Dichtersprache, Gebrauchssprache, Universalsprache
Das prekäre Vermächtnis der «konkreten Poesie»
Teil 1 siehe hier …
Einen letzten «avantgardistischen» Input setzte in den 1950er bis 1970er Jahren die neue formalistische Dichtung der «Konkreten» (vorab im deutschen und angelsächsischen Sprachbereich) sowie der «Oulipoten» (im französischen «Werkkreis für potentielle Literatur»). Permutative oder kombinatorische Wortkunst mit besonderem Augenmerk auf die visuelle Wahrnehmung hatte hier klaren Vorrang. Doch das Erneuerungspotential dieser angeblich «neuen» Avantgarde blieb weit hinter dem zurück, was einst die (inzwischen sogenannte) «klassische» Moderne erbracht hatte. Wenn damals Autoren wie Marinetti, Chlebnikow, Iliazd, Ball, Tzara radikal mit aller hergebrachten Literatur gebrochen und mit fulminanten Innovationen aufgewartet hatten, begnügten sich die nachrückenden «seriellen» und «konkreten» Dichter damit, das Erbe der Pioniere zu bewahren und in vielfältiger Weise zu nutzen.
Wenn Gomringer in seinen ersten Programmschriften (1954/1955) die typographische «Konstellation» als variables poetisches Textkonzept lancierte, tat er es mit ausdrücklichem Rückbezug auf Stéphane Mallarmé, der eben dies bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert ausgearbeitet hatte, und er zögerte auch nicht, weitere Vorbilder für die Wortkunst der «Konkreten» herauszustellen (Apollinaire, Artaud, Jarry, Holz). Dennoch beharrte er auf deren Innovationsanspruch, indem er in einer Grundsatzerklärung von 1955 festhielt, es werde «hier eine neue gedichttechnik vorgestellt, und zwar nicht eine psychische technik der dichterischen inspiration, sondern eine anwendung des formalismus in der dichtung». Dies allerdings hatte auch schon der dichterische Konstruktivismus der 1920er Jahre in Sowjetrussland bewerkstelligt.
… Fortsetzung am 10.12.2025 …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik







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