Ludwig Uhlands Gedicht „Abreise“

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LUDWIG UHLAND

Abreise

So hab ich nun die Stadt verlassen,
Wo ich gelebet lange Zeit;
Ich ziehe rüstig meiner Strassen,
Es gibt mir niemand das Geleit.

Man hat mir nicht den Rock zerrissen,
Es wär auch schade für das Kleid!
Noch in die Wange mich gebissen
Vor übergrossem Herzeleid.

Auch keinem hats den Schlaf vertrieben,
Dass ich am Morgen weiter geh;
Sie konntens halten nach Belieben,
Von Einer aber tut mirs weh.

1811

 

Konnotation

Als Kopf der „Schwäbischen Dichterschule“ brillierte der junge Ludwig Uhland (1787–1862) mit eingängigen Balladen und volksliedhaften Gedichten, die ihm dauerhafte Popularität bei seinen Zeitgenossen eintrugen. Uhland, das „bestvermummte Genie“ (Friedrich Hebbel), favorisierte als Poet die Erfüllung der Literarischen Konvention; als Politiker freilich exponierte er sich abweichlerisch – als patriotisch-republikanischer Demokrat, der konsequent für die Ziele der Revolutionäre von 1848/49 eintrat. Aber war der „integre Mann und aufrechte Bürger“ – so lobt ihn Günter Kunert – auch ein guter Dichter?
Das 1811 entstandene Gedicht entwirft eine Abschiedsszene: Ein Reisender verlässt offenbar guten Mutes seine Heimatstadt; und obwohl er auf sich allein gestellt ist, kann ihm offenbar nichts die Laune verderben. Nur der Gedanke an eine ungenannt bleibende Frau verursacht einen kleinen Schmerz; aber die Gefühlslage des Subjekts bleibt wohltemperiert. Dieses stets Wohltemperierte wurde Uhland von Heinrich Heine als Betulichkeit angekreidet: so wird Uhland in Heines Versepos „Atta Troll“ (1843) boshafterweise als Mops karikiert.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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