Ulrike Ertel: BLICK-DICHT

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ulrike Ertel: BLICK-DICHT

Ertel/Ertel-BLICK-DICHT

KREIS

als Kind gekreiselt
mich im Kreis aufgestellt
gezirkelt
und einen Kreisbogen geschlagen
Kreisdiagramme berechnet
von bestimmten Kreisen
mich ferngehalten
in einem Kreis gelandet
nie im Kreistag gesessen
dann den Kreis verlassen
im kleinen Kreis
nie die Erde umkreist
aber den Kreislauf intensiv
studiert
und mit eigenen Augen umrundet
in Kunstkreise geraten
keine Kreise zerstört
nicht in höhere Kreise
gekommen
aber neue Kreise gebildet

oft im Kreis gelaufen
nur noch Kreise gesehen
die Kreisbahn noch nicht
verlassen
bin ich jetzt selbst
ein Kgreis geworden
kreisrund
ecke ich aber
immer
noch an
solange mein Kreislauf
das alles noch mitmacht

 

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Nachwort

Warum ich diese Gedichte auswählte – weil sie rein zufällig entstanden sind, nicht rein zufällig aus der Literatur, sondern aus der Wirklichkeit, aus dem Arbeitsfeld der Schreibenden: aus der Praxis, aus dem Abstand zu den Dingen, die manche brauchen, um Tage zu bestehen. Die Gedichte sind leicht, sie sind nicht ehrgeizgetrieben, sie sind nicht überanstrengt, sie verantworten nichts, man kann sie verstehen ohne Wörterbuch: nachfühlbar sind sie. Sie brauchen nicht die Stelze der Wissenschaft und nicht die der Geschichte – keine kleinen Diplomarbeiten, die aus dem Gedicht etwas Richtiges machen wollen. Erhoben genug, schweben sie für sich, für den einen und den anderen, ein wenig über die Erde, ohne erhaben zu sein.

Ingolf Brökel, Nachwort

 

Verdichtete Momentaufnahmen,

angedeutete Lebenslinien, Gedanken, Empfindungen aus dem großen und dem kleinen Leben mit einfachen Worten in einer lyrischen Form festgehalten oder als Lichtblicke mit eigener Sichtweise im Bild auszudrücken versucht.

Dieses Buch enthält Arbeiten aus einem längeren Zeitraum ohne eine spezielle Thematik: nur die Suche nach dem Leben, was dahinter steckt und den Anregungen, die weiterführen.

PalmArtPress, Ankündigung

 

Gedichte und Bilder

Bild und Gedicht gehörten schon immer zusammen bei der Ärztin Ulrike Ertel: In Blick-Dicht versammelt sie über hundert solcher gelebten Augenblicke, die sie anhielt mit Kamera oder mit Stift: für ein Bild von dieser Welt. Jahrzehnte, ohne Konkurrenz zu spüren, für sich, natürlich, wenn die Sprechstunden rum waren. Gehen und sehen, was noch passiert, die Gegenwart mit Schnappschüssen treffen im Gedicht oder im Bild. „Lichtblick“:

Plötzlich
im Spalt
zwischen Zukunft und
Vergangenheit
nur noch ein Lidschlag
der Bilder
rasend schnell
weißt du
von der Einigkeit
lichter Gedanken
hinter dem schwarzen Fleck
den wir alle tragen.

Dabei gelingen ihr in der Fotografie, die hier leider nicht besprochen werden kann, eigenwillige Bilder, die an Malerei und Grafik erinnern.
Ihre Gedichte sind Gelegenheitsgedichte, im Prinzip Im-Nu-Gedichte: sie werden wie ihre Bilder fast nicht mehr bearbeitet. Keine preziöse Wortwahl oder verrätselte Syntax, einfach der Aufbau, der Rhythmus und die Worte:

ich schaue meine
Buchreihen an

und denke
das zweite Leben der Bäume
schön, daß ihr nicht im
Feuer gelandet seid
und das Blätterrauschen
festgeschrieben ist
und manche
wachsen sogar über sich
hinaus.

Das Einfache, was schwer zu machen ist. Und immer wieder das Befragen der Zeit, deutlich hier der Anachronismus:

Bewegte Zeiten:
Früher das Ziel: wohin gehst Du –
Jetzt: sag mir, wo du stehst.
(Aus: „Zeitensprüche“)

Für Augenblicke ein Weilchen Frieden finden, sich selbst auszuschütten… Aber:

die Worte waren verschwunden
sie wurden hier
nicht mehr gebraucht
nur die Alten erzählten manchmal
noch lebhaft davon
und hin und wieder
tauchten sie in der Ferne auf
wir kannten ihren Schrecken
nur aus den Geschichtsbüchern
und dachten
sie lägen sicher im Museum

 

jetzt sind sie wieder da
und man kommt an ihnen
nicht mehr vorbei
und an denen, die sie
mit Gewalt
wieder herausgeholt haben.

Und dann die Zeitenwende oder besser die Zeitenwunde:

Angriff und Abwehr
sind durcheinandergeraten
… Hilfe
fürs Immunsystem

Und für uns das Buch Blick-Dicht, dass es wieder richtig arbeitet.
Was war also am Anfang: das Wort oder das Bild? Und ich antworte für Ulrike Ertel: Das Bild mit poetischer Milde und das Wort mit fotografischer Schärfe.

Ingolf Brökel, Ort der Augen, Heft 2/2025

 

 

Fakten und Vermutungen zur Autorin

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