Heinrich Heines Gedicht „Zu fragmentarisch ist Welt und Leben!…“

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HEINRICH HEINE

Zu fragmentarisch ist Welt und Leben!
Ich will mich zum deutschen Professor begeben,
Der weiß das Leben zusammenzusetzen,
Und er macht ein verständlich System daraus;
Mit seinen Nachtmützen und Schlafrockfetzen
Stopft er die Lücken des Weltenbaus.

1824/25

 

Konnotation

In sechs Verszeilen ist hier die Kritik am biedermännischen Akademismus der deutschen Gelehrtenwelt prägnant zusammengefasst. Der passionierte Spötter Heinrich Heine (1797–1856) hat 1824/25 einige Gedichte geschrieben, die sich über den Gegensatz zwischen dem Erkenntnisanspruch und der tristen Alltagsrealität deutscher Universitätsprofessoren mokieren. Nur in der Theorie ist der Systemdenker kühn, in der Alltagspraxis bleibt er Pantoffelheld.
In dem aktivistisch gesinnten Meisterdenker Karl Marx (1818–1883) hatte Heine einen Bewunderer gefunden, der die scharfsinnige Gesellschaftskritik des Dichters in eine politische Theorie übersetzte. Beide, Heine wie Marx, arbeiteten als „Linkshegelianer“ in durchaus verwandter Weise an einer Überwindung der reaktionären Ordnung. „Deutsche Professoren“ waren aus ihrer Sicht nur naive Idealisten, die mit ihren „Nachtmützen und Schlafrockfetzen“ durch die Wirklichkeit taumelten, anstatt sie revolutionär zu verändern.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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