anderen Zentren auch beliebig viele Wege, und wenn sie sich gabeln, beginnen sie neu. Letztlich ist das ja das Gute am Wegkreuz auf einer Kugel, dass, egal in welche Richtung du gehst, du immer genau da ankommst, wo du losgegangen bist.
Aber mancher geht nicht freiwillig, sondern er wird vertrieben. Rückkehr kann dann eine glückliche Fügung sein, wenn die Vertreiber zwar nicht selbst vertrieben wurden, aber machtlos zu Vogelscheuchen geworden sind, auf deren Köpfen die Zugvögel Nester bauen.

ICH KENNE
KEINEN UNTERSCHIED

Zwischen

Ferrara
und
Reichenbach im Vogtland

beide
kehrten
wir zurückerobert

von wo sie uns wegbrachten

So heißt es in einem Text, der Giorgio Bassani aufruft, den italienischen Dichter, der angesichts der faschistischen Judenverfolgung zum Widerstandskämpfer wird.
Vielleicht stehen ja Utz Rachowskis Texte, deren Orte sich über den Norden des Erdballs verteilen, eben für jene andauernde Rückkehr. Für einen ständig anfallenden Heimweg. Denn von jenem Weg erzählen sie auch. Dem, der sich im Gehen dem Gehenden zeigt. Und manchmal trifft er auf eine Katze oder er wird lange Zeit von einem Hündchen begleitet: vom Hund „Suki / der ganz bestimmt / mein war // aber mir nicht gehört.“

2
Utz Rachowski wurde 1954 in Plauen im Vogtland geboren, heute lebt er im vogtländischen Reichenbach. Einen Katzensprung weit von einander entfernt sind die beiden Gemeinden und man könnte meinen, dass da ein Leben bislang nur einen kurzen Weg nahm.
Dem ist aber nicht so, denn Rachowski bekam eigentlich alles zu spüren, was die damalige DDR an Repressiven zu bieten hatte. Weil er einen Philosophieklub betrieb, wie die Direktion und die Stasi es nannten – die Teilnehmer hatten sich mit literarischen und philosophischen Texten beschäftigt –, wurde er von der Erweiterten Oberschule verwiesen. Unter anderem lasen sie Texte von Heinrich Böll über Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus.
In einem Interview mit Axel Reitel sagt Rachowski dazu:

Das war das absolute Aha-Erlebnis – eine Parallele zu dem, was ich jeden Tag durch die Militarisierung der Schule vor Augen hatte.

Fahnenappell und Wehrsport gehörten zum Alltag in den Schulen der DDR.
Später holte Rachowski, nachdem er eine Ausbildung zum Elektromonteur absolviert hatte, das Abitur nach, wurde aber nach zwei Semestern Studium von der Universität Leipzig verwiesen, arbeitete als Heizer und wurde 1979 wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu 27 Monaten Gefängnis verurteilt. Zu so einem Urteil brauchte es wenig in der DDR, als deren Ende zwar schon klopfte, aber für Insassen noch nicht abzusehen war. Es reichte, Gedichte zu schreiben, die nicht dem gängigen Bild der Lyrik entsprachen, oder Gedichte missliebiger Autoren zu verbreiten.
Immer, wenn ich in dieser Zeit mit meinen Eltern in Karl-Marx-Stadt zu meinen Großeltern fuhr, kamen wir an der großen Gefängnisanlage vorbei, in der Utz Rachowski festgehalten wurde. Und der Vater eines Mitschülers war dort Knastarzt und, wie ich später erfuhr, an Quälereien der Gefangenen beteiligt.
Rachowski wurde auf Betreiben von Amnesty International 1980 in den Westen entlassen und studierte dann in Göttingen Philosophie und Kunstgeschichte.
Dann endlich lebte er als freier Autor, wie es als freier Autor so ist, nicht vom Verkauf der Gedichte, sondern von Preisen, Stipendien und Lehraufträgen. Und nach dem Zusammenbruch der DDR kehrte er ins Vogtland zurück. In die Gegend also, in der Vogelbeerbäume die Bahndämme flankieren. In ein sanftes Hügelland mit weiter Landschaft und engen Städten.

3
In dem Buch des polnischen Lyrikers und Essayisten Adam Zagajewski, das im Frühjahr 2021 als letztes vor seinem Tod erschien, findet sich auch ein kurzer Text über Utz Rachowski. Es ist der einzige Essay im Band, der sich mit einem lebenden deutschsprachigen Autor befasst, und er geht auf ein denkwürdiges Phänomen ein. Nämlich dass das Dilemma seiner (also Rachowskis) Generation gewesen sei:

Was tun nach dem Fall des Systems?

„In der Literatur“, schreibt Zagajewski, „kann sich ein Sieg allerdings leicht in eine Niederlage verwandeln. Die Dichtung weiß mit Tragödie, Katastrophe, Tod, mit Melancholie, mit Liebesenttäuschung umzugehen (das gelingt ihr am besten!), doch gegenüber dem Sieg ist sie ratlos.“
Und tatsächlich sind einige der vormals oppositionellen Dichterinnen und Dichter nach dem Zusammenbruch des östlichen Reiches verstummt, andere sahen sich mit den eigenen Verstrickungen konfrontiert oder sie starben wie Jürgen Fuchs, der Schriftsteller, Aufklärer und Freund Rachowskis, an den Folgen der Repressalien, der unmittelbaren und auch der verdeckten Folter.
Es ist so etwas wie ein kleines Wunder, dass Utz Rachowskis Literatur, dass Rachowski selbst, wiewohl sie die düsteren Erfahrungen nicht verschweigt, doch so etwas wie Optimismus ausstrahlt. Allerdings hängt dieser Optimismus auch mit einer Haltung zusammen, die sich aus Empathie speist und in Solidarität zeigt. Zum Beispiel betrachtete Rachowski die Ereignisse in Polen während des Kriegsrechts in den Achtzigerjahren nicht nur mit Sorge, sondern er handelte:

Als dort der Kriegszustand ausgerufen wurde, mussten wir einfach etwas tun. Über Jürgen Fuchs kannte ich Adam Zagajewski. Er gab mir einige Adressen in Polen, die ich besuchte, um mich nach inhaftierten und internierten Schriftstellern und Intellektuellen zu erkundigen. Auf dem Rückweg nahm ich von Autoren Texte mit, die ich später übersetzen ließ und im RIAS gelesen habe.

Aber, und auch das scheint mir wichtig, ist Politik nicht alles. Im Band findet sich zum Beispiel auch ein Gedicht über die Ratlosigkeit des Autors angesichts des Leids eines erfolgreichen, aber liebeskranken Kollegen. Und vor allem einiges Eindringliche über Suki.
Adam Zagajewski schreibt:

Ich bewundere seinen frischen Ton und heiteren Geist, der nichts von Veteranentum hat. Auch das Bündnis mit dem Hund oder Hündchen gefällt mir. Tiere haben weniger Kontakt mit der Geschichte als Menschen, doch wenn sie ihr schon begegnen, dann zahlen sie den höchsten Preis. Aber sie geben uns viel. Vor allem eine Art von Unschuld, die uns fehlt – sowohl den Siegern als auch den Verlierern.

Jan Kuhlbrodt, Nachwort

 

Frische und lebendige Gedichte

Auch in diesem Buch zeigt sich Utz Rachowski wieder auf der Höhe seiner lyrischen Kunst. Der Nikolaus-Lenau- und Reiner-Kunze-Preisträger versammelt hier seine Gedichte der letzten Jahre. Der Band bestätigt erneut, was der große polnische Dichter Adam Zagajewski in dem kurz nach seinem Tod (20121) erschienenen Buch Poesie für Anfänger über Utz Rachowski schrieb:

Ich bewundere die frische und gelassene Aussagekraft der Gedichte, den Verzicht auf jegliches Veteranentum. Auch der Bund mit dem Hund oder Hündchen gefällt mir. 

Suki, dem Hündchen, begegnet man wiederum auch in diesem neuen Buch von Utz Rachowski. Wie schon vorher in seinen Gedichtbänden Miss Suki oder Amerika ist nicht weit (2013) oder in Die Dinge, die ich vergaß (2018). Sein Buch Spaziergänge mit Miss Suki ist 2021 zweisprachig in Polen erschienen.

Weitere Beiträge zu dem Buch:

Matthias Zwarg: Utz Rachowski: Der leise Poet
Freie Presse, 4.3.2022

Andreas Urban: Das Fell, das fehlt
literaturkritik.de, April 2022

Barbara Zeizinger: Wurzeln, Wege und ein Hündchen
signaturen-magazin.de

 

Welthaltig und keinesfalls provinziell. Die Reihe Neue Lyrik – Ein Gespräch mit den Herausgebern Jayne-Ann Igel und Jan Kuhlbrodt.

 

 

Zum 65. Geburtstag des Autors:

Klaus Walther: Wer sollte da Zweifel haben, die Welt sei nicht schön?
FreiePresse, 23.1.2019

Fakten und Vermutungen zum AutorIMDb + Kalliope

 

Andreas Schirneck singt Gedicht von Utz Rachowski
am 1.10.2015 im Malzhaus Plauen bei „Jürgen Fuchs nicht zu vergessen“, Literarische Blicke auf unser Land
Schriftstellerlesung Utz Rachowski & Udo Scheer Musikalische Begleitung Andreas Schirneck

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