Bertolt Brechts Gedicht „Morgens und abends zu lesen“

BERTOLT BRECHT

Morgens und abends zu lesen

Der, den ich liebe
Hat mir gesagt
Daß er mich braucht.

Darum
Gebe ich auf mich acht
Sehe auf meinen Weg und
Fürchte von jedem Regentropfen
Daß er mich ihm erschlagen könnte.

um 1933/34

aus: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 14: Gedichte 4. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1993

 

Konnotation

Die Jahre nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten verbrachte Bert Brecht (1898–1956), dem die neuen Herren die deutsche Staatsbürgerschaft 1935 aberkannten, zunächst im dänischen Exil. Dort schrieb Brecht neben dem Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti eine Vielzahl von Gedichten. So auch das folgende, das im pädagogischen Gestus einer Fibel oder eines Konversationslexikons vorgetragen wird.
Es entstammt seinen zwischen 1933 und 1938 entstandenen Kinderliedern. Vordergründig scheint das morgens und abends zu lesende Gedicht die Sorge eines Liebhabers zu thematisieren und mit seiner der Geliebten in den Mund gelegten Figurenrede eine Handlungsanweisung zu transportieren. Ob die Schlusspointe den sarkastischen Autor hinter der Figur hervortreten lässt oder auf eine kleine Revolte gegenüber dem Herrschaftsanspruch des Mannes schließen lässt, bleibt offen.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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