Jan Wagners Gedicht „grubenpferde“

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JAN WAGNER

grubenpferde

die grubenpferde wurden abgetragen
wie warme fläze. jeder tag nahm schichten
von ihnen fort. in stollen, förderschächten:
die grubenpferde wurden abgetragen.

wenn sie die ohren spitzen, hören sie
die rufe: grubenlampen, die zyklopen,
ihr kohlgeruch. tief in sich selbst das klopfen,
wenn sie die ohren spitzen, hören sie.

ein zuckerwürfel und ein büschel gras;
ein wind auf schwarzer wiese, wo ein hund
die bäume scheuen läßt. die kinderhand,
ein zuckerwürfel. und ein büschel gras.

2008

aus: Jan Wagner: Achtzehn Pasteten. Berlin Verlag, Berlin 2008

 

Konnotation

Auf dem Höhepunkt der Industriellen Revolution in Europa, um 1835, wurden erstmals Pferde als Zugtiere im Steinkohlenbergbau eingesetzt. Ohne jede Rücksicht auf den natürlichen Lebensrhythmus der Tiere wurde ihre Leistungsfähigkeit ausgebeutet, selbst ihre Ställe wurden unter Tage eingerichtet. Ein Gedicht Jan Wagners (geb. 1971), des wohl formstrengsten Dichters der jüngeren Lyriker-Generation, erinnert an die schlimm traktierten „grubenpferde“. Es bedient sich einer Art Rondo-Struktur.
Die erste Strophe des nach 2004 entstandenen Gedichts markiert in bitterer Lakonie den Zustand der „grubenpferde“ in der Epoche des Hochkapitalismus, der sie als auszubeutender Naturstoff instrumentalisiert. Die zweite Strophe nimmt die Perspektive der Kreatur selbst ein, vergegenwärtigt den Alltag in der Zeche. Schließlich folgt eine weitere Wendung hin zu einem unversehrten Kindheits-Augenblick. Hier wird die gewaltlose Beziehung zwischen Mensch und Tier evoziert – der schroffe Gegensatz zum kapitalistischen Verwertungsinteresse.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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