Werner Fuld: Zu Karl Kraus’ Gedicht „Wiese im Park“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Karl Kraus’ Gedicht „Wiese im Park“ aus Karl Kraus: Worte in Versen. –

 

 

 

 

KARL KRAUS

Wiese im Park
Schloß Janowitz

Wie wird mir zeitlos. Rückwärts hingebannt
weil’ ich und stehe fest im Wiesenplan,
wie in dem grünen Spiegel hier der Schwan.
Und dieses war mein Land.

Die vielen Glockenblumen! Horch und schau!
Wie lange steht er schon auf diesem Stein,
der Admiral. Es muß ein Sonntag sein
und alles läutet blau.

Nicht weiter will ich. Eitler Fuß, mach Halt!
Vor diesem Wunder ende deinen Lauf.
Ein toter Tag schlägt seine Augen auf.
Und alles bleibt so alt.

 

Die Rückkehr ins Paradies

Karl Kraus konnte nicht in Prosa lieben. Mit seinen langen, kunstvoll geschachtelten und getürmten Satzperioden umzingelte er seine Gegner und wollte ihnen die Luft abdrehen. Wenn er sie zitierte, machte er sie sprachlos. Als er liebte, begann er Verse zu schreiben, bei denen man den Eindruck nicht verliert, er zitiere sie, um sich von seinen Gefühlen zu überzeugen. In seinem keineswegs naiven Vertrauen auf den klassischen Formenkanon war er ein Mann des späten neunzehnten Jahrhunderts.
„Ich komme aus dem Leben, jenem Ort, / wo sie mit Leidenschaft das Leben quälen“, schrieb er seiner Geliebten, aber mit diesem ersten Satz „Wie wird mir zeitlos“ tritt er aus seiner Welt heraus ins Paradies. Wen er mehr geliebt hat, den Park von Schloß Janowitz oder dessen Herrin, Sidonie Nádherný von Borutin, läßt sich kaum entscheiden. Seit er sie kennenlernte im Herbst 1913, liebt er den Park, der ihm die Glücksverheißung eines anderen Lebens bedeutete.
„Janowitz und die Arbeit kämpfen um meine Seele“, schreibt er in einem Brief; das war ernst gemeint: Für Sidonie hätte er das Kaffeehausleben und sogar die Fackel aufgegeben, wenn sie ihn geheiratet hätte. Das gebieterische Staunen „Und dieses war mein Land” verrät, daß er zu ihr nach Hause kommt, in die eigene zeitlose Vergangenheit. In dem Staunen ist eine tiefe Hoffnung enthalten: daß von nun an nichts sich ändern möge. Die Natur scheint es ihm zu versprechen in dem Bild des Schmetterlings, der lange auf einem Stein bleibt. Aber das Flüchtige und das Dauernde konnten nicht vereint werden. Sidonie war eine rast- und ziellose Frau, stets auf der Flucht vor Entschlüssen. In ihrer Bindungsangst kamen ihr die intriganten Briefe Rilkes gegen den Juden Kraus vermutlich gerade recht.
Karl Kraus hat das nicht durchschaut. Er kam aus der Wiener Phrasenhölle in ein Paradies. „Gruß der Insel Janowitz”, telegraphiert er bei Ausbruch des Weltkriegs und der Extrablätter. Über dem Park lag die Ruhe der Sonntage, die ihm nicht die täglichen drei Zeitungsausgaben brachten, deren schwarzer Magie er in Haßliebe ausgeliefert war. Hier erfährt er den Zauber des Unveränderlichen. Keine Nachrichten oder Neuigkeiten fordern ihn heraus:

Und alles bleibt so alt.

Das Staunen hat sich in dieser letzten Zeile in eine sehnsüchtige Beschwörung verwandelt.
Kraus hat Janowitz „die Wunderwiege meiner Lyrik“ genannt. Aber er war kein Lyriker und wußte es: seine Gedichte bezeichnete er als „Worte in Versen“. Ihm fehlte jede Unmittelbarkeit des Erlebens. Auch in diesem Gedicht, einem Selbstgespräch, sieht er die Wiese im Park eigentlich nicht, sondern er zitiert sie. Er weist sich selbst auf ihre Schönheit hin: ein Didaktiker des Gefühls, dem keine Welt existierte, wenn sie nicht zitierbar war.

Werner Fuldaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zehnter Band, Insel Verlag, 1986

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