Rolf Bosserts Gedicht „Heimweg“

ROLF BOSSERT

Heimweg

Der Mond das kalte Bügeleisen
verläßt den Himmel um halb sieben.
Die Arabesken sind geblieben
da unterm Haar. Schon will ich reisen.
Doch steht die Stadt auf meinen Sohlen,
nichts ist verkehrt, ich atme Glas.
Ein Apfel aus Beton im Gras.
Der Teufel will die Zunge holen.

Im Stellungskrieg verschanzt die Augen:
Sie sind ein scheues, teures Wild.
Ich tret hinaus aus meinem Bild,
laß mich vom Fluß hinuntersaugen.

1983

aus: Rolf Bossert: Ich steh auf den Treppen des Winds. Gesammelte Gedichte 1972–1985. Hrsg. v. Gerhardt Csejka. Schöffling & Co.. Frankfurt a.M. 2006

 

Konnotation

Dieses Gedicht des rumäniendeutschen Dichters Rolf Bossert (1952–1986) entstand im Juni 1983, zwei Jahre nach dem Schockerlebnis, das diesem Autor die letzten Illusionen über den Charakter des autoritären rumänischen Sozialismus unter Nikolae Ceauşescu geraubt hatte. Beim Verlassen eines Lokals war Bossert im Frühjahr 1981 von Mitarbeitern des rumänischen Geheimdienstes krankenhausreif geschlagen worden. Seither dominierte in seiner Dichtung eine Motivik der Kälte und der Gewalt.
Es liegt eine Atmosphäre der Bedrohung über diesem Großstadtgedicht. Der Mond hat die romantische Aura verloren, die Natur ist feindselig, die darin agierenden Menschen wähnen sich im „Stellungskrieg“. In dieser universellen Erstarrung gibt es keinerlei Bewegungsfreiheit mehr, ehedem verheißungsvolle Naturzeichen („ein Apfel“) sind nur noch leblose Objekte.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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