Uwe Dick: Das Echo des Fundamentschritts

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Uwe Dick: Das Echo des Fundamentschritts

Dick-Das Echo des Fundamentschritts

STATIONEN

Ein seltsam Land durchquerten wir
Da gab es einen Krähenaugenbaum
und ein Duett mit obligaten Augengläsern
und Wesen die sich nicht mehr kannten
nachdem sie sich im Spiegel angesehn

Da gab’s ein Erwachen zum häßlichen Leben
(die Weiber gebaren nach der Natur)
und ihre Hornisten bliesen zur Treibjagd
sie riefen den Zweifler zur Halsgerichtsordnung
zur Probe des geweihten Bissens

Fenster blickten fragend zum Himmel
Der Tag trug die Farben der Könige
In Scharen kamen die Unterlinge
Aha-ler Soso-ler aufs Marsfeld gezogen
und Augendiener schmückten mit Astern
die Bajonette der Garde

Der Zweifler aber bestand die Probe
erstickte nicht am Geweihten Bissen
und auch die Bohne des Gottesgerichtes
und auch der silberne Schierlingsbecher
vermochten ihn nicht zu töten

Da murrte das Volk da schwitzten die Richter
und drehten die Hälse in Vatermördern
und änderten Gottes Urteil ab:
„An die Wand mit dem Frevler!
Aug in Aug mit den Schützen!
Denn Grimassen schnitt er
beim Schlucken des Bissens – des heiligen Bissens!
Und somit hat er
den höchsten der Richter
verhöhnt und also
sein Leben verwirkt!“

Der Seher fiel: ein großer grüner Baum

Da riefen die Krähen den Regen herbei
Hirnbrütig walzte das Volk nach Hause
Freund Klapperbein soff Kindlbier
Mütter gebaren Totenköpfe

Der Hüter des Honigs verließ das Land
Die Seen verfaulten      Die großen Städte
erstickten im Kot
Die Tolle Grete ging in Serie
sie fraß das Pulver tonnenweise
Dann schufen sie die Lichtkanone:

Die Menschen sind des Menschen Tod

Es sagte das Mädchen: Ich eile
zum Fest der Schmetterlinge!

Es sprach der Jüngling: „Der Mensch
ist fürs Glück geschaffen
wie der Vogel für den Flug“

Es schwieg der Greis (ein beredtes Schweigen)
Ein Wissenschaftler des Abschiednehmens
wußte er wohl:
Der Wind gibt unseren Worten
gar schnell einen anderen Sinn

Der Wind legt die Herzen frei
die unter der Asche glosen

Der Wind mischt unserem Wein
das Salz der Toten bei

Stumm ging der Greis aufs Meer hinaus
Seine Augen: Fenster mit geschlossenen Läden
Er hatte keinen Blick mehr
für den Todesengel über der Kopfsee
Er wußte: Walaganda hört nicht auf zu träumen
Ungud gab uns Mund und Augen
aber keine Garantien

 

 

 

„Hilfäää, Luft!“

– Mit einem lauthals getönten „Hilfäää, Luft!“ holte Uwe Dick an diesem Abend die Zuhörer ab – und den Gedanken darüber, dass (und wie) man beim Ausatmen auch einatmen kann. So startete die kurzweilige Lesung und Hörung, in der er seine zum Teil ganz neu komponierten Atemwerke intonierte. –

Mit aerophonischen Variationen gastierte der Poet, Hörspieler und Schausprecher Uwe Dick im Luftmuseum. Zu erwarten war Sprache statt Schreibe – so kündigte es der Niederbayer bereits im Vorfeld an, und so legte er auch gleich los mit einer Uraufführung rund um das Thema Luft, die der Luftmuseums-Verein zum zehnjährigen Bestehen in Auftrag gegeben hatte.
Mit seinen Wortschöpfungen, seiner Atemkunst wettert Dick gerne und viel gegen die „saisonale Billigtristik“ und die von ihm so genannte „Fertigteilsprache“, mit der sich alle Welt über die sogenannte Welt-Literatur unterhält: „Den neuen Wälzer von X, die CD von Y, alle Filme von Z, weißt schon, hab ich mir reingezogen“ – Python-Deutsch eben.
Stattdessen propagiert Dick die Poesie als Lebensweise, doch die größte Bedeutung misst er dabei der Sprache selbst bei. „Der Klang macht das Wort“, helfe, die Bedeutung zu verstehen. Doch trotz – oder gerade bei – aller Sprachliebe steht Uwe Dick auch für Wortkonzentrate, will verdichten, „kondensare“ nennt er es. Der Wille zum möglichst geringen Wortverbrauch brachte ihn zum Ein-Wort-Roman. Hier kommt ihm besonders die Dialekt zugute. Dialekt ist viel wärmer und klarer, er spricht wesentlich mehr benachbarte Intentionen und versteckte Triebe an, ist „hinterfotziger“, abgründiger – da bleibt eine Provokation nicht aus.
Besonders Episoden aus dem Alltag prägen Dicks Texte. So findet sich eine lautmalerische Beschreibung seines Weges auf dem Fahrrad über die Überlandstraße von Niederperlesreuth hin zur nächsten Stadt – brrrrrrrommmm macht es da und niiiiiiiiiiiionnnng. Und zwischendurch sein Mantra:

Lass dich nicht brutalisieren, Dick, noch drei Kilometer, zehn Minuten, dann hast du’s, schnauf durch!

Doch auch zur Politik äußert sich der Hörspieler.

Die Nullen sind wichtig, jede mit ihrem Gesichtskreis – obwohl sie oft gar keinen hat. So darf ein Politiker – soll die Menge an ihm sich wiedererkennen – nicht zu viel Profil zeigen.

90 Minuten Nonstop-Lesung fliegen nur so an den Zuhörern vorbei. Dicks Gewitterturbulenzen, singende Silben und Prellwitztriller schwirren im Raum. Ein sprachmächtiger, worterfinderischer Abend geht unter lautem Applaus zu Ende.

Onetz.de, 31.10.2016

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

 

Uwe DickJean-Paul-Preis 2007 – Kurzporträt.

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