Detlev Meyers Gedicht „Für Christian“

DETLEV MEYER

Für Christian

Ich bin im Meer nur eine Welle,
am Ufer nur ein Korn von Sand.
Du warst die Mündung und die Quelle
des Stroms, der manchmal zu mir fand.

Du warst die Wolken und der Wind.
Du warst mein Bruder und mein Kind.
Ich habe vieles dich genannt
im tiefsten Rausch und bei Verstand.

Wir liebten uns ganz auf die Schnelle.
Du warst im Meer nur eine Welle.

1980er Jahre

aus: Detlev Meyer: Korrekte Anmache. Liebesgedichte. Männerschwarm Verlag, Hamburg 2004

 

Konnotation

Ich bin bereit, von schwuler oder heterosexueller Literatur dann zu sprechen, wenn ich in der nächsten Ausgabe der FAZ… lese, dass ein neues Werk der heterosexuellen Literatur erschienen ist.“ Detlev Meyer (1948–1999) machte nie ein Hehl aus seiner Homosexualität. Seine Romane, Erzählungen und Gedichte thematisieren das Leben in der Szene, und das schränkte seine Präsenz im Literaturbetrieb ein. Trotzdem war dieser Bruder Leichtfuß im Begriff, mit seinen spöttischen und dabei warmherzigen Beobachtungen des Alltags zwischen Wirklichkeit und Wunsch eine größere Leserschaft zu gewinnen, als er an den Folgen von Aids starb.
Das liedhafte Gedicht „Für Christian“ kommt ganz unschuldig und bescheiden daher: Das lyrische Ich ist klein und unbedeutend gegenüber dem in großen Bildern gerühmten Geliebten. Aber es war eine kurze Affäre, sie gehört der Vergangenheit an. Die letzte Zeile des Gedichts schließt dieses Kapitel, diese Episode bündig ab: Auch du, sagt es, warst nur eine Welle im Meer.

Sabine Peters (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00