Georg Friedrich Daumers Gedicht „Der Verzweifelnde“

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GEORG FRIEDRICH DAUMER

Der Verzweifelnde

NICHT mehr zu dir zu gehen,
Beschloss ich und beschwor ich,
Und gehe jeden Abend,
Denn jede Kraft und jeden Halt verlor ich.

Ich möchte nicht mehr leben,
Möcht’ augenblicks verderben,
Und möchte doch auch leben
Für dich, mit dir, und nimmer, nimmer sterben.

Ach rede, sprich ein Wort nur,
Ein einziges, ein klares!
Gib Leben oder Tod mir,
Nur dein Gefühl enthülle mir, dein wahres!

nach 1830

 

Konnotation

Vom rigiden asketischen Lebensprogramm eines pietistischen Zirkels geprägt, hatte sich der Theologe und Dichter Georg Friedrich Daumer (1800–1875) als Student fast zu Tode gehungert. In seinen religionsphilosophischen Schriften geißelte er später das Christentum als lebensfeindliche Vernichtungsreligion. Als Dichter orientierte er sich an der Romantik und an orientalischen Lyrikformen.
Das nach 1830 entstandene Gedicht „Der Verzweifelnde“ spricht von den tiefen Verletzungen und emotionalen Ambivalenzen, die ein verzweifelt Liebender durchleidet. Von der inneren Gespaltenheit, die sich in den Widersprüchlichkeiten und Paradoxien des Ichs manifestiert, wird das um Klarheit ringende Subjekt fast zerrissen. „Der Verzweifelnde“ wurde wie viele Gedichte Daumers durch Johannes Brahms (1833–1897) vertont. Als Dichter ist Daumer heute nahezu vergessen, in Erinnerung geblieben ist er jedoch als vorübergehender Erzieher des berühmten Findlings Kaspar Hauser.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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