DURS GRÜNBEIN
Eine Regung
Dieser flüchtige kleine Windstoß, Luft-
aaaaaaawirbelsekunde, als ein
aaaaaaaaaaaaaaverschreckter Sperling kurz
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaavor mir aufflog, schon
außer Sicht war und eins der
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaleichtesten Blätter folgte zer-
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaarissen in seinem Sog.
1988
aus: Durs Grünbein: Grauzone morgens. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1988
In einem essayistischen Rückblick auf seine lyrischen Anfänge hat der Dichter Durs Grünbein (geb. 1962) in schroffem Ton die vermeintliche Unreife seines Debütbands Grauzone morgens (1988) attackiert. In seiner „jugendlichen Vers-Anarchie“ und metaphysischen „Dürftigkeit“, so Grünbein, empfinde er das ganze Werk als niederschmetterndes Dokument ästhetischer „Unmündigkeit“. Diese Distanzierungswut ist von einiger Brisanz, bedenkt man, dass gerade diese Grauzone-Gedichte, diese verwackelten Momentaufnahmen aus der Endzeit der DDR, zu seinen aufregendsten Werken rechnen.
In den Grauzone-Gedichten, organisiert in freien, typografisch aufgefächerten Versen, bewegte sich ein nomadisierendes Ich durch die grauen, zerfallenden Industrielandschaften Dresdens und zeichnete das Bild einer Stadt im realsozialistischen Fäulnisstadium. Der flüchtige Eindruck, wie hier die Begegnung mit einem Vogel, bildet die sinnliche Substanz dieser Poesie, die noch kein klassizistisches Formbewusstsein ausgebildet hat. Dennoch haben diese impressionistischen Streifzüge eines renitenten Flaneurs ihre schöne Rauheit bewahrt.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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