Gerhard Rühms Gedicht „Wolken“

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GERHARD RÜHM

Wolken

wolken treiben mich mit sich fort
wolken dunkel und wolken hell
wolken träge und wolken schnell
nichts was mich zu halten weiss
wolken im winde von ort zu ort
zuweilen weinen die wolken leis
und regenwasser spült mich leer
trudelnd erkenne ich mich nicht mehr
und löse mich in tropfen auf
die wolken der wind des flusses lauf

1995/96

aus: Gerhard Rühm: Geschlechterdings. Chansons. Romanzen. Gedichte. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1990

 

Konnotation

In den flüchtigen Wasserdampf-Zusammenballungen am Himmel, den immer neu sich formenden und zugleich so vergänglichen Wolken haben sich schon viele Dichter gespiegelt. Die gewaltlosen „Himmelskünstler“ (H.M. Enzensberger) wecken die Sehnsucht nach Selbstauflösung wie in dem 1995/96 entstandenen Gedicht des Wiener Avantgardisten Gerhard Rühm (geb. 1930).
In der für ihn charakteristischen Strategie der Reihung und Wiederholung hat Rühm einen zarten Hymnus auf die Wolken geschrieben. Sie erscheinen hier als Antriebsmaschine und spiritueller Mittelpunkt des Weltgeschehens. Das Ich wird von der ruhigen Wanderung der Wolken erfasst und gerät selbst in eine gleitende, trudelnde Bewegung. Am Ende steht eine kathartische Reinigung des Ich und das Glück einer mystischen Verschmelzung mit den Wassertropfen. Der poetische Minimalismus Rühms hat hier ein vollkommenes Gedicht hervorgebracht.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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