Beim Übersetzen; zum Übersetzen ( II ) – Notizen, Exzerpte und Exempel (1)

Titelbild von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Felix Philipp Ingold: Überzusetzen“

Der Text als komplexes Makrozeichen, Nelson Goodman spricht von Notationsschema; wird innerhalb dieses Schemas, aus Zufall oder gewollt, auch nur ein einziges Zeichen versetzt oder ersetzt, so verliert der Text seine Identität, und jetzt ist’s ein anderes Werk. Da aber solche Prozesse von Zeichenverrückung – und was sind Übersetzungen anderes als signifikante Verrücktheiten – unvermeidbar bleiben, ist das Werk einzig in seinem Werden als Übersetzung zu begreifen. Und zwar zu begreifen von dem, der schreibt, wie auch von dem, der liest.

Der Autor, der sich als Übersetzer dem Fremden stellt, es in seiner unerschließbaren Andersheit annimmt, von ihm also auch das annehmen kann, was ihm unbegreiflich bleibt, ist – ganz gleich, welcher Zeit er angehört – ein Romantiker. „Der wahre Übersetzer dieser Art muß“, nach einer Notiz von Novalis, „in der That der Künstler selbst seyn“; er rezipiert, er akzeptiert den fremden Text, indem er sich durch ihn verändern lässt, und was ihn verändert, ist eben das Fremde, das er, statt es sich anzueignen, als das eigentlich Fremde, das Fremde im Eigenen, die eigene Befremdlichkeit im Akt des Übersetzens zur Geltung bringt. „Er muß“, so Novalis, „der Dichter des Dichters seyn und ihn also nach seiner und des Dichters eigner Idee zugleich reden lassen können.“

 

aus Felix Philipp Ingold: Überzusetzen
Versuche zur Wortkunst und Nachdichtung

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