Beim Übersetzen; zum Übersetzen ( I.13 )

Titelbild von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Felix Philipp Ingold: Überzusetzen“

Kein anderer Autor spürt mit so viel Sprachvertrauen der Wahrheit nach und überlässt sie, wenn er sie gefunden hat, dem Wort, wie Jacques Derrida es tut. Da er das Wort als Wortding gelten lässt, als Klangleib und als Schriftbild, braucht er sich nicht darum zu kümmern, ob es repräsentiert, was als Bedeutung hinter ihm steht, oder ob es präsent macht, was es – das Wort als solches – ist; er kann die Etymologie wie auch die akzeptierte Semantik zu Gunsten der Rhetorik außer acht lassen. Ob das Wort „Name“ irgendetwas mit dem Wort „Amen“ zu schaffen hat, nur weil beide Wörter denselben Letternbestand aufweisen, ist eine Frage oder … oder ist keine Frage, je nachdem, wie man die Prioritäten setzt; je nachdem, ob man das Wort als konventionellen Bedeutungsträger einsetzt oder, umgekehrt, als Sinngenerator.

Derridas Romanessay „Glas“ von 1974 entfaltet sich als eine großangelegte Textur anagrammatischer Versetzungen, aus denen auf der Bedeutungsebene immer wieder staunenswerte „Verwandtschaften“ hervorgehen, die einzig durch Lautähnlichkeiten beglaubigt sind. So kann Derrida diesseits formaler Logik Dinge wie Ringe (bagues), auf- oder ausgerichtet (braqué), Hosenschlitz (braguette), Dolche (dagues), Witze (blagues), Algen (algues) und Krätze (gales) anstandslos zusammendenken, allein deshalb, weil die disparaten Bedeutungen auf der Lautebene zusammenklingen – also müssen sie wohl auch zusammenstimmen!
Was hat es zu bedeuten, dass „Fukushima“ im Japanischen soviel wie Glücksinsel heißt? Und dass „Gau“ im Deutschen für Größter Anzunehmender Unfall steht, aber auch – viel länger schon – für Reichsgau, Kraichgau?
Mehr als Bedeutung kann Sprache nicht tragen; den Reim darauf – den Sinn – müssen wir selber bilden.
Das könnte zu kurz gedacht sein, könnte aber auch Folge eines ludistisch ausschweifenden, im Paradoxon sich selbst einholenden Denkens sein.

 

aus Felix Philipp Ingold: Überzusetzen
Versuche zur Wortkunst und Nachdichtung

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Michel Leiris ・Felix Philipp Ingold

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