Dichtersprache, Gebrauchssprache, Universalsprache
Das prekäre Vermächtnis der «konkreten Poesie»
Teil 3 siehe hier …
Rund ein halbes Jahrhundert danach wurden diese und ähnliche Vorhaben im «Programm der konkreten Poesie» (São Paulo 1958) erneut aufgegriffen und wiederum in den Dienst «einer kritischen Entwicklung der [dichterischen] Formen» gestellt: «Die konkrete Dichtung stellt fest, dass der historische Verszyklus (als formal-rhythmische Einheit) abgeschlossen ist, und wird sich zunächst des graphischen Raums als Strukturlement bewusst. Raum wird genannt: Die Raumzeitstruktur an Stelle einer nur linear-zeitlichen Entwicklung. Daher die Bedeutung des ideographischen Konzepts sowohl in seinem allgemeinen Sinn einer spatialen oder visuellen Syntax wie auch in seinem spezifischen Sinn einer Kompositionsmethode, die auf direkter – analogischer und nicht logisch-diskursiver – Gegenüberstellung der Elemente beruht …» Usf.
Diese «programmatische» Verlautbarung (Privilegierung der «Laut- und Seh-Form», «Appell an ein nicht durch das Wort gegangenes Verstehen», «das Gedicht als sich selbst regulierender Mechanismus») geht über die Postulate der historischen Avantgarde nicht hinaus. In seiner Grundsatzerklärung zu «zweck und form einer neuen dichtung» (1954) hielt Eugen Gomringer explizit fest, die «konkrete» Nachkriegspoesie habe die formalen Errungenschaften des Futurismus, Dadaismus und Expressionismus «in die gegenwart übergeführt», habe sie adaptiert in der Absicht, sie einem breiteren Publikum und auch erweiterter Nutzung zuzuführen. Die «Konkreten» – Bense, Mon, Bremer, Garnier, die Brüder de Campos, auch Gomringer selbst – waren, so gesehen, eher Nachhut denn Avantgarde, doch im Kontext der damals in Deutschland dominanten Restaurations-, Bewältigungs- und Unterhaltungsliteratur (Böll, Breitbach, Kreuder, Koeppen, Niebelschütz, Nossack) wie auch im Vergleich mit der schöngeistigen Lyrik eines Oskar Loerke oder Wilhelm Lehmann wurde die «konkrete Poesie» durchaus als innovativ und progressiv wahrgenommen.
… Fortsetzung am 12.12.2025 …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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