Der neue Zwiebelmarkt

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch Der neue Zwiebelmarkt

Der neue Zwiebelmarkt

AUS ALLEM WAS MACHEN

Jetzt werd ich alles um mich verDichten
Den Stuhl, dies Blatt, die Tapeten, den Herd
(Seine angebrannten pechschwarzen Schichten
geben diesem Poem einen höhern Wert!),
Ich schreibe flott – Hört auf zu lachen!
Für unsren Musengott: Aus allem was machen!
Rein mit dem Bett, mit Tisch und Blumenständer
aaaaaPeter –
Für dich, uns, sie, der Kunst, dem Ruhm – für später.
Die Hochbettleiter (ihre sieben Sprossen).
Den Rotweinfleck jüngst vergossen,
Tines schöne Sommersprossen!
Den Riesensessel, der ist noch vom Müll, das muß sein.
Hinein hinein! Jetzt wird wirklich fein.
Historisch wird mein linkes Bein.
Historisch schon meine Socken – alles bedacht
Aus allem wird hier was gemacht.
Mein Alter? Dreizig bald.
Das Wetter heut: Ziemlich kalt.
Kinder drei Namen: Jan Sarah Raul!
Weiterdichten. Ich bin nicht faul.
Der Papierkorb mein Riesenmaul.
Der süße Fraß für mein Musengaul.
Und hinterm Schrank ein Rahmen.
Hier mein Taschentuch (Nichts für Damen!)
Die Träume, die mir heutnacht kamen:
Der erste Horror, zwei Träume Dramen.
Weiterdichten: Nie Erlahmen!
Der Zigarettenstummel, der Vollständigkeit wegen,
mein Kinn, bestoppelt, leichtverwegen.
Mein Hetzermund, der fehlende Zahn, nichts verschweigen!
Soll ich meine Unterwäsche noch zeigen?!
Die Fingernägel, bitte sehr. Schaun sie! Her. Da bin ich
eigen
Das bißchen Schmutz. Vergißes! Blütentreiben
Weiterschreiben. Das Buch neben mir ist von Heine.
Im Bücherregal Bonbons, Flöten, Ostseesteine.
Seit Tagen vermiß ich die Donnerkeile.
Was wird mit dem Gedicht? Dichter eile!
Weiter im Dichterreigen.
Fragt mich wie schnell ich renne,
Mit wem ich wo wieoft schlafe oder penne,
Und wen ich alles kenne,
Und wer mich nicht kennen will!
Wer ist mein Vorbild. Etwa Terence Hill?
Wie laut ist meine Schreibmaschine? Still!
Hinein mit all dem Kram und nett geformt
Die Kohlenzange, mein DIN-A-4-Papier (TGL-Genormt)
Nur keine Angst nur keine Bange.
Mein kariertes Hemd direkt von der Stange,
Ich trage Hosen ziemlich lange.
Alles wird hier klar benannt.
Der Klavierhocker am Schreibtisch (Leder abgewetzt).
Die trockene Zunge, die gerne hetzt!
Jetzt wird’s Poesie und wie die fetzt!
Die Risse an der Wand, alles wird genannt –
Nichts bleibt euch unbekannt.
Mein offner Hosenstall und meine linke Hand
Mein Spiegelbild, mein Kraftaufwand,
Zeile zu Zeile wie ausm Stand.
Mein Lieblingswort UNBEKANNTES LAND
Was wäre für sich noch interessant.
Etwas verschwiegen, gar vergessen.
Was riecht hier so angebrannt?
Eu mein Mittagessen.

Peter Wawerzinek

 

 

 

Nachbemerkung

Zehn Jahre nach der Herausgabe des ZWIEBELMARKTES schien es uns an der Zeit, nachzufragen, was nachgewachsen ist. Wir haben an die Lyriker im Lande wieder unsere Briefe gesandt und sie gebeten, uns aus der Produktion der letzten zehn Jahre jene Gedichte zu schicken, die sie für zwiebelmarktwürdig erachten.
Diesmal haben sich vor allem die Jüngeren und Jüngsten stärker zu Wort gemeldet, und wir haben ihnen auch mehr Raum geben können. Brauchte ZWIEBELMARKT I noch die historischen Fundamente unserer großen, traditionsbildenden Autoren (Ahrens, Becher, Brecht, Fürnberg, Maurer, Weinert u.a.), konnte sich der NEUE ausschließlich auf die Lebenden konzentrieren.
Das Ergebnis ist, finden wir, erstaunlich genug: „zpiegel & leben tsugleix“ (Papenfuß-Gorek). Da ist Bewegung in die Lyrik gekommen: neue Namen, neue Formen, neue Sichten. Sie spiegeln, was um uns herum und bei uns anders geworden ist. Die Sterne funkeln böser heute und warnend, die Wolken sind nicht mehr so weiß und ungeheuer oben. Der kritische Sinn ist bohrender, auch verantwortungsbewußter. Die Wortmeldungen der Jungen wie der jung Gebliebenen sind schärfer, gelegentlich bei aller Schärfe vieldeutiger: altklug und moralisierend sind sie nicht.
Das Angebot war so reichhaltig, daß wir mühelos einen Band von 500–600 Seiten hätten machen können. Notwendige Umfanggrenzen (von keinem Autor mehr als fünf Gedichte) und Komposition des Ganzen haben uns öfter zum Deleatur gezwungen, als uns lieb war. Im Zweifelsfall haben wir uns für die Jüngeren entschieden:
Er faßt Gedichte (mehr als die Hälfte unveröffentlicht oder nur in Zeitschriften erschienen) von 89 Autoren zusammen. Wir haben sie nach den Geburtsjahrgängen gegliedert, ein Prinzip, das sich beim ersten ZWIEBELMARKT bewährt hat. Es macht am deutlichsten Entwicklungslinien sichtbar, Unterschiede zwischen den und innerhalb der Generationen, verwandte und gegensätzliche poetische Konzepte: die lebendige Vielfalt unserer Lyrik.
Zu danken haben wir Richard Pietraß. Ohne seine Mitarbeit wäre der NEUE ZWIEBELMARKT weniger repräsentativ geworden, als er sich jetzt dem Leser vorstellen kann. Wir hoffen, daß er, wie sein Vorgänger, ein Lesebuch wird: Eulen-Zpiegel.

Wolfgang Sellin / Manfred Wolter, Nachwort

 

Liebe Dichterin / Lieber Dichter,

zehn Jahre nach Erscheinen des Zwiebelmarktes schien es uns an der Zeit, eine neue Bestandsaufnahme zu versuchen… Wir würden Sie deshalb bitten, uns diejenigen Ihrer Gedichte einzusenden, die Sie für satirisch halten…

Die Dichterinnen und Dichter antworteten auf diesen Brief des Eulenspiegel Verlages und schickten, und die Saison ist wieder eröffnet: Der neue Zwiebelmarkt. Er bietet würzige, schmackhafte, scharfe, beißende und zu Tränen rührende Gedichte…

Eulenspiegel Verlag, Klappentext, 1988

 

 

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