William Cowper: Die Aufgabe / The Task

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von William Cowper: Die Aufgabe / The Task

Cowper/Nicolai-Die Aufgabe / The Task

O FÄND ICH Zuflucht irgendwo in wüster Wildnis,
in Schatten-Dikicht horizontweit,
wo mich Gerücht von Unterdrückung und Betrug,
von Krieg mit Siegen oder nicht mit Sieg
nie mehr erreichte!            Es peinigt meine Ohren,
es widert mich im Herzen beim täglichen Bericht
von Unrecht, Greueln, die die Erde füllen.
Verhärtet ist des Menschen Herz, es fühlt
für seinen Mitmenschen nicht mehr, die brüderli-
chen Bande der Natur zerfasern wie das Flachs,
das bey dem Anhauch einer Flamme schon zerstiebt.
Er findet seinen Bruder schuldig einer Haut
von andrer Farbe als die eigne, und das er die Macht
zur Durchsetzung des Unrechts hat, verdammt und weihet er
aus solchem würdgen Anlaß ihn zur rechtmäßigen Beute.
Von schmaler Meerenge getrennte Länder
verabscheuen einander.   Ein Bergrüken dazwischen
macht Feinde aus Nazionen, die sich sonst
wie Tropfen in ein einig Wasser mischen würden.
Der Bruder opfert seinen Bruder, und zerstört
und, schlimmer als dies alles, am beklagenswertesten
als größter, ärgster Schandfleck menschlicher Natur,
zwingt ihn in Ketten und zur Fron, treibt ihm den Schweiß
mit Peitschenhieber, die selbst auf dem Rücken
des Thiers dem Mitleid Thränen pressen würden.
Was ist der Mensch denn?              Was, wenn er dies sieht
Und menschlich noch empfindet, nicht errötet
und daran zweifelt, ob er noch ein Mensch sey?…

 

 

 

Gesang des großen Sofa

– Gut erzogen: William Cowpers Versepos: Die Aufgabe. –

Im Herbst 1784 sitzen William Cowper und Lady Austen in dem mittelenglischen Dorf Olney auf einem Sofa. Die „geistvolle Lady“, eine Freundin des Hauses, in dem Cowper als möblierter Herr lebt, gibt dem scheuen Privatier einen Rat. „Schreiben Sie doch mal“, soll Lady Austen gesagt haben, „etwas über das Meuble, auf dem wir sitzen.“ So steht es im Nachwort Wolfgang Schlüters, der Cowpers Werk übersetzt, kommentiert und in einer bibliophilen zweisprachigen Ausgabe neu ediert hat. Cowper selbst teilt zur Genese seines monumentalen Gelegenheitsgedichts „The Task“ mit „Eine Dame, dem Blankverse zugetan, erheischte vom Autor ein Gedicht dieser Art, und sezte ihm ‚Das Sofa’ zum Thema. Er gehorchte…brachte er zuguterletzt, statt der Kleynigkeit, die er zunächst beabsichtigte, eine ernsthafte Angelegenheit hervor – ein Buch.“ „Ein Buch in sechs Bücher, entstanden in sechs Wochen, das, inspiriert von Vergils, „Georgica“ und William Thomsons Blankvers-Lehrgedicht „The Seasons“, den Gedanken und „Beschäftigung eines retirierten Gentlemans in seinem Garten“ nachgeht.
Dem im Jahr 1731 in eine Pfarrersfamilie hineingeborenen und 1800 gestorbenen Dichter William Cowper hat es zeitlebens an Muße wie an Ernst nicht gefehlt. Seine zerbrechliche Konstitution verbot ihm ein öffentliches Amt, seine Schüchternheit und Schwermut legten ein Leben in Zurückgezogenheit nahe, doch sein ererbter Wohlstand ließ eine sorgenfreie Existenz als zeichnender, gärtnernder und schreibender Landmann zu. Cowper, den Mann von „exquisite tenderness & delicacy“, hat man sich nach Schlüters prägnantem Charakterbild als einen Geistesverwandten von Karl Philipp Moritz vorzustellen, als einen Vorfahren von Robert Walser und ein wenig auch wie eine Figur von W.G. Sebald – als einen vornehmen, melancholischen und räsonierenden Wanderer durch die vergehende Schönheit des vorindustriellen England. Dem Schriftsteller Sebald hat Schlüter seine Übersetzung gewidmet, die Cowpers einesteils didaktisch-moralisches, andernteils sprachvirtuoses und beobachtungssicheres Blankversepos kongenial ins Deutsche bringt. Die Übersetzung ist für sich schon ein literarisches Ereignis. Sie folgt genau dem Wortsinn und dem Blankversschreiben des Originals und nutzt dabei doch die Freiheiten in Bild und Rhythmus, die das Versmaß in der deutschen Übertragung überhaupt erst zur Wirkung verhelfen. Das zeigen schon die ersten Zeilen.  Im englischen Original lauten sie. „I SING the Sofa. I who lately say Truth, Hope, and charity, and tough with awe / The solemn chords, and wishtrembling hand, / Escaped with pain for that adventurous flight, / Now seek re upon an humbler theme.“ Schlüters Übersetzung: „VOM SOFA sing ich. Der jüngst noch sang / von Wahrheit, Hoffnung und Wohltätigkeit, die feierlichen Saiten mit Ehrfurcht schlug und, eine Hand noch zitternd / mit Wehe nur den abenteuerlichen Flug zur Erde lenkte, / such nun Erholung bei bescheidenerem Gegenstand.“ Schlüter, selbst Schriftsteller, geschult an Arno Schmidts Prosa und an dessen Übersetzungen aus dem Englischen, legt Cowpers Gedicht ein deutsches Sprachgewand an, das bis in die Orthographie dessen historische Fremdheit und ästhetischen Reiz wiederherstellt.
Nicht allein von der Phänomenologie des Sofas und der „historischen Deduktion der Sitzmeublen“ ist in Cowpers plaudernd-reflektierendem Poem die Rede. Es hat, wie der Autor in seiner Vorrede bemerkt, „die Erziehung zum Gegenstande“. Nicht nur die Verbesserung der schulischen Erziehung ist Cowpers Anliegen, sondern die Abkehr des Menschengeschlechts vom verderblichen Einfluß der Stadt. Nicht Geringeres ist die „Aufgabe“, welche Cowper sich gesetzt hat. Eine Zeile aus seinem Epos, das einmal berühmt war und dann gründlich in Vergessenheit geriet, ist in den Zitatenschatz der englischen Literatur eingegangen: „Gott schuf das Land – der Mensch erschuf die Stadt.“ Der Stadt ist es zuzuschreiben, wenn sich Prediger in „klerikale Bühnenaffen“ verwandeln; wenn „monströse Neuheit“ und „ausländische Maske“ an die Stelle „ächter Eleganz“ treten; wenn „Verschwendung ungehemmt (…) das Land vermüllt“. Cowper beklagt den Verlust der „Simplicität der ländlichen Sitten“ und den Einzug eingebildeter Landleute, denen Wald und Flur bloß „Brutstätte des Spleens“ sind. Andererseits möchte auch der Eremit im ländlichen Wintergehäuse die Zeitung nicht missen. „S“ ist angenehm“, bekennt der Zeitkritiker aus seinem sicheren Versteck, „durchs Guckloch eines Schlupfwinkels / in diese Welt zu lugen.“
Der Stadt-Kritik steht bei Cowper ein Lob der Ländlichkeit gegenüber, das aus den nächstliegenden Dingen allegorische Funken schläft. Ob im Komposthaufen, in Obstspalieren oder im „Parvenu des Unkrauts“, fast immer gibt dem Idylliker und Satiriker Cowper die Landwirtschaft einen Fingerzeig auf Wohl und Wehe des sozialen Lebens. Dem Buch der Natur entnimmt er dreierlei: die „Handschrift“ der göttlichen Schöpfung, die Allegorie geordneter Sozialverhältnisse und die Spur des historischen Wandels. So entgeht Cowper über der Huldigung an ein Jean Paulsches Käfer- und -Gräser-Universum nicht die Veränderung, die sich zum Beispiel an den Herrensitzen vollzieht: „Die Herrensitze, / sie kannten ihre Herren noch; und Arbeitsknechte, die / den Vater überlebt, sie dienten dann dem Sohn. / Jetzt ist der legitime, rechtmäßige Herr / nur ein vorübergehender Gast, frisch angekommen / und bald verscheucht.“ „Ächt empfundner“ war selten wohl ein Loblied auf die Natur als dieses, doch kaum auch hellsichtiger für die Veränderungen, die mit der Erfindung der Landschaft um 1800 einhergingen. Und über alle schreibt Schlüter treffend, „waltet der Ton einer Humanität, der sich aufs gütigste dem Kreatürlichen zuwendet“. Hat man schon einmal etwas so abseitig Inniges gelesen wie Cowpers Liebeserklärung an einen zahmen Hasen: „Wenn ich dich überleb’, grab ich dein Grab / und sag mit Seufzen, wenn ich dich dareinbette. / zumindest einen Hasen kannt ich, der einen Freund gehabt.
Cowper habe „mit Stilmitteln der Aufklärung, Antiaufklärung gepredigt“, meint Schlüter, der in seinem Nachwort auch auf die vielfältigen theologischen und philosophischen Implikationen von Cowpers Gedicht eingeht. Es wird so sein, doch bedauert man fast den Umstand, daß solche Aussagen aus Cowpers englischem Garten hinausführen aufs weniger fruchtbare Gelände der Allgemeinbegriffe. Cowpers poetische Landwirtschaft nämlich spendet ein irdisches Vergnügen, wie es Dichtung nur in Ausnahmefällen gewährt. Dieses Vergnügen ins Deutsche überführt und damit verdoppelt zu haben, sichert Wolfgang Schlüter, wenn schon nicht Gottes, so doch unser fortdauerndes „Wohlgefalln“.

Christoph Bartmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.10.1998

 

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