Zu Klampen!

Zu Klampen!

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Delta der Lyrikverlage“

Im Delta der Lyrikverlage

Die Gedichtbücher der Edition Postskriptum im Verlag zu Klampen sind in Regentleinen gebunden, fadengeheftet, mit Lesebändchen versehen, auf erstklassigem Papier gedruckt und mit ausgewählten Schrifttypen gestaltet. Die bibliophile Qualität dieser lyrischen Initiative ist beispielhaft.
Meine Begeisterung steigt mit jedem weiteren gelesenen Titel der jeweils 48seitigen Bücher aus der 1997 begründeten Lyrik Edition Postskriptum im Verlag zu Klampen! (Springe), die von der Stiftung Niedersachsen gefördert und von Heinz Kattner herausgegeben wird. Die Autorinnen und Autoren werden offenkundig mit Bedacht, poetischem Sachverstand und Geduld ausgewählt. Lediglich zwei bis drei Bände erscheinen pro Jahr, aber ich lasse einmal die Namen der bislang verlegten Autorinnen und Autoren vor Ihren Augen abrollen, um die lyrische Bandbreite deutlich zu machen: Hans Georg Bulla, Georg Oswald Cott, Hugo Dittberner, Bianca Döring, Anne Duden, Sylvia Geist, Rolf Haufs, Katharina Höcker, Hauke Hückstädt, Heinz Kattner [In Unauffälliges Zittern (2001) tragen die Menschen „Krieg im Blick“ und Partikel bringen die Welt in Wallung: „Abend // Was bleibt zwischen Erde und Erde. / Die Bewegung eines Sandkorns / vom Berg herab, kaum sichtbar / und ist doch ein Beben des Ganzen.“], Günter Kunert, Gregor Laschen, Christoph Meckel, Andreas Münzner [Die Ordnung des Schnees (2005): paradoxe, personifizierende, pointierte Verse.], Peter Piontek [Peter Pionteks Verläßliche Schatten (2000) bringt u.a. diesen vorzüglich in Verse gebrochenen, Ambivalenzen befördernden poetischen Kommentar: „Nach einer Unfallmeldung // Eines jeden einziger Unterschenkel / liegt in der Luft er kam um / die Kurve uneinsichtig // mit dem Motorrad / kam geflogen und aufgefahren / gen Himmel per Rettungshubschrauber. // Wir wissen ja nicht was / ein Mensch ist verstümmelt / zum Leben erwacht.“], Marion Poschmann, Monika Rinck [In Monika Rincks Gedichtband Verzückte Distanzen (2004) finde ich einen ungewöhnlichen Reichtum an veritablen und zupackenden Wörtern, gewonnen aus präzisester Beobachtung, und eine luftige Sinnlichkeit ist in diesen Gedichten mit coolem, u.a. vielleicht an Benn geschultem Klang, bei dem „die blauen Matten quietschen“, mesmerisierenden Momenten, ironisierendem Ton und rotierendem Rhythmus.], Christian Saalberg, Volker Sielaff, Johann P. Tammen, Hannelies Taschau, Jürgen Theobaldy, Ernest Wichner.
Was für ein abwechslungsreiches lyrisches Programm, das sich aus den Werken jüngerer und älterer Damen und Herren mit verschiedensten originellen Schreibweisen zusammensetzt, die sich durch den Aphorismus von Donald Marquis (1878-1937) „Wer Gedichte veröffentlicht, wirft ein Rosenblatt in den Grand Canyon und wartet auf das Echo“ nicht beirren lassen und die ich nicht nur in diesem Kapitel zu würdigen versuche.
Einige Gedichtbände greife ich beispielhaft heraus: Sylvia Geist überrascht in Morgen Blaues Tier (1997) u.a. mit den unterschiedlichsten Verslängen, die den enorm vitalen Gedichten zusätzliche Dynamik verleihen. Während mich in Marion Poschmanns Verschlossene Kammern (2002) einzelne Gedichte stark ansprechen, [Marion Poschmanns Grund zu Schafen (siehe „Ameisenjagd“) erreicht mich als Gesamtkomposition stärker. Katachrese, Pointe, Synästhesie, Unmittelbarkeit in der Kombination von Adjektiv, Nomen und Verb katapultieren den Gedichtband schon während des Lesens am 21. August 2005 in die oberen Regionen meiner Hitliste nach 2000.] nimmt Anne Dudens Hingegend (2001) mich total in Anspruch. Große Lyrik. Volker Sielaff ist mir erstmals in der Anthologie Lyrik von Jetzt (DuMont, Köln 2003) aufgefallen. Der Buchtitel Postkarte für Nofretete (2003) weist bereits auf die besondere kommunikative Struktur hin, die den Gedichten Sielaffs innewohnt – Gedichte, die wie von selbst zu mir kommen und bleiben wollen:

ES IST IMMER NOCH DER ERSTE TAG

Dein Finger verschließt meinen Mund
Himmel der die Wasser trennt
Bleib in deinem Schweigen sagst du
Und die Wörter für später

Die Bände 22 und 23 der wunderbaren Reihe Edition Postskriptum erschienen im Herbst 2005. Jürgen Theobaldys Buch Wilde Nelken (2005) besticht durch feine, mit ironischem Faden durchwirkte Gedichte. Christian Saalbergs Offenes Gewässer (2005) lotet in seinen Versen, die bei aller Doppelbödigkeit, Melancholie und Tiefe eine himmlisch beschwingte Lektüre sind, Licht und Dunkel und andere Dichotomien mehr aus. Aus meiner Begeisterung für Gedichte Christian Saalbergs habe ich an verschiedenen Stellen in Aus dem Hinterland kein Hehl gemacht. Dieser erst nach 2000 verstärkt zur Kenntnis genommene Dichter, der seit Jahrzehnten diese faszinierend assoziierten, originellen Gedichte schreibt, pflückt die Metaphern nicht nur im Herbst von den Lyrikbäumen. Christian Saalberg hat die „Sprache in der Sprache“ (Kenneth Koch) wahrhaftig entdeckt. Diese Leben, Tod und Poesie verknüpfenden Wortgebilde zeigen mir die über die alltägliche Realität hinausgehende Einheit auf, die in dieser zerrissenen Welt via Gedicht – trotz allem – möglich wird. [Auch Andreas Altmann hat im Oktober die neue Ernte eingefahren. In das langsame ende des schnees“ (Rimbaud, Aachen 2005) lese ich zwischen Paradox und Oxymoron changierende Verse, die mit ihrem lakonischen Grundton hochdramatische Verwicklungen auf vollkommen unaufgeregte Art und Weise, besonnen Wort an Wort fügend, vermitteln.

GRENZ GEBIET

die farbe der grenzsteine ist abgeblättert
in verlassenen herbsten. die türme
sind ohne augen. und im sommer
sinken die zäune ins gras. gesichter,
die sich an ihnen teilten, haben sich
aus ihren geschichten gelebt.
ihre bilder bleiben hinter den worten
zurück, die sich nur selber wiederholen.
ihre gegenwart hat die köpfe verloren.
die körper bewegen sich auf uns zu.

als könnten wir fliehen, teilen wir
ihre schritte, verlieren uns aus dem blick,
der uns einholt.]

Vor dem Portal sitzen Bettler mit ausgestreckten
aaaHänden, die sie langsam sinken lassen.
Vorsichtig steigen die Vögel von den Bäumen, eine
aaaLaterne in der Hand, um nicht zu stolpern.
So kann es einem ergehen, wenn man jeden Morgen
aaadas Haus durch die falsche Tür verläßt.

Dann gibt es noch die Nacht, gegen die man sich
aaanicht wehren kann.

Sie kommt, wann sie will, räumt ohne großes
aaaFederlesen die Felder ab und nimmt mit der
Linken Hand auch das Kirchlein mit, das ich
aaaeben noch bedichtet habe.

Was kann man tun?

Die Sonne hat ihr Augenlicht verloren und das Licht
aaaist mit dem letzten Zug davongefahren.

Erschienen in: Theo Breuer – Aus dem Hinterland, Edition YE, 2005

 

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