WOLFGANG WEYRAUCH
Ich bin ein A
Atmend
nicht atmend
anfangend
aufhörend
bin ich ein A
anzündend
bin ich ein A
abhauend
auswandernd
mich aus dem Staub machend
abkratzend
bin ich ein A
anzündend
bin ich ein A
mich anzündend
bin ich ein A
1963
aus: Wolfgang Weyrauch: Die Spur. Neue Gedichte. Walter Verlag, Ollen 1963
Der Dichter als Alpha-Tier und Schöpfer des Anfangs: In solch wortspielerischer Aktivisten-Pose hat sich der umtriebige Lyriker und Literaturvermittler Wolfgang Weyrauch (1904–1980) gerne präsentiert. Kaum ein Schriftsteller der Nachkriegszeit hat so viel für die Entdeckung und Förderung moderner deutscher Dichtung getan wie eben Weyrauch. In seinen intensivsten Gedichten gelingt es ihm, alle Manifest-Programmatik (mit der er in die Lesebücher einging) hinter sich zu lassen und aus den phonetischen und semantischen Qualitäten der Wörter heraus seine Gedichte zu entwickeln.
Das Atmen und das Verebben des Atems, das „Anzünden“ von Energie und das „Abkratzen“, also: alle Aspekte von dynamischer Lebenspraxis und von Werden und Vergehen sind in den aus dem Buchstaben „A“ gebildeten Verben gleichzeitig enthalten. In Weyrauchs Gedichtband Die Spur (1963), der eine Reihe experimenteller und minimalistischer Gedichte enthält, findet sich neben der auto-poietischen Selbstdarstellung als „A“ (deren erster Teil hier dokumentiert ist) auch eine motivverwandte „Anbetung des A“.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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