Uwe Kolbe: Psalmen

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Uwe Kolbe: Psalmen

Kolbe-Psalmen

LOGOS

Das muss ein schönes Wesen werden, großer Gott,
ein schöner Sohn Gottes.
Das muss ein schöner Gedanke werden, kühles Grau,
ein schöner Schlingel im Hirn.
Das muss eine schöne Verbeugung werden, im
aaaaaVoraus,
noch schöner im Nachhinein.

 

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Zum Geleit

Hier sind meine Psalmen, Lieder nach alter Art, Gebete, hier kommen sie, die sind es, die habe ich gemacht.
Aber es sind keine Lieder geworden – singe, so singe sie doch –, wohl auch nicht recht Gebete.
Sind meine Psalmen, Ansprache dessen, der Gott traf, an ihn, an Gott in seinen tausend Gewändern.
Nach seiner irdischen Liebe, am Ende des Lasters sprach der Ketzer weiter.
Noch aus dem Feuer der irdischen Liebe, noch aus der Lust, noch aus dem großen Schmerz.
Aber das sind nicht Psalmen, die auf einen Himmel ausgehen, das sind Gedichte, Fragen und auch manches Flehen, darin ist am Ende doch wieder der ganze Eifer.
Unter meinen sind keine von der sicheren Seite gesprochen, das unterscheidet sie deutlich von den meisten Psalmen, die in der Schrift gesammelt sind. Die strotzen noch in größter Pein von Gottvertrauen.
Ich habe nur keinen anderen gefunden, als sich der Name der irdischen Liebe erschöpfte. Es gab keinen Ersatz dafür auf Erden. Ich sagte Gott. Und als ich ihn ansprach, verweigerte er sich nicht. Aus verlorener Nähe der Liebe wurde Nähe zu Gott unmittelbar. Das ist der Gedanke. Nimm den einmal so.
Dies sind Psalmen eines Heiden, der Gott verpasste, weil keiner bei dem Kinde ging, der sagte, hörst du die Stimme?
Ich lernte zu schwimmen in Seen, kletterte auf Bäume und blieb so lange wie möglich oben, weit weg von allem. Irgendwann schrieb ich Gedichte. Und all das Schweigen in dem, was ich schrieb, das darin Verschwiegene, das allerdings immer damit Gesagte – glaube es oder glaube es nicht – galt von Anfang an dem größeren Gegenüber. Davon schwieg ich aber, das ließ ich zwischen den Zeilen der Gedichte stehen als den poetischen Raum. So nannte ich das vielleicht, so ließ ich es mir einreden. Mehr wusste ich, sagte ich nicht davon, im Gegenteil. Ich verriet die Poesie an die banale Zeit, an die Stadt, an Götzen, an jede Menge lachhafter Figuren. Hier und da verdarb die Schönheit daran, der doch die Arbeit galt, wurde nicht Form, was Form sein muss, weil es sonst nichts ist. Keiner schaute auf sie, keiner fragte nach der Schönheit. Die Liebe, die Hand fasste ins Leere. Ich sah es bald und sagte es hier und da sogar, machte es aber nicht deutlich, Verräter, der ich war.
So sind diese hier genau genommen Ketzer-Psalmen. Weil ich den Kinderglauben verraten habe, der zum Gespött wird in den Straßen der Stadt, der immer und überall verlacht wird, der Glaube des Kindes. Während er doch besteht und groß ist und die Dummheit und die Dreistigkeit überlebt und die Bedrohung durch Nichtigkeit.
Nur, der damals die Gedichte schrieb, stand nicht dazu, wenn auch… zwischen den Zeilen oder, doch, in dem nicht zu Sagenden, darin, wodurch Gedicht Gedicht wird, auch bei ihm, woher jedes Gedicht seinen Auftrag nimmt und, gelingt es, ausführt, auch bei ihm, ohne zu fragen, angenommen hat, worum es in dem Gedicht, einem jeden, unabweisbar geht, das heißt auch in seinem allemal ging, vielleicht doch? Zu Zeiten walzte er bewusst darüber weg. Was für ein Bewusstsein soll das gewesen sein? Des Verrats.
Nun, der Ketzer der Liebe spricht. Jedes Gedicht ein Psalm, jeder Psalm ein Gedicht.

Uwe Kolbe, Vorwort

 

Psalmen sind Gebete und Lieder –

poetische Zwiesprache mit Gott. Uwe Kolbe taucht in seinem neuen Buch in die große Tradition der biblischen Psalmen ein und zieht dabei alle sprachlichen Register: vom Profanen bis zum Erhabenen, vom flotten Gesang bis zum Stottern, vom tiefen Ernst bis zum Spiel mit Klängen und Formen. Immer geht es dabei um das Leben im Hier und Jetzt in seiner ganzen Fülle: um die Liebe und die Schönheit der Natur, um den Zauber der Kunst, aber auch um Leere, Einsamkeit und Tod. Kein Vers ist hier von der sicheren Seite gesprochen. Das unterscheidet Kolbes Gedichte von dem Gottvertrauen der alten Psalmisten und macht sie für uns heute so lebendig und nah.

S. Fischer Verlag, Ankündigung

 

Aus der tonlosen Zeit

– Uwe Kolbe singt „Psalmen eines Heiden, der Gott verpasste“. Sein Buch verweist auf eine lange Tradition innerhalb der klassischen Moderne. Es geht um das Ganze der menschlichen Existenz, um Bitte, Dank, Klage, Lob. –

Ein zeitgenössischer Dichter veröffentlicht ein Buch mit Psalmen. Ist das ein Skandal oder ein Wunder? Im Fall von Uwe Kolbe ist es schlicht eine gute Nachricht. Sein Buch verweist auf eine lange Tradition innerhalb der klassischen Moderne. Viele bedeutende Lyriker des  20. Jahrhunderts haben Psalmen geschrieben oder sich vom biblischen Psalter anregen lassen. Man denke an Bertolt Brecht, Georg Trakl, Paul Celan, Nelly Sachs oder Peter Huchel. Einige haben nicht nur einzelne Psalmen, sondern ganze Psalter verfasst wie zum Beispiel SAID (oder, wenn auch weniger überzeugend, weil zu sehr in den eigenen Lebensschmerz verliebt: der junge Thomas Bernhard). Auch Arnold Stadlers Psalmenübersetzungen wären zu nennen, stellen sie doch ein eigenständiges lyrisches Werk  dar.
Uwe Kolbe ist ein belesener Lyriker, dessen Verse tiefe Wurzeln haben. Vor Kurzem hat er in einem Interview einige von ihnen aufgezählt:

Wo meine Sprache wurzelt… in der Mutterzunge mit Dialekt, verballhornter Grammatik, drolligen Fehlern im Wortschwall einerseits und andererseits bei einer Internationale von Ägyptern, Griechen, Lateinern, Renaissance-Italienern und Angelsachsen, den Dichtern der französischen und mittelhochdeutschen Versepen, Bibelübersetzern und all denen, die ihnen bis heute nachfolgen.

Die Bibel war für ihn also immer schon mit dabei, jetzt macht er sie direkt zum Thema. Das ist ebenso ein Zeichen für Traditionsbewusstsein wie ein unerschrockener Akt der Freiheit. Offenkundig hat Kolbe keine Angst davor, von Kirchen vereinnahmt oder im Kulturmilieu verachtet zu werden. Er kennt nicht die schon von W.H. Auden verspottete „Prüderie der Gebildeten, für die theologische Begriffe weitaus schockierender sind als jedes  Schimpfwort“.
Was aber zeichnet Psalmen eigentlich aus – und was macht Kolbe daraus? Die biblischen Psalmen versuchen in vier Formen, das Ganze des menschlichen Lebens vor Gott auszusprechen: Bitte, Dank, Klage, Lob. Dazu bedienen sie sich starker Sprachbilder und einer eigentümlichen Technik der Wiederholung. Beides zusammen erzeugt einen Sog, der auch Jahrhunderte später noch Leser mitten in das ,Ich‘ oder ,Wir‘ dieser archaischen Verse hineinziehen kann. Kolbes Verse gehen ebenfalls aufs Ganze der menschlichen Existenz und deshalb über sie hinaus. Allerdings ahmt Kolbe die biblischen Worte und Bilder nicht nach. Er macht es eher wie ein Jazzmusiker: Er verwandelt traditionelle Standards in heutige Musik, nimmt die alten Melodien und Themen auf, vertraut ihrer Lebendigkeit, gibt ihn aber einen neuen Rhythmus, verwebt sie mit zeitgenössischen Tönen, spielt sie auf modernen Instrumenten. So singt Kolbe in seinen Psalmen von Morgen und Abend, Angst und Vertrauen, Sorgen und Gewissenszweifeln, von „Abgrund und Glück“ – mal im hohen Ton, mal schnodderig, mal erstaunlich nah am Original, dann wieder auf ungewohnten Fährten, verzweifelt oder beglückt oder  gelassen.
Kolbe unterscheidet von den Psalmisten des Alten Testaments natürlich, dass er keine unbefragte Gottesgewissheit vorweisen kann. Was er vorlegt, sind „Psalmen eines Heiden, der Gott verpasste“, wie er in der Einleitung schreibt, „Lieder nach alter Art“, Gebete vielleicht oder auch nicht, jedenfalls „keine von der sicheren Seite gesprochenen“. Und trotzdem spricht er zu ,Gott‘, als könnte er gar nicht anders. Zum Beispiel in dem – wenn das hässliche Wort gestattet ist – programmatischsten Gedicht, einem „Psalm nach der tonlosen Zeit“:

Ein Lied ohne Gott ist tonlos,
es langweilt sich bei sich selbst,
und seine Sänger schlafen ein.
Dem Lied ohne Gott fehlt Gott,
das geistlose hat keinen Geist.
Mein eigenes Schwadronieren,
gottloses Wort, das ich sagte,
betrog all jene, die hörten.
Ich fand mich wohl toll
in meiner schwarzen Weste,
den Fleck meiner Sehnsucht,
von der mein Gesang ging,
ein sprachloses Sprechen,
ein Fragen von Anfang hohl.
Das Lied ohne dich ist tonlos,
Herr, dies ist mein  Psalm.

,Gott‘ ist für diesen Dichter von Interesse, aber in einem tieferen Sinn – nicht als geborgter Intensitätsverstärker, auch nicht als Requisit eines antimodernen Chic. Er benutzt dieses Wort nicht, erhebt auch keine Besitzrechte darauf. Dafür ist es ihm zu fraglich, aber auch zu wertvoll:

Ich hoffe nicht, glaube nicht, rufe nur deinen Namen.

Im schon erwähnten Interview spricht Kolbe davon, wie lang dieses Wort ihn schon begleitet, ohne dass er es sich wirklich zu eigen hätte machen können:

Als Gegenüber hat mein Gedicht ja immer wieder auch Gott, aktuell ausdrücklich in den ,Psalmen‘. Nur ist dessen Resonanz so langwellig, man müsste ein Ozean oder ein Planet sein, um sie zu  fühlen.

„Langwelligkeit“ – damit könnte man auch die Qualität von Kolbes Psalmen beschreiben. Es sind Gedichte, die sich viel Zeit nehmen, die in seltener Ernsthaftigkeit ihrer Sache auf den Grund gehen, dabei aber frei bleiben, ihr künstlerisches Spiel trieben, sich nicht festzurren lassen und deshalb lange Wellen schlagen. Dichten kann auch heißen, mit Worten zu schweigen, um so einen weiten Raum zu eröffnen, in dem eigentlich Unsagbares zu Wort kommen  kann.
Das klingt aufregend, anregend, aber auch sehr anspruchsvoll. Und doch enthält dieses Buch viele überraschend einfache und schöne Gedichte wie zum Beispiel diesen Morgenpsalm:

Wo fange ich an,
wohin mit den Augen,
den Blick aufzuheben

 

zu deinem Morgen
zu nehmen den Weg,
wo führt er mich hin,

 

hinaus aus der Irre?
Noch singe ich nicht,
ein Stammler der Liebe,

 

ich bitte dich, lasse
mich sehen den Weg
und singen dein  Lied.

Johann Hinrich Claussen, Süddeutsche Zeitung, 23.10.2017

Uwe Kolbe tastet nach einem Leben – mit Gott

Es ist in diesen Gedichten, als werde eine Wand, lange genug angeschaut, plötzlich durchsichtig. Es ist, als dankten auf den unentwegten Redeflüssen von Welt und Wichtigkeit alle Schaumkronen ab. Es ist, als feiere ein Dichter eine ersehnte Erfahrung: Man kann sich wärmen lassen vom Unabsehbaren; man kann die Dinge wahrlich so sanft be-herzigen, dass die Schrittmacher brotlos werden. Psalmen heißt der neue Gedichtband von Uwe Kolbe, die Verse sind ein Gespräch mit biblischen Liedern und Gebeten. Sind Aufkündigung. So heißt es in „Der 119. Psalm“:

Abend wird, und gestellt sind die Fragen,
Antworten, schwarz, halte ich, Gesetze

Ewig das Ungelungene, Herr, ich halt mich zum
End meiner Tage eng an dein weißes Gebot.

Gott? Hier berührt ein Dichter etwas bislang von ihm Verdrängtes, Versäumtes, Verwischtes. Nachwehen einer Herkunft? Linkenpolitiker Gregor Gysi hat in einem Interview die „Entkirchlichung“ in der DDR als den „beklagenswerten Austrieb eines entscheidenden ethischen, moralischen, geistigen Regulativs“ bezeichnet. Denn keine Politik, kein Parteikonzept, keine „areligiöse Weltsicht“ könne ethische Maßstäbe so transportieren, erwecken, festigen, wie es „in Glaubensnähe möglich“ sei.
Kolbe, 1957 in der DDR geboren, sagt das ebenfalls, er gibt uns nun sein korrigierendes Buch und schreibt im Geleit:

Das sind Psalmen eines Heiden, der Gott verpasste, weil keiner bei dem Kinde ging, der sagte, hörst du die Stimme?

Das Rückbesinnen aber bringt eine Ahnung:

All das Schweigen in dem, was ich schrieb, galt von Anfang an dem größeren Gegenüber.

So sind diese Gedichte ein nachholendes, aufholendes Tasten. Wer sich Gott schafft, reagiert auf eine Not. Wer Gott also nicht benötigt, ist der darum weniger in Not? Wohl kaum.
Der Dichtende bilanziert sich und sein bisheriges Werk radikal:

Das Lied ohne Gott ist tonlos,
es langweilt sich bei sich selbst.

Nicht dass Kolbe nunmehr zur Kirche dränge, aber der Gesprächsversuch mit ihm, den er „Herr“ nennt, wirkt so innig, weil Psalm und Gebet nah der Poesie siedeln: mutigste Artistik – beschäftigt mit der Illusion des Aufschwungs, und das ohne Netz. Gott ist in diesen Versen der Angerufene wider jede Schändung durch Herrschaft. Die selbst in jeder Liebe steckt. Aber der Autor bleibt nicht wunschlos versonnen und versunken, „das sind nicht Psalmen, die auf einen Himmel ausgehen, das sind Gedichte, Fragen und auch manches Flehen“.
Flehen – das heißt in diesen Texten über Feuer und Eisvogel, Wort und Schlaf, Rache und Opfer, Staub und das Nährende:

… dass ich noch alle Nacht
suche und lausche auf Stimmen und frage,
ob ich dich finde, der ich dir angehöre,
leise hinaus in die Irre, stille, dann stumm.

Also: nicht meinen, man habe etwas von Höherem begriffen, nur weil man forsch und leichtfertig einen religiösen Ruf aufnimmt: Fürchtet euch nicht! Doch, fürchtet euch. Fürchte – dich. Deine Verstiegenheit; deinen Begreifenseifer; dein Einverständnis damit, ein Erziehungsprodukt zu sein von Angebotswirtschaft und Emanzipation. „Ich spielte das Leben / mit Masken und blieb so wie neu“, schreibt Kolbe. Solche Praxis mag alltägliche Ängste vertreiben, die existenzielle Fürchtigkeit hoffentlich nicht.

Gottes Verzeihen, wir leben in Furcht daraufhin.

Gut so, denn im Grunde setzt sich in allem, was wir tun oder lassen, so viel vergiftend Unverzeihliches ab.
Sehend werden, das heißt für Kolbe: empfindlich bleiben. Man muss schon etwas von sich selber hinzutun, wenn die Dinge einem nah sein sollen. Dir bietet kein Baum Schutz, du musst ihn suchen. Alles, was erfreuen kann, steht kühl und spröd vor uns, will nichts von uns, ist uns nicht zugehörig. Der Schritt auf die Welt zu – erst dies ist jener tägliche Mut, der einen Sinn eröffnen kann. Und Schönheit. Und Schmerz.

Hans-Dieter Schütt, neues deutschland, 21.12.2017

Kopfüber in eine unheile Welt

Große Bange
Im bereits reichen Werk des Berliner Schriftstellers Uwe Kolbe ist dieser Band sein bisher ungewöhnlichster. Im Vorwort erklärt der Autor, „jedes Gedicht ist ein Psalm, jeder Psalm ist ein Gedicht“. Und er versammle hier die „Psalmen eines Heiden, der Gott verpasste“, der jedoch zu Gott sprach:

Und als ich ihn ansprach, verweigerte er sich nicht.

Daraus sind allerdings keine frommen Lieder geworden, sondern Such-Bilder unter „stürzenden Himmeln“ von einem, der „im Gestöber der Jahre, / lebte in falschen Bildern, einwärts gebogen“. Texte von einem „Stammler der Liebe“. Anders lässt sich ohnehin nicht dichten, weder von Gott noch von der Welt:

Ich hab so eine große Bange
ich krieg sie nicht klein.

Aber er findet hier zu Worten in erstaunlich verschiedenen Formen, die diesem Suchen und dieser Bangigkeit Gestalt und Gesicht verleihen. Ungemein offene, geradezu umstürzlerisch ehrliche Verse:

Ich fasse nicht, was mich fasst.

Dirk Pilz, Frankfurter Rundschau, 13.1.2018

„Psalmen eines Heiden, der Gott verpasste“

– Beileibe kein kirchlicher Autor. Und dennoch eine Fortschreibung der  Urgattung biblischer Poesie – Uwe Kolbes neuer Gedichtband.

Aufgewachsen in einem „gottlosen Haushalt in Ostberlin“, entdeckte der 1957 geborene Lyriker Uwe Kolbe die Bibel erst als Erwachsener: auf völlig eigenen Wegen, die sehr stark mit der bildenden Kunst zu tun hatten, etwa mit Bildern von Rubens, Caravaggio oder Matthias Grünewald:

Da habe ich dann die Geschichten in der Bibel  nachgelesen.

In der DDR bespitzelt und gegängelt, früh von Franz Fühmann gefördert, erhält er von 1982 bis 1985 Publikationsverbot. 1988 übersiedelt Kolbe nach Hamburg, wo er – nach Aufenthalten in Tübingen, Berlin und den USA – heute wieder lebt.

Gott kennt mich nicht. Ich wage die Ansprache dennoch

So spricht  der 60jährige Schriftsteller über seine jüngst erschienenen Psalmen im  Interview  für das literarische Online-Magazin des S. Fischer Verlags.

Mit Psalm 6: „meine Seele ist sehr erschrocken“ noch jetzt, wenn ich das Büchlein in die Hand nehme und sehe, womit ich mich der Öffentlichkeit stelle.

„Hier sind meine Psalmen, Lieder nach alter Art, Gebete […] Sind meine Psalmen, Ansprache dessen, der Gott traf, an ihn, an Gott in seinen tausend Gewändern […] das sind Gedichte, Fragen und auch manches Flehen“, notiert der Autor, der seit vielen Jahren einer der wichtigsten deutschsprachigen Lyriker ist, zum Geleit:

Dies sind Psalmen eines Heiden, der Gott verpasste, weil keiner bei dem Kinde ging, der sagte, hörst du die Stimme?

Kolbes Psalmen sind, so der Literaturkritiker  Jörg Magenau, „Versuche, aus der säkularen Welt heraus wieder Anschluss zu finden an eine religiöse Haltung“. Kaum zufällig greifen seine Gedichte die Sprachform auf, die ‚von Haus aus‘ ein transzendentes Gegenüber anredet und so das ständig um sich selber kreisende Ich übersteigt. Eindrücklich veranschaulicht dies ein Text wie „Die Gnaden“:

Den Hoffenden führst du
unter den offenen Himmel,
den Sehnenden stellst du
vor die Weite der See,
und dem, der verloren war,
gibst du dein Wort.

„Man merkt natürlich schnell, dass meine Psalmen nicht so sind wie die beispielsweise von Brecht oder von Volker Braun. Meine Psalmen sind schon näher dran an der Ansprache an Gott, wie sie in den Original-Psalmen selbstverständlich ist“, gestand der letztjährige Dresdner Stadtschreiber im  Gespräch mit Tomas Gärtner.

Im Naturerlebnis mache ich die Erfahrung, nicht des Christengottes, sondern von etwas Grösserem, einer Transzendenz. Da sehe ich, dass ich ganz klein in einer sehr grossen Welt stehe. Diese Ahnung von etwas Grösserem ist kulturstiftend. Unser Sprechen, das mit Poesie zu tun hat, kommt da her. Dass wir nicht verstehen, was da ist. Wir sprechen, um den Versuch zu machen, es zu verstehen.

Gegenüber  Klaus-Martin Bresgott  betont Kolbe auf der Kulturkirchen-Website der EKD: seine Psalmen hielten „unmissverständlich Zwiesprache mit Gott. Ich werde diesem Gott nur nicht die Maske einer bestimmten Konfession vor das Gesicht hängen.“

„All das Schweigen in dem, was ich schrieb“, erläutert Kolbe im Geleitwort zu seinen Psalmen, „galt von Anfang an dem größeren Gegenüber. Davon schwieg ich aber, das ließ ich zwischen den Zeilen der Gedichte stehen als den poetischen Raum.“ Selbstkritisch setzt er hinzu:

Ich verriet die Poesie an die banale Zeit […] an Götzen, an jede Menge lachhafter Figuren.

Seine 43 Psalmtexte dokumentieren ein Stück Aufarbeitung der eigenen Lebensgeschichte, wie sie bereits Uwe Kolbes Vater-Sohn-Roman Die Lüge (2014) und vor allem seine Abrechnung mit Bertolt Brecht unternahm, von dessen „Rollenmodell eines Dichters“ (2016) er sich deutlich distanziert.

Der selbstverständlich in der Mehrheitsgesellschaft vorausgesetzte Atheismus ödet mich an. Er schleppt die Fahne der Aufklärung mit sich, aber die ist vom leeren Herumzeigen leider  entfärbt.

Einen (selbst-)kritisch-postsäkularen Blick auf den bornierten wie banalen Säkularismus wirft programmatisch Kolbes „Psalm nach der tonlosen Zeit“:

Das Lied ohne Gott ist tonlos,
es langweilt sich bei sich selbst,
und seine Sänger schlafen ein.
Dem Lied ohne Gott fehlt Gott,
das geistlose hat keinen Geist.
Mein eigenes Schwadronieren,
gottloses Wort, das ich sagte,
betrog all jene, die hörten.
Ich fand mich wohl toll
in meiner schwarzen Weste,
den Fleck der Sehnsucht,
von der mein Gesang ging,
ein sprachloses Sprechen,
ein Fragen, von Anfang an hohl.
Das Lied ohne dich ist tonlos,
Herr, dies ist mein Psalm.

Gefragt, was ihn als Lyriker am meisten an den biblischen Psalmen fasziniere, antwortete Uwe Kolbe dem Basler Germanisten  Sascha Michel:

Dass sie für Gläubige wie für Ungläubige sprechen. Dass ihre Grundlage eine Weise zu danken ist, die in der deutschsprachigen Tradition neben frommen Übersetzern nur Hölderlin versteht. Dass sie zu Zeitgenossen sprachen, wie sie das zu uns heute tun, nicht aus der Beengung einer bestimmten Konfession, eine Vorstellung von der Gottheit heraus, sondern aus Dankbarkeit für und auch Klage über die Anwesenheit auf Erden.

Eingehend hat sich Kolbe mit den Psalmenübertragungen Luthers, Zwinglis und Buber-Rosenzweigs beschäftigt. Nicht von ungefähr wirkte die Bibel nicht nur durch ihre Stoffe, sondern mehr noch durch ihre Sprachformen und Sprechhaltungen. Dabei entfaltete keine andere biblische Sprachgattung in der Literatur der klassischen Moderne bis zur Gegenwart eine stärkere literarische Wirkung als die Psalmen.

Eigensinnig schreibt sich Uwe Kolbe in diese breite ausserkirchliche Rezeption der Heiligen Schrift ein. Etwa mit „Vom Überschuss. Ein Sylter Psalm“:

Musik, sie ist der Überschuss, Musik,
darf einer, der auf Durchfahrt ist, das sagen?
Ist’s Klang nur, nur ein Überschuss an Klang,
die ganze Welt erfüllt, wenn weiss die Sonne
so ruhig herschaut übers helle Watt,
so an zwölf Grad empor aus ihrem Bett,
erholt von ihrer unbekannten Nacht?
Der Überschuss, gleichwie, er ist der Grund.

 

Das Leben sonst ist planvoll planes Reden,
und jeder, der davon genug hat und
zu sich kommt und sich selbst zum Klingen bringt,
der fährt, er fährt in seine eigene Welt,
frühauf, und er erkennt sich selbst im wie
von keinem Menschen sonst gehörten Klang
geflügelter Begleiter, Musiker,
die vor dem Wind, der trägt die Stimmen gut.

 

Auch die Vereinzelten, die Heidesänger
Im Rosendickicht links und rechts der Spur,
die machen staunen, die Verführer –
von dem Erstaunen in der Frühe, ach,
wäre so viel zu sagen, von dem Grund,
vom Klang und Sang, nicht Reden, von dem Grund
in Gott, von der Musik der Kreatur.
Dank für den Überschuss, Dank für den Grund.

„Einerseits bin ich sprachlich im Heute, es gibt etwas Modernisierendes, Spracherweiterndes. Andererseits bewahre ich. Ich spreche eben nicht die Sprache des  Marktes“, charakterisiert Kolbe seine Psalmtexte. Sie kennen ganz verschiedene Tonlagen. Die meisten gehen sehr frei mit Motiven und Situationen der biblischen Vorlagen um, manche reagieren direkt auf Lieder und Gebete der Hebräischen Bibel.
So gibt es eine eindringliche Reduktion des 90. Psalms, eine konzise Verheutigung von Psalm 103, eine versgenaue Nachdichtung des 107. Psalms, eine Kontrafaktur auf Psalm 116, vom 119. Psalm den Versuch, den hebräischen Urtext, der mit seinen 22 Strophen dem hebräischen Alphabet folgt, im Deutschen zu imitieren. Kolbes „Variation und Collage zu Psalm 130“, die Luthers liedhafte Nachdichtung einspielt, endet mit einem Zitat aus dem modernen „Psalm“-Gedicht von Paul Celan:

Mag das ein Lied nennen, wer will. Der ist nicht allein, der es kann. Gelobt seist du, Niemand.

Man wird nicht alle lyrischen Texte gleichermaßen gelungen finden. In den stärksten Gedichten des Bandes löst sich Uwe Kolbe von den wirkmächtigen Vorsängern und findet eine eigene Sprache und Form wie z.B. in „Das Näherende“, das Poesie und Poetologie in einem ist:

Herr, deine Lust, dass eins zum anderen passe,
Lust, eine Form der anderen zuzuneigen:
Eichkaters Pfoten zu der Nuss, Schweins Zahn
zur Eichel, Spechts Hammerklang zum Stamm
und alle Worte zu dem Schweigen.

Ein inspirierender Gedanke, christlicher Spiritualität keineswegs fremd: Gottes Lust an seiner Schöpfung findet ein Echo, ja, einen Nachhall in seinen Geschöpfen, paradigmatisch in der schöpferischen Arbeit von Schriftstellern am Wort: „Die Form ist es, die Lust macht, und die Lust ist es, die sich eine Form sucht“, deutet  Hubert Spiegel.

Die Heilsgewissheit, die aus den biblischen Psalmen spricht, ist bei Uwe Kolbe nicht zu finden, wohl aber eine Zuversicht über das eigene Leben hinaus. Dass seine Worte aus dem Nichts kommen, sich ihm anschmiegen und dereinst wieder von ihm verschlungen werden, kann ihn nicht ängstigen. Denn auch auf das Schweigen weiß er sich einen Reim zu machen.

Nicht  Heilsgewissheit, aber Zuversicht über das eigene Leben hinaus

„Wenn Gedichte nicht spirituell sind, sind sie gar nichts. Ein Gespräch zwischen zwei Menschen ist leer, wenn es nicht ernst ist“, verdeutlicht Kolbe im Gespräch mit den Dresdner Neuesten Nachrichten.

Das Spirituelle, Transzendente ist der Ernst zwischen Menschen. Wenn wir einander ins Auge schauen und über etwas Wesentliches reden, dann ist Religion, Konfession egal. Mein Sprechen ist ernst. Eine Herausforderung ist es allemal.

Bei allem tastenden Suchen kennzeichnet Uwe Kolbes Psalmen durchweg der Wille, wesentlich zu sprechen und die unentwegten Redeflüsse zu unterbrechen. Gleich der erste Text „Dein Morgen“ umkreist das für den biblischen Psalter charakteristische Ineinander von Gedicht, Gebet und Lied, um daran wieder anzuschliessen:

Wo fang ich an,
wohin mit den Augen,
den Blick aufzuheben

 

zu deinem Morgen
zu nehmen den Weg,
wo führt er mich hin,

hinaus aus der Irre?
Noch singe ich nicht,
ein Stammler der Liebe,

ich bitte dich, lasse
mich sehen den Weg
und singen dein Lied.

Christoph Gellner, feinschwarz.net, 16.2.2018

Herr, dies ist mein Psalm

– Der Dichter Uwe Kolbe überrascht mit seinem neuen Buch. Es heißt Psalmen. Er sucht darin das Gespräch mit Gott, obwohl er nicht mit ihm aufwachsen durfte. –

Selten wird der normale Literaturbetrieb unterbrochen von der Religion. Selten schleicht sich eine Glaubenssprache in die Bücher, die jedes Frühjahr und jeden Herbst über die Buchmessen gejagt werden. Gelinde gesagt, fremdeln die meisten Gegenwartsautoren mit der Frage nach Gott. Gemeinhin wird sich an das Bonmot Ludwig Wittgensteins gehalten:

Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

Meistens aber dürfte die Wahrheit einfacher sein: Die Gottesfrage hat sich im Leben der meisten Zeitgenossen so weit verflüchtigt, dass es auch keinen Anlass zu geben scheint, sich darauf einen Reim in Form von Lyrik oder Prosa machen zu müssen. Und wenn Gott dennoch einmal zu Buche schlägt, dann steht das schnell unter Ideologieverdacht: Will der Autor den Leser etwa durch die Hintertür der Kunst missionieren, bepredigen oder belehren?
Umso auffallender ist es, wenn es dennoch ein renommierter Gegenwartsschriftsteller wagt, Gott in die Mitte eines Buches zu stellen. So geschehen im letzten Jahr mit Uwe Kolbe. Der 60-jährige Dichter zählt zur Speerspitze deutscher Gegenwartslyrik, hat zahllose Literaturpreise gewonnen und war eigentlich schon angekommen – auf der Höhe seiner Dichtkunst, im Erfolg, im Literaturbetrieb. Doch mit seinem neuen Gedichtband erfindet er sich gewissermaßen noch einmal neu – als moderner Gottesdichter.
Psalmen hat Kolbe sein neues Buch genannt. Und es sind tatsächlich heutige Psalmgebete, die sich – mal mehr, mal weniger – an das biblische Original anlehnen und Sprachversuche im Angesicht des Höchsten sind. Ist Uwe Kolbe plötzlich fromm geworden? Darüber rätseln seit Monaten die deutschen Feuilletons.
Dabei hat Kolbe selbst versucht, diese Frage in seinem Geleitwort zu beantworten – soweit das eben geht. Darin bezeichnet er seine Psalmen als „Ansprache dessen, der Gott traf, an ihn, an Gott in seinen tausend Gewändern.“ Doch es wird schon deutlich, dass es die Gottesannäherung nicht in einer ungebrochenen Weise gibt. Unter seinen Psalmen seien „keine von der sicheren Seite gesprochen“, heißt es. Vielmehr seien es „Psalmen eines Heiden, der Gott verpasste, weil keiner bei dem Kinde ging, der sagte, hörst du die Stimme?“
Kolbe betrachtet sich als ein Nachzügler in Glaubensdingen, vielleicht sogar als ein Zu-Spät-Gekommener. 1957 in Ost-Berlin geboren, gehört er zu jener ersten DDR-Generation, die ideologiebedingt von der christlichen Glaubenstradition abgeschnitten wurde. Doch Kolbe deutet an, dass das Göttliche ihn dennoch früh gepackt hat, er es aber lange verschwiegen habe: „Irgendwann schrieb ich Gedichte. Und all das Schweigen in dem, was ich schrieb, das darin Verschwiegene, das allerdings immer damit Gesagte – glaube es oder glaube es nicht– galt von Anfang an dem größeren Gegenüber“, so Kolbe im Geleitwort. Doch weil er seine Poesie verraten habe „an die banale Zeit“, „an jede Menge lachhafter Figuren“ sieht er sich als ein Verräter.

Die Liebe, die Hand fasste ins Leere.

Seine nun vorgelegten Psalmen seien deshalb „Ketzer-Psalmen“, weil er den Kinderglauben verraten habe. Das klingt nach Reue, nach Bedauern darüber, bislang nicht offener Gott in den Gedichten angesprochen und ausgesprochen zu haben. Es klingt nach der Verleugnung des Petrus. Oder aber einfach nach einem Lebensweg innerhalb der Wirren des letzten halben Jahrhunderts. Nach der jahrzehntelang geformten schmerzhaften Erkenntnis:

Das Lied ohne Gott ist tonlos,
es langweilt sich bei sich selbst.

Doch die Geschichte geht weiter. Uwe Kolbe hat sich aufgemacht, ein heutiger Psalmdichter zu werden.

Das Lied ohne dich ist tonlos,
Herr, dies ist mein Psalm.

Kolbe wird zu einem Autor, der nicht nur nach den Spuren und Bildern Gottes in dieser Welt tastet. Sondern auch zu einem, der die Anrede Gottes wieder wagt, der fleht. „Noch singe ich nicht, / ein Stammler der Liebe, / ich bitte dich, lasse / mich sehen den Weg / und singen dein Lied“, heißt es im „Morgenpsalm“. Jene flehenden Verse sind dabei die stärksten im ganzen Buch:

Lass nur den Weg mich, der noch bleibt,
an deiner Hand zu Ende gehen.

Uwe Kolbe, der versierte und brillante Wortkünstler, bekennt in seinen Psalmen, dass die alten Worte und Formen der Bibel eine bleibende Bedeutung haben. Um wirklich zu Gott zu reden, brauchte er den Anschluss an die Tradition, erläuterte er bei einer Gesprächs-Lesung mit dem EKD-Kulturbeauftragten Johann Hinrich Claussen in der Zeitzeichen-Redaktion in Berlin:

Meine Psalmen sind nah dran an der Geste und Haltung der ursprünglichen Psalmen. Ich brauche die Geste, die Anrede, ich muss „Herr“ sagen, sonst geht das nicht.

Gleichzeitig betet er aber nicht bloß alte Worte nach, sondern trägt sich selbst ein. „Ich gestehe, ich bin in meinen Gedichten anwesend“, bekennt er schmunzelnd. Seine „Psalmen“ seien „Zeugengedichte“.
Doch wie stieß der atheistisch aufgewachsene Kolbe überhaupt auf die verschüttete biblische Tradition? „Ich bin bibelfrei groß geworden und musste mir im Alter von zwölf Jahren erst einmal eine Bibel erwerben“, erinnert er sich. Zunächst wollte er dabei nur die Geschichten hinter den berühmten Gemälden der Kunstgeschichte kennenlernen. Doch dann geriet er in den Sog der biblischen Sprache.

Die Sprache hat mich beeindruckt, hat mich angefasst, aber nur deshalb, weil hinter dieser Sprache etwas war, ein existenzieller Anspruch, etwas, das nicht in Religion aufgeht.

Der Nachhall dieser Wort-Begegnung mit dem Göttlichen fand sich dann auch in seiner eigenen Dichtung – aber eben versteckt, wie er sagt. Mit seinem Psalmen-Buch beugt sich Kolbe nun weit aus dem Fenster und zeigt sich als einer, der am „Tropf der Bibelworte“ (Eva Zeller) hängt. Als einer, der bezeugt, dass Wesentliches fehlt, wenn Gott fehlt. Dass Wesentliches fehlt, wenn der Mensch nicht zu einem Gespräch findet mit etwas, das ihn übersteigt.
Und dennoch lässt sich Kolbe nicht vereinnahmen. Er zeigt sich  – und bleibt ein Einzelner. Er zeigt sein Tasten nach Gott, sein Flehen. Und er verleiht damit Worte – wie es einst die Psalmisten taten. Und wie es wohl die großen Dichter durch die Jahrhunderte alle taten. Deshalb sieht sich Kolbe auch in einer Reihe anderer moderner Psalmisten, wie etwa Georg Trakl, Stefan George, Else Lasker-Schüler, Wolfgang Hilbig, Ezra Pound. Gedichte von diesen Dichtern las Kolbe auch während seiner eigenen Psalmen-Lesung in Berlin. Und er schloss diesen Abend mit den Worten:

Das ist die Hoffnung, dass man zu diesem Chor der einsamen Psalmdichter gehört.

Stefan Seidel, Der Sonntag, 18.3.2018

Uwe Kolbes Psalmen und Improvisationen von Uwe Steinmetz in der Darmstädter Stadtkirche

Der schmale Gedichtband Psalmen, aus dem der Autor Uwe Kolbe in der Stadtkirche vorträgt, gehört zu jenen stillen, gerne übersehenen Werken, die sich mitunter als die bleibenden erweisen. Die Zuhörer, die sich darauf einlassen, erleben an diesem Mittwochabend eine intensive Stunde wirbelnder, musikalisch drängender Sprachkunst, deren Windungen zu folgen, hohe Konzentration erfordert. Die eingestreuten Intermezzi von Uwe Steinmetz an Sopran-, Altsaxofon und Flöte bieten willkommene Atem- und Gedankenpausen.
Uwe Kolbe, 1957 in Ostberlin geboren und 1988 in den Westen übergesiedelt, gilt als einer der bedeutendsten Lyriker seiner Generation. Wie wenige verfügt er mit großer Souveränität über sein Handwerkszeug und bewegt sich bewusst im Hallraum der ganzen lyrischen Tradition des Abendlandes.
Mit den Psalmen knüpft er nun gar an 2000 Jahre alte Texte an – und nimmt es mit den wirkmächtigsten Zeugnissen der Weltliteratur auf. Mal versucht er eng angelehnte Nachdichtungen mit Bezug zu Luther und Buber wie beim 107. Psalm. Mal dient der jeweilige Psalm nur als Inspirationsquelle für Gedichte im Volksliedton. Beim berühmten großen Psalm 119 liefert er eine freie Nachdichtung, bei der wie im hebräischen Original die Zeilenanfänge das ganze Alphabet durchlaufen. Seine Verse sind oft gebunden, aber häufig mit Stolperfallen und Einschüben durchsetzt. Eine Vielzahl von Formen und Redeweisen, Bildern und Brechungen in atemberaubenden Tempo – alles vorgetragen in einem unangestrengten, lässigen Tonfall.
Die „Lieder eines Heiden, der Gott verpasste“ versuchen ganz ernsthaft mit einem alttestamentarischen Gott zu rechten und zu hadern – wie die Alten in den Psalmen. Kolbe borgt sich einen Tonfall und lässt im Sprechakt Wirklichkeit entstehen:

Ich sagte Gott. Und als ich ihn ansprach, verweigerte er sich nicht.

Eine Art nachgeholter Kinderglauben, durchaus existenziell, und doch nie den augenzwinkernden Spaß am Rollenspiel verleugnend, wird hier im lyrischen Sprechen behauptet. Und so wäre es ein großes Missverständnis, die Psalmen des „Sprechknechts“ Uwe Kolbe als Bekehrungsschrift zu lesen – sie widersetzen sich jeder Vereinnahmung.
Leider findet diese Komplexität in der Musik von Uwe Steinmetz zu wenig Entsprechung. Der Saxofonist verfügt gewiss über einen makellos intonierten, runden und warmen klassischen Ton. Mit virtuosen Akkordbrechungen, Modulationen und eingestreuten Blue Notes umspielt er dann aber ausschließlich die Melodien bekannter Kirchenlieder wie „Lobet den Herren“ oder auch mal ein Spiritual wie „Nobody knows“. Offenere Passagen und das Spiel mit dem Raumklang sind eher die Ausnahme. So bleibt der instrumentale Teil des Abends doch bei aller Perfektion etwas brav und vorhersehbar und stellt Kolbes Psalmen in den kirchlich-frommen Kontext, dem sie sich gerade verweigern.

Michael Bossong, Allgemeine Zeitung, 29.9.2017

Damals hätte ich mir mir mehr Aufruhr in der Suppenschüssel gewünscht

– Gespräch mit dem Dresdner Stadtschreiber Uwe Kolbe am 24. Juli 2017 im Landstreicher an der Elbe bei Pieschen. –

(…)

Uwe Kolbe, gefördert von Franz Fühmann, galt als junger Dichter der DDR in Ost und West als Leitfigur der jungen DDR-Literatur. Sein in der DDR-Anthologie Bestandsaufnahme 2 veröffentlichter Text „Kern meines Romans“ enthielt das von der Zensurbehörde der DDR erst nach der Auslieferung des Buches entdeckte Akrostichon mit dem Subtext:

EURE MASSE SIND ELEND. EUREN FORDERUNGEN GENÜGEN SCHLEIMER. EURE EHMALS BLUTIGE FAHNE BLÄHT SICH TRÄGE ZUM BAUCH. EUREM HELDENTUM DEN OPFERN WIDME ICH EINEN ORGASMUS. EUCH MÄCHTIGE GREISE ZERFETZE DIE TÄGLICHE REVOLUTION.

Dieser Vorgang hatte die Bespitzelung Kolbes durch die Stasi und letztlich dessen Ausreise aus der DDR zur Folge. Ina Hartwig (Süddeutsche Zeitung) schreibt über Uwe Kolbes Roman Die Lüge, der diese Vorgänge aufarbeitet:

Es gibt Werke, die literarisch problematisch sein mögen, aber dennoch exemplarisch wirken. Sascha Andersons Autobiografie etwa, deren Ästhetik des Verrats aus Sicht des Verräters Maßstäbe der Skrupellosigkeit gesetzt hat. Im Vergleich damit ist, was Uwe Kolbe aus dem Motiv Verrat formt, geradezu human zu nennen. Denn er handelt die Fehlbarkeit unter psychologisch-biografischen Prämissen ab. Und: Es ist ein Verrat am eigenen Ich. Während der ,echte‘ Verräter, der Stasi-Vater, demonstriert, wie Verrat sich aus Sicht des Überzeugten anfühlen mag, nämlich wie etwas Notwendiges, also letztlich gar nicht wie Verrat. Was, natürlich, wiederum eine Selbst-Lüge ist. Nein, eine Heldengeschichte wird hier nicht erzählt, man hätte es sich fast gedacht. Die Lüge betrifft aber keineswegs nur den Vater, der sich die Observation seines Sohnes schönredet. Sie betrifft alle, die sich beharrlich über ihre Herkunft ausschweigen, als könnte man die eigene Biografie mittels einer höheren Wahrheit überwinden.

Die Erfahrung mit dem Roman Die Lüge hat auch Uwe Kolbes Sicht auf Bertolt Brecht noch einmal neu justiert. Christian Eger (Frankfurter Rundschau) schreibt über Uwe Kolbes umfangreichen Brecht-Essay:

Kolbe, der keine akademische Studie, sondern den Essay eines ,von Brecht Betroffenen‘ liefert, geht erst den Worten, dann den Rollenspielen des politischen Dichters nach. Er zeigt, wie sich Brecht bei der Sprache Luthers und des Volkes bediente, wie er das Einfach-Sagen zur Perfektion trieb, das Ineinander von Ohrwurm-Poesie und Trivialphilosophie. (…) Schon vor seinem 30. Lebensjahr, schreibt Kolbe, habe Brecht die von ihm geformte altneue Dichtersprache den Zwecken der Partei neuen Typs ausgeliefert. Dabei ließ der Autor, der gern im Gestus des kritischen Weisen einherschritt, den eigenen kritischen Verstand zuverlässig vor den Trägern der kommunistischen Doktrin verstummen. Er schwieg bis zuletzt zu den Morden im Zuge des Großen Terrors. Er schwieg zu den Gulag-Opfern unter den Kollegen, deren Tod bis heute als eine Art lässlicher Kollateralschaden der Weltläufte hingenommen wird. Der großen DDR-Kohorte der Brecht-Schüler attestiert Kolbe den Gestus der ,aufbegehrenden Unterwerfung‘, die willkürlich und privatistisch mit Fakten umspringt. Eine scheinrebellische, scheinkritische Haltung.

Axel Helbig: Herr Kolbe, ich würde mit Ihnen gern über drei Ihrer letzten Bücher sprechen – den Essay Brecht. Rollenspiel eines Dichters; den Roman Die Lüge und, etwas voreilig, den in drei Tagen erscheinenden Gedichtband Psalmen; und zwar in dieser Reihenfolge.
Ziemlich zu Beginn des Brecht-Essays wird das Thema umrissen: „eine Rede mit Brecht, anhand von Brecht, über, gegen und für Brecht“ Dieser Halbsatz deutet bereits an, wie kompliziert und vielgestaltig dieses Thema ist. Wie hat sich Ihr Blick auf Brecht in den letzten vierzig Jahren verändert?

(…)

Helbig: Das Motto Ihres neuen Gedichtbandes Psalmen, der in drei Tagen erscheinen wird, lautet:

Hätten wir nur so viel Glauben wie ein Senfkorn, würden wir Berge versetzen, sagt die Heilige Schrift; unsere Handlungen, von der Gottheit begleitet und geführt, wären dann nicht lediglich menschliches Tun, sondern ihnen eignete wie unserm Glauben etwas von den Wundern… (Michel de Montaigne).

Uwe Kolbe: Es war mir ungemein wichtig, nichts zu wählen, was aus der theologisch-konventionellen Tradition kommt. Es ging darum, einen freien Geist zu zitieren.

Helbig: Dem Band ist eine Einführung – „Zum Geleit“ – vorangestellt. Da steht etwa:

Ich sagte Gott. Und als ich ihn ansprach, verweigerte er sich nicht. Aus verlorener Nähe der Liebe wurde Nähe zu Gott unmittelbar.

Das spielt möglicherweise auf einen Anlass an. Gab es einen Anlass für diesen Gedichtband Psalmen?

Kolbe: Einen Anlass in dem Sinne gibt es nicht. Einen Auslöser vielleicht. Ich war einmal von der St. Matthäus Stiftung in Berlin eingeladen, einen Psalm zu dichten. Dieser Text ist im Buch enthalten. Im Band eher ein Fremdkörper – eine Collage zum Psalm 130, zum De-Profundis-Psalm (nach Zwingli: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, ich zu dir.“). Die Collage spielt mit dem lateinischen Text und mehreren Übersetzungen. Jetzt kann man natürlich fragen, gab es für Kolbe ein Damaskus. Ja, aber darüber will ich nicht reden. Nicht in dem Sinne, dass aus einem Heidenkind ein Gläubiger würde im Sinne irgendeiner Konfession. Ich bin konfessionslos und werde es vermutlich auch bleiben. Wer die Psalmen liest, kann das vielleicht spüren. Ich war weit unten. Eine Summe von Erfahrungen, die zu einer Lebenskonsequenz führten. Im Zuge dieses notwendigen und äußerst schmerzhaften Nachdenkens kam ich dazu, machte ich die Erfahrung eines Gebets. Ein Gebet ohne die Routine einer Konfession. Kein Ritual, sondern ein absolut intimes Gespräch. Wer meine Gedichte kennt, weiß, dass dies eine lange Vorgeschichte hat. Auch früher gab es kecke Ansprachen an Gott. An die Engel. Da war teilweise richtig was los. Dieser Kosmos war mir schon bekannt.

Helbig: Und die Götter…

Kolbe: Ja, auch der ganze antike Kosmos. Wenn ich eine Konfession hätte, wäre es vielleicht Hölderlins synkretistische. Mit Jesus und Dionysos als Halbgötter und Geschwister. Solch eine Konfession gibt es aber nicht. Im „Geleit“ versuche ich es auf eine eher poetische Art und Weise zu erklären. Ein befreundeter Professor bezeichnete einmal einen bestimmten Wesenszug des Gedichts als „religoid“. Das ist wie bei einer Flaschenpost, dass man Antwort will. Das Gedicht ist ein Rufen auf etwas Anderes hin. Es gibt auch große Liebespoesie, die Transzendenz bekommt (Petrarcas Laura, Dantes Beatrice). Dann ist da noch etwas, das ich in München, bei einer Veranstaltung im Umkreis des Reformationsjubiläums auch von der Bühne schrie geradezu: Mich stinkt dieser vulgäre Atheismus in dieser Gesellschaft an. Der sich ja gleichzeitig anmaßt, über den Islam Aussagen zu treffen, ob nun gutmenschlich oder nicht. Das ist doch alles total verkehrt und falsch! Der Ernst und der Geist eines Gespräches besteht darin, dass man einander ernst nimmt und dass man offen ist und dass man über wesentliche Dinge redet. Auch ich blödele gern. Darum geht es nicht. Es geht aber darum, dass es in einem öffentlichen Diskurs einen Ernst braucht und keine Worthülsen. Schon mein Gedichtband Gegenreden heißt nicht so, weil ich politische Statements abgeben will, sondern weil ich meinen Ernst gegen das Gelabere setzen möchte. Dieser Ernst ist notwendig. Ich schlage die Zeitung auf, und denke: Warum könnt ihr denn nicht sagen, was ist?! Meine Gedichte sehe ich so auch als einen Aufstand für den Ernst, gegen banale Geschäftigkeit. Dieser Ernst ist aber rar geworden. Ich habe in einer bestimmten für mich wichtigen existentiellen Situation gesagt: Für mich ist das die Anwesenheit Gottes. Eine mir nahe Person sagte mir kürzlich, sie habe ein Problem mit dieser Ansprache „Herr“. Das zieht sich durch den ganzen Band und kommt natürlich von den Psalmen des Alten Testaments her. Ich arbeite nicht konzeptionell, das sage ich immer wieder. Deshalb setzt sich dieser Band Psalmen aus formal sehr verschiedenen Texten zusammen – manchmal sind es Psalm-Bearbeitungen, manchmal sind es kleine Gebete, manchmal sind es Gedichte, die fast gar nichts mit diesem Kanon zu tun haben. Diese Ansprache „Herr“ richtet sich auch an den Zorn, an den zornigen Gott des Alten Testaments, vor dem man sich klein fühlt, mit dem ich aber das Gespräch suche. Dabei mache ich mir kein Bild, ich spreche nicht zu einem „Bärtigen“.

Helbig: Im „Geleit“ wird auch gebeichtet:

Ich verriet die Poesie an die banale Zeit, an die Stadt, an Götzen, an jede Menge lachhafter Figuren. Hier und da verdarb die Schönheit daran, der doch die Arbeit galt, wurde nicht Form, was Form sein muss, weil es sonst nichts ist.

Das ist die Rückschau auf die Summe eines Lebens, wenn einer Tabula rasa macht und mit allem Ernst in dieses Gespräch gehen will. Im Interview mit Karin Großmann (Sächsische Zeitung) haben Sie von der Bereitschaft gesprochen, das Größere dieser Welt zu akzeptieren:

Dass da etwas ist, wusste ich immer. Ich habe es pantheistisch genannt.

Spinozas Pantheismus zielte auf die Allanwesenheit Gottes, die den Menschen und die Natur als Verkörperungen Gottes einschließt. Diese Art Philosophie wurde atheistisch genannt. Der Pantheismusstreit in der deutschen Literatur um 1800 ist ein interessantes Detail dieses bis heute währendes Diskurses. Auch Einstein sprach von „Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart“, er nannte seinen Glauben „kosmische Religiosität“, später dann auch „intellektuelle Gottesliebe“.

Kolbe: Bei mir spielt die Ehrfurcht vor der Natur eine große Rolle. Ich bin früher mehr in der Natur gewesen als jetzt. In der Natur spürt man, dass da etwas ist. Ich war früher sehr fasziniert von Camus’ existentialistischer Weltsicht im „Mythos von Sisyphos“: dass die Welt nackt und leer und grausam ist und gar nichts von uns wissen will. Das war eine Zeit lang mein Weltgefühl. Das ist aber durch einsame Naturerfahrungen ins Wanken geraten. Im Wald fühle ich mich behütet, was immer das ist. Da fühle ich das Größere. Der spirituellste Ort, an dem ich gewesen bin, ist die Klagemauer in Jerusalem. Dort bin ich den unterschiedlichsten Formen des Gebets begegnet, kollektives Gebet, einsames Gebet, jemand, der einfach nur an der Mauer lehnt. Dort gibt es in einem Tunnel eine Bibliothek mit Bibeln in allen Sprachen. Das ist für mich ein magischer Ort, wo ich die innere Verbundenheit der Welt gespürt habe, wo ich an Orwells Vision der Bibliothek von Babel denken musste. Die Dinge mischen sich in mir, verknäulen sich und gehen letztlich auch in mein poetisches Weltbild ein. Die Psalmen in diesem Band bleiben natürlich auf eine Art Gedichte.

Helbig: Im schon erwähnten Interview sehen Sie in dieser Hinwendung auch einen „produktiven Neuansatz für das Gedicht“. Sie sagen auch:

Meine Psalmen sind vielleicht das letzte Ende meiner Liebesgedichte.

Auch der Begriff „Ketzer-Psalmen“ fällt.

Kolbe: Da gibt es ein großartiges Buch, auf das ich verweisen möchte: Denis de Rougemont, Die Liebe und das Abendland. Von dort kommt dieser Ketzer-Begriff. Der historische Ketzer-Begriff hat mit den Katharern zu tun, eine häretische Bewegung im Mittelalter. Denis de Rougemont beschreibt, wie das Konzept der romantischen Liebe geboren wurde aus der religiösen Bewegung der Katharer. Nach deren Zerschlagung ist der Tristan-Mythos entstanden, der durch die Troubadoure verbreitet wurde. Innerhalb dieser häretischen Weisheitsbewegung, einer religiösen Bewegung, hatte es eine extreme Marienverehrung gegeben. Von dort her führt durch die europäische Literaturgeschichte – über Dante und Petrarca sowieso – ein Strom, der die Liebe entrückt, das Gegenüber entrückt. Da bin ich mit meinen Liebesgedichten konsequent in diesem Strom. An die Stelle, an der ich noch eben die geliebte Person anspreche, kann ich auch einfach mal Gott setzen. Siehe da, das Gedicht funktioniert.

Helbig: Glaube, Liebe, Hoffnung.

Kolbe: Glaube, Liebe, Hoffnung. Wunderbar, eine hochinteressante Feststellung. Das ist bei Luther zu finden, und das hat mich schon fasziniert: Wie ist es mit Glaube, Liebe, Hoffnung, welche beiden verschwinden am Jüngsten Tag? Nämlich Glaube und Hoffnung. Glaube und Hoffnung sind am Jüngsten Tag aus der Welt, was bleibt, ist nur noch die Liebe. Der Gedanke ist naheliegend und einleuchtend. Wir brauchen auf nichts mehr zu hoffen, weil wir erlöst sind. Und wir können auch nichts mehr glauben, denn der Glaubensinhalt ist weg.

Helbig: Sie sagen im Interview auch:

Ich will dahin gehen, wo Dante war und vor ihm Vergil und vor diesem Homer und vor dem gewiss auch schon jemand.

All diese Grundschriften – Hesiods Theogonie, Homers Ilias und das Alte Testament sind etwa zeitgleich entstanden und haben unter anderem aus den alten babylonischen Mythen geschöpft.

Kolbe: Manchmal denke ich, das weiß man auch ohne Wissenschaft.

Helbig: Auch die Vielzahl der verwendeten Formen in Ihren „Psalmen“ sind ein Vergnügen für den Leser. Alles Formen, die über die Jahrtausende entwickelt worden sind, um die Geliebte oder den Herrn anzusprechen.

Kolbe: Das Hohelied Salomos.

Helbig: Viele Ihrer Texte sind formale Auseinandersetzungen mit den Psalmen der Bibel.

Kolbe: Manchmal sind es Variationen. Einmal habe ich einen Luther-Psalm einfach nur in eine andere Form (in Distichen) gesetzt. Ich dachte mir, ich nehme die „heidnische“ Form und zeige, dass der Psalm trotzdem funktioniert. Auf die Art ist er plötzlich nicht mehr biblisch, sondern schillert zwischen pagan und christlich. Die Allanwesenheit Gottes ist mir sehr eingängig. Bei den Psalmen bin ich aber doch eher bei dem Gott Moses’, mit dem Jakob die ganze Nacht rang. Diese Anrede „Herr“ ist schon die des Alten Testaments.

Helbig: In Ihren Psalmen gibt es keinen Bezug auf das Neue Testament.

Kolbe: Das ist auch wichtig festzuhalten, damit es keine Missverständnisse gibt.

Helbig: Vom Lyrikkabinett München ist soeben Ihre Rede Dämon und Muse. Temperamente der Poesie herausgegeben worden. Dort sehe ich auch einen Impuls, der im Band Psalmen umgesetzt wurde, und der auch mit Ernsthaftigkeit in der Poesie zu tun hat, nämlich wo Sie sagen, „dass viel zu oft von dem Puls des Menschlichen abgewichen wird und der Puls der globalisierten Information“ sozusagen in das Gedicht hineindrängt und damit das Gedicht verdirbt und etwas anders daraus macht.

Kolbe: Es gibt die großen Lehrgedichte von Lukrez und Vergil. Das ist aber eine andere Gattung. Wir reden ja hier von Lyrik. Lyrik ist eine menschliche Stimme, die mit Menschen redet. Was für mich ganz elementar ist: Ich wünsche mir, dass mit dem und durch das Gedicht jemand anwesend ist, durch dessen Augen und Sprache ich ein Stück Welt für mich gewinnen kann, das ich anders nicht bekäme. Und dann natürlich diese Ernsthaftigkeit. Nichts gegen das Spiel. Meine eigenen Gedichte lieben das Spiel. Ich hab nichts gegen die Naturwissenschaften im Gedicht. Ich fordere ja das Wissen, man soll wissen, worüber man spricht.

Helbig: An einer Stelle sprechen Sie von der berufsmäßigen Verpflichtung des Dichters, sich bei bestimmten Dingen auszukennen – Daten, Vögel, Blumen, Gewächse – im „Auwald“ sollten „die richtigen Bäume stehen“. Wer das nicht weiß, sollte lieber nicht über den Auwald sprechen. Und noch eine Aussage, die mir gefällt:

Das poetische hat eine subversive Potenz.

Das geht über das Spiel hinaus. Da ist das Schockierende mit ins Gedicht genommen.

Kolbe: Ich sag’s immer wieder: Im Malte Laurids Brigge von Rilke steht alles drin, worum es geht. Rilke sagt zum Beispiel:

Gefühle, die hat man. Darum geht es nicht, die hat jeder.

Aber Erfahrung. In den homerischen Epen sind es Menschheitserfahrungen. Es können auch fremde Erfahrungen sein, die ich mir aneigne. Natürlich, als Leser möchte ich Gefühle induziert bekommen, die mit meiner Erfahrung korrespondieren.

Helbig: Deshalb sind Sie auch gegen Verrätselungstaktiken und sehen Gedichte als Klärungsvorgänge, die man mit dem Leser gemeinsam vornimmt?

Kolbe: Das ist das Schönste. Das Wichtigste ist ja tatsächlich die Rezeption.

Helbig: Haben Sie eine Poetologie? Oder entscheidet sich das von Gedicht zu Gedicht?

Kolbe: Poe hat es so gesagt: die erste Zeile gibt die Konvention vor. An der kann sich dann auch der Leser orientieren. Ich würde sagen, dass jedes Gedicht seine eigene Poetologie mitbringt. In der Regel spricht ja auch das Gedicht über sein eigenes Verfahren. Das ist ja auch das Interessante in den Psalmen, das wird oft übersehen. Zum Beispiel der 119. Psalm, aus dem ich ein völlig eigenes Gedicht gemacht habe. Im hebräischen Original beginnen die 22 Zeilen des Psalms alle mit dem gleichen Buchstaben. Das ist das Besondere. Das hat aber niemand nachvollzogen, Luther nicht, Buber/Rosenzweig nicht. Ich habe es einfach mal gemacht. Aber nicht als Übersetzung, da ich das nicht kann. Ich habe bestimmte Schlüsselwörter, die da lauten: Gesetz, Gebot, Zeugnis, Wort, Befehl. Fünf Begriffe, die bei Luther auch immer wieder auftauchen. Diese Begriffe nehme ich und gehe das Alphabet durch. Der Psalm geht bei mir von A bis Z. Ich habe mich drei, vier Jahre in diesem Raum der Psalmen aufgehalten. Es ist interessant, wie Luther über die Psalmen-Übersetzung spricht, wie er verteidigt, wie er gleichzeitig über sein Glaubenskonzept spricht. Luther war der Ansicht, dass der Psalter die ganze Bibel enthalte. Auch von Martin Buber gibt es einen sehr schönen Aufsatz – „Vom Verdeutschen der Schrift“. Für einen Laien wie mich geht da eine Sprachwelt auf. Die Psalmen sind poetologisch, das ist ein ständiges Ringen darum, wie man’s sagen kann. Es ist ein Ringen um den Modus, wie man den Herrn ansprechen kann. Sie zweifeln an sich selbst und an der Möglichkeit, und erzählen trotzdem noch eine Geschichte. Das ist natürlich für einen Dichter faszinierend. Ich versuche, das nachzuvollziehen, mit dem Gegenüber der alttestamentarischen Psalmen. Ich spreche mit Gott – wer oder was immer das ist – indem ich nach einer Sprache suche, die ernsthaft auf die unmittelbar heutigen Dinge der Welt mit meiner Lebenserfahrung antwortet.

Helbig: Ein besseres Schlusswort für unser Gespräch können wir nicht bekommen. Ich danke Ihnen!

Ostragehege, Heft 85, 10.9.2017

Uwe Kolbe über seinen neuen Gedichtband Psalmen

– Der Dichter Uwe Kolbe hat seinem neuen Gedichtband den Titel Psalmen gegeben. Dass ein Lyriker derart deutlich eine Instanz anspricht, die er, dem Alten Testament der Bibel folgend, „Gott“ oder „Herr“ nennt, ist ungewöhnlich in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Tomas Gärtner hat mit ihm darüber gesprochen. –

Tom Gärtner: „Lieder nach alter Art, Gebete“ nennen Sie die Gedichte Ihres neuen Bandes Psalmen. Ist Uwe Kolbe jetzt fromm geworden?

Uwe Kolbe: Das wäre zu kurz gefasst. Man merkt natürlich schnell, dass meine Psalmen nicht so sind wie die beispielsweise von Brecht oder von Volker Braun. Meine Psalmen sind schon näher dran an der Ansprache an Gott, wie sie in den Original-Psalmen selbstverständlich ist. In diesem Sinne sind es keine wirklich weltlichen Psalmen. Ich antworte auf ein Gegenüber, eine Gottheit, auch auf ein Weltganzes und auf etwas, das mit meiner lebenslangen Begegnung mit der Liebe zu tun hat. Es gibt Momente der Liebe und Anbetung, die Gott ebenso betreffen können wie ein menschliches Gegenüber. Ich bekenne mich zu keiner Konfession. Ich gehe nicht ausdrücklich zu Gottesdiensten, aber ich meide sie auch nicht.

Gärtner: In den Psalmen des Alten Testaments spricht ein Mensch zu Gott, bittet, klagt, frohlockt, preist, flucht. Man findet alles – bis zum Hass. Auch in Ihren Psalmen.

Kolbe: Der musikalisch berühmteste Psalm ist ja der 137. „An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten…“, jeder kennt die englische Popversion „By the rivers of Babylon“. Weggelassen wird aber meist, dass am Ende aus Rache für die Gefangenschaft die Erstgeburten der Babylonier gegen die Felsen geschlagen werden sollen. So weit gehen die Psalmen. Sie reichen von der absoluten Kleinheit und Zerstörung des Menschen bis hin zur Rachephantasie des ganzen Volkes. Sie umfassen das Spektrum dessen, mit dem wir als Menschen auch heute zu tun haben, von der individuellen Liebe bis zum Aufstand. Das ist doch großartig.

Gärtner: In der Bibel sind es die Gesänge eines Gottgläubigen. In Ihren Psalmen auch?

Kolbe: Sie lassen das zu. Bei mir kommt die Anrede „Herr“ vor wie in der Bibel. Es ist Gott, derjenige, den man nicht anzweifelt, von dem man sagt: Du hältst die Welt in der Hand. Der ist verlässlich, was immer für ein Bild ich von diesem Gegenüber auf der anderen Seite habe.

Gärtner: Und welches Bild haben Sie von ihm?

Kolbe: Definieren kann ich es nicht. Im Naturerlebnis mache ich die Erfahrung, nicht des Christengottes, sondern von etwas Größerem, einer Transzendenz. Da sehe ich, dass ich ganz klein in einer sehr großen Welt stehe. Diese Ahnung von etwas Größerem ist kulturstiftend. Unser Sprechen, das mit Poesie zu tun hat, kommt da her. Dass wir nicht verstehen, was da ist. Wir sprechen, um den Versuch zu machen, es zu verstehen. In meinen Gedichten gibt es schon lange diesen Sparring-Partner Gott, ironisch zunächst, den ich so etwas angefrotzelt habe, aus meiner lustvoll-heidnischen Position heraus. Aber nun ist es schon ein Bekenntnis zu diesem Gott des Alten Testaments, diesem zornigen Gott, diesem, der das Jakobsopfer gefordert hat, ein brutaler also auch, ein nicht verständlicher. Eher als der diskursive Gott der evangelischen Kirche.

Gärtner: Den gibt es ja auch, den anderen Gott des Neuen Testaments, den liebenden, Mensch gewordenen Christus.

Kolbe: Ich theoretisiere da nicht. Was mir sehr nahe ist, ist die Gottesvorstellung Hölderlins. Die ist synkretistisch. Hölderlin verbindet heidnisches griechisches Altertum mit seiner evangelischen Theologie. Dionysos und Jesus sind für ihn beide Halbgötter, weil sie beide Todeserfahrungen haben. Beide sollten Nachfolger ihres Vaters werden. Ich habe einen Luther-Psalm mit wenigen Strichen umgesetzt in die antike, also heidnische Form der Elegie. Bei allem Ernst, wer Gedichte schreibt, ist auch immer spielerisch unterwegs.

Gärtner: Wann sind die „Psalmen“ in diesem Band entstanden?

Kolbe: In Gegenreden (2015) sind schon zwei Psalmen drin. Der Auslöser war 2013 ein Auftragswerk der Kulturstiftung St. Matthäus der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, eine Collage zum 130. Psalm. Es ist die große Grundsituation, dieses „De profundis“, dieses absolute Unten-Sein, bei Luther heißt es „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“. Wer hat nicht mit knapp 60 wie ich diese Erfahrung des Ganz-Unten gemacht? Wenn man das erlebt hat, muss man akzeptieren, dass da etwas ist, das anders, das größer ist, das ich nicht ganz verstehe, das mich letztlich aber aus dem Loch wieder rausholen kann. Das ist etwas Menschliches. Nach diesem Auftragswerk habe ich dann auch ganz andere Texte geschrieben. Aber die Rückkehr zum Psalm hat mich seither begleitet. Ich hatte die Bibel am Bett. Ich habe unterschieden zwischen weltlichem und nicht ganz so weltlichem Gedicht.

Gärtner: Groß geworden sind Sie, wie Sie einmal gesagt haben, in einer gottlosen Welt. Wann und wie haben Sie Bekanntschaft mit der Bibel gemacht?

Kolbe: Als ich zwölf war, habe ich gemeinsam mit einem Schulfreund beschlossen, die Bibel zu lesen. Wir haben es nicht konsequent gemacht – sie war zu dick. Ich bin auf völlig eigenen Wegen zur Bibel gekommen, die sehr stark mit der bildenden Kunst tun hatten, mit Bildern von Rubens zum Beispiel, Caravaggio oder Matthias Grünewald. Da habe ich dann die Geschichten in der Bibel nachgelesen.

Gärtner: Bereits in dem Band Gegenreden, in dem Gedicht „Pflicht“, werden im Abendland Tempel renoviert, „in die zu beten keiner eintritt“. Bedauern Sie das?

Kolbe: Es ist die Situation eines Steinmetzen, der traurig ist, dass die Kirchen leer bleiben. Die Abläufe besonders in den norddeutschen protestantischen Kirchen kommen mir sehr profan vor, da wird nur noch über die Welt geredet. Dieser Steinmetz aber kennt noch ein altes Lied, er ist Hüter einer alten Tradition, aber er kommt sich vor wie der letzte, der es noch weiß.

Gärtner: Sind Sie auch so ein Steinmetz?

Kolbe: Das ist schon in gewisser Weise ein Selbstporträt. Ich versuche mich allen Maßstäben der abendländischen Tradition zu stellen, und nicht nur denen. In den Psalmen ist eine Ghasele drin, eine orientalische Gedichtform. Einerseits bin ich sprachlich im Heute, es gibt etwas Modernisierendes, Spracherweiterndes. Andererseits bewahre ich. Ich spreche eben nicht die Sprache des Marktes. Ich bewege mich in dieser abendländisch-christlich-jüdisch-pagan-griechischen Tradition. Aus dieser Welt kommt mein Bilderschatz. Ich verbeuge mich erst mal vor dem, was war. Das könnte man auch ein konservatives, kulturbewahrendes Element nennen. Ich bin kein abgehobener Sprachspieler. Ich bin ein Mensch mit allen Sinnen. Dichtung fängt mit diesem „De profundis“ an, dass ich in einer Situation bin, ein Mensch bin, liebe, heirate, Kinder habe, sterben werde. Ich bin eben ein verdammt altmodischer Dichter.

Gärtner: Aber die schönen Kirchen sind leer…

Kolbe: Volle Kirchen sind auch nicht wiederzugewinnen. Die gleichen Leute, die aus diesen Kirchen rausgehen, verteidigen oft eine starke, konservative Religion, den Islam. Das ist irre, wie der Mainstream einer Gesellschaft, welche die Aufklärung vor sich herträgt, jede noch so konservative Form des Islam hinnimmt. Ich bin der Meinung, dass sich hier etwas auszehrt. Nicht dramatisch. Es fehlt eben etwas. Wie wenn es keine Gedichte mehr gibt. Wenn Gedichte nicht spirituell sind, sind sie gar nichts. Ein Gespräch zwischen zwei Menschen ist leer, wenn es nicht ernst ist. Das Spirituelle, Transzendente ist der Ernst zwischen Menschen. Wenn wir einander ins Auge schauen und über etwas Wesentliches reden, dann ist Religion, Konfession egal. Mein Sprechen ist ernst. Eine Herausforderung ist es allemal.

Gärtner: Sind Sie nach einer langen Reise an dem Punkt angekommen, wo Sie „Gott“ sagen können?

Kolbe: Ich bin nicht beim Gebet gelandet und bleibe da. Ich schreibe gleichzeitig auch andere Gedichte. Ich habe eine Menge Liebesgedichte geschrieben, jetzt gehe ich gewissermaßen rückwärts, ich kann die Liebe erweitern auf eine andere Person. Im Hohelied Salomos der Bibel zum Beispiel ist es das geliebte Gegenüber. In solch eine Richtung geht es bei mir auch. Ich setze auf ein Gegenüber. Meine Art, Gedichte zu schreiben, war immer auf ein Du gerichtet. Ob da die geliebte Person ist oder Gott, ist, formal betrachtet, austauschbar. Liebesgedichte sind schön und gut, aber wenn man noch mal über eine Grenze geht, dann ist man einer anderen Gewalt ausgesetzt. Es fasst mich etwas an, was diese Wucht hat. Vielleicht hat das mit der Wucht dessen zu tun, warum ich überhaupt Gedichte schreibe. Zu dieser Erfahrung bekenne ich mich.

Gärtner: Viele Menschen akzeptieren keine transzendente Größe über sich, sondern sehen sich selbst als höchste Instanz.

Kolbe: In dem Moment, wo du dich zu einer höheren Instanz bekennst, Gott sagst, gibst du deine Freiheit auf, wird gesagt. Das ist ein Fehlschluss, ein schlichtes Weltbild. Unter dem Sternenhimmel oder in der Wüste bist du klein. Doch du kannst hingehen, einen Garten pflanzen. Aber das machst du in einer Welt, die du nicht bereitet hast und zu deren Zerstörung du auch kein Recht hast

Dresdner Neueste Nachrichten, 12.9.2017

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Johann Hinrich Claussen: Gedichte mit und ohne Gott
chrismon, 4.8.2017

Dietmar Jacobsen: Lieder nach alter Art
literaturkritik.de, November 2017

Mario Osterland: Eine Privataudienz
fixpoetry.com, 5.102.2017

René Pachmann: Aus den Psalmen eines Heiden
brotundglanz, 9.1.2018

Friedrich Seven: Überzeugend
zeitzeichen.net, Januar 2018

Ein Scharfblick auf Uwe Kolbes Psalmen
Theologisch-pastorales Bildungsinstitut

Georg Magirius: Das Brüllen der Psalmen
magirius-aktuell.de

Sascha Michel: „bei dir, mit dir im Tanz, Gegenwart“. Gespräch mit Uwe Kolbe
fischerverlage.de

 

Uwe Kolbe – Poetikvorlesung: Das vermisste Antlitz am 9.4.2019 an der Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien

 

 

EISVOGELPSALM
für Uwe Kolbe

Ich wollte von dem blauen Vogel schreiben,
der hin und wieder in den Märchen vorkommt,
als Zaubervogel,
Himmelsgabe, als Mirakel,
das uns zuteilgeworden ist,
wie Gesänge aus dem Psalter,
wie die Liebe,
wie ein Dank,
den uns die deutsche Dichtung leuchtend darbringt.

Eisvogel –
sprach ich, und
ließ meinen Blick über die Seen wandern,
lauernd auf ein Wort, wie auf den Schwung der Flügel.

Eisvogel –
ich horchte aufmerksam die Stille ab,
ob nicht ein Name dort erklänge, den man bei uns selten ausspricht.

Unsere Dichtkunst kennt den Adler,
die Nachtigall, die Taube, die Schwalbe und den Spatz, den Raben, den Eichelhäher
und die Blaumeise…
Vom Eisvogel hat keiner je gesungen,
und keiner träumte je davon, sein blaues Licht zu schauen.

Hat meine Sprache sich niemals in dieses Wort verliebt?
Gab sie ihm keine Flügel, schenkte ihm kein Lied, erzog ihn nicht?

So geht das wohl zuweilen mit den Wörtern,
einige haben das Glück gepachtet, andere warten auf ihre Frist,
um wie der Phönix aus dem Nichts zu steigen
und irgendwo an Land zu streifen, und wenn es nur beim Übersetzen ist.

Bela Chekurishvili
Übersetzung Norbert Hummelt

 

Uwe Kolbe und Max Czollek sprechen über Gedichte, die sie in einer bestimmten Zeit besonders geprägt haben.

 

 

Die Zeitschrift Belletristik fragt Uwe Kolbe

Konstantin Ulmer Interview mit Uwe Kolbe und Mach OneDie härteste Gangart am Start, Die Zeit, 18.6.2015

 

Fakten und Vermutungen zum Autor+ Instagram + FacebookKLGIMDb + PIA + Archiv 1 & 2 + IZA + Laudatio
Porträtgalerie: akg-images + Autorenarchiv Isolde OhlbaumAutorenarchiv Susanne SchleyerBrigitte Friedrich Autorenfotosdeutsche FOTOTHEK + Galerie Foto Gezett + IMAGOKeystone-SDA
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der Uwekolbe“.

 

Bild von Juliane Duda mit den Zeichnungen von Klaus Ensikat und den Texten von Fritz J. Raddatz aus seinem Bestiarium der deutschen Literatur. Hier „Kolbe, der“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Uwe Kolbe

 

Uwe Kolbe liest auf dem XX. International Poetry Festival von Medellín 2010.

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„Suppe Lehm Antikes im Pelz tickte o Gott Lotte"

Zephyr

wetz mir die Ritze! rief er; (Zier= Reiz!); Führer zehren vom Verlieren...

Michel Leiris ・Felix Philipp Ingold

– Ein Glossar –

lies Sir Leiris leis

Würfeln Sie später noch einmal!

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