Wilhelm Große: Zu Erich Frieds Gedicht „Neue Naturdichtung“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Erich Frieds Gedicht „Neue Naturdichtung“ aus dem Band Erich Fried: Die Freiheit den Mund aufzumachen. –

 

 

 

 

ERICH FRIED

Neue Naturdichtung

Er weiß daß es eintönig wäre
nur immer Gedichte zu machen
über die Widersprüche dieser Gesellschaft
und daß er lieber über die Tannen am Morgen
schreiben sollte
Daher fällt ihm bald ein Gedicht ein
über den nötigen Themenwechsel und über
seinen Vorsatz
von den Tannen am Morgen zu schreiben

Aber sogar wenn er wirklich früh genug aufsteht
und sich hinausfahren läßt zu den Tannen am Morgen
fällt ihm dann etwas ein zu ihrem Anblick und Duft?
Oder ertappt er sich auf der Fahrt bei dem Einfall:
Wenn wir hinauskommen
sind sie vielleicht schon gefällt
und liegen astlos auf dem zerklüfteten Sandgrund
zwischen Sägemehl Spänen und abgefallenen Nadeln
weil irgendein Spekulant den Boden gekauft hat

Das wäre zwar traurig
doch der Harzgeruch wäre dann stärker
und das Morgenlicht auf den gelben gesägten Stümpfen
wäre dann heller weil keine Baumkrone mehr
der Sonne im Weg stünde. Das
wäre ein neuer Eindruck
selbsterlebt und sicher mehr als genug
für ein Gedicht
das diese Gesellschaft anklagt

 

„Neue Naturdichtung“

betitelt Fried sein 1972 erstmals in der Sammlung Die Freiheit den Mund aufzumachen erschienenes Gedicht. Der Titel signalisiert Programmatisches: die Reflexion über die Situation einer speziellen Form von Dichtung (Naturdichtung), einer seit dem 18. Jahrhundert bekannten und beliebten Unterart der Lyrik. Das Gedicht präsentiert sich demnach als Dichtungsgedicht, die poetologische Reflexion im Medium des Gedichts, und es findet somit unter jenen Poemen zurecht seinen Platz, die Fried in seiner Sammlung unter der Rubrik „Poesie über Poesie“ bzw. – in Anlehnung an Friedrich Schlegels Kürzel – „p2“ vereinigt hat“. Mit dieser Gedichtgruppenüberschrift ist angedeutet, was Fried auch in dem Gedicht „Neue Naturdichtung“ beschäftigt. Er thematisiert den Verlust der Unmittelbarkeit der Poesie angesichts einer für den Poeten erdrückenden Vermitteltheit im Verhältnis des Ichs zur Welt. Die Naturdichtung sollte lange Zeit als das lyrische oder poetische Paradigma überhaupt gelten, in dem Ich und Natur grenzenlos ineinander übergingen, Natur zum Ausdruck des Ichs werden, das Ich als Spiegel der Natur fungieren konnte. Nichts davon in Frieds Gedicht. Selbst die sich Natur im Aus- und Besprechen aneignende Setzung eines lyrischen Ichs weicht der Fiktion eines fingierten „Er“, dem sich der schreibende Autor gegenübergesetzt sieht, dessen Schreibprozeß er in seinen einzelnen Stufen minutiös wiedergibt. Es ist jedoch symptomatisch, daß sich der Entstehungsprozeß eines Naturgedichtes hier allein auf die gedankliche Vorarbeit, auf das Abwägen und Erwägen, das Verwerfen und Durchspielen von Möglichkeiten, Natur im Gedicht zu thematisieren, beschränkt. Das Gedicht reduziert sich auf das Ventilieren eines Gedankens, das mehrfache Entwerfen und Verwerfen bestimmter Sujets. Es zeichnet in seinen drei je neunzeiligen Strophen die sich in einem Schriftsteller vollziehende Argumentation nach, was den durchgehend argumentativen Charakter des Gedichtes und seine prosanahe Versgestaltung prägt.
Indizien des argumentativen Charakters sind die logischen Partikel (daher, aber sogar, zwar… doch), die gehäuften konditionalen Fügungen (wenn) und der in aller Konsequenz durchgehaltene Konjunktiv, der deutlich markiert, daß das, was hier erwogen wird, stets im Raum des Gedanklich-Hypothetischen verbleibt. Das, was nicht im hypothetischen Bereich verbleibt, ist lediglich die indikativisch formulierte Feststellung gleich zu Anfang des Gedichtes („Er weiß…“)

Er weiß daß es eintönig wäre
nur immer Gedichte zu machen
über die Widersprüche dieser Gesellschaft
und daß er lieber über die Tannen am Morgen
schreiben sollte

Damit ist die Ausgangsposition enger umrissen, das Problem, das nach einer Lösung sucht, angedeutet, der Schreibende zumindest in Umrissen vorgestellt. Man darf folgern, wer hier als Gedichte-Macher vorgestellt wird, hat schon seit längerer Zeit und dies mit Ausschließlichkeit Gedichte gemacht, die Widersprüche der Gesellschaft thematisieren. Es ist ein Schriftsteller mit politischem Engagement, der durch das Medium der Poesie seine Leserschaft für die gesellschaftlichen Widersprüche sensibilisieren will. Sein Protest verbleibt nicht im Allgemeinen, sondern er setzt konkret an den Widersprüchen dieser Gesellschaft an. Aber nun ist der Zeitpunkt gekommen, wo er Überdruß an dieser Art von Poesie empfindet; er sieht die Gefahr, ausschließlich ein- und dasselbe zum Sujet seiner Arbeit zu machen. Die Eintönigkeit, mit der er sein Metier betreibt, droht, zum widerstandslosen Automatismus, zur überhörten und darum wirkungslosen poetischen Anklage zu werden.
Eine Alternative tut sich ihm auf. Statt der Gedichte über die Widersprüche in der Gesellschaft sollte er lieber solche über „die Tannen am Morgen“ machen. So in die unvermittelte Alternative gesetzt, würden die Gedichte über die „Tannen am Morgen“ Gedichte sein, die ihres gesellschaftlichen Bezugs enthoben wären. Als reine Antithese zu den Poemen über die gesellschaftlichen Widersprüche thematisierten sie einen Bereich (Natur), der unvermittelt zur Gesellschaft zu bestehen scheint, als ungeschichtlich-außergesellschaftlicher Raum.
Es charakterisiert die Haltung des Schriftstellers und deutet auf den Verlust seines unmittelbaren Zugangs zur Natur jedoch hin, daß sich der Entschluß, ein Gedicht über die „Tannen am Morgen“ zu schreiben, sogleich in den Entschluß verkehrt, „ein Gedicht über den nötigen Themenwechsel zu schreiben“. Aber auch das Sujet des Gedichtes selbst (Tannen am Morgen) ist vermittelt, erinnert man sich des berühmten Gedichts von Brecht aus den Buckower Elegien:

In der Frühe
Sind die Tannen kupfern.
So sah ich sie
Vor einem halben Jahrhundert
Vor zwei Weltkriegen
Mit jungen Augen

Die ersten beiden Zeilen dieser Elegie bilden eine Aussageeinheit, halten Beobachtbares im Aussagesatz fest. Einem Satzsubjekt („die Tannen“) wird eine Eigenschaft („kupfern“), die dieses Subjekt zu einer bestimmten Zeit hat („in der Frühe“), zugeschrieben. Durch die Wahl des Verbs „sein“ verbindet sich mit der Aussage der Anspruch auf Allgemeingültigkeit, Objektivität und überzeitliche Gültigkeit. Die Objektivität der Aussage in den ersten zwei Zeilen ist jedoch nur vorgetäuscht. Die Tannen sind substantiell nicht kupfern, sie erscheinen vielmehr nur einem beobachtenden Subjekt als kupfern. Von diesem Beobachter ist jedoch in den ersten bei den Zeilen nicht die Rede, erst in der dritten Zeile („so sah ich sie“) wird jene Relation zwischen Beobachter und Beobachtetem insofern hergestellt, als sich hier das lyrische Subjekt selbst benennt und gleichzeitig das Beobachtete in die zeitliche Distanz durch den Tempuswechsel rückt. Das die dritte Zeile eröffnende, eine Modalität anzeigende „so“ relativiert folglich die zunächst getroffene Aussage in zweifacher Hinsicht.
Wie die Aussage der ersten beiden Zeilen relativiert wurde, relativiert sich nun das sprechende Ich. Es begreift sich als historisches Subjekt, mißt jenen Zeitraum aus, der zwischen einem Früher und einem Heute besteht („vor einem halben Jahrhundert“). Der mit einem abstrakten Zeitmaß messenden Angabe (halbes Jahrhundert), die sich zunächst rein auf die eigene Biographie bezieht, folgt in der nächstfolgenden Zeile die Einbettung des eigenen Lebens in die Geschichte („vor zwei Weltkriegen“). Angereichert mit geschichtlicher Erfahrung, hat sich das lyrische Ich verändert. Die ehemals jungen Augen, denen die Tannen früher kupfern erschienen, sehen sie nun anders. Wie sie die Tannen im Augenblick des Sprechens wahrnehmen, darüber verweigert der Text eine konkrete Aussage. Zentral steht in ihm die verschlüsselt formulierte Erfahrung, daß sich, vermittelt durch die geschichtlich-biographische Erfahrung, auch die Wahrnehmung und die Erfahrung der Natur ändern, Natur und deren Aneignung also keinen gesellschaftsfernen-antithetischen Raum bilden.

Sollte es zutreffen, daß Fried mit den „Tannen am Morgen“ auf subtile Weise auf Brechts Elegie „In der Frühe…“ anspielt – und eine solche Vermutung liegt bei dem ausgezeichneten Brechtkenner Fried, der sich mit seinem eigenen Werk ausdrücklich in die Brecht-Nachfolge einreiht, nahe –, so ist damit indirekt bereits am Ende der ersten Strophe ein Hinweis auf das notwendige Scheitern des Unterfangens des Schriftstellers gegeben, Natur in ihrer Unmittelbarkeit einzufangen. Nicht nur, daß sich der Entschluß, ein Gedicht über die Tannen am Morgen zu schreiben, gleich in die Absicht verkehrt, ein Gedicht über den notwendigen Themenwechsel zu schreiben, ist charakteristisch für die Schreibsituation, sondern auch, daß das gewählte Sujet bereits literarisch bearbeitet wurde. Bedenkt man weiterhin, daß Brecht in seinen Zeilen die Unwiederholbarkeit einer bestimmten Sicht der Natur elegisch faßt, so erweist sich von vornherein der in der zweiten Strophe des Friedschen Gedichts avisierte Versuch als zum Scheitern verurteilt.

Aber sogar wenn er wirklich früh genug aufsteht
und sich hinausfahren läßt zu den Tannen am Morgen
fällt ihm dann etwas ein zu ihrem Anblick und Duft?

Die subtile Ironie der ersten Strophe weicht den deutlichen ironischen Signalen, die die Distanz zwischen dem Autor und dem von ihm gezeichneten Schriftstellerporträt betonen. Es gehört zur Topologie des romantischen Naturgedichtes, daß, wer sich dort der Natur annähern wollte, sie sich in der Frühe erwandern muß. Für ihn, den Möchte-gern-Naturdichter des 20. Jahrhunderts, wäre aber das Frühaufstehen eine Ausnahmesituation. Und statt daß er sich einen Teil der Natur erwandert, ist hier davon die Rede, daß er zu den Tannen am Morgen hinausfährt, genauer: sich hinausfahren läßt. Wurde bereits mit den „Tannen am Morgen“ auf Brechts Buckower Elegien angespielt, so dürfte es nicht zu weit hergeholt sein, auch in dieser Formulierung eine Anspielung auf ein weiteres Gedicht Brechts („Radwechsel“) herauszuhören. Wie dort findet sich auch hier der Schriftsteller, der seine Arbeit in den Dienst der Aufhebung der Widersprüche der Gesellschaft gestellt hat, selbst in diese Widersprüche verstrickt.
Die dritte Zeile der zweiten Strophe treibt das Spiel mit den Hypothesen weiter: Selbst wenn sich der Schriftsteller zu den Tannen hinausfahren ließe, würde ihm dann überhaupt etwas zu ihrem Anblick und Duft einfallen? Ist nicht, so wäre weiter zu fragen, seine Wahrnehmungsfähigkeit degeneriert, wäre er überhaupt in der Lage, sich neuen sinnlichen Eindrücken zu öffnen, und wenn ja, versagte hier nicht möglicherweise sein sprachliches Werkzeug, das neu Erfahrene ins Wort zu bringen? Sind nicht seine Wahrnehmung und seine Sprache zu sehr dem Schematismus verfallen, als daß sie sich Neuem zu öffnen überhaupt noch in der Lage wären? Daß es jenem Schriftsteller, den es ermüdet, immer nur Gedichte über die Widersprüche dieser Gesellschaft zu schreiben, nicht gelingt, sich neuen Erfahrungen zu öffnen, dafür ist der zweite Teil der zweiten Strophe deutlicher Beleg. Heißt es doch dort, daß er sich noch während der Fahrt, also zu einem Zeitpunkt, da er der Tannen am Morgen noch gar nicht ansichtig geworden ist, bei dem Einfall ertappen könnte:

Wenn wir hinauskommen
sind sie vielleicht schon gefällt
und liegen astlos auf dem zerklüfteten Sandgrund
zwischen Sägemehl Spänen und abgefallenen Nadeln
weil irgendein Spekulant den Boden gekauft hat

Die Imagination des Schriftstellers kreist in ausgefahrenen Bahnen, selbst dort, wo sie das neue Sujet sucht, blockiert sie der althergebrachte Schematismus, das bis zum Überdruß praktizierte poetische Verfahren. Was sich als poetischer Einfall gibt, ist nur die Wiederholung eines Musters. Die sinnliche Erfahrung des Konkreten wird zugunsten der abstrakten Erklärung (s. den Rückgriff auf die argumentierend-kausale Fügung „weil…“) und der Verwendung der Substantive (Spekulant/Boden in der letzten Zeile) beiseitegesetzt.
Wer der eigentliche Sprecher der dritten Strophe sei, ist in der Diskussion des vorliegenden Fried-Gedichtes bislang umstritten. Man kann auch die dritte Strophe noch als Fortsetzung eines inneren Monologes eines identisch bleibenden fingierten Sprechersubjektes lesen (abhängig von der 14. Zeile: „Oder ertappt er sich…“), aber in diesem Fall müßte man einen unmotivierten Bruch in den Gedankengängen des fingierten Gedichtemachers konstatieren. Mit der Stringenz der Argumentation des Gedichtes scheint es eher vereinbar, in der letzten Strophe einen – allerdings auch im Modus des Irrealis verbleibenden – Kommentar seitens des Autors zu sehen. Die ironische Kommentierung der Gedankengänge, die der Autor des Gedichtes bislang indirekt betrieb, würde bei dieser Leseweise in der letzten Strophe in einen direkten Kommentar umgeleitet.
Autor und Schriftsteller sind einer Meinung, daß es traurig wäre, wenn die Tannen zugunsten irgendeines spekulativen Manövers gefällt worden wären. Aber dort, wo der Schriftsteller resigniert, die elegische Klage anstimmt oder wiederum in ein Gedicht über die Widersprüche der Gesellschaft verfällt, hält sich der Autor Fried auch in dieser Situation für neue Erfahrungen offen, die er aus dem veränderten Zustand gewinnen kann und die er mit einem pointierten „doch“ der Trauer glaubt entgegensetzen zu können.

doch der Harzgeruch wäre dann stärker
und das Morgenlicht auf den gelben gesägten Stümpfen
wäre dann heller weil keine Baumkrone mehr
der Sonne im Wege stünde.
[…]

Die in der zweiten Strophe vermißte Sinnlichkeit und die ihr korrespondierende Ausdrucksfähigkeit werden hier in der konkreten, präzisen und bildstarken Formulierung, die einzelne Nuancen des Wahrgenommenen festhält, wiedergewonnen. Das in den Zeilen 21–24 der dritten Strophe Gesagte bildet den noch unentfalteten Keim zu einem neuen Naturgedicht, das auf einen neuen Eindruck rekurriert, den auszeichnet, daß er nicht fremdbestimmt, sondern selbsterlebt ist.

[…] Das
wäre ein neuer Eindruck
selbsterlebt
[…]

Ein solches Gedicht, das in der Lage wäre, selbsterlebte, neue Eindrücke zu artikulieren und zu vermitteln, wäre dann auch

[…] sicher mehr als genug
für ein Gedicht
das diese Gesellschaft anklagt

Was in der zweiten Strophe als Material konkreter Erfahrung angeboten wurde, aber in dem Einfall des Schriftstellers sofort wieder in eine sozio-ökonomische Kausalität eingebunden und somit der Eigenständigkeit und Unmittelbarkeit enthoben wurde, erscheint in der konkreten Schilderung der dritten Strophe (Zeile 21–24) als Erfahrungsgegenstand, der primär aus der Eigengesetzlichkeit der Natur abgeleitet ist. Das Gedicht mündet jedoch nicht in ein Plädoyer für einen neu zu gewinnenden Ästhetizismus, in dem das poetische Subjekt sich autonom setzt und seine gesellschaftliche Vermitteltheit und die seiner Erfahrungen vergißt. Fried redet solchem poetischen Solipsismus nicht das Wort, so sehr auch die Zeilen 24–26 einen solchen Eindruck nahelegen. Die hier geforderte Naturdichtung muß sich vielmehr ihres Standorts innerhalb einer von Widersprüchen geprägten Gesellschaft, die der Anklage bedarf, vergewissern und die Bedingungen der Möglichkeit solcher Naturerfahrung aufzeigen. Daß der ästhetische Schein nur erfahren werden kann aufgrund der diese Gesellschaft wesentlich bestimmenden Zerstörung (Das Fällen der Bäume), dies gilt es poetisch umzusetzen, dies ist die Anklage der Gesellschaft, von der die letzte Zeile spricht. Im Gedicht die Widersprüche der Gesellschaft aufzuzeigen, gleichzeitig aber auch sich für neue Erfahrungen offenzuhalten, das ist der gefährliche poetische Balanceakt, wie Fried ihn dem modernen Naturdichter abverlangt. In einem seiner neuesten Gedichte fordert er programmatisch diese fruchtbare Vermittlung zwischen der subjektiven Verringerung des Gesichtskreises einerseits und der Erweiterung des Blickfeldes andererseits:

NEUE SUBJEKTIVITÄT

Den Gesichtskreis
verringern
um genauer zu sehen
was gefallen ist
zwischen die Wesentlichkeiten
und liegengeblieben ist
unter Flocken aus Staub

Immer schärfer
einstellen
bis auch die Schneide des Wortes
für das Blickfeld zu lang ist
und nur zwei oder drei
ihrer Scharten
ein Gebirge geworden sind
im Gegenlicht des Verzichtens
auf das letzte
noch Dinge umfassende Bild

So mit der Zeit
auf immer kleinerem Feld
immer mehr erkennen
von immer wenigerem
und am Ende
alles sehen
von nichts

Und die Achseln zucken
über die Altmodischen
die immer noch hoffen
ihr Blickfeld zu erweitern
und wenn Einzelheiten verschwimmen
doch noch in großen
Umrissen zu erkennen
mehr und mehr
bis sie nichts mehr sehen
von allem

Aus Peter Bekes, Wilhelm Große, Georg Guntermann, Hans-Otto Hügel und Hajo Kurzenberger: Deutsche Gegenwartslyrik, Wilhelm Fink Verlag, 1982

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