LULLABY
was soll die ganze fron
authentisch zu sein zieh
eine line sternenstaub und
klick dir einen klon raub
dir die kopie von meiner
dns und es ist schluss mit
dem stress wir leben im
überfluss schaff dir ein
kühlhaus voller identitäten
here we are now entertain
us wozu die egodiäten
wünsch dir was einen
brutkasten aus chrom ein
kondom mit reissverschluss
und eine lederjacke für jedes
chromosom ein anderer zu
sein ist kein luxus dein ich
zuckt nur im wechselstrom
das ist der big beat und nicht
schon das ende vom lied
kauf dir ein bett in einer
raumstation die androiden
sind ganz adrett das wird
schon drück dir ein beef
aus der tube hol dir ne
blutkonserve und sag zu
ihm was soll der ganze
metamief to be or not to be
wen interessiert das noch
befreit die menschheit
von dem joch wenn du
ein surfbrett hast zeig ich
dir das schwärzeste loch
eine grüne wiese mit schafen
drauf und ein bach in seinem
sanften lauf gänseblümchen wie
auf deinem bildschirmschoner
ein mädchen das sie pflückt
wie lang ist das her vergiss
was dich bedrückt ist nur
das glück simuliert dir ein
zurück fehlen nur noch im
grosshirn die harfen und du
wärst eingeschlafen
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Autokinos
liegen an der Peripherie, wo die Straßen und Geschichten enden, sie sind Grenzstationen, an denen Wirklichkeit und Illusion, Enge und Weite ineinanderfließen. Die Motoren sterben ab, doch die Bilder beginnen zu laufen und verbrennen den Treibstoff der Träume. Menschen sitzen hinter ihren Windschutzscheiben, während vor ihren Augen die Geschichten ablaufen: auf der Leinwand wie in den Schattenspielen ihrer Rückspiegel. Und sie ahnen: Die Dinge, die du siehst, sind näher als du glaubst. Albert Ostermaiers neue Gedichte erzählen von Momenten, da die Filme reißen, von Orten, wo die Rollen wechseln, von Schnitten ins Bewußtsein und vom Aufblenden der Hoffnungen vor dem Abspann. Sie drehen sich im Wendekreis des Tachos, beschleunigen vom Stillstand der Verhältnisse ins Tempo der Veränderung, vom Stau der Gefühle in den Geschwindigkeitsrausch der Sinne: „ein gedicht beginnt in der lobby eines hotels und endet mit der wimper auf einem kotflügel.“ Und wenn alles gutgeht, die Autos in der nächsten Nacht wieder auf ihre Plätze zurückkehren, die Scheinwerferaugen sich schließen und die Leinwand zu leuchten beginnt, dann ist „das leben ein kleiner billiger film den du nicht mehr nachsynchronisieren mußt“.
Suhrkamp Verlag, Klappentext, 2001
Roter Pfeil auf Kaugummipapier
– Lyrisches Celluloid: Albert Ostermaiers neue Gedichte. –
Das drive-in theater gehört zum Mythos des modernen Amerika wie braune Limonade mit zu viel Zucker und zwischen elastische Brötchenhälften drapierte Buletten. Bei Tage betrachtet ein eher hässlicher Ort, dessen Magie sich einem erst im Dunkeln vermittelt, wenn der Lichtstrahl des Projektors die Leinwand trifft, die Sitze in die Horizontale geklappt werden und die Sehnsüchte in den geparkten Blechwaben mit der Breitwandfiktion eines Films zu korrespondieren beginnen. Autokino nennt Albert Ostermaier seinen vierten Gedichtband; ein knapper, markanter Titel – und ein passender dazu, denn viele der thematischen und stilistischen Stränge der Gedichte laufen in ihm zusammen. Und wie im Autokino treffen in den Gedichten das Banale und das Wunderbare eines Alltags aufeinander, dem Ostermaier sein lyrisches Celluloid widmet. Filmische Techniken werden nicht nur erwähnt – etwa wenn Schnee „in zeitlupe / von den ästen“ rutscht, „die kamera auf höhe der reifen“ positioniert ist oder im „close-up / das aufglühende gesicht des jungen“ erscheint. Die Texte selbst arbeiten stark visuell und erfassen, wie bei einem langsamen Kameraschwenk, noch das unscheinbarste Detail – dazu gehört neben zahlreichen Autos und Kotflügeln das Strandgut der Konsumgesellschaft, „chipstüten ein strohhalm / unter der fahrertür“ oder auch der wegweisende „rote pfeil auf / dem kaugummipapier“. Ostermaier arrangiert all dies wie Requisiten für seine Szenen und angedeuteten Geschichten, ähnlich gewissen Einstellungen aus alten Filmen, die man aus irgendeinem Grund im Gedächtnis behalten hat. Thema ist oft genug die Liebe; ihr wie allem anderen wendet sich der Autor in einfachen, leicht fassbaren Versen zu, die ihre berührende Schlichtheit nur an wenigen Stellen durch allzu viel Technikolor einbüßen:
mein herz steht
still will deine träume
überholen die du mit
deinen füßen erzählst du
stehst auf ich nehm mir
dein kissen deinen atem
und träume sie weiter
Dass Ostermaier ein Faible für den amerikanischen oder doch wenigstens den englischsprachigen Raum hat, ist dabei schwerlich zu übersehen: Zahlreiche Texte tragen englische Titel, Popsongs werden in ihren punkt- und kommalosen Sprachfluss integriert, und ein Gedicht – „metal metaphor“ – ist gar gänzlich „einem englischen poesiebaukasten“ entnommen. Es sollte nicht überbewertet werden, dass Ostermaier auf eines der bekanntesten Gedichte von William Carlos Williams anspielt –
die pflaume im kühlschrank
auf dem gelben zettel dessen
rand sich nach oben biegt
eine eilige handschrift die
mehr sagt als sie erklären
will
Doch mögen die Verbindungen ansonsten auch rar sein, so teilt Ostermaier mit Williams zumindest die Vorliebe fürs Alltägliche.
Das Unprätentiöse seiner Gedichte und die Klarheit seiner Sprache bestechen. Umso mehr ragen deshalb die Metaphern und Vergleiche heraus, derer sich Ostermaier bedient und die so verblüffend wirken können wie die „kontrolleure / im neonlicht gesichter wie / nebengleise“. Wenn er allerdings „die straßenkehrer / in ihren orangen papamobilen / bei sonnenaufgang“ beschreibt, so fragt man sich, ob das nicht eher eine gefällige Assoziation als ein tragfähiges Bild ist. Ebenso ergeht es einem mit einigen der zahlreichen Wortspiele. Die „grüne\[n\] / spargel aus albanien die / sich in der toilette hinter / der freibank stechen lassen“ („viktualienmarkt“) nimmt man noch gerne mit, doch auf manch einen schenkelklopfer wie etwa „sich / im supermarkt zu lieben ist / besser als zuhause auf den / preisschildern liegen und nur / den wäscheständer hoch / zu kriegen“ hätte man gerne verzichtet.
Beeindruckender als solche Kalauer ist der virtuose Gebrauch von Binnenreimen, der oft genug an modernen Sprechgesang denken lässt. Überhaupt ist Ostermaier, nicht nur stilistisch und vom Wortschatz her – „die insel eine schwimmende / mailbox“ –, sondern auch inhaltlich auf der Höhe der Zeit, „wenn sie den buddhas zum / preis des islam die köpfe / abschlagen“ oder „die computer ihre liebesschwüre / in die welt mailen“.
Auch aktuelle Debatten über Gentechnik und „leitkultur“ klingen an: Gestern noch in der Zeitung, heute schon im Gedicht. Hier wie anderswo bleibt Ostermaier ganz nah an dem, was die Gemüter bewegt; in seinen besten Gedichten allerdings bewegt er sie ohne Rückgriff auf Tagespolitisches, nur kraft seiner gelassenen Verskunst. Eines dieser Gedichte trägt den Titel „mississippi“ und leitet den Band ein: „ein gedicht steigt auf wie die / luftblasen aus dem mund eines / ertrinkenden“, heißt es darin. Ostermaiers Gedichte lassen ebenso oft und weniger dramatisch an die Kaugummiblasen aus dem Mund eines Flaneurs denken – und gerade das macht sie überaus sympathisch.
Jan Wagner, Frankfurter Rundschau, 16.2.2002
Im Kühlhaus der Identitäten
– Speerspitze der Bewegung: Gedichte von Albert Ostermaier. –
„Dieser Text ist verschwunden.“
Wulf Segebrecht, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.8.2002
Exkursionen und Eskapaden
– Vom Lesen (und Überlesen) der Welt – Gedichtbände von Matthias Göritz, Jan Wagner, Albert Ostermaier und Hansjörg Zauner. –
Von den Forschungsreisen zum Autokino: Albert Ostermaier, Jahrgang 1967, hat damit bereits seinen vierten Gedichtband auf der Liste, neben seinen Theaterarbeiten regelmäßig alle zwei Jahre einen neuen. Der Titel ist diesmal, nach Herz Vers Sagen, fremdkörper hautnah und Heartcore unverfänglicher, wenngleich doch vielsagend. Im Autokino begibt man sich ins Virtuelle, ohne selbst auf dem Weg dorthin noch einen Fuß auf den Boden zu setzen. Was für Filme laufen eigentlich in Autokinos? Schwer zu sagen, kennt man dieses Phänomen in unseren Breiten doch eigentlich auch nur aus dem Kino. Ostermaiers Gedichte, die sich auf den ersten Blick ebenso reise- und erkundungsfreudig wie die von Göritz und Wagner geben – zumindest auf US-amerikanischen Highways –, sind völlig versponnen in virtuellen Realitäten, Weitergereichtem aus zweiter und dritter Hand, abgewetzten und speckigen Klischees. Schon im ersten Gedicht folgt auf die „lobby / eines hotels“ die „wimper auf einem kotflügel“, auf den „barhocker“ die „alligatorenhaut“, auf „die luftblasen aus dem mund eines / ertrinkenden“ die „wolken die noch immer / vorüberziehen“. Gegen die Montage von Stereotypen wäre ja nichts einzuwenden, wenn daraus irgendein Funke geschlagen würde, aber davon ist nichts zu erkennen. „Manchmal ist das leben ein / kleiner billiger film den du / nicht mehr nachsynchronisieren / musst“ – vielleicht, aber dann bitte keinen Lyriker als Après-Show. Nicht besser steht es um die paar kritisch ambitionierten Gedichte zu Leitartikel-Themen wie „neuer markt“ oder „leitkultur“ (gerne auch als Feuilleton-Dekoration veröffentlicht), die falsches Bewusstsein entlarven wollen, aber über eine Phrasensammlung nicht hinauskommen. Die Sprache ist betont eingängig, rhythmisch und gelegentlich binnengereimt, ein bisschen vielleicht gerapt, aber eigentlich doch eher geraunt, jedenfalls cool und womöglich sogar – das P-Wort ist kaum zu vermeiden – Pop. Vielleicht wäre Ostermaier am liebsten Sänger einer hippen Band, dem Buch ist jedenfalls eine CD beigelegt, auf denen er seine Texte mit anmutiger E-Gitarren-Untermalung von Bert Wrede vorträgt. Den Texten von, sagen wir mal, Tocotronic kann er trotzdem nicht das Wasser reichen – genauso wie sein cartoon-artiges „Orpheus unplugged“ den Poetenlorbeer an die „Neuen Abenteuer des unglaublichen Orpheus“, dem neuen Comic von Martin tom Dieck und Jens Balzer, abtreten muss. Aber zumindest ein Punkt geht doch an Ostermaier: mit der Wendung „dass / seine schuhprofile aus plastik / sprengstoff sind“ bewies er eine prophetische Gabe (und muss er darauf vertrauen, dass der Verfassungsschutz keine Lyrik liest).
Alexander Frank, neue deutsche literatur, Heft 542, März/April 2002
filmbeginn
Die Texte in diesem Band spielen sich ein zwischen Konkretheit und der Überwindung von Konkretheit, keine exorbitanten Exkursionen in die Ethymologie der deutschen Sprache sind zu erwarten, sondern Bewegungen, die heute beginnen, aber nicht notwendigerweise auch enden müssen. Viele Texte sind geprägt von assoziativer Vielfalt in der Weiterentwicklung kultureller Schablonen, andere bleiben selbstbewusst hermetisch, ohne an Spannung zu verlieren. Ein eigenständiger und ungewöhnlicher Stil für mich, definitv eine Bereichererung meiner lyrischen Sammlung, für mich auch der bisher beste Band Ostermaiers.
Im Vergleich zur Heartcore-CD sind die Klangelemente auf der begleitenden CD zurückgefahren, eher minimale E-Gitarrenklänge begleiten die eher klassische Lesung einer Textauswahl, wobei die Musik den Charakter der Texte nicht verstellt.
Mein Anlese- oder Anspieltipp: seppuku.
jankwoike, amazon.de, 17.12.2002
Weitere Beiträge zu diesem Buch:
Steffen Jacobs: Jacobsʼ Gedichte (10)
Die Welt, 27. 10. 2001
Beatrice von Matt: Im eigenen Film
Neue Zürcher Zeitung, 23./24. 3. 2002
Jochen Hörisch: Wegelagerer und Flaneur. Albert Ostermaier hat seinen eigenen Sound, Merkur, Heft 659, März 2004
Albert Ostermaier spricht über den Begriff „Lyrik“
Fakten und Vermutungen zum Autor + Instagram + IZA + KLG+ IMDb + PIA + Weltpreis + Interview
Porträtgalerie: akg-images + Autorenarchiv Isolde Ohlbaum + Autorenarchiv Susanne Schleyer + Brigitte Friedrich Autorenfotos + gettyimages + IMAGO + Keystone-SDA
Albert Ostermaier liest sein Gedicht Zählerstände.








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