– Zu Peter Rühmkorfs Gedicht „Tagelied“ aus Peter Rühmkorf: Gedichte. Werke Bd. 1. –
PETER RÜHMKORF
Tagelied
An springt der Sommer –: mitten durch den Reifen,
– noch einmal trägt mein Glück –
Verweile doch und laß dich auch begreifen,
mein Pfauen-Augen-Blick –
Es ist das Stundenglas nicht umzukehren
und was die Parze spinnt…
Das Leben, das wir beide so verehren,
e s r a s t – e s r i n n t.
Es traut kein Bürger, segnet uns kein Paster,
kein Sozi stimmt mit ein.
Es muß, mein Kind, nicht immer gleich das Laster,
es kann auch Liebe sein.
Denn was sich liebt, das spottet der Erfahrung,
und was sich fesselt, gibt sich aus der Hand.
Dein Arsch hängt über mir wie eine Offenbarung:
gesammelt – und entspannt.
Verdammter Morgen, bleiche Abschiedsstunde,
wenn uns der Schweiß gefriert.
Dein Finger paßt so schön in meine Wunde,
faß rein, daß sie sich spürt.
Und Biß um Biß sich aneinanderreihend
machen der Seele die Gestalt bewußt.
Scharf wie Makrelen, Plankton seihend,
schlürfen wir uns die Seufzer aus der Brust.
Die Nacht ist hin, die Dinge sind so sausend
(Ein Kuß noch draufgepappt)
Eh uns der schwarze Müllmann 1:100 000
im Acheron verklappt…
Ein Blutsturz, gut, so steigt er, so verstrullt er;
Schmerzböen, Tränenschauer, immer hinterher!
Das nimmt das Wasser alles auf die leichte Schulter;
das trägt die Flut ins Meer –
„Nie wieder eine Weltanschauung“
– Zum poetischen Weltbild Peter Rühmkorfs unter besonderer Berücksichtigung seines Gedichts „Tagelied“
Sich mit Wirklichkeiten beladen – Peter Rühmkorf zitierte dieses Wort Gottfried Benns in seiner Bestandsaufnahme „Das lyrische Weltbild der Nachkriegsdeutschen“1 –, das bedeute, es im Gedicht mit den jeweiligen Sprachebenen dieser Realitäten aufzunehmen. In dieser Kunst hatte es Rühmkorf zu seltener Virtuosität gebracht. Sein sprachpoetisches Spektrum reichte vom Gossenwort bis zur Benn-Parodie, von der Straßensprache, dem Kalauer bis zu Anleihen bei Goethe, Claudius und Heine. Dass er eines seiner Bücher mit Walter von der Vogelweide, Klopstock und ich (1975) betitelte, war kein Kokettieren, sondern folgerichtiger Ausdruck seines subjektiven Traditionsverständnisses. In seiner Würdigung des Dichterkollegen spricht Hans Magnus Enzensberger von den „Echo-Effekten und subkutanen Anspielungen“ in dieser Lyrik und verweist auf eine „nahezu lückenlose Ahnenreihe von Hoffmannswaldau bis Arp, den Minnesängern bis zu Morgenstern, unter besonderer Berücksichtigung des Unerwarteten und Verdrängten (Brockes, Hamann, Nietzsche).“2 Enzensberger beschreibt treffend Rühmkorfs poetisches Verfahren, wenn er behauptet:
Manche seiner Kunststücke sind die reine Schlupfwespen-Lyrik: der Autor nistet sich in einen alten Text ein und füllt ihn produktiv aus. Dazu bedarf es einer historischen Empfindlichkeit, von der man geschworen hätte, daß sie längst ausgestorben ist.3
Dieses Verfahren hat Rühmkorf bis zuletzt beibehalten und auch die von Enzensberger diagnostizierte Verwendung von „Gassenhauern“, die er in nahezu jedem Gedicht Rühmkorfs „herumgeistern“ sah.4
Enzensbergers „Albumblatt“ enthält keine Apologie, sondern bietet eine kritische Würdigung, die harsche Urteile nicht scheut. Eines sei hier gleichfalls zitiert, weil es wie die zuvor erwähnten Bemerkungen in besonderem Maße auch auf das „Tagelied“ zutrifft, dem wir uns hier zuwenden wollen:
Auch in die Liebesgedichte Rühmkorfs dringt öfters etwas von dieser artifiziellen Grobschlächtigkeit ein. Wenn er von Frauen spricht, breitet sich ein spezifischer Geruch aus, der mich stört: halb Puff, halb Bratkartoffeln. So frisch viele Rühmkorf-Gedichte jahrzehntelang geblieben sind: hier gibt es trübe Stellen, an denen sich auch ein historisches Veralten ablesen läßt.5
Damit bezeichnet Enzensberger ein Problem, auf das noch einzugehen sein wird: „Die Halbwertzeit vieler Gedichte Rühmkorfs, die sich immer wieder durch überraschende Wendungen und vor allem Reime zu verlängern sucht. ,Reim‘ reimt in seiner Lyrik mit ,Leim‘“,6 auf den er seine Leser gehen ließ, die jedoch immer auch Hörer zu sein hatten; denn Rühmkorfs Lyrik arbeitet mit den Doppelbödigkeiten in der Sprache, den Hohlräumen in den Worten, vor allem dann, wenn sie zu bloßen (ideologischen) Worthülsen geworden sind.
Der Reim beschäftigte ihn hinsichtlich seiner poetisch-psychologischen Wirkung, wobei sich Rühmkorf auf dem Weg zu einer „Poetologie des Alltagslebens“ wusste. (III, 181–204). Kaum ein Lyriker hat sich dabei wie er mit dem Problem der „Haltbarkeit“ von Gedichten als einem Gegenstand der Poesie auseinandergesetzt. Sein Band Haltbar bis Ende 1999 stellt sich diesem Problem mit Gedichten zu Zeitsprachformen („Tagebuch“), dem „Jahreswechsel“ und dem „Aufbruch vor Morgen“ sowie einem „Vorvorletzte[n] Lied“ (I, 295–380). Spricht sich in dieser thematischen Ausrichtung nicht auch die Frage nach der poetischen Haltbarkeit der eigenen Gedichte aus? ,Haltbarkeit‘ meint hier zweierlei: Das Problem des Verfallsdatums und Erwägungen darüber, ob nicht gerade das Unhaltbare das Wertvolle sei.
Dem Band Haltbar bis Ende 1999 ordnete Rühmkorf einen Essay über die Formen des „poetischen Einfalls“ zu, der in eingeklammerten Hinweisen auf die eigene lyrische Praxis ein kleines Organon dichterischer Vorgehensweisen versammelt: „(Gedichte wie Wolkenformationen komponieren: Zirren ausziehen, Kumuli ballen, Stratokumuli tupfen. Alles ganz leicht und ganz da.)“ (III, S. 177). Bei Rühmkorf ist dergleichen gleichermaßen ernst gemeint und selbstparodistisch. Erheiterndes und Ernüchterndes stehen in seinen poetologischen Bekundungen und Gedichten Seite an Seite. Diese Gedichte entsprechen der These, Sprache sei eine „Freundin des Unvorhergesehenen“.7
Im „Tagelied“, das sich im vierten mit „Phönix voran“ überschriebenen Teil der Sammlung Haltbar bis Ende 1999 findet und Kernmotive in der Lyrik Rühmkorfs enthält, kann dieses ,Unvorhergesehene‘ Ereignis werden. Im Werk Rühmkorfs stehen ihm ,Nachtlieder‘ zur Seite, etwa „Guter Freunde Nachtlied “(I, S. 155: „Der Mond ist aufgegangen, / aus der Tasche rinnt mir die Zeit; / wir gleiten, mylords, wir gleiten / in die Bremsspur der Ewigkeit.“). Insgesamt aber dominiert im Schaffen dieses Lyrikers der Modus des Tageliedes, womit nicht nur der Augenblick gemeint ist, in dem in der Tradition der Minnelieder zwei Liebende bei Tagesanbruch voneinander scheiden, sondern auch die Absicht poetischer Aufklärung über das Unpoetische in der Welt.
Wie in vielen Gedichten Rühmkorfs gehört auch im „Tagelied“ der Stilbruch zur poetischen Methode. Mit dem probeweise bemühten hohen Ton der ersten Strophe kontrastieren die drei folgenden, wobei der Schluss der vierten sich wieder einer anspruchsvolleren Sprache bedient. Immer wieder spielt Rühmkorf in seinen Gedichten mit dem Sprachebenen in einem Akt poetischen Widerstands gegen das „schöne Hand-in-Hand von Kunst und Armut, Ausdruck und Entbehrung […], als eine Fiktion des späteren Wohlstandsüberdrusses“. (III, S. 7) So formulierte er in seinem Versuch über „Das Lyrische Weltbild der Nachkriegsdeutschen“, der ihm so wichtig war, dass er ihn auch in seine „Anfälle und Erinnerungen“ Die Jahre die Ihr kennt aufnahm.8 Damit ist eine offensichtliche und zugleich subtile Widersprüchlichkeit in Rühmkorfs Schaffen benannt: Sein Schreiben sucht nach einem Weltbild ohne Weltanschauung. Und gerade das bedingt sein Interesse an den poetischen Traditionen, zu denen auch die geradezu programmatische Arbeit mit lyrischen Formen gehört, wie sie sich besonders in den Kunststücke[n] (1958–1961) findet, den „Oden“, „Sonetten“, „Hymnen und Gesängen“, „Liedern“ und „Variationen“ auf Themen bedeutender Vor- oder Neben-Bilder: Hölderlin, Klopstock, Eichendorff, Claudius ersetzen in den Kunststücke[n] die „Weltanschauungen“. Sie werden zu den eigentlichen poetischen Welt-Bildern, weil sie variationsfähiges poetisches Material bereit halten. So scheinanachronistisch dieses Dichten um 1960 auch wirkte, gerade seine Kunststücke können heute nach der Erfahrung mit ,postmodernen‘ Schreibverfahren neu gewürdigt werden. Viele dieser Gedichte gleichen ,Tageliedern‘, in denen im Licht der zweiten Aufklärung sich Vorbild vom Nachbild sowie der in die Form verliebte Dichter und die in den Dichter verliebte Form von den Bedingungen ihres Ursprungs trennen. Man versteht, weshalb Günter Grass gerade seine variationsreichen ,deutschen Sonette‘ unter dem Titel „Novemberland“ diesem formverliebten Dichter Peter Rühmkorf gewidmet hat.9
Zu Rühmkorfs Weltbild ohne Weltanschauung gehören die Mythen – auch die von der politischen Wirksamkeit der Dichtung: „Kunst als Waffe? – da sei Majakowskij vor! […] / Unter uns: der Tannenbaum ist abgenadelt / und dein Über-Ich ein Kartenhaus“ (I, S. 284). Die Anspielungen auf den Mythos in Rühmkorfs Lyrik ergeben ein bizarres Szenarium:
Streut aus den Rest an Galle und an Glück,
Athenas Lende und Apolls Genick,
Ein Eimer Lethe, eine Urne Kohl,
Pilatus taucht die Hände in Lysol
(I, S. 61).
Oder:
Der holzige Bettler Barlachs,
Der nie sein Sperma vergoß;
Doch im empörten Scharlach
Rührt der Dionysos
(I, S. 65).
Dem entspricht die Wendung:
[…] trunken im Indigo
treibt der Dionysos
(I, S. 103).
Und irritierter:
Unser verkommenes Hirn,
Das mit der Gorgo schlief
(I, S. 83).
Schließlich ins Absurde gesteigert:
Ich bin Europas verlorener Sohn.
Siehe die trübe Gestalt!
Ich komme und stelle zur Diskussion
Denken und Darminhalt
(I, S. 91).
Ohnehin fallen die Nöte mit dem Ich in Rühmkorfs Gedichten auf:
Mein Ich- und Alles, der in Wodka gelöste Widerspruch…
(I, S. 122).
Oder selbstironisch gewendet:
Ich rühre mit gichtigem Finger an die letzten Dinge
(I, S. 71).
Die Gegenwart des Mythos verbindet sich quasi therapeutisch mit dem „Potenzial aus Angst“ – vor der eigenen Ohnmacht gegenüber den mythischen Kräften:
Der mythenschwere Marsch
Zerrann dir unterm Schuh,
Du aber bist im Arsch
Und nickst den Sternen zu
(I, S. 72).
In den Bildern des Mythos – gerade auch jenen des Alltags – erkennt sich Rühmkorfs poetisches Ich mit „sorgsam gerasterte[m] Lichtblick“ (I, S. 245), wie das Gedicht „Gruß aus Rom“ besagt. Diese Bilder verbinden sich mit einer rhapsodischen Musikalität, die sich zuweilen selbst thematisiert:
Auch frommer Stoff ging um, verwehte Passacaglien,
Klavierstaub
schwebt ums Ohr –
(I, S. 260),
oder sie münden in die Aufforderung, Brahms in f-moll „aufzudrehen“ (I, S. 364). Das Musikalische kann bei Rühmkorf jedoch auch eine lautmalerisch-politische Gestalt annehmen:
Düdelüdüt! noch’n Tusch für das Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz!
(I, S. 296).
Im „Tagelied“ nun versammelt er diese Motive nicht nur; das Gedicht arbeitet sie um zu einem Kulturbild, eingedenk des im Gedicht „Komm raus!“ geäußerten Vorbehalts:
Auch Kultur
ist nur eine unmaßgebliche Schutzbehauptung
(I, S. 308).
Unklar bleibt wofür oder wogegen. Bedenken wir vor diesem komplexen Hintergrund die vier Strophen des „Tageliedes“ nun im Einzelnen:
An springt der Sommer –: mitten durch den Reifen,
– noch einmal trägt mein Glück –
Verweile doch und laß dich auch begreifen,
mein Pfauen-Augen-Blick –
Es ist das Stundenglas nicht umzukehren
und was die Parze spinnt…
Das Leben, das wir beide so verehren,
e s r a s t – e s r i n n t.
Anspielungen bietet diese Eingangsstrophe im Enzensbergerschen Sinne in Fülle: Fausts den Teufelspakt einleitende Formel des „Verweile doch“, die Sommer-Anrufung Hölderlins, das Parzenlied und die Schlußwendung in Rilkes „Sonette an Orpheus“, wobei bei Rühmkorf das ,Rinnen‘ das letzte Wort hat und nicht wie im Schlusssonett des Zweiten Teils das „Ich bin“. Das Stundenglas sieht sich als Täuschung entlarvt, da die Zeit nicht umkehrbar ist; der „Augen-Blick“ dagegen gewinnt durch das Pfauenhafte eine ambivalente ästhetische Qualität. Der erste Vers jedoch verleiht dem hier in Gang gesetzten Prozess etwas Maschinelles: Der Sommer springt an wie ein Motor, um dann reifenhaft abzurollen oder abzulaufen.
Es traut kein Bürger, segnet uns kein Paster,
kein Sozi stimmt mit ein.
Es muß, mein Kind, nicht immer gleich das Laster,
es kann auch Liebe sein.
Denn was sich liebt, das spottet der Erfahrung,
und was sich fesselt, gibt sich aus der Hand.
Dein Arsch hängt über mir wie eine Offenbarung:
gesammelt – und entspannt.
Liebe kennt keine Konventionen – damit ließe sich das Hauptmotiv der zweiten Strophe benennen, die das Vergänglichkeitsmotiv der ersten Strophe zunächst verdrängt. Das doppeldeutige „Begreifen“ der ersten Strophe, seine kognitive wie haptische Bedeutung, konkretisiert sich in den beiden Schlusszeilen durch die Positionierung eines betont sinnlichen Körperteils.
Verdammter Morgen, bleiche Abschiedsstunde,
wenn uns der Schweiß gefriert.
Dein Finger paßt so schön in meine Wunde,
faß rein, daß sie sich spürt.
Und Biß um Biß sich aneinanderreihend
machen der Seele die Gestalt bewußt.
Scharf wie Makrelen, Plankton seihend,
schlürfen wir uns die Seufzer aus der Brust.
Mag die Liebe der Erfahrung spotten und das Unkonventionelle sinnlich zelebrieren, die Form bedient sich der Konventionen und damit der Traditionalismen. Die Gattung ,Tagelied‘ fordert ihren Tribut, den diese Strophe nicht nur durch das Abschieds- und Trennungsmotiv entrichtet, sondern die dadurch verursachte seelische Verwundung geradezu ausmalt. Hierbei fehlt es an Schuldzuweisungen nicht. Das poetische Ich schreibt dem Du des Gedichts Lust am Verwunden zu, die es freilich selbst geradezu selbstquälerisch auskostet.
Die Nacht ist hin, die Dinge sind so sausend
(Ein Kuß noch draufgepappt)
Eh uns der schwarze Müllmann 1:100 000
im Acheron verklappt…
Ein Blutsturz, gut, so steigt er, so verstrullt er;
Schmerzböen, Tränenschauer, immer hinterher!
Das nimmt das Wasser alles auf die leichte Schulter;
das trägt die Flut ins Meer –
Das Vergänglichkeitsmotiv kehrt wieder, und das in verstärkter Bildlichkeit, die das Rinnen der ersten Strophe ebenso intensiviert wie es den persönlichen Schmerz über die Trennung als gesundheitliche Krise („Blutsturz“) markiert. Massstabsverhältnisse werden bemüht, um die Relativität, wenn nicht gar Bedeutungslosigkeit der eigenen Erfahrung zu illustrieren.
Einerseits weist das Tagelied bereits auf die langen Gedichte der Spätphase im Schaffen Rühmkorfs, die um die Frage nach dem Wesen des Menschen kreisen (zum Beispiel „Einmalig wie wir alle“, I, 463–469); andererseits greift das „Tagelied“ eine Motivik auf, die bereits in einem der frühesten Gedichte Rühmkorfs enthalten ist:
Wer weiß denn, wo deine Augen sind
und wo der Sommer steht
und leise die müde Straße verrinnt
wie eines Bettlers Gebet
(I, S. 17).
Die frühe Lyrik, namentlich die Sammlung Die Pestbeule, bekundete – wenngleich ironisch – noch den Willen, ihre Leser „zu bessern“ (I, S. 25). Was aus dieser moralisierenden Absicht geworden ist, ging mit in der letzten Strophe des „Tageliedes“ auf.
Rühmkorf, der melancholische Sarkast, larmoyante Polemiker und Kenner des Vergeblichen, schrieb den „Nachkriegslyrikern“ – also auch sich selbst – folgende Verse ins Stammbuch:
Du bist modern, du dichtest linear,
Du hast den Mut, wie Bertolt Brecht zu sprechen;
Nichts gegen Brecht, doch grämt mich dein Gebrechen:
Veräußerung von Brechtschem Inventar
(I, S. 24).
Das galt auch für die Liebeslyrik, aber ebenso für den lyrischen Aktionismus, der nichts zu verhindern vermochte:
Denn das ist das Traurige,
daß wir Rilke lesen
und Bomben werfen.
Goethe lieben
und Menschen töten.
Daß wir die Griechen kennen
und das Bajonett
(I, S. 24).
Wer dagegen Rühmkorfs Lyrik lese, so der fromme Wunsch des jungen Dichters, der werde „nicht vergasen, erschießen, erwürgen […]“ (I, S. 24). Angesichts solcher Vorzeichen will Rühmkorfs „Tagelied“ zugunsten aussagekräftiger Bilder alle Weltanschauungen verabschieden – im Namen des Lebens gerade weil es „rast“ und „rinnt“, dem Meer und dem Acheron zu.
Rüdiger Görner, aus Rüdiger Zymner, Hans-Edwin Friedrich (Hrsg.): Gedichte von Peter Rühmkorf. Interpretationen, mentis Verlag, 2015








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