Vasyl Lozynskyj: Das Fest nach dem Untergang

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Vasyl Lozynskyj: Das Fest nach dem Untergang

Lozynskyj-Das Fest nach dem Untergang

KYIV VICE: MORALMILIZ

Hier ist die Moral gewesen, hier hat sie sich
aaaaahingehockt!
Auf den Kindergartenrasen, in einer narzisstischen
aaaaaPhase, vor den Spiegel.
Die Spielzeuge waren damals noch klein wie
aaaaaModellautos.
Heute sagen die Heuschrecken: „Wir kaufen das
aaaaahalbe Land
und euch kaufen wir gleich mit!“ Sie kamen ins Les-Kurbas-Zentrum,
um mit dem toten Künstler zu sprechen.
Zwar lässt sich nicht alles verhandeln, aber im Kampf für Proletariat
und Revolution waren alle Mittel recht.
Schauprozess und Todesstrafe aber reichen der Moral nicht aus,
auch die Troika der NKWD allein ist zu wenig.
Selbst wenn sich die Stimmung wandelt, braucht es ein Gesetz, nicht wahr?
Oder mindestens ein zuverlässiges Archiv,
über das man laut und irre lachen kann.

Steh auf, Moral, steh auf!
Milizionäre, tanzt einen Reigen!
Der Privatdetektiv ist nur ein Held aus alten Erwachsenenfilmen.
Die Helden von heute sind Pornostars – und ihr: Milizionäre!
So prächtig ihre Uniform, ihr Gewerbe – das älteste der Welt.
Schämt euch nicht vor Pastellfarben und modischen Schnitten,
Muskelspielen, Sportjachten und Rennwagen,
euch gab’s schon einmal als Serie, mit Don Johnson in der Hauptrolle.
Die Moral war hier gewesen, jetzt vertritt sie ein Milizionär.
Fall nicht um, vergiß nicht das Alibi, die abgesprochene Geschichte,
der Milizionär, gleich wird er dir eine Moralpredigt halten.

Übersetzung Jakob Mischke

 

 

 

Die beschriftete Zeit

Auf den Majdan von Kiew führen den Leser die politisch engagierten Gedichte von Vasyl Lozynskyj. Sie sind Erlebnisberichte vom politischen Umbruch in der Ukraine der postsowjetischen Ära, authentisch und hart an der Realität, aber ebenso widersprüchlich wie die politischen Bewegungen, die das Land spalten. Man spürt die innere Ratlosigkeit des Dichters, der von Gewalt und Zerstörungen berichtet, aber auch von den Manipulationen der politischen Kräfte, die sich als pro-westliche und pro-russische Sympathiebekundungen äußern. Das Land im Osten von Europa erlebt derzeit große Erschütterungen, die der Dichter anspricht und in den konkreten Kontext stellt. Im Gedicht „Meine persönliche Revolution“ zeigt sich die ganze Not des Dichters in nüchternen Worten:

Revolution – das ist ein Konflikt
auf dem Arbeitsmarkt, simples Kalkül
kein romantischer Traum.

Lozynskyj schreibt Prosa-Gedichte, wie eine in Versen gesetzte Erzählung, behandelt Konflikte und Ereignisse, treibt die Stimmung im Gedicht an einen neuralgischen Punkt. Der Dichter schildert auch die Begleiterscheinungen der politischen Umbrüche, Alkohol- und Drogenexzesse, westlich angekurbeltes Konsumdenken, in dem nur Gelderwerb zählt. Ein bestürzendes Bild von Anarchie, Zerstörung und Verzweiflung angesichts des Scheiterns von Utopien.

Heinz Weissflog, Ostragehege, Heft 84, 10.6.2017

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Daniel Henseler: Die Ukraine in nuce
fixpoetry.com, 20.11.2016

 

 

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