Stephan Turowskis Gedicht „Natur“

Beitragsbild rechts für Lyrikkalender reloaded

STEPHAN TUROWSKI

Natur

Ich dachte, Natur, da will ich hin,
an den Wurzeln reißen, Blut spucken,
den Sternen winken, bis der Arzt kommt.

Ich kam in den Wald, zog das Fell drüber,
kletterte in den Bäumen, von den Spechten gegrüßt,
von den Eichhörnchen gefürchtet, griff zur Liane,

die nur ein Ast war, ich dachte, Natur,
wie komme ich da wieder heraus.

2005/06

aus: Lyrik von Jetzt Zwei. DuMont Buchverlag, Köln 2008

 

Konnotation

Gegenüber der Natur mobilisieren junge deutsche Lyriker meist eine skeptische oder ironische Reserve. Gleichwohl geben sie immer wieder dem Reiz nach, die Natur als klassisch-romantischen Topos der deutschen Dichtung aufzurufen – mit schönen Kunststücken der ironischen Distanzierung. Der Lyriker und Musikkritiker Stephan Turowski (geb. 1972) führt vor, wie man sich dieser Natur nähern kann – indem man sich ihr entzieht.
Mit jeder metaphorischen Bewegung entfernt sich der Text von der Natur als einem Objekt ästhetischer Identifikation. Hier wird eben nicht das Bild von Natur als einsamem Refugium bedient, sondern als einem Ort der Slapsticks und komischen Effekte. Aus dem Zusammenprall von Naturmotivik, Redewendungen, TV-Zitaten und komischen Effekten entsteht hier eine heitere Absurdität. Zur Natur „will man hin“ – sofern sie sich in ironische Konstruktionen integrieren lässt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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