Enno Stahl (Hrsg.): „Ihn dauerte die leidende Kreatur…“. Der politische Lyriker Peter Maiwald

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Enno Stahl (Hrsg.): „Ihn dauerte die leidende Kreatur…“. Der politische Lyriker Peter Maiwald

Stahl (Hrsg.)-„Ihn dauerte die leidende Kreatur…“. Der politische Lyriker Peter Maiwald

MAIWALD ALS KRITIKER

Peter Maiwald veröffentlichte nicht nur immens viele Gedichte und Kurzprosatexte in Tageszeitungen, Zeitschriften und Radiosendern, sondern er war auch als Kritiker hochproduktiv. Das war mit ein Grund dafür, dass er zeitweilig, besonders in den 1990er Jahren, enorme Honorare für seine Arbeit erhielt, wie zwei Kassenbücher im Nachlass verraten – Maiwald verdiente demnach bis zu 15.000 DM im Monat. Den Löwenanteil erwirtschaftete er allerdings mit der Lyrik selbst. Aus jetziger Sicht erscheint das überraschend: Lyrikerinnen und Lyriker heute fristen – allein mit ihren Gedichten – nur schwer ihr Leben. Da mals gab es dafür auffallend mehr Publikationsmöglichkeiten im Printbereich, und insbesondere im Radio existierten längere Sendungen, sonntagmorgens oder im Abendprogramm, sechzig oder sogar einhundertzwanzig Minuten lang, in denen nahezu unmoderiert Musik und Literatur am Stück dargebracht wurde. Etwa Formate wie „Unterhaltung à la Carte“ im WDR oder „Literarisch-musikalische Stunde aus Heidelberg“ im SWR.

Das Schreiben von Rezensionen muss also nicht zwingend notwendige Brotarbeit für Maiwald, sondern könnte auch politisch oder zumindest kulturpolitisch motiviert gewesen sein. Genau genommen markiert die journalistische Arbeit aber sogar den Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn. Lange bevor er einen Gedichtband veröffentlicht hatte, rezensierte Maiwald zunächst sporadisch, später dann zunehmend regelmäßig Bücher von Kollegen, zunächst in Zeitungen des linken Spektrums, vor allem in der linksliberalen DVZ etwa.1 Zeitweise war er dort anscheinend festangestellt, bis in die l 980er Jahre hinein arbeitete er noch als freier Mitarbeiter für diese Zeitung,2 die 1990 zum heutigen Freitag mutierte. Eine andere Einnahmequelle für ihn war die Wochenzeitschrift Die Tat, das Organ der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die übrigens 1983 mit der DVZ verschmolz.
Seine Tätigkeit als Kritiker ist nicht nur deshalb interessant, weil sie in seiner Arbeit großen Raum einnahm. Denn angesichts seiner dezidiert kommunistischen Überzeugung fragt man sich, in welchem Verhältnis hier Autor und Kapitalismus-Kritiker zueinanderstehen. Inwiefern kommt Maiwalds politische Haltung in seiner Literaturkritik zum Tragen? Sicher durch die Auswahl der rezensierten Bücher und seine Einschätzungen derselben – das ist erwartbar. Jedoch, etwas konkreter gefragt: Wie genau verbinden sich bei ihm politisches Engagement und ästhetische Urteilskraft? Werden propagandistisch-linke Bücher, die stilistisch, formal und ästhetisch vielleicht eher defizitär sind, trotzdem gebilligt oder künstlerischen Qualitätskriterien entsprechend kritisiert? Werden bürgerliche Romane allein politisch in Frage gestellt oder werden daran ästhetische Vorzüge herausgestellt und thematisiert? In welchem Maße ist also Maiwalds kritisches Schreiben politischer Strategie oder aber ästhetischen Standards verpflichtet, welche Mischungsverhältnisse ergeben sich aus dieser Dialektik? Nicht zuletzt wird zu untersuchen sein, was und wie viel Maiwalds feuilletonistische Gutachten von seiner eigenen Poetik preisgeben.
Maiwalds Anfänge als Kritiker lagen bei der DVZ, wo er seit Ende der l960er Jahre publizierte, ab l970 kontinuierlich. Diese frühen Rezensionen fanden sich im Nachlass Maiwalds gesammelt in einer Mappe mit der Beschriftung „Notizen zur Literatur und Kunst“. Die Texte stammen aus den Jahren 1967 bis 1976. Es handelt sich nicht nur um Buchbesprechungen, auch Ausstellungen, eine PEN-Tagung oder politische Ereignisse werden von Maiwald aufgegriffen. Oft sind seine Texte auf einer Layoutvorlage (Spaltenvorgabe), betitelt mit „DVZ  Manuskript“, getippt, es ist also davon auszugehen, dass sie dort erschienen (das ist teilweise auch gesichert durch Abdruckbelege, die ebenfalls im Nachlass vorliegen). Schon der erste Text „Amerika und Vietnam“ (1967)3 zu Norman Mailers Roman … am Beispiel einer Bärenjagd thematisiert die oben genannten Fragestellungen, wie es expliziter nicht sein könnte.
Es handelt sich um eine sehr ausführliche Rezension, was der Vermutung Raum gibt, die Auseinandersetzung mit Mailer sei für Maiwald von persönlicher Bedeutung. Er beschreibt das bisherige Schaffen Mailers, dem er attestiert, die latent faschistischen Denk- und Verhaltensweisen der US-Gesellschaft dekuvriert zu haben. Den neuen Roman aber kritisiert er inhaltlich, weil Mailer nur Bewusstsein und Mentalität problematisiere, die Eigentumsverhältnisse aber außen vor lasse. Zudem missfällt ihm Mailers maschinenstürmerische Technikfeindlichkeit. Auch formal hält er den Roman für missglückt – da er anstelle von konzentrierter Verkürzung auf den Wahrheitskern der Verhältnisse den gesamten überbordenden „kulturellen Überbau und Kulturschutt Amerikas“4 darin zu bergen suche.
Den geschilderten Figuren kann Maiwald etwas abgewinnen, den Bewusstseinsstrom des Protagonisten sieht er „als Brackwasser einer auch intellektuell vermodernden Gesellschaftsklasse“,5 weswegen er dem Buch zugesteht, immerhin ein Gesellschaftsspiegel des heutigen Amerikas zu sein. Sein Resümee dagegen lautet:

Wer also wissen will, wie das Bewußtsein einer Gesellschaftsschicht beschaffen ist, die den Krieg in Vietnam aus- und erhält, lese dieses Buch. Er erfährt dabei gleichzeitig von den Schwierigkeiten eines linksliberalen amerikanischen Autors, Lösungen des amerikanischen Alptraums zu finden.6

Ergo: Maiwald begrüßt die desavouierenden Absichten des Romans, während er Mailers eigene Position aus marxistischer Perspektive kritisiert. Ihm geht der Autor schlicht nicht weit genug, weil er die ökonomische Struktur selbst nicht zum Thema macht. Maiwalds Verdikt gegen die ästhetische Ausrichtung des Buches ist aber ebenfalls klar politisch motiviert – denn er nimmt Mailer übel, dass die  ser das gesamte Arsenal der US-Popkultur mitverarbeitet. Das allein rechtfertigte aber noch kein negatives Votum über Mailers Stil und Gestaltung. Maiwald folgt damit der streng kulturpessimistischen Linie jener orthodoxen Linken, die sich eben nicht als Kinder von Marx und Coca-Cola sahen, sondern sich besten  falls noch auf Adornos popfeindliches Kulturindustrie-Kapitel beriefen (wenn sie nicht gleich sämtliche Ausflüsse der Populärkultur pauschal als faschistisch brandmarkten).
Ähnlich erhellend für den hier behandelten Problemaufriss ist der zweite Text Maiwalds aus diesem Konglomerat, zwei Jahre später, 1969, widmet er sich dem Band agit-prop, einer Anthologie mit sozialistischer Lyrik, herausgegeben von Agnes Hüfner, die eine Zeitlang mit Maiwald liiert war und in den l980er Jahren ebenfalls als Redakteurin bei der DVZ arbeitete, dem Musikkritiker Klaus Kuhnke, dem Protestlyriker und späterem Rowohlt-Lektor Uwe Wandrey, dem kommunistischen Autor Peter Schütt und einigen anderen. Diesem Buch erteilt Maiwald gleich von Beginn an ein positives Testat:

Da wird nicht aus dem hohlen Bauch geschrieben. (…) Geschrieben wird, was dringend gebraucht wird im Kampf gegen Ausbeutung und Unkenntnis und was geschrieben wird, wird dringend gebraucht: Kenntnisse über die Ausbeutung.“7 Die hier schreiben, sind „keine Gräserbewisperer“,8 womit Maiwald seine Ablehnung reiner Naturlyrik deutlichen Ausdruck verleiht. Stattdessen stehe die Dichtung hier allein im Dienst des Klassenkampfes, die Verfasserinnen und Verfasser der 167 im Band vereinten Texte leiteten „ihre Ästhetik von den Bedürfnissen ihres Kampfes ab“.9

Daher seien dies, höhnt Maiwald, „schlechte Zeiten für Original-Handkes, Formalisten und Hersteller individueller literarischer Gütezeichen: das ,was‘ und das ,für wen‘ bestimmen allemal das ,wie‘. Nicht umgekehrt.“10
Wirksamkeit und Inhalt gehen vor Form. Maiwald bezieht sich offensichtlich auf die sogenannte „Formalismus-Debatte“ (also die Frage, wie viel technische Neuerungen es im sozialistisch-realistischen Roman geben dürfe, diskutiert un ter linken Autoren der Weimarer Republik und der Weltkriegszeit), er knüpft speziell an Georg Lukács’ Position an. Das verwundert ein wenig, da man denken würde, Maiwald folgte vielleicht eher dem von ihm hochgeschätzten Bertolt Brecht, Lukács’ Widersacher in dieser Diskussion, der die formale Frage deutlich entspannter sah.11 Im weiteren Verlauf der Argumentation verweist er dann, fast ein wenig widersprüchlich, allerdings doch wieder auf die Formenvielfalt der versammelten Texte.
Er zählt eine ganze Reihe von spezifischen Mitteln der Agitprop-Lyrik auf, etwa die Verwendung von „Sprechchören und Sprechchorreimen“, die „bei politischen Aktionen amorphen Massen Stimme und kollektiven Ausdruck“12 verliehen. Auch Lieder für das Volk oder die kritische Verballhornung von Klischee formen wie Witzen, Redensarten, Gesetzes- oder Werbetexten, die in „aggressive[n] Collagen“13 verwandelt würden, entdeckt er hier.
Den Wert dieser Versuche zeige indes ihre Wirksamkeit. Und hier ist Maiwald fast wieder bei Brecht, der in der erwähnten Debatte propagierte, formale Experimente seien dann legitim, wenn sie dazu verhülfen, der sozialen Wirklichkeit auf den Grund zu kommen. Maiwald versteht unter Wirkung und Wirksamkeit allerdings weit mehr, nämlich, dass solche Lyrik ihr Publikum erreiche und so  gar verändere. Nur wenn Agitprop-Texten das gelinge, seien sie gelungen. Ein ziemlich hoher Anspruch. Der literarische Wert hat hier hintanzustehen. Diese Texte dienen nur dem Augenblick. Da die Wirklichkeit sich beständig ändere, müssten, so Maiwald, Agitprop-Gedichte kontinuierlich aktualisiert, einem neuen Publikum angepasst werden:

Sie werden beständig in Frage gestellt und stellen sich in Frage.14

Das sei „explizite Zweckliteratur“, die nur in der Bewegung wirken kann, was vergleichbar sei mit politischer Basisarbeit.
Wenn es aber ein Gefälle von Theorie und politischer Basisarbeit gibt, dann auch eines zwischen Hoch- und Zweckliteratur, denkt man als Leser unwillkürlich. Hier schimmert, so scheint es, ein Hauch von Distanz bei Maiwald auf: So richtig und wichtig er Agitprop-Literatur findet, in der jetzigen Situation, mitten in den Studentenunruhen, kurz nach seinem Eintritt in die DKP, dennoch schwingt unausgesprochen die Idee einer ästhetisch anspruchsvolleren Literatur mit, einer Literatur, die nicht nur für den Tag gemacht ist. Damit würde also der ästhetische Anspruch, anders als im Text propagiert, die Dominanz des politisch Erforderlichen relativieren. Beides steht, wie gesagt, in einem dialektischen Verhältnis und es ist bei Maiwald nicht immer klar, wohin das Pendel ausschlägt – zum Primat der Literatur oder dem der Politik.
Bei seinem Verriss von Günter Grass’ Roman örtlich betäubt (1969) spielen negative Beu1teilungen beider Ebenen eine Rolle- dass Maiwald Grassens’ Sozialdemokratismus nicht goutiert, ist offensichtlich Aber er kritisiert auch die literarische Umsetzung, die modische Adaption von Techniken des „nouveau roman“, die zur „Überform“ mutiert sei, und umeflektie1te Einsprengsel von Realitätspartikeln, für Maiwald nur ein schwacher Abklatsch von Döblins Berlin Alexanderplatz.15 Und er fragt sich, genau wie bei der „Agitprop-Literatur“, wem diese Literatur nützt – nämlich dem liberalen Bürgertum, das mit Argumenten gegen die rebellierenden Studenten munitioniert werde. Gesamturteil zum Schluss: „Gräßlich.“16 Maiwalds marxistische Perspektive kann hier zu keinem anderen Resultat kommen.

Das zeigt sich ebenso in einer Kritik des Literaturjahrbuchs „intenfisch 4.17 Daran stört ihn, dass Arbeiter in einigen der darin enthaltenen Texte nur als Leidende und nicht als tätig Kämpfende dargestellt werden. Damit aber gerate die „Anzeige der Täter (…) zur Denunziation ihrer Opfer“. Schuld daran sei die „naturalistische Schreibweise“, der er vorwirft, dass sie „Erscheinung und Wesen gesellschaftlicher Umstände undialektisch gleichsetzt“.18 Er hebt damit auf  deren Versuch einer objektiven Wirklichkeitsdarstellung ab und wiederholt so fast wörtlich Georg Lukács’ Verdikt gegen den Naturalismus. Lukács hatte eine Dichotomie von „Erzählen oder Beschreiben“ angesetzt und die erste, die bessere Variante dem Realismus zugeschlagen, wohingegen der Naturalismus eher ein Dekadenzphänomen sei19 – eine recht problematische Position, man denke nur an Autoren wie Zola, der, bei Lukács unmittelbar als Beispiel herangezogen, doch eine beträchtliche gesellschaftsanalytische Dynamik entwickelte mit Romanen wie Das Geld oder Germinal.

Doch das Tintenfisch-Jahrbuch enthält auch Texte, die Maiwald lobt, und zwar solche, „die dem Sosein des Arbeiters, seiner Lebensbedingungen, auf den Grund gehen“.20 Genannt werden hier Peter Schneider („Straßenverkehr“), Nicolas Born („Vertrauensärztliche Dienststelle“) und Marianne Herzogs „Akkordarbeiterinnen bei AEG-Telefunken“. Auffällig ist, wie eigentlich immer, wenn Maiwald von etwas positiv spricht, dass sein Stil zu einem Staccato von Kurzsätzen, Ellipsen und Aufzählungen mutiert, d.h. er versucht die Argumente dicht hintereinander gedrängt zu summieren:

Aus Betriebszahlen (…), Eigenerfahrungen der Verhaltensweisen von Akkordlerinnen, gesellschaftlichen Hintergrundinformationen, hat die Autorin eine durch Informationsdichte packende Reportage geschrieben. Zeigt: womit landläufig vielgelebter ,Luxus‘ mitbezahlt wurde und mit  bezahlt werden muss. Mit der Ausbeutung der Frau. Mit physischer und psychischer Auszehrung durch profitpressende Akkordbedingungen. Mit Verzicht auf Persönlichkeits- und Bedürfnisentwicklung.21

Keine Gnade dagegen kennt Maiwald für poetische Experimente, im Tintenfisch 4 könne man „die Schwindsucht des literarischen Formalismus“22 besichtigen, ätzt er. Seine Beispiele: Ernst Jandl, dem er „Pennäleralbernheit“ bescheinigt und Arno Schmidt: Dessen „unglaublich (…) kindischen Sandkastenspiele  mit der deutschen Rechtschreibung“ dienten allein als „Literaturfurnier für die Kopfbretter der Tuis“.23 Er referiert hier auf Brechts-Tui-Fragment und das bekannte Zitat:

Der Tui ist der Intellektuelle dieser Zeit der Märkte und Waren. Der Vermieter des Intellekts.

Gemeint sind also wohl die liberalen Betriebsintellektuellen. Aus heutiger Sicht wird man diese Einschätzung Maiwalds kaum teilen, insbesondere Arno Schmidt dürfte ein bisschen anders zu bewerten sein.

Es ist aber keineswegs so, dass Maiwald nur positiv rezipiert, was seiner kommunistischen Einstellung exakt entspricht – er findet gute Worte auch für den republikanischen Schweizer Schriftsteller und Pfarrer Kurt Marti oder einen Roman der linkskatholischen Luise Rinser. Selbst Charles Bukowski kann er etwas abgewinnen. Heinrich Böll schildert er sehr achtungsvoll in einem langen Beitrag über eine PEN-Tagung, bei ihm bewundert Maiwald offensichtlich seine selbstkritische Ehrlichkeit und Integrität. Umgekehrt ist die richtige Gesinnung keineswegs für Maiwald ausreichend Grund, ein Buch kritiklos abzufeiern – das zeigt der recht harsche Verriss eines Sammelbandes des Werkreises Literatur der Arbeitswelt von 1975: Hier heißt es, das Buch sei „randvollgestopft mit Gedichten, die blaue Flecken bekommen, weil sie sich auf die Versfüße treten“.24 Nicht nur die Gesamtkonzeption des Bandes stößt ihm auf auch die Texte der Beiträgerinnen und Beiträger selbst, denen er zwar zugesteht, „üblichen Gedichteschreibern eine Menge voraus“ zu haben – den Blick für die Klassenwirklichkeit in der BRD zum Beispiel. Dennoch kommt er nicht umhin anzumerken

die Kritik der Leser befragt Literatur aber nach der Güte ihrer Verwendungsfähigkeit, weniger nach dem guten Willen ihrer Hersteller.25

Damit tritt eindeutig eine ästhetische Qualitätskontrolle auf, die über das bloß gut Gemeinte hin  aus Gültigkeit beansprucht. Gleichzeitig nutzt er an dieser Stelle die Möglichkeit, einer unkritischen, linken Rezipienz von Literatur den Kampf anzusagen:

Es gibt unter uns ein Unwesen, eine Art literarisches Feldwebeltum, das Geschriebenes mit einem linken Blick mustert und kv [also kriegsverwendungsfä hig, Anm. e. s.] schreibt, sofern es nur annähernd gute Meinungen und sozialistische Vokabeln enthält. Diese Unkritik scheut sich nicht, Krüppel, Unfertiges und Unreifes ins Gefecht zu schicken, indem sie meint, es genüge zur Literatur, für die Sache der Arbeiter zu sein.26

Es existieren also auch andere Wertmaßstäbe, denen Maiwald zur Zeit des Agitprop-Textes, sechs Jahre zuvor, noch keine Priorität einräumen wollte. Neben der generellen Unfertigkeit der versammelten Schreibbeispiele hält Maiwald den debütierenden Arbeiterinnen und Arbeitern eine „thematische Enge“ vor, „die den Menschen ausläßt“. Sie seien zu sehr auf Allgemeingültigkeiten aus und vergäßen den „individuellen Ausdruck objektiver Verhältnisse“.27 So aber könne keine gute Literatur entstehen, denn:

Eine Literatur, die die Darstellung von Menschen entbehrt, entbehrt ihren größten Reichtum.28

Und darin, kann man sagen, formuliert Maiwald durchaus ein bestimmendes Merkmal seiner eigenen Lyrik, ihre unleugbare Beziehung zum Menschen, die Darstellung einfacher Leute, von Arbeiterinnen und Arbeitern nebst ihrer Lebenswelt.

 

2. Arbeit für andere Printmedien
Bis in l980er Jahre hinein brachte Maiwald solche stark politisch motivierten Buchbesprechungen, was Auswahl und kritische Perspektive anging, vornehmlich in der „DVZ“, der „Tat“, bisweilen auch der DKP-Zeitung „UZ“ unter. Mit wachsendem Erfolg als Lyriker standen ihm sukzessive auch bürgerliche Medien offen, Rundfunksender wie Printmedien. Selbst in einer ihm politisch fern  stehenden Zeitung wie der Welt veröffentlichte er nun kontinuierlich. 1997 findet man dort etwa seine Rezension eines Essay-Bandes von Wolf Biermann Wie man Verse macht und Lieder. Eine Poetik in acht Gängen, in der er denn auch einen auffällig anderen Ton anschlägt als in den linksliberalen Blättern. Der Text verrät eine sehr kreative Auffassung von Literaturkritik, indem er eher metaphorisch operiert und die Behandlung des Buches in die hochironische Erzählung eines fiktiven Abendessens beim Meister selbst kleidet – Maiwald nimmt den Untertitel des Buches und dessen kulinarische Referenz also beim Wort. Biermann, „ein schnauzbärtiges Männchen, mit einer jakobinischen Kochmütze, die einst rot gewesen war“,29 schimpft bei diesem Anlass in wüsten Invektiven und Tiraden auf Dichter aller Art. Darüber hinaus erfährt man gar nicht viel über die eigentlichen Inhalte der Biermannschen Essays. Der Wandel Biermanns von links nach rechts, 1997 bereits notorisch, hier angezeigt vom Farbwechsel der Jakobinermütze, ist dabei die einzige politische Spitze in dem Text.
Maiwalds eigene Haltung bleibt in diesem Springer-Blatt eher verborgen, er passt sich dem Medium an, schafft sich aber über die ästhetische Form seiner Besprechung einen gestalterischen Freiraum. In der „FAZ“ platzierte er mehrfach Beiträge zu Marcel Reich-Ranickis Frankfurter Anthologie – also die herausgehobene Besprechung eines einzelnen Gedichts. Unmittelbar, nachdem Reich-Ranicki ihn euphorisch gelobt und ihm so den Weg in den Betrieb gebahnt hatte, lieferte er hier etwa einen Beitrag zum Gedicht „Odyssee in Ithaka“ des DDR-Lyrikers Karl Mickel – 1984 war das, die erste Veröffentlichung in einem bürgerlichen Leitmedium, jedenfalls den – recht penibel gesammelten und aufgeklebten – Artikelausschnitten im Nachlass nach, und falls man nicht die Frankfurter Rundschau ebenfalls dazu rechnen möchte, in der 1972 eine vereinzelte Besprechung über Kurt Marti erschien. Außerhalb des linken Kontextes hatte er ansonsten nur 1977 in der Stuttgarter Zeitung und 1982 in der Saarbrücker Zeitung Beiträge unterbringen können.
In der Folge aber gelangen ihm nun oft Mehrfachverwertungen, etwa in der Welt, der Deutschen Tagespost, in der Presse [Wien] und den Nürnberger Nachrichten, im Bonner General-Anzeiger, der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, der Stuttgarter Zeitung wie im Trierischen Volksfreund und im Darmstädter Echo. Maiwald war geradezu ein Meister darin, ein und denselben Text vielfach zu verwerten.
Das erklärt sich auch daraus, dass er sich unübersehbar auf unverfänglichere Themen verlegte, zum Beispiel ausländische Literatur. Bei einer Rezension des Romans Die Suche nach der letzten Zahl des russischen Romanciers Juri Rytcheu gelang ihm gar das Kunststück, diese Besprechung sowohl in der Welt als auch im Neuen Deutschland zu veröffentlichen, also über die ganze Bandbreite des politischen Feldes hinweg, dazu noch in drei weiteren deutschen und österreichischen Tageszeitungen. Ähnlich bei Kritiken über Harry Mulischs Selbstporträt mit Turban 1995/1996 und Julia Blackburns Daisy Bates in der Wüste (1995).
Als Experte für Kinderliteratur, angesichts der zahllosen Texte, die er in diesem er diesem Bereich veröffentlichte, nimmt es nicht Wunder, dass er einen Sammelband mit Kindergedichten, herausgegeben von Hans-Joachim Gelberg besprach (zumal) verbunden er diesem verbunden war, hatte Gelberg doch in verschiedenen Projekten auf Maiwald-Texte zurückgegriffen). Seine Rezension erschien erneut in Welt, Presse, Deutscher Tagespost, Nürnberger Nachrichten und diesmal auch noch in der Rheinischen Post. Auf diese Weise macht sich auch das ansonsten karg entgoltene Schreiben von Buchkritiken durchaus bezahlt.

Insgesamt ist festzuhalten, dass Maiwalds Zeitungsartikel stilistisch sehr ambitioniert waren, eloquent, sinnlich, anschaulich und wortmächtig – etwa, wenn er über Ernst Jandl fabuliert:

Der Sprachjongleur ist ein dialektischer Zauberer. Er entzaubert, wo er uns mit seinen Wortkunststücken bezaubert. Nun hat der außergewöhnliche Artist sich und uns ein schönes Geschenk gemacht. Er betritt die Buchmanege und läßt Kabinettstücke seines Werkes noch einmal Revue passieren, und wir können dazu kopfschüttelnd staunen und kopfnickend bemerken: Was für ein komödiantischer Poet und was für ein poetischer Komödiant!30

Das sagt er nun über einen Autor, den er zwanzig Jahre zuvor noch der „Pennäleralbernheit“ geziehen hat in der erwähnten Kritik des Tintenfischjahrbuchs.
Nicht nur das hat sich geändert. Es fällt auf, dass seine Beiträge für das bürgerliche Feuilleton kaum Gesellschaftskritik äußern, und der dezidiert kapitalismusfeindliche, linke Tenor seiner Artikel für die DVZ und die Tat fehlt ganz. Das war wohl nicht anders möglich. Stattdessen dominiert hier die Auseiandersetzung mit der jeweiligen Ästhetik und Poetik der behandelten Literatur. Wenn er nun etwas verreißt; dann nicht unbedingt aus der Klassenperspektive wie bei vielen der vorgenannten Beispiele, sondern dann, wenn in seinen Augen literarische Lösungen misslingen. Sehr rigide fällt sein Urteil gegen den Literaturwissenschaftler Franz Link aus, der eine voluminöse Monografie zur US-Lyrik herausgebracht hat.31 Darin äußert dieser sich immer wieder auf subkutan abfällige Weise über Poeten wie Allen Ginsberg und Sylvia Plath – die Zitatbelege, die Maiwald zuhauf bringt, sind tatsächlich einschlägig. Man kann ihm nur zustimmen, wenn er hier Ehre und Integrität dieser Dichterinnen und Dichter verteidigt. Mit einer politischen Haltung hat das indes nichts zu tun.
Ein interessantes Zeugnis des Übergangs stellt insofern der eben schon kurz erwähnte Beitrag für die Stuttgarter Zeitung von 1977 dar, also noch während seiner regen Publizistik für DVZ und Tat. In dieser durchaus lobenden Besprechung von Peter Härtlings Gedichtband Anreden, schon unter dem vielsagenden Titel „Orpheus ohne das Volk“ abgedruckt, kann er sich einer gewissen Spitze gegen Härtlings soziale Enthobenheit nicht enthalten:

Die Zukunft, die er zu fassen vermag, reicht, glaubt man dem Personal seiner Gedichte, nur für eine Künstler- und Gelehrtenfabrik. Andere Lebensweisen, handfeste Berufe, Angehörige unselbständiger Gewerbe (…) kommen in den Gedichten nicht vor und zu Wort, geschweige denn zu Eigenart. Traut er ihnen denn nichts Haltbares, nichts Zukunftsträchtiges zu? Sind die erhobenen Fingerzeige der Achtundsechziger auf die Existenz eines mächtigen Proletariats wirklich so spurlos geblieben? Lebt der Dichter wirklich so isoliert? Wer macht seine Hemden, und wer schlachtet sein Schwein?32

Derartige argumentative Pfeile lässt Maiwald in den Buchkritiken der 1980er und 1990er Jahre weitgehend im Köcher. Ist das nw- den engen politischen Vorgaben der bürgerlichen Zeitungen geschuldet oder sogar Zeichen einer sich wandelnden Haltung Maiwalds selbst?
Das ist schwer zu sagen. Von seiner noch fast vollständigen Identifikation mit Zielen und Verfahrensweisen des Agitprop, wie sie in dem zitierten 1969 erschienenen DVZ-Beitrag zum Ausdruck kam, scheint er abgekommen. In den 1980/1990er Jahren verraten seine Texte eine strenge Auseinandersetzung mit ästhetischen Normen, Form und Gestaltung sind für ihn wichtige Kategorien (was sie ja auch in seiner Lyrik waren).

Für typische Auswüchse des mehr oder weniger gehobenen, zeitgenössischen Unterhaltungsromans-vor Kurzem von Moritz Baßler als „Midkult“ bezeichnet – Bücher also wie Raymond Kennedys Horrorgeschichte Lulu incognito,33 Nicholson Bakers Telefonsex-Roman VOX34 oder Tim Parks’ Der Gutachter35 hat er nur Hohn und Spott übrig. Sein übliches Verdikt über solche Saison  Bestseller ist: „langweilig“. Das Mittelmaß, das schlecht und auf Effekt Geschriebene langweilt Maiwald. Auch ihm geht es um Exzellenz und Originalität. Aber eben um tatsächliche Exzellenz, tatsächliche Originalität – nicht um das, was die Großkritikerinnen und -kritiker der deutschen Feuilletons üblicher Weise dafür halten.

 

3. Radioarbeiten / größere Beiträge
Eine Reihe von Beiträgen verfasste Maiwald auch für das Radio, teils kürzere Buchbesprechungen, teils längere Features, dann zumeist Autorenporträts – teils allein, teils in Co-Produktion mit Agnes Hüfner, die Maiwald den Weg in die Rundfunkredaktionen geebnet haben dürfte. Sie selbst war ja lange Zeit für den Deutschlandfunk und den SWR tätig.
Themen dieser Radioarbeiten waren häufig Lyriker wie Rainer Kirsch, Wolfgang Bächler, Günter Kunert (der natürlich nicht nur Lyriker war), Robert Wolfgang Schnell oder Heinz Czechowski – vorzugsweise konsequente Einzelgänger, West-Autoren sozialistischer Provenienz oder DDR-Autoren. Die Beiträge zeichnen in relativ konventioneller Weise Bilder der Porträtierten, neben Beispielgedichten gibt es Interviewauszüge, dazu die Einschätzungen Maiwalds (bzw. Hüfners/Maiwalds).
Heinz Czechowski war so ein Einzelgänger. Erhalten ist hier kein Radiomitschnitt, sondern nur ein Manuskript im Nachlass. Leider lassen sich keine Hinweise dafür finden, ob, und wenn ja, wann und wo dieses Feature gesendet wurde. Es ist aber schon sehr ausgereift, mit sekundengenauen Angaben der einzelnen Segmente.
Der Text ist schon deshalb interessant, weil Maiwald sich mit Czechowski wieder jemanden gesucht hat, der so recht in keine gängige Kategorie passt, dem auch kein großer Ruhm beschert war – weder in Ost noch in West, zu sperrig, zu unbequem. Dem Inhalt nach scheint das Interview mit Czechowski noch zu DDR-Zeiten geführt worden zu sein. Maiwalds Kommentare sind höchst aufschlussreich, etwa wenn er Czechowskis Sonderstatus zu umreißen versucht:

Soviele Widersprüche: ein Pessimist und ein Staat, dem Optimismus Doktrin ist / ein Melancholiker in einem Land amtlich verordneter Lebensfreude / ein Skeptiker in einer Polis, in der der Zweifel als ausländische Angelegenheit ausgegeben wird / ein von der Vergangenheit Besessener in einer Gesellschaft, die sich anderen um eine Epoche vorausdünkt / ein Neinsager, wo Jasagen gilt / ein Fragender, wo es mehr auf Antworten ankommt / schließlich: ein Individualist, wo die Gemeinschaft über alles geht.36

Das ist deutliche Kritik an der DDR, deren Untergang für Maiwald doch ein Grund zur Klage war, vermutlich hat der Zusammenbruch des „Realsozialismus“ stark zur Verbitterung seiner späten Jahre beigetragen.
Einen besonders aufschlussreichen Beitrag liefert Maiwald in der S2-Sendung

Buchzeit, 1993, moderiert von Agnes Hüfner, über den Band Dann hätten wir noch eine Chance. Briefwechsel mit Peter Hacks und Texte aus dem Nachlass des zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen kommunistischen Schriftstellers Ronald M. Schernikau – übrigens ein halbes Jahr später ebenfalls wieder querverwertet in der Zeit.37 Aus seiner Sympathie für diesen Autor, der noch kurz vor der Wiedervereinigung nach Ost-Berlin übersiedelte und die DDR  Staatsbürgerschaft annahm, macht Maiwald keinen Hehl. Schernikau dient ihm als Beleg für eine trotzige Apotheose des Kommunismus, im Jahr l993 längst mit dem Rücken zur Wand, so beginnt der Beitrag mit den Worten:

Dieses kleine Buch passt kaum in diese Zeit, in der sich alle außer Thomas Mann in der Meinung wiedervereinigt haben, dass der Kommunismus die Grundtorheit und das Verbrechen dieses Jahrhunderts war.38

Schernikau dagegen, auch Peter Hacks im Briefwechsel mit ihm, zeigte sich gerade als das Gegenteil landläufiger Vorurteile über Kommunisten. So fabulierten die beiden Korrespondenten frei über Gott und die Welt – dazu Schernikau insbesondere über das Verhältnis von Lachen und Literatur:

Lachen können schien ihm die erste Voraussetzung eines Veränderns. (…) „Polemik ist Fröhlichkeit“, notiert ein Selbstbewusstsein, das sich schon früh an seiner Umwelt rieb und, Zitat: „Wer über die Welt nicht lachen kann, muss sterben.“ – und ein weiteres: „Lachen ist die gelungene Erkenntnis, dass etwas nicht stimmt. Wir lachen, weil uns etwas auffüllt – die Wirklichkeit.“

Maiwald kann sich damit offenkundig identifizieren, das ist auch nicht verwunderlich, angesichts der vielen humorvollen Kindergeschichten, die er verfasste. Doch seine Übereinstimmung mit dem früh vollendeten Schernikau geht noch viel weiter. Dieser formulierte Sätze, die trefflich Maiwalds eigene Poetik umreißen, etwa wenn er sich über seine ostdeutschen Kollegen beklagt:

Die DDR-Schriftsteller stellen andauernd die richtigen Schriften. Es ist sehr anstrengend mit ihnen, kritisch und wahrheitig. Das Missverständnis ist einfach: Wahrheit ist ein Dreck. Wahrheit trägt nicht. Wahrheit trägt keine Literatur. Ich glaube nicht an Literatur, die wahr ist. Literatur soll Literatur sein. Ist sie es. ist sie wahr. Ihre Nörgelei soll sie sich sonst wohin tun, in die Pfeife. Ceci n’est pas une pipe.

Maiwald kommentiert dieses Zitat Schernikaus in seinem Beitrag so:

Nein, mit den Pfeifen, die ständig Leben und Kunst verwechseln und dann doch nur beidem hinterherlaufen und das Nachsehen haben, wollte er nichts zu tun haben. Seine Vorbilder waren Irmtraud Morgner und Peter Hacks, von den Älteren Shakespeare und Brecht, weil sie das Leben in die Kunst hereintragen und nicht wie die gut gemeinte Empörungs- und Erbauungsliteratur das Leben in das Leben. Das fand er bloß lachhaft, langweilig und überflüssig.

Wenn dies Maiwalds Zustimmung traf, und davon muss man angesichts dieses Kommentars ausgehen, dann hat sich seine eigene Perspektive zwischen 1969, dem oben zitierten Text über Agitprop und l993 fundamental gewandelt. Empörungsliteratur, die vornehmlich darum bemüht ist, Wahrheiten aufzudecken, findet nun nicht mehr sein Placet. Es geht darum, nicht Leben ins Leben, sondern in die Kunst hereinzutragen. Kunst, also eine auf Dauer angelegte ästhetische Figuration, soll es jetzt eben schon sein. Einen „Wahrheitskern“ hatte er schon früher gefordert, doch entsteht solche Wahrheit in der Kunst nur mit den ihr eigenen Mitteln, nicht durch äußerliche Prozeduren. Seine Gedichte stellen immer diesen Versuch dar, Leben in die Kunst hereinzutragen, dafür mussten sie aber auch Kunst sein, gestaltet, formal und sprachlich ausgewogen, fein ziseliert. Kein Platz für Agitation, Platitüde oder Realkitsch. Sondern immer Literatur – nicht mehr und nicht weniger.

Enno Stahl

 

Trennzeichen 25 pixel

 

Vorwort

Am 22.9.2022 veranstaltete das Heinrich-Heine-Institut der Landeshauptstadt Düsseldorf in Kooperation mit dem Heine-Salon e.V., der Rosa-Luxemburg  Stiftung und dem Düsseldorfer Geschichtsverein ein Symposium zu Peter Maiwald. Der Titel Ihn dauerte die leidende Kreatur war aus einem Zitat Marcel Reich-Ranickis entlehnt, der lange Jahre ein Bewunderer und Förderer des Dichters war, und das, obwohl Peter Maiwald sich eindeutig politisch links positionierte. In seinem Nachruf auf den Lyriker schrieb Reich-Ranicki:

… Maiwald gehörte nicht zu jenen, die die Welt herausfordern, viel  mehr zu jenen, die sich von ihr herausgefordert sehen. Er war ein Poet in der Defensive. Der plebejischen Tradition der Dichtung folgend, sprach er für die Beleidigten und Benachteiligten. Er hatte ein Herz für die Verkommenen und die Verlorenen, er hatte eine Schwäche für die Vorstadt. Seine Helden sind die Menschen, die mit dem Leben nicht zurechtkommen. Ihn dauerte die leidende Kreatur.

Nicht zuletzt aufgrund seiner Menschlichkeit und dieser unverbrüchlichen Solidarität mit den Schwachen war Maiwald ein Lyriker von hoher Qualität – wortgewaltig, witzig, bisweilen schneidend scharf, aber immer in sympathetischer Beziehung milden Belangen und Bedürfnissen der unteren Schichten. 1946 in Nürtingen geboren, lebte er viele Jahrzehnte bis zu seinem Tod 2008 in Düsseldorf, das sein Lebens- und Arbeitsmittelpunkt war.
Im Dezember 2018 übernahm das Heinrich-Heine-Institut (Abteilung Rheinisches Literaturarchiv) den Nachlass dieses bedeutenden politischen Dichters. In Kooperation mit dem Düsseldorfer Geschichtsverein (DGV), gefördert vom Landschaftsverband Rheinland, konnte dieser Bestand 2020 im Rahmen eines Verzeichnungsprojekts archivarisch bearbeitet und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Sophia Rohan, die diese Arbeit übernommen hatte, stellte außerdem ein Lesebuch zu Peter Maiwald für die Reihe Nylands Kleine Rheinische Bibliothek zusammen, das neben repräsentativen Texten Maiwalds auch Materialien aus dem Nachlass integrierte.
Das Symposium im September 2022 diente dazu, diese Projekte vorzustellen, Sophia Rohan präsentiert beides auch im vorliegenden Band. Gleichzeitig wurde der Versuch gemacht, erste wissenschaftliche Einordnungen von Maiwalds Werk und Wirken vorzunehmen. Olaf Cless betrachtet Maiwald im Neuss-Düsseldorfer Kontext, recherchiert seine Spuren im literarischen Leben am Rhein.
Jasmin Grande ordnet Maiwalds Werk im zeitgenössischen Kontext ein, sie analysiert seine spezifische Methodik, gerade auch die bewusste Entscheidung für scheinbar anachronistische, konventionelle Formen mit Reim und Metrik. Auch zeigt Grande historische Referenzen von Maiwalds Lyrik auf, etwa zum expressionistischen Dichten Jakob van Hoddis’.
Ingar Solty wirft einen Blick auf den Konflikt Maiwalds mit der DKP-Führung, der sich an seiner Mitherausgeberschaft des Periodikums Düsseldorfer Debatte entzündete und schließlich in Maiwalds Ausschluss aus der Partei gipfelte. Nicht nur, aber auch deshalb verlor die Partei in der Folge spürbar an Zustimmung bei Schriftstellern und Intellektuellen.
Enno Stahl richtet das Augenmerk auf Maiwalds kritische Aktivität – der Lyriker verfasste regelmäßig Rezensionen, zunächst für die Deutsche Volkszeitung, bei der er zeitweilig als Redakteur angestellt war, dann auch für zahlreiche bürgerliche Zeitungen, allen voran Die Welt und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Und es lässt sich eine bestimmte Entwicklung nachzeichnen, wie Maiwald sein kritisches Handwerk auffasste.

Enno Stahl, Vorwort

 

Inhalt

– Vorwort

– Sophia Rohan: „Ein Dichter des Alltäglichen, aber nicht Trivialen.“. Peter Maiwalds literarischer Nachlass

– Olaf Cless: „Ein Poet in der Defensive“. Peter Maiwalds Düsseldorfer Jahre: Publikumsgunst, Kritikerlob und -schellte, Existenzsorgen und Fluchträume

– Jasmin Grande: Das „Handwerk des Melancholikers“. Lyrik, Poetik und Autorschaft bei Peter Maiwald

– Ingar Solty: Peter Maiwald, der Kommunismus und die „Düsseldorfer Debatte“

– Enno Stahl: Maiwald als Kritiker

– Die Autorinnen und Autoren

– Bildnachweise

 

Peter Maiwald

war ein Lyriker von hoher Qualität – wortgewaltig, witzig, bisweilen schneidend scharf, aber immer in Solidarität mit den Schwachen, den Lohnabhängigen, den unteren Schichten unserer Gesellschaft.
Das Heinrich-Heine-Institut bewahrt den Nachlass Maiwalds und organisierte im September 2022 eine Tagung zu seinem Werk, deren Beiträge in diesem Band publiziert werden.
Es ist der erste Versuch einer wissenschaftlichen Einschätzung Peter Maiwalds und seiner Lyrik.

Edition Virgines, Klappentext, 2023

 

 

Fakten und Vermutungen zum HerausgeberGermanistenverzeichnis + Facebook + IZA + Kalliope
Porträtgalerie: IMAGO

 

 

Fakten und Vermutungen zu Peter Maiwald + Kalliope + IZA
Porträtgalerie:  Brigitte Friedrich AutorenfotosKeystone-SDA
Nachrufe auf Peter Maiwald: Westdeutsche Zeitung ✝︎ e-periodica ✝︎ Spiegel ✝︎ FAZ ✝︎ der Freitag ✝︎ Rheinische Post

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

„Suppe Lehm Antikes im Pelz tickte o Gott Lotte"

Text(e)

Sekt( e); seht – Sex zu sechst!

Michel Leiris ・Felix Philipp Ingold

– Ein Glossar –

lies Sir Leiris leis

Würfeln Sie später noch einmal!

Lyrikkalender reloaded

Luchterhand Loseblatt Lyrik

Planeten-News

Planet Lyrik an Erde

Tagesberichte zur Jetztzeit

Tagesberichte zur Jetztzeit

Freie Hand

Haupts Werk

Gegengabe

0:00
0:00