Thanassis Lambrou: Labyrinth

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Thanassis Lambrou: Labyrinth

Lambrou-Labyrinth

SPINOZA

Indem ich Linsen schliff, schärfte ich den Blick,
das innere dritte Auge,
schneidender als Diamantstein.
Ich sah die Geometrie Gottes,
das Unendliche überschreitend
und doch so deutlich wie die Linien der Hand.
Ich wandere quer durch die Menge
wie zwischen geschliffenen Messern hindurch.
Eine fremde Macht führt mich an der Hand.
Die Tugend ist der verlässliche Sockel
und der vollendete Gleichklang.
Auf einer gläsernen Spitze ruht mein Leben.
Wir liegen in den Armen eines gewaltigen Meeres.
Die Luft, die wir atmen, ist göttlicher Atem.

 

 

 

Freund Th.

(…)

Was hat das alles mit den Gedichten meines Freundes zu tun? Es ist Zeit, ihn selbst zu Wort kommen zu lassen, Zeit für eine Personenbeschreibung.
Athanassios (in der Kurzform: Thanassis) heißt nach griechischer Überlieferung, in der Sprache der Mythen: der Unsterbliche. Wenn die Eltern es ernst gemeint haben, kann ihm eigentlich nichts passieren. Er wird die Banalitäten des Alltags, erst recht die eines Beamtenlebens, überstehen wie einer, dem ein Gott über die Schulter spuckte. Und siehe da, es hat von Anfang an funktioniert. Im Alter von vierzehn fängt der Junge an, Verse zu machen. So beginnt es meistens, als acte gratuit, familiär unbegründbar, als absurder Sprung aus der Art. Die einzig erkennbare Kausalität wäre also die der Namensgebung, die bei dem griechischen Hang zur Übertreibung so ungewöhnlich nicht ist. Seine Heimatstadt: Lamia (180 Kilometer nördlich von Athen, in der Nähe von Thermopylae) – damals ein Kultort, heute eine Provinzstadt mit hunderttausend Einwohnern in der Region Phthia, Mittelgriechenland. 1962 geboren (das Jahr kommt mir bekannt vor), bis zum Abitur dort geblieben. Die Eltern zeigten wenig Verständnis für seine literarischen Versuche, haben ihn aber nach Kräften unterstützt. Auch das kenne ich. So stürzt er sich ins Studium, insgesamt vierzehn Jahre lang, davon fünf in Rechtswissenschaften an der renommierten Aristoteles-Universität von Thessaloniki, mit großem Enthusiasmus, und versucht der Beste zu sein. Eine Zufallslektüre bringt den Wendepunkt – der Roman Hyperion von Friedrich Hölderlin, Ende der siebziger Jahre in einer griechischen Übersetzung entdeckt. Ein Text, der sein Leben veränderte, wie er sagt. Daraufhin fasste er den Entschluss, Deutsch zu lernen. Im Sommer 1985 besucht er zum ersten Mal Deutschland, das Land einer umgekehrten Sehnsucht. Dort hatte sich etwas ereignet, das an die heimatlichen Wurzeln rührte und von dem er glaubte, dass es immer noch dort zu finden war. Oder etwa nicht?
Einsame Zeit, intensiver Deutschkurs, lange Wanderungen durch das Land der Träumer, erste eigene Übersetzungsversuche. Nachdem er mit Griechenland ausbildungstechnisch abgeschlossen hat, geht er nach Freiburg, fängt in der Stadt Heideggers ein Zweitstudium an, promoviert im Fach Philosophie und ist: Dr. Athanassios Lambrou.
Weit aber kommt er damit nicht. Wenn schon nicht die Heimat, so ruft ihn der Staat doch zurück. Als guter Grieche muss er seinen Militärdienst ableisten, anderthalb Jahre Patrouillengang an der griechisch-türkischen Grenze. Soviel Loyalität muss sein, will man sich die Zukunft zu Hause nicht völlig verbauen. (Auch das kommt mir bekannt vor, wobei ich mir keinerlei Hoffnungen machte: Der Staat, der mich damals zu Schießübungen zwang, sollte mich nicht mehr wiedersehen.) Große herrliche Einsamkeit, vermerkt der angehende Dichter über diese Zeit, die ihm im Rückblick heute als eine Phase romantischer Konzentration erscheint.
Im Sommer 1998 besteht er die Aufnahmeprüfung für den diplomatischen Dienst. Seither ist er in diversen offiziellen Gebäuden angestellt, an deren Eingang die schöne, blauweiß gestreifte Flagge mit dem weißen Kreuz sichtbar ist (die so sehr an Meer und Schiffahrt erinnert), nacheinander als Presseattaché, Leiter der Kulturabteilung in München und danach als Botschaftsrat in Berlin. Er gibt dort sein Bestes, wie es sich für einen fleißigen Griechen mit seinen Talenten gehört. Aber das genügt ihm mitnichten. Außerhalb der Dienststunden schreibt er Gedichte, Essays und übersetzt aus dem Deutschen, was ihm am Herzen liegt: Georg Trakl, Rilkes Duineser Elegien, Hölderlin und den Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Fünf Gedichtbände entstanden so nebenher, sie tragen allesamt urgriechische Titel wie Triptychon, Labyrinth und Meditation.
Über die Gedichte sage ich nichts. Oder nur so viel, wie er selbst, unter Berufung auf die landesüblichen Kategorisierungen, eingesteht: Es sind Gedichte im erhabenen Stil. Ein Grieche, vertraut mit den Gepflogenheiten, muss seine Schule so wenig verleugnen wie seine Lehrer, Dozenten der Poesie wie Konstantinos Kavafis, Angelos Sikelianos, Giorgos Seferis, Odysseas Elytis oder den vielseitigen, schwer fassbaren Jannis Ritsos (den auch ich früh zu lesen bekam und einmal auch live erlebte, im Dresdner Kulturpalast, bei einer konzertanten Lesung mit seinem Komponistenfreund Mikis Theodorakis – eine Ahnung von Freiheit im Namen des Kommunismus). „Unser Land ist verschlossen“, heißt es bei Seferis, der wie Freund Thanassis eine diplomatische Laufbahn einschlug, die ihn schließlich zum Chef der Gesandtschaft in London macht. Ein Grieche, der schreibt, weiß, dass er, per Definition, ein Lastenträger ist. Er wird sich schwertun damit, die Last der Überlieferung einfach abzuschütteln. Er wächst in Landschaften auf, die antike Texte sind, lebt an Orten, schwer vom Mythos beladen. Allenfalls wird er zum Skeptiker, der aus jeder Zisterne den abgestandenen Widerhall hört, der seine Einsamkeit besiegelt. Wie kommt es, dass er von der Sehnsucht nicht lassen kann? Wo doch das hellenistische Kulturgut in Zeiten von Fernsehen und Internet so tief gesunken ist, dass nur noch Taucher sich dafür interessieren? Von Geburt an gefangen in einem Labyrinth: Wie weit kommt man, wenn man sein Schicksal annimmt? Anders gefragt: Schafft mein Freund Thanassis den Sprung aus der Antike in dieses X, in dem wir Heutigen uns beweisen müssen, wenn wir gehört werden wollen? Geografisch betrachtet, gilt er in der Welt draußen als Südeuropäer, einer von Millionen Anwohnern des Mittelmeers – seine Heimat, die Halbinsel Peloponnes, das griechische Festland mitsamt seinen hunderten Inseln, im Meer verstreut, Partikel von Ureuropa. Schlichtheit ist das Stichwort, das den Zugang zu jeder Poesie, gleich woher, regelt und bei den meisten Menschen die Herzen öffnet. Wir haben hier eine Auswahl, die schon in den Gedichttiteln bekannte Namen von Dichtern, Denkern und Orten antiker Dramen heraufruft. Gelegentlich konnte man sie in Zeitschriften finden, nun liegen sie auch als Buch in deutscher Sprache vor.

Durs Grünbein, Nachwort

 

Thanassis Lambrou

schlägt in seinem Labyrinth einen Bogen durch die Zeiten und die verschiedensten Kulturen: In seinen Gedichten berührt er nicht nur die antike griechische Geisteswelt von Heraklit, Parmenides und Empedokles – über Spinoza und Hölderlin, Yunus Emre, Li Tai Po und Konfuzius zeigt er die Verbindungslinien des Westens mit dem Osten. Das lyrisches Ich wandelt und verwandelt sich dabei von Gedicht zu Gedicht und spricht durch immer wieder andere Masken mit demselben starken Atem, in der grundlegendsten aller Sprechweisen, die an den blinden Seher des Mythos gemahnen. Thanassis Lambrous Gedichte sind wie vom Quellwasser gewaschen, durchsichtig-klar – unsichtbar, aber doch wie feiner Kristall, das Wesentliche sichtbar machend. In ihnen spricht die Zeit, der Wind  über der Ebene, über wetterglatten Steinen oder winterkalten Quellen.

Elfenbein Verlag, Klappentext, 2014

 

Diese Welt ist eine Wolke aus Gold

– Gute Nachricht aus Griechenland: Die Gedichte von Thanassis Lambrou beschwören den Reichtum der Poesie. –

Es mag verzeihlich sein, ein Buch von hinten aufzublättern, wenn wie bei den Gedichten des Griechen Thanassis Lambrou, die der Elfenbein Verlag gesammelt auf Deutsch vorlegt, das Nachwort aus der Feder Durs Grünbeins stammt. Indem der deutsche Dichter aus den Notizen einer Athener Lesereise eine bittere Bilanz über die Möglichkeit von Poesie am zur Spekulationsruine heruntergekommenen Ausgang der europäischen Kultur zieht, könnte es keine bessere Überleitung zur Sisyphosarbeit des gleichaltrigen griechischen Freundes und Übersetzers geben, „den Sprung aus der Antike in dieses X, in dem wir Heutigen uns beweisen müssen“, zu tun.
Lambrou, der als Kulturattaché in München und Botschaftsrat in Berlin wirkte, kommt mit der jahrtausendealten lyrisch-mythologischen Tradition seiner Landschaft, in der er dank Geographie, Geschichte und Muttersprache verwurzelt ist und die den Grundstock der Überlieferung des alten Europa bildet, in eine Gegenwart, die einstige Tempelbezirke und Götterhaine, eine von Anrufungen und Preisungen widerhallende Inselwelt, von Orakeln erfüllte Wälder und Berge nurmehr nach ihrer Kreditwürdigkeit beurteilt, in eine Gegenwart, die den Olymp mit Tourismus, Hochglanz und Smog traktiert. Doch was Grünbein schier die Sprache verschlägt, gibt sie Lambrou zurück: Vor den Zumutungen des künftige Crashs stets vorwegnehmenden Jetzt schützt ihn die intensive Zwiesprache mit den Elementen, mit Figuren der Weltpoesie aller Räume und Zeiten, mit Zitaten verinnerlichter Zeilen, die sich auf unvorhergesehene Weise weiterschreiben – wie jenes „Erklär mir, Liebe“ Ingeborg Bachmanns, das zu einer Eloge auf das Mittelmeer gerät, in welchem der Autor in einem Atemzug gleichermaßen die Mythen Homers wie seinen eignen Ursprung erblickt:

Nichts erklärt die Ozeane, die in den Abgrund sich ergießen,
die unsterbliche Doppelhelix,
die allerorts überquellende Schönheit,
das Salzgrün, das seinen Hals leckt
wie Lerchen über der Erde,
den Raum, der im Atemholen sich aufbäumt bis zum Zerspringen,
die reglos verharrende Zeit,
das Nackenbeugen der Nacht
und die weiten Reisen der Vögel.

Es ist nur folgerichtig, wenn eine andere Meditation dem Vater der modernen Wolkenforschung, dem von Goethe gepriesenen Engländer Luke Howard, gilt, der in der Begegnung mit dem mediterranen Himmel wie ein Nachfahre der Vorsokratiker erscheint:

Diese Welt ist eine Wolke aus Gold,
die ohne Maß und Ziel rollt und rollt und rollt.

Von da ist es nicht weit zu Archetypen dichterischer Weltaneignung, die Lambrou ein Panorama entfalten lassen, in dem sich Kavafis, Borges, Hölderlin, Li Bai, Novalis, Heraklit, Parmenides, Konfuzius, Spinoza und Diogenes im Licht von Athen, Mykene und Delphi treffen, um als uneinholbare Gestalten geistiger Emphase über die Nichtigkeit der Schlagzeilen zu triumphieren.

Jan Volker Röhnert, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.12.2014

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

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