KOMMT −
Kommt, reden wir zusammen
wer redet, ist nicht tot,
es züngeln doch die Flammen
schon sehr um unsere Not.
Kommt, sagen wir: die Blauen,
kommt, sagen wir: das Rot,
wir hören, lauschen, schauen
wer redet, ist nicht tot.
Allein in deiner Wüste,
in deinem Gobigraun −
du einsamst, keine Büste,
kein Zwiespruch, keine Fraun,
und schon so nah den Klippen,
du kennst dein schwaches Boot −
kommt, öffnet doch die Lippen,
wer redet, ist nicht tot.
Die Stuttgarter Ausgabe der Sämtlichen Werke Gottfried Benns enthält die vom Dichter veröffentlichten und hinterlassenen Texte in der jeweiligen Fassung letzter Hand. Der Editionsplan sieht vor:
Band I: Gedichte 1 (Gesammelte Gedichte von 1956)
Band II: Gedichte 2 (1901-1956)
Band III: Prosa 1 (1910-1932)
Band IV: Prosa 2 (1933-1956)
Band V: Dialogische Formen (1910-1955) Gesamtregister
Der erste Band respektiert die von Benn getroffene Auswahl und Anordnung seiner Gesammelten Gedichte aus dem Todesjahr 1956. Der zweite Band trägt die zu Lebzeiten zwar einzeln veröffentlichten, aber von dieser Sammlung letzter Hand ausgeschlossenen Stücke nach, bietet unter den „Gedichten aus dem Nachlaß“ eine Anzahl bisher noch unbekannter hinterlassungsfähiger Gebilde und als „Poetische Fragmente“ jene lyrischen Notizen, die sich nicht der Textgenese vollendeter Gedichte zuordnen ließen. Beide Bände sind aufeinander bezogen; sie beschreiben im Anhang die wechselnden Gruppierungen der Zyklen und stellen so auch die bibliographische Chronologie des Gedichtwerks wieder her.
(…)
Signiert mit dem Vollendungsdatum und typographisch vom übrigen Bandinhalt abgehoben, eröffnet das Gedicht „Kann keine Trauer sein“ die Auswahl der Lyrik letzter Hand. Hans Paeschke und Joachim Moras hatten sich im Blick auf den bevorstehenden siebzigsten Geburtstag bereits Ende Dezember 1955 einen Beitrag für die Gottfried Benn zugedachte April-Nummer des Merkur erbeten und eben diesen Text, abgeschlossen am Einweisungstag in eine Berliner Klinik, erhalten. Die Anregung des Verlegers Max Niedermayer, anstatt einer Vorbemerkung (wie zum Bändchen Frühe Lyrik und Dramen 1952) diese Verse den Gesammelten Gedichten als Geleit voranzustellen, griff Benn gern auf. Er hielt damit an einem Strukturprinzip seiner bisher veröffentlichten Gedichtbücher fest, das bereits den Gesammelten Schriften von 1922 einen Prolog vorausschickte (dem ein Prosa-Epilog entspricht), ihn vor den Gesammelten Gedichten 1927 wiederholte und auch die Auswahl im Jahr des fünfzigsten Geburtstags 1936 mit – später in „Valse triste“ umbenannten – Prolog-Zeilen eröffnete.
Wie wenigen Lyrikern der Moderne blieben Auswahl und Anordnung von Gedichtfolgen für Gottfried Benn ein jedesmal neu zu lösendes Problem. Der Wortlaut eines Textes war mit seiner Veröffentlichung in der Regel abgeschlossen und unterlag nur noch orthographischer und interpungierender Varianz. Tiefgreifende Neufassungen gibt es selten; das Denkbild vom altgewordenen Autor als glättendem Widersacher seines Frühwerks führt in die Irre. Was sich – bis hin zur Auswahl letzter Hand – verschieben kann, ist die Nachbarschaft eines Gedichts. Benn vermochte niemals das Gefüge einmal ausgerundeter Zyklen oder Gruppen unverändert zu belassen und eine Sammlung der nächstentstandenen unangetastet zu addieren. Mit jeder neuen Publikation werden alte Abgrenzungen gelöscht und neue Zuweisungen geschaffen. Die Zerschlagung, Verkürzung, Verschiebung ursprünglich numerierter Reihen wie „Söhne“, „Alaska“, „Nachtcafé“ oder „Der Psychiater“ bilden dabei nur den offenkundigsten Aspekt eines Vorgangs, dessen werkimmanente und rezeptionsgeschichtliche Bedeutung nun ein Interpret als kompliziertes Zusammenspiel aus bibliographischen, semantischen, verlagshistorischen und psychologischen Faktoren zu beschreiben hätte. Textkritisches Material dazu wird hier, retrospektiv von der durchgreifenden Schlußredaktion des lyrischen Œuvres aus gesehen, bereitgestellt.
Mit den Gesammelten Gedichten von 1927 legt Benn zum erstenmal fest, was aus den zurückliegenden fünfzehn Jahren seiner Produktion für ihn künstlerische Gültigkeit besitzt. Der sorgfältig erwogene und in der erzwungenen zweiten Ausgabe dann zerstörte Aufbau des Bandes Ausgewählter Gedichte von 1936 läßt sich in Briefen an F.W. Oelze nachvollziehen. Die Stadien und Schichtungen einer neuen Sammlung: von den sieben Texten der Biographischen Gedichte 1941 über den Privatdruck der Zweiundzwanzig Gedichte 1943, Titellisten und Typoskriptkonvoluten, bis zum verbotenen Band Statischer Gedichte 1946, den Eingriffen in dessen Komposition durch Peter Schifferli und die Doppelausgabe 1948/49, hat Harald Steinhagen akribisch rekonstruiert, ohne daß, wie kaum anders zu erwarten, immer Gründe für die Mischung, Verspannung und übergreifende Verzahnung innerhalb der einzelnen Reihenfolge aufzudecken wären. Im März 1949 erschienen die Statischen Gedichte als Lizenzausgabe des Arche Verlags bei Limes, im Oktober folgte dort der Lyrikband Trunkene Flut. Mit kluger Zurückhaltung hatte Benn diesmal nur Texte aus den Sammlungen von 1927 und 1936 zum Druck freigegeben. Ein fünfteiliger neuer Epilog 1949 antwortet am Schluß des Bandes noch einmal dem Titelgedicht. Der Untertitel Ausgewählte Gedichte (bis 1935; mit Epilog 1949) knüpft an einen Vermerk vor den Statischen Gedichten an: Diese Gedichte sind fast ausnahmslos in den Jahren 1937-1947 entstanden.
Wünsche der Käufer und des Sortiments beim Verlag nach einer Zusammenfassung aller von Benn bisher bekanntgewordenen Gedichte vermehrten sich mit dem nun rasch einsetzenden „zweiten Ruhm“, – Anregungen zu einem Plan, den Autor und Verleger im Herbst 1951 nach kurzer Erwägung als noch verfrüht wieder fallenließen. Soeben waren die Fragmente erschienen, ein neues Gedichteheft, Destillationen, verabredet, von den Statischen Gedichten noch größere Partien am Lager, von der Trunkenen Flut eine zweite, um fünf übersehene Texte vermehrte Auflage für 1952 in Vorbereitung. Da sich außerdem der Arche-Verleger einer sinnvollen Vereinigung aller Verlagsrechte hartnäckig widersetzte, wich Niedermayer geschickt auf den Vorschlag aus, parallel zu der von Max Bense eingeleiteten Auswahl Frühe Prosa und Reden vom November 1950, und ihr äußerlich angeglichen, die expressionistischen Gedichte und Scenen herauszubringen:
Das würde natürlich den geplanten Band Gesammelte Gedichte in einen Band Ausgewählte Gedichte verwandeln, denn die frühen Sachen wären dann ja nicht enthalten. Das wäre aber meines Erachtens nicht schlimm, würde sogar unter Umständen – wenn meine Erwägung früher G. B. neuer G. B. zutrifft, den Gedichtband absatzmäßig fördern. Während ich diesen Plan so niederschreibe, beginne ich mich für ihn zu erwärmen. Sie wollten in die Gesammelten Gedichte ja so wie so nicht alle frühen aufnehmen. Für einen Sonderband Frühe Lyrik und Dramen müßten Sie da nicht lange wählen. Aber noch etwas: Soweit frühe Gedichte in der Trunkenen Flut waren – wie „Hebbel“, „Palau“ usw. −, sollten sie auch in dem Band Ausgewählte Gedichte enthalten sein, oder? Das sind natürlich Überlegungen. Der Band Frühe Lyrik und Dramen enthielte dann nicht alle chronologisch ,frühen‘, sondern sozusagen die ,skandalösen‘ Gedichte. Wenn man die Dramen allein macht, gibt es nur einen schmalen Band – aber man kann es natürlich auch. In die Ausgewählten Gedichte gehörten dann ja auch die Fragmente und eventuell die neuen. Bitte überlegen Sie einmal, was Ihnen angenehm wäre (1. November 1951).
Niedermayers Anliegen, einem in Teilen bereits Literaturgeschichte gewordenen Werk zum Durchbruch zu verhelfen, gab geradezu bibliothekarischen Gesichtspunkten Raum. Neben der ungewöhnlichen Aufmerksamkeit für textkritische Fragen galt das Interesse des Lektorats vor allem einander nicht überschneidenden Auswahlbänden. Ein Œuvre, das aus längst vergriffenen, noch ungedruckten oder eben erst entstandenen Arbeiten auf dem Büchermarkt schier unübersehbare Gleichzeitigkeiten schuf, sollte in möglichst großer, klar gruppierter Vollständigkeit lieferbar sein:
Nach Ihren telefonischen Äußerungen stehen Sie jetzt also dem Plan mit den Dramen doch positiver gegenüber. Das freut mich sehr, selbst wenn „Karandasch“ wegfallen muß (was eigentlich doch schade ist). Nun denke ich, daß man dem Bande doch die frühe Lyrik beigeben sollte. Ich bin nicht der Meinung, daß man da besonders zahm verfahren muß. Sie haben letztmals gesagt, man soll seine Jugend nicht verleugnen – und ich bin sicher, daß Sie da schon die richtige Auswahl treffen werden, fühle mich auch garnicht zuständig, hier viel mitzureden. Die Sache eilt ja auch nicht, und es ist jetzt vielleicht kein günstiger Moment, in dem Sie die nötige Zeit hätten, sich damit zu befassen. Wichtiger ist natürlich eine neue Arbeit, und wenn die, wie Sie sagen, nicht sehr preisträgerhaft wird, so ist das umso besser. Also zusammenfassend: Alles ohne Eile, so wie es Ihnen am besten scheint. Aber wenn Sie die Auswahl für Frühe Lyrik und Dramen nebenbei machen können, umso angenehmer für mich und die Leute, die darauf warten (die gibt es ja zweifellos) (26. November 1951).
Nach dem Erscheinen der Frühen Lyrik und Dramen im November 1952 ruhte der ursprüngliche Plan Gesammelter Gedichte für genau zwei Jahre. Erst als Gottfried Benn eine von Niedermayer zum siebzigsten Geburtstag 1956 vorgeschlagene Festschrift ebenso abgelehnt hatte wie das Projekt einer Gesamtausgabe, griff man auf das alte Vorhaben zurück und konnte Anfang 1955 auch die Zusage Peter Schifferlis für eine Übernahme der Statischen Gedichte in diesem Bande erreichen. Am 2. März setzte der Verleger die nun seit vier Jahren geführte Diskussion fort:
Ist es Ihnen recht, wenn dieser Band erscheint? Soll alles hinein, auch die frühen, so daß man von gesammelten Gedichten sprechen kann, oder soll es eine Auswahl – allerdings sehr große – werden? Fragmente und Destillationen gehören natürlich auch dazu. Wollen Sie das einmal überlegen? Ein solcher Band ist an sich eine Notwendigkeit, es wird immer wieder nach ihm gefragt, und die G. B.-Anhänger werden ihn kaufen, auch wenn sie die anderen Bände haben. Darf ich in diesem Zusammenhang mal wieder nach dem Schwarzen Heft und seinem Inhalt fragen? Vielleicht ließe sich zum Herbst ein Band neuer Gedichte machen und im Frühjahr 56 der große Band. Für einen kleinen Band wäre der Herbst vor dem Erscheinen gesammelter Gedichte doch ein günstiger Zeitpunkt.
Im Mai 1955, nach Benns erfolgter Zustimmung, setzt die eigentliche Redaktionsgeschichte der Ausgabe letzter Hand ein. Mit vorsichtiger Dosierung mußten grundsätzliche Fragen zu ihrer Anordnung, Auswahl und Textgestalt vorgelegt werden, um nicht statt einer Entscheidung nur unwirsche Erlaubnis zu selbständiger Weiterarbeit zu erhalten. Benns oft gerühmte Lässigkeit war freilich niemals Nachlässigkeit: was Niedermayer und seine Lektorin Marguerite Schlüter, von Freunden und Benn-Sammlern unterstützt, an Satzvorlagen inzwischen bereitgelegt hatten – alte Drucke, Fahnen jüngerer Veröffentlichungen, Abschriften verschollener Ausgaben wurde nach Rechtschreibung und Zeichensetzung vereinheitlicht, dem Autor, der das Verfahren billigte, zur Prüfung vorgelegt und von ihm beschieden. Kenntnisreiche Zustimmung, versteckt bohrendes Weiterfragen, vorsichtig ordnende Modifikationen unterstützten die Redaktion eines fast vierhundert Seiten umfassenden Gedichtbandes. Im Austausch von Briefen und Zetteln, Exposes und während längerer Telephonate wandelte sich nun der Plan einer aus Einzelbänden kombinierten Sammelausgabe zu dem von Gottfried Benn durchdachten Konzept Gesammelter Gedichte:
Was noch geklärt werden muß, ist die Anordnung und Auswahl, denn es soll ja eine Auswahl, eine zwar sehr umfassende, aber doch keine vollständige Sammlung sein? Also Ausgewählte Gedichte, nicht Gesammelte Gedichte. Vielleicht wäre es richtig, die jetzt vorhandenen Bände geschlossen zu übernehmen, denn sie sind ja inzwischen zu einem Begriff geworden. So entstünden also folgende Abteilungen: 1. Trunkene Flut 2. Statische Gedichte 3. Fragmente 4. Destillationen 5. Melancholie. Aus den jetzt in der Frühen Lyrik enthaltenen Gedichten könnte man natürlich auch noch etwas beigeben, wenn Sie sie auch nicht alle aufnehmen wollen, was ja vielleicht richtig ist, denn so eine Auswahl ist doch für ein breites Publikum. Die Anordnung könnte natürlich auch anders sein, meistens ist sie in diesen Fällen wohl chronologisch. Das macht allerdings manche Schwierigkeiten. Wir würden vorschlagen, die Bände geschlossen zu bringen, wie oben angegeben. Was ist Ihre Meinung und Ihr Wunsch? (13. Mai 1955).
Am 23. September – Schifferli hatte inzwischen den Lizenzvertrag unterschrieben – wandte sich Niedermayer abermals an Benn, wiederholte Fragen aus dem Frühjahr nach chronologischer Anordnung, Geschlossenheit oder Eingliederung der Einzelbände und Übernahme der frühen Lyrik. Die postwendende Antwort vom 26. September löste wie bei den älteren Gedichtbüchern sowohl den gegebenen Bandinhalt wie die zeitliche zugunsten neuer innerer Ordnung auf:
Ich denke: n i c h t chronologisch, n i c h t als geschlossene Einheiten, die einzelnen Bände. Welche Gedichte aus Frühe Lyrik würden Sie vorschlagen? Sollte man nicht aus den 3 Heftbänden (Fragmente, Destillationen, Aprèslude) einige mit herausnehmen?
Drei Tage später lag Benn bereits ein detailliertes Verzeichnis mit Vorschlägen vor:
„Morgue / Nachtcafé I / Saal der kreissenden Frauen / Alaska II und VI / Kurkonzert / Das Plakat / Durchs Erlenholz – / Kokain / Aufblick / O Geist / Strand / Bolschewik / Blumen / Mediterran / ? Chaos / Nacht / Banane / Staatsbibliothek / Stadtarzt / Fürst Kraft / Ostafrika / Dynamik / Annonce / Zwischenreich / Wer bist du – / Schweifende Stunde / Widmung / Jena / Die hyperämischen Reiche / Qui sait / (ausgeschieden wurden also zunächst: Der Arzt 1–3 / Nachtcafé 2–5 / Finish 1–4 / Prolog 1920 / Alaska 1, 3-5, 7–8 / Fleisch / Der Psychiater / Das Instrument / Notturno / Ball / Innerlich 1–6). Sie sollten vielleicht an den Anfang zu stehen kommen – das heißt, bei chronologischer Anordnung entsprechend der Folge der einzelnen Bände hätte sich das automatisch ergeben. Nun sind Sie gegen eine chronologische Anordnung, und das macht die Frage für uns ein wenig schwierig. Thematisch ist doch wohl unmöglich, also wie dann? Ich muß gestehn, daß wir hier ein bißchen hilflos sind und nicht wissen, wie Sie sich’s vorstellen. Eine Anordnung nach persönlich-geschmacklicher Neigung könnten ja im Grunde nur Sie selbst vornehmen. Was die Bände Fragmente, Destillationen und Aprèslude betrifft, so wollten wir sie komplett aufnehmen. Die Einzelauflagen sind nicht mehr so hoch und könnten bis zum Erscheinen des neuen Bandes und später neben ihm leicht weggehen, ohne dessen Verkauf zu stören (29. September 1955).
Gottfried Benns Weiterführung des Gesprächs fiel Anfang Oktober in die Wirren der Frankfurter Buchmesse; seine vorläufigen Überlegungen, die typographischer Rhythmisierung nachhingen und doch auf sinnvolle Anordnung zielten, provozierten Marguerite Schlüter, die in Abwesenheit Niedermayers die Korrespondenz übernahm, zu knappen Ratschlägen. Was sich an Benns Gedankengängen entzündete, wurde seinerseits vom Autor in neue Erwägungen übergeleitet. Mit Bezug auf den Brief des Verlegers vom 29. September schrieb Benn am 9. Oktober 1955:
Nun der grosse Gedichtband: mir schwebt vor, als Einleitung 2 oder 3 der grossen, anerkannten Anthologie Gedichte zu bringen, dann chronologisch, mit vielleicht nochmals hervorgehobenen sozusagen programmatisch s c h ö n e n Gedichten (vielleicht in besonderem Druck?), wenn eine neue Periode beginnt Aber ich habe kein Exemplar der Frühen Gedichte u Dramen mehr hier, kann also die Vorschläge von Herrn N. nicht nachprüfen. Würden Sie mir wohl 1 Exemplar senden?
Marguerite Schlüter gestand am 15. Oktober:
Die Frage der Anordnung der Gedichte ist wirklich schwierig. Psychologisch wäre es natürlich gar nicht schlecht, den Durchschnittsleser, der vielleicht noch kein unbedingter G. B.-Anhänger ist, nicht gleich auf den ersten Seiten mit der Morgue zu erschrecken, sondern ihm erst einmal ein paar ,Anthologiegedichte‘, wie Sie es nennen, zu bieten. Aber sachlich ist diese Lösung, finde ich, doch etwas fragwürdig. Wir wollen ja das Frühe nicht verstecken oder unterdrücken, und es scheint mir durchaus fraglich, ob solche scheinbar einleuchtenden Konzessionen sich am Ende wirklich lohnen. Wir werden jedenfalls über diese Frage noch nachdenken. Was meinen Sie mit besonderem Druck für die ,schönen‘ Gedichte – Kursivschrift, oder? Ich weiß nicht, ob man das machen kann – ich fürchte, es würde nicht sehr gut aussehn.
Mitte Januar 1956 ging die Druckvorlage der Gesammelten Gedichte in Satz; erste Fahnenabzüge erhielt Benn Ende Februar. Am 28. Februar heißt es an Niedermayer:
Ich erhielt Korrektur für den Gedichtband. Das ist ja eine schlimme Sache! Soll ich das alte Zeug nochmals durchlesen? Wäre es nicht möglich, Sie und Fräulein Schlüter behandelten mich als Toten u. machen es nach Gutdünken? Aber ich werde die Fahnen betrachten.
Wie die erhaltenen Herstellungsunterlagen zeigen, hat Benn den Text sorgfältig durchgesehen und bis ins Umbruchstadium überwacht. Von Seiten des Verlags, wo man die einstweilen vom Autor beiseitgeschobenen Gedichte erneut prüfte, kamen in den letzten Wochen vor dem Ausdrucken mehrfach Nachtragswünsche. So schrieb Max Niedermayer am 5. März 1956:
In diesem Zusammenhang möchte ich die Frage aufwerfen, ob aus der Frühen Lyrik nicht doch der Zyklus „Der Arzt“ aufgenommen werden sollte. Ich bin eigentlich sehr dafür, und auch wenn Sie noch weitere frühe Gedichte mit hineinnehmen wollen, sage ich gern ja. Warum auch nein? Ich glaube, wir gingen zunächst davon aus, daß bei dem großen Band eine gewisse freundliche Rücksicht auf zarter besaitete Gemüter genommen und niemand zu sehr erschreckt werden sollte – aber was hat das letzten Endes für einen Sinn?
Unterm selben Datum hatte Benn auf einem Rezeptblatt dem Verleger mitgeteilt:
Lieber Herr Niedermayer, ich blättere in den Fahnen der Gedichte. Ich finde doch manchen Druckfehler, bzw. Irrtum (meine Schuld), denn auch in den Frühen Gedichten sind die gleichen Fehler drin. Ich sende in 2 Tagen zurück dann wäre es vielleicht am besten, wenn Frl. Schlüter mit Fahnen mich anriefe u. wir besprächen Einzelheiten am Telefon. Tut mir leid, soviel Scherereien zu machen.
Diese telephonische Beratung führt ein Brief Marguerite Schlüters am 8. März weiter, der auch eine für die Bandgliederung sinnvolle und von Benn dankbar akzeptierte Lösung bot:
Die Korrekturen sind erledigt, „Arzt“ kommt noch dazu, und Fleisch ebenfalls – wir finden es beide nicht zu ,schlimm‘, und es ist doch ein für die frühe Lyrik sehr repräsentativer Zyklus. Die Frage ist nun, ob man – wenn „Arzt“ und „Fleisch“ in die Gruppe der Frühen Lyrik kommen, ebenso wie die „Krebsbaracke“ – nicht auch die andern Gedichte aus dieser Epoche die seinerzeit in den Band Trunkene Flut aufgenommen wurden, nach vorn, zur frühen Lyrik, nehmen sollte, wo sie ja organisch eigentlich hingehören. Geht man nach dem Inhaltsverzeichnis der Gesammelten Gedichte von 1927 – das in zwei zeitliche Gruppen (1912-1920 und 1922-1927) aufgeteilt war −, so kämen dafür in Frage:
Karyatide Pappel Mutter
Das späte Ich O Nacht Gesänge
Kretische Vase Synthese D-Zug
Curettage Der junge Hebbel Englisches Café
Untergrundbahn Ikarus Reise
Durch eine solche Lösung der Anordnungsfrage würde allerdings der Zwischentitel Trunkene Flut hinfällig, denn wenn auch die übrigbleibenden Gedichte rein zahlenmäßig gesehn stark genug wären, eine eigene Gruppe zu bilden, so wäre es doch offensichtlich, daß es sich nicht mehr um den unter diesem Titel erschienenen Band handelt. Und das führt zu der Frage, ob man nicht überhaupt die einzelnen Bandbezeichnungen weglassen und statt ihrer Jahreszahlen setzen sollte. Also statt:
Frühe Lyrik 1912–1920
Trunkene Flut 1922(?)–1936
Statische Gedichte 1951
Fragmente 1953
Aprèslude 1955
Herr Niedermayer meint, auf diese Weise käme man vielleicht auch sogar zu einer klareren und schöneren Gliederung des Bandes. Der Epilog aus der Trunkenen Flut soll ja sowieso für sich allein stehn und den Schluß des ganzen Bandes bilden. Übrig bliebe dann noch die Frage, was bei einer derartigen Lösung mit den sechs Gedichten geschehen sollte, die bereits 1936 in der vom Promi ,gereinigten‘ Ausgabe der Ausgewählten Gedichte erschienen, später in die Statischen Gedichte aufgenommen und dadurch zeitlich in eine andre Schaffensperiode verschoben wurden. Es sind das:
Leben – niederer Wahn / Spät im Jahre / Anemone / Wer allein ist / Suchst du / Einsamer nie / ( Vermerk:) plus Am Saum I / Tag / Astern / Sils / In memoriam / Liebe / Turin / Ach, das Erhabene // Wenn man sehr genau sein will, müßte man sie dann eigentlich in die Gruppe der Gedichte von 1922–1936 hineinnehmen. / Wenn man sich überhaupt für dies Anordnungsprinzip entschlösse, bliebe als letzte Frage die der Reihenfolge innerhalb der einzelnen Gruppen. Für die erste könnte man sich an die Ausgabe der Gesammelten Gedichte von 1927 halten; bei der zweiten gäbe es wohl einige Umstellungen, da einmal die Reihenfolge der betreffenden Gedichte im Band Gesammelte Gedichte anders ist als in der Trunkenen Flut und zum andern 1936 zwei verschiedene Ausgaben der Ausgewählten Gedichte erschienen. Bei den übrigen Gruppen – die man unter Umständen auch in eine zusammenfassen könnte – wäre die Sache ja klar.
Benn stimmte diesen Vorschlägen am 11. März zu:
1) Erweitern wir also die Gruppe 1922–1923 um jene 11 (!) Gedichte
2) Lassen wir die Bandbezeichnungen fort
3) (neu:) schreiben wir die 3 letzten kleinen Bände nicht mit Jahreszahlen, sondern wie das andere: 1951–1955.
4) damit die Leute nicht sagen, wie mies ist dieser Mann zum Schluß geworden, möchten wir vielleicht die letzten Gedichte dieser Gruppe 1951–1955 anders ordnen, ich meine als letzte 6 oder 8 Gedichte die mir am besten erscheinen, nämlich etwa: Reisen (Fr. 31) / Spät (D. 35) / Zerstörungen (Fr. 12) / Tristesse (Apres) / Die Züge deiner (Apres) / Teils, teils (Apres) / Das sind doch Menschen (Apres) / Keiner weine (D. 23) / Nur 2 Dinge (D. S. 19) / Vorschlag, bitte denken Sie darüber nach. Ich würde ganz fortlassen: Viele Herbste (D. 25) / Den jungen Leuten (D. 20) / Was schlimm ist (D. 15) / Vorschlag, bitte denken Sie darüber nach!
Marguerite Schlüter antwortete am 14. März:
Wir setzen also Jahreszahlen anstatt der Bandbezeichnungen; die letzten drei kleinen Bände werden in eine Gruppe 1951–1955 zusammengefaßt, die vierzehn Gedichte aus den ehemals Statischen nach vorn genommen, „Acheron“ und „Gewisse Lebensabende“ dafür nach hinten. Die Umgruppierungen in der letzten Gruppe ist sicher ausgezeichnet und wird dem Band einen grandiosen Abschluß geben. Über die drei eventuell wegzulassenden Gedichte habe ich versucht nachzudenken. Aber ich bin, was G. B. betrifft, ziemlich befangen und eigentlich immer gegen Weglassen. Müßte ich wählen, so würde ich sagen, daß ich „Was schlimmer ist“ eigentlich sehr ungern missen würde, aber natürlich ist das eine sehr persönliche Meinung. Herrn Niedermayer habe ich auch befragt, er hängt am meisten an „Viele Herbste“. Vielleicht überlegen Sie es noch einmal und entscheiden es dann? Auch das Widmungsgedicht an Klabund, das in unsrem Almanach abgedruckt ist, sollte man vielleicht doch noch hineinnehmen, es ist doch sehr schön −? Ich habe heute versucht, ein Inhaltsverzeichnis zu machen, und dabei sind neue Fragen aufgetaucht, mit denen ich Sie leider belästigen muß: / Bei den verschiedenen Zyklen, die ja nicht alle komplett aufgenommen werden, gibt es Schwierigkeiten mit der Numerierung. Es gibt bereits zwei verschiedene – die der Gesammelten Gedichte von 1927 und die unsrer Frühen Lyrik. Beispiel:
Ges. Ged.1927 Frühe Lyrik
Alaska Alaska
2. Der junge Hebbel 2. Wir gerieten in ein…
3. Wir gerieten in ein Mohnfeld 6. Drohung
6. Über Gräber 8. Da fiel uns Ikarus…
8. Mutter
„Hebbel“, „Mutter“ und „Wir gerieten“ haben also verschiedene Nummern. Man weiß nicht, an welche man sich halten soll, und wenn man eine ganz neue Numerierung wählt, wirrt sich alles noch mehr. Mir scheinen zwei Lösungen möglich:
a) Man behält die Untertitel beziehungsweise Zeilenanfänge im Inhaltsverzeichnis bei, läßt aber die Nummern weg. Das ist natürlich ein bißchen unsystematisch und unklar, aber vielleicht ist das nicht so schlimm.
b) Man läßt alle Untertitel beziehungsweise Zeilenanfänge weg und nennt nur den jeweiligen Zyklustitel. Das hat den Nachteil, daß dann „Der junge Hebbel“, „Mutter“ und „Gesänge“ – die ja ursprünglich alle zu „Alaska“ gehörten – im Inhaltsverzeichnis gar nicht mehr erscheinen, obwohl sie unter diesen Titeln viel bekannter sind als unter „Alaska“. Zuerst hielt ich noch eine dritte Lösung für möglich, nämlich die, „Morgue“ und „Der Arzt“ als Zyklustitel zu erhalten, „Alaska“ aber fallenzulassen und diese Gedichte selbständig unter ihren jeweilgen Titeln anzuführen. Das geht aber nicht, weil „Wir gerieten in ein Mohnfeld“ keinen eigenen Titel hat. Jetzt habe ich also zunächst mal Lösung a) versucht und schicke den Entwurf mit, damit Sie ihn ansehn können. Problematisch ist natürlich die Anordnung in Gruppe 2 (1922- 1936). Ich habe hier zunächst versucht, die Gedichte möglichst in einer Reihenfolge zu lassen, in der sie in früheren Bänden schon einmal waren – erst die um einige Gedichte ergänzte Gruppe 1922-1927 aus den Ges. Ged. von 27 und anschließend die übrigen aus den Ausgewählten Ged. von 36. Aber ob man das so lassen kann, ist eine andre Frage, die zu beurteilen ich nicht imstande bin.
Gottfried Benn entschied am 16. März:
L. Frl. M. SchI. schrecklich, schrecklich! Peinlich, peinlich – alle diese Arbeit um dies Gereime, das besser unterblieben wäre. Hockey spielen ist bestimmt für Sie unterhaltlicher. „Alaska“ muß m. E. als Zyklustitel bleiben, da es immer noch in gewissen Kreisen ganz bekannt ist. Da ich kein Exemplar der Frühen Lyrik u Dramen besitze, weiss ich nicht, wie es da aussieht. Eigentlich ist ja natürlich der ganze Titel Quatsch, wenn nicht das Einleitungsgedicht dabei ist, aus dem man den Sinn des Titels ersieht. Aber das Einleitungsgedicht ist wohl zu doll: Auch müsste auf jeden Fall der Schluss mit „Ikarus“ hinein, der ist ja recht prägnant. Wenn wir schon „Arzt“ u „Fleisch“ mitaufnehmen, ist ja auch „Alaska“ in Originalform nicht mehr unzart. . / Ich würde die Serie 1922-1936 enden lassen mit „Dennoch die Schwerter halten“. Die weitere Anordnung ist vielleicht nicht so wichtig. / Ihren Zettel habe ich mit Zetteln beantwortet. Wenn die prominenten Inhaber der Firma es wünschen, nehmen wir also „Viele Herbste“ dazu u als Ovation für Sie persönlich auch „Was schlimm ist“. Falls Sie das Klabundgedicht reinnehmen wollen, müsste man den Anlaß angeben wie im Almanach – aber lohnt das?
In der Antwort vom 19. März heißt es dazu:
Ja, das „Alaska“-Einleitungsgedicht scheint mir auch unumgänglich, und auch das letzte, „Ikarus“, sollte hinzu genommen werden. Dann würde ich allerdings, wenn ich das darf; gern noch „Über Gräber“ mit hineinnehmen. Dann bedanken wir uns sehr dafür, daß „Viele Herbste“ und „Was schlimm ist“ drinbleiben können, doch das hat Ihnen Herr Niedermayer sicher schon am Telefon gesagt. Die Gruppe 1922-1936 wird also mit „Dennoch die Schwerter halten“ enden – und kann das Widmungsgedicht an Klabund, das ja auch in diese zeitliche Gruppe gehört, vielleicht an ihrem Anfang stehn? Was Gescheiteres fällt mir nicht ein. Und soll man als Titel nehmen „Für Klabund“ – in einer Zeile drunter dann die nähere Erläuterung wie im Almanach? Und noch zwei Fragen, die vorläufig letzten: In der „Stimme hinter dem Vorhang“ ist doch das schöne „Little Old Lady“ – sollte das nicht auch mit in den Band? Soweit ich mich erinnre, war es seinerzeit – bei der Veröffentlichung im Literarischen Deutschland – Nummer IV des Zyklus „Spät“. Wenn das stimmt, wäre es wohl am besten, es jetzt, wenn man es aufnimmt, wieder an diese Stelle zu setzen? Soll der Epilog, der ja für sich am Ende steht und einen eigenen Zwischentitel bekommt, die Jahreszahl 1949 als Zusatz erhalten oder einfach so gebracht werden?
Benn akzeptierte diese Einzelheiten in der Antwort vom 20. März:
Liebes Frl. M. Schl. / Dank für Schreiben vom 19 III u Inhaltsverzeichnis von 1951–1955. 2 Umstellungen habe ich mir erlaubt zu ändern. / 1922–1936 würde ich nicht mit dem Klabundgedichtbeginnen, sondern, wie Sie schrieben, mit „Der Sänger“. Dann 2) „Trunkene Flut“ 3) „Palau“ u dann „Schutt“ usw, wie Sie angaben. Klabundgedicht mittendrin mit Notiz wie im Almanach. / „Little old lady“ gehört zu „Spät“, gut dass Sie es erinnern! / Die „Epilog“ 1949 Gedichte gefallen mir jetzt nicht mehr so sehr für den Schluss, aber wir wollen es nun so lassen. Ob mit oder ohne 1949 weiss ich nicht, was meinen Sie? Vielleicht: / „Epilog“ (1949).??
Am selben Tag legte Marguerite Schlüter zwei letzte Fragen vor:
1. In einer Abschrift vom Inhaltsverzeichnis des 1943 erschienenen Privatdruckes fand ich „Die Züge deiner“. Demnach gehört dies Gedicht eigentlich in die Gruppe 1937–47 und nicht in die spätere? Ich habe es zunächst mal provisorisch zwischen die Gedichte „Ein später Blick“ und „Nachzeichnung gesetzt“. / 2. Und dann fiel mir beim Zusammenkleben des Umbruchs auf, daß „Rosen“ im Inhaltsverzeichnis bisher nicht berücksichtigt wurde. Es ist in keinem der früheren Bände enthalten, und ich glaube mich dunkel zu erinnern, daß es 1949 zusammen mit dem Epilog neu zum Band Trunkene Flut hinzukam. Bei der jetzigen Gruppeneinteilung würde es also in keine passen; vielleicht sollte man die letzte Gruppe schon mit 1949 beginnen lassen, nicht erst mit 1951. Es läge dann auch keine so große Pause zwischen den beiden Gruppen, und im Jahr 1949 erschien ja nicht nur die Trunkene Flut, sondern auch unsre deutsche Ausgabe der Statischen Gedichte, in der erstmals „Acheron“ und „Gewisse Lebensabende“ enthalten waren. Man könnte also diese Gruppe gut mit den drei genannten Gedichten beginnen lassen, oder?
Benn entschied am 23. März:
1) Ich möchte, dass „Die Züge deiner“ im letzten Teil steht, wo Sie es bisher eingesetzt haben. 2) Wenn Sie meinen, beginnen Sie diesen letzten Teil mit 1949–1955. 3) „Rosen“ gehört dann auch in diesen letzten Teil. / Als Sie am 20 III schrieben, haben Sie meinen letzten Brief vom 20 III noch nicht in Händen [gehabt]? / Nun ist wohl alles klar?
Am 4. April wurde der Umbruch von Benn imprimiert, Ende April, rechtzeitig zum siebzigsten Geburtstag, lagen die Gesammelten Gedichte im Buchhandel vor. Das erste Exemplar überreichten der Verleger und seine Lektorin persönlich am 2. Mai 1956.
Gerhard Schuster, Nachwort
der kritschen Stuttgarter Benn-Ausgabe enthält die Gesammelten Gedichte von 1956, deren Folge Benn selbst im letzten Jahr seines Lebens durch Neugruppierung der Sammlungen und Zyklen seines lyrischen Œuvres festgelegt hat. Der Apparat bietet alle erhaltenen Vorstufen und Varianten der gedruckten und ungedruckten, vielfach erstmals entzifferten Überlieferung.
Klett-Cotta, Ankündigung
Bernhard J. Dotzler: Nihilistischer positiv sein
Merkur, Heft 518, Mai 1992
Heinrich Detering: „Es kann nicht kalt genug sein“
Merkur, Heft 663, Juli 2004
− Generationserfahrungen mit Gottfried Benn. −
Keiner konnte sich damals dem Sog seiner Verse entziehen. Nicht die Bewunderer, die ihn perfekt imitierten. Nicht die Gegner, die ihn bekämpften. Selbst in der Parodie von Robert Neumann steckt der echte Benn. Und Peter Rühmkorfs Gedichte auf ihn sind eher getarnte Hommage als Entlarvung. Klaus Mann fiel die Verurteilung seiner temporären Faschismusneigung schwer, weil er für den Lyriker Benn, wie er gestand, „eine ziemlich tiefgehende Schwäche“ hatte. Johannes R. Becher, einst expressionistischer Mitstreiter Benns, behauptete, nachdem er Kulturminister der DDR geworden war: „Ich hatte die Wahl, Becher oder Benn zu werden.“ Auf Benns Tod dichtete er dann zwei rührselige Vierzeiler voll unverhohlener Sympathie.
Gottfried Benn starb am 7. Juli 1956, sein Antipode Brecht fünf Wochen später, am 14. August. So beschert uns das Jahr 1986 Benns 100. Geburtstag und 30. Todestag. Benn, nach solcher Zahlenmystik gefragt, hätte wahrscheinlich mit jenem von ihm oft zitierten Satz geantwortet, der den protestantischen Pfarrersohn wie den Arzt verrät: „Das Leben währet 24 Stunden. Und wenn es hochkommt, war es eine Kongestion.“ Zynismus nicht als menschenverachtende Haltung, sondern als Abwehr und Selbstschutz. Benn hatte ihn besonders nötig nach 1945, als er sich etlicher Diffamierungen und Verfolgungen zu erwehren hatte, Kollegen wie Alfred Döblin oder Becher haben Benns Ruhm, der in seinen letzten Lebensjahren über ihn hereinbrach, nicht verhindern können. Nach Benns Tod ergriff die Nachgeborenen ein wahres Benn-Fieber. Für uns wurde Benn die Inkarnation der lyrischen Moderne. Denn auch in der Lyriktheorie galt er mit „Probleme der Lyrik“, seinem Marburger Vortrag von 1951, als Autorität. Gewiß war es kein Zufall, daß zu gleicher Zeit das rororo-Taschenbuch des Romanisten Hugo Friedrich, Die Struktur der modernen Lyrik, ein Bestseller wurde. Dieses Buch und Benn stießen für uns Tore zu einer Poesie der Moderne auf, von der in Deutschland zumindest eine breitere Öffentlichkeit bis dahin weitgehend abgeschnitten gewesen war. Heute, beim Wiederlesen nach fast zwanzig Jahren, frage ich mich, was war es, was uns an der Lyrik Benns, an seiner Essayistik, an seiner Prosa faszinierte, um gleich einen Lieblingsbegriff von ihm einzuführen?
Bei ihm wurden die Schmerzen unserer Jugend kompensiert, die Spannungen unserer Ambivalenzen; durch sein Pathos, seine Weltverachtung, diese Mischung aus Melancholie und Zynismus, fühlten wir uns bestätigt, ja derart aufgehoben, daß wir auch seine Formel vom „Zoon politikon, ein griechischer Mißgriff, eine Balkanidee“ begeistert annahmen. Der Wiederaufbau der Bundeswehr war gerade im Gange, und die ersten Söhne, deren Väter in Hitlers Krieg gefallen waren, sollten in die Kasernen einrücken. Doch zuallererst waren es natürlich die Bilder seiner Verse, seine teils schockierende, teils saloppe Wortwahl, die Art, wie er sich von den „Gräserbewisperern“ – so nannte er die deutschen Naturdichter – absetzte, wie er alles, manchmal bis zum Kitsch, in eine hinreißende Synästhesie verwandelte – das war Benn. „Kein Evoe, kein Requiem, / du möchtest dir ein Stichwort borgen / allein bei wem?“ – Bei Benn −: So ging die Rede damals. Man wollte doch nicht seine „Abgründe mit Streuselkuchen und Wollwesten“ zustopfen – auch das ein Benn-Wort, sondern sich aus den eigenen Krisen mit Benn-Versen wieder befreien. Hatte er uns nicht immer wieder Mut gemacht, indem er sich polemisch-zynisch über Zeitphänomene ausließ oder seinem Existenzgefühl einen exemplarischen Ausdruck gab? Die Stimmungen sollten nach Benns Theorie nur durch montierte Worte entstanden sein. Das war ein neues Lyrikverständnis. Und neu war auch für uns, wie Benn seinen Kunstbegriff gegen die soziale Realität stellte.
Er lehrte uns jene „Delicatesse für alle fünf Kunstsinne“, wie er die von Nietzsche inspirierte „Artistik“ nannte. „Artistik“ als Lebens- und Kunstprinzip gegen den allgemeinen Verfall der Werte gesetzt – eine verführerische, wenn nicht gefährliche Formel, die aber in der Adenauer-Zeit bei uns Ihre Wirkung tat. „Fragmente, / Seelenauswürfe, / Blutgerinnsel des zwanzigsten Jahrhunderts…“ Ja, das war wohl die Antwort, die wir suchten in einer Welt, die moralisch am Boden war und ihre neue Interessenlage rein materiell begründete. Benn: der Lehrmeister für uns künftige Literaten, Lektoren und Poeten. An Benn entwickelte sich unser Gespür für Poesie und für die späteren Richtungskämpfe von „Szene“ und „Markt“: die notwendige Literaturpolemik. An seiner Lyrik erstaunte uns, daß Benn in jeder Etappe seines Werkes immer wieder überraschend neue Formen, neue Worte und Bilder gefunden hatte. Ob frühexpressionistische Dirnenerotik oder kulturkritisches Gedicht der Spätzeit – es war immer wieder ein neuer, anderer Benn und doch der eine, unverwechselbare.
Die kleinen Verleger entdeckten den großen Dichter: 1912 brachte Alfred Richard Meyer Morgue und andere Gedichte als 21. Flugblatt in einer Auflage von 500 Exemplaren heraus. Er selbst wurde später bekannter durch seine Munkepunkepoesie bei Hoffmann und Campe. 1948 war es dann der kleine Arche Verlag in Zürich, der mit dem Band Statische Gedichte den Anstoß gab für Benns Wiedererscheinen auf der literarischen Szene. Die Verleger Suhrkamp, Rowohlt und Claassen durften erst nicht und dann trauten sie sich nicht, sie staunten nur über Benns Bohnenkaffee. Nachzulesen ist das in den Briefen an den Bremer Kaufmann Oelze, mit dem Benn von 1932 bis zu seinem Tote eine umfangreiche Korrespondenz führte, sie enthält quasi den „ganzen Ben“. Dort findet sich auch der Satz, mit dem sich Benn dann von den Verlegern abwandte:
Ich bin kein gepflegtes Hirn, das seine Produkte an gekachelt Molkereien abliefert.
Die Morgue-Gedichte, Benns Erfahrung von der Hinfälligkeit des Körpers, an dem er sich mit dem Seziermesser zu erproben hatte, diese Gedichte mit ihrer krassen Sinnlichkeit, brachten einen völlig neuen Ton in die deutsche Lyrik. „Kleine Aster“, „Schöne Jugend“ oder „Negerbraut“ waren ein Schock für die feine Welt der Literatur, die doch eher an George oder an Gedichte aus Damentaschenkalendern gewöhnt war.
Franz Blei verpaßte daraufhin Benn in seinem Bestiarium den Spitznamen „giftiger Lanzettfisch“, und noch Meyers Lexikon in der 7. Auflage von 1931 hielt fest:
Benn ist ein Dichter von starken Talenten und lebhafter Phantasie mit besonderer Vorliebe für das Absondere, Groteske, ja Perverse.
Sprache, Form, die raffinierte Gliederung der Kontrastmomente – die Ästhetik hatte den Schrecken gebannt. Und mit dieser Ästhetik des Häßlichen hatte Benn den Rubikon überschritten. Denn er hatte eine bis dahin noch nie dargestellte Welt „poetisiert“, hatte disparate Zusammenhänge konstruiert, die als Erkenntnisschock wirkten. Nichtlyrisches Material poesiefähig machen – das war Benns Prinzip.
Er hat oft vom Gedicht ohne Inhalt gesprochen, vom „absoluten“ Gedicht, zu oft vielleicht, als daß nicht Skepsis angebracht wäre. Denn diesen Gedichten lagen ja Stoffe und Inhalte zugrunde. Die Suggestion seiner Verse rührte nicht nur daher, daß er vorwiegend in Substantiven dachte und fühlte, sondern, daß auch inhaltliche Bedeutungen mitschwangen.
Wissenschaftliche Werke, manches Reisebuch, das für ihn wichtig war, hat er nach Worten und Wendungen abgesucht, um dann „den episch erzählten Vorgang auf Messerschneide zu bringen“, wie er in einem Brief bekannte. So ist z.B. das sechsstrophige Südgedicht „Palau“ nach der Lektüre von Erwin Rohdes Buch Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen und nach Ludwig Klages Der kosmogonische Eros entstanden. Wie Benn das Thematische in den „konstruktiven Affekt“ auflöst, hat er einmal in dem Gedicht „Staatsbibliothek“ mit expressiver Wortwut ausgedrückt:
Staatsbibliothek, Kaschemme,
Resultatverlies,
Satzbordell, Maremme, Fieberparadies:
wenn die Katakomben
glühn im Wortvibrier, und die Hekatomben
sind ein weißer Stier. −
1953 schreibt Benn in einem Brief:
Einer der ernstesten Gründe meiner Depression ist, daß es in West-Berlin keine Bibliothek mehr gibt, die alte große liegt in Ost-Berlin und ist für uns nicht zugängig… Das wunderbare Flackern von einem Buch zum andern, das in der alten Staatsbibliothek Unter den Linden früher möglich war, ist nicht mehr zu erleben.
Welch ein Abstand zwischen Rilke und Benn, wenn man daneben liest, wie sich der junge Malte in der Pariser Bibliothèque Nationale fühlte:
… und dann bin ich zwischen diesen Büchern, bin euch weggenommen, als ob ich gestorben wäre, und sitze und lese einen Dichter.
Rilke verklärt, Benn fasziniert.
Die fremdesten Begriffe fügten sich bei Benn in den neuen Rhythmus des Gedichts ein:
Charon oder die Hermen
oder der Daimlerflug…
Seine Zitatkunst, seine Anspielungen, seine Assoziationen, seine Fremdworteffekte mit großem Klang- und Rhythmusgefühl eingesetzt, haben dem deutschen Strophengedicht noch einmal eine neue, geradezu brisante Bedeutung gegeben. Am ehesten ist Benns Montagelyrik noch mit dem Kompositionsprinzip Gustav Mahlers zu vergleichen, das bei beiden begründet liegt in der Sehnsucht nach einer – paradoxen – Harmonie der Brüche. Daneben ist die heute hoch gehandelte Huhn-, Hahn- oder Maiwaldpoesie Produkt „freundlicher Talente“, wie Benn sagen würde.
Ideologisch gesehen artikuliert Benns gesamtes Werk die Ablehnung einer Realität, soweit sie politisch, fortschrittsgläubig, geistig und kulturell einfach mittelmäßig ist. Nietzsche ist auch hier sein Ahnvater; er habe definitiv schon formuliert, was Benns Generation durchdacht und durchlitten habe. Die Erfahrung der beiden Weltkriege, das geistige Desaster der russischen Revolution und Benns eigener politischer Sündenfall, von dem noch zu reden ist, haben ihn in dieser Schroffheit nur bestätigt und bestärkt. Der Antike-Mittelmeer-Südenkomplex, der auch auf Nietzsche zurückgeht, ist jene Gegenwelt, im Gedicht, mit deren ambivalenter Wirkung Benn aber rechnet, wenn er sie „die letzte Glücklügenstunde unserer Südlichkeit nennt. „Kretische Vase“ und „Karyatide“, „Trunkene Flut“ und „Mediterran“ hießen solche Gedichte, betörende Verse, in denen der ganze Bennsche Zwiespalt, die Problematik des Späten Ich, immer enthalten war: „O Seele, um und um verweste, / kaum lebst du noch und noch zuviel.“ / „… Die Felsen glühn, der Tartarus ist blau; / der Hades steigt in Oleanderfarben / dem Schaf ins Lid und brennt zu Garben / mythischen Glücks die Totenschau.“
Für manche dieser Verse konnte man sich damals „wegwerfen“, wie ein mir befreundeter Autor jüngst noch einmal bestätigt hat. Es waren vor allem die späten Stimmungsgedichte, die aber nie nur „Stimmung“ waren – wie bei den lyrischen Nichtschwimmern von heute; „Einsamer nie als im August“ oder „Astern“ waren keine Koketterien, sondern durch die Bennsche Existenz fundiert. Bilder und Wort wie aus dem Hausschatz der deutschen Poesie und doch im Benn-Duktus absolut neu: „Astern – schwälende Tage“ und „noch einmal ein Vermuten, / wo längst Gewißheit wacht: / die Schwalben streifen die Fluten / und trinken Fahrt und Nacht.“
Die andere Seite dieser Lyrik; ihre polemisch virtuos formulierte Zivilisationskritik: Es war die Welt, deretwegen Benn seinen mittelmeerischen Regressionen nachgab. Die satirisch parodistischen Gedichte über „Nachrufpersönlichkeiten“ wie „Fürst Kraft“, die Villa in Baden-Baden, der „Qui sait“, was sich heute fast wie ein Programmgedicht der Grünen liest, das war auch unsere Form kulturkritischer Rebellion. Das Jahr 1968 schrieb man damals noch lange nicht.
Aber der Mensch wird trauern −
kosmopoler Chic
neue Tempelmauern
Kraftwerk Pazifik:
die Meere ausgeweidet,
Kalorien-A valun:
Meer, das wärmt, Meer, das kleidet −
neue Mythe des Neptun.
Benn, der ja aus einem 700-Seelen-Dorf östlich der Elbe stammte, hat zwar behauptet, er brauche für seine Lyrik Landschaft um sich. Indes: Er ist als zivilisationskritischer Poet der Großstadtdichter der Moderne; und bis in die eigene Sprechweise hinein ist er Berliner geworden. So schreibt er einmal an Oelze:
Einen Schock hat mir Ihre neue Bemerkung über das „fatal Berlinische“ versetzt, ich fürchte, daß ich reichlich viel davon assimiliert habe u. mir ist das Schnoddrige u. Kaltschnäuzige nicht so désagréable wie Ihnen. Es ist eine Nuance der großen Desillusionierung, die ich selbst ja so gerne betreibe u. die, wie ich glaube, mich stilistisch erzogen hat. In einer Almhütte bilden sich Geschwülste u. am Steinhuder Meer kein Stil, aber in diesem gemeinen Berlin streift sich manches Sentimentale ab, es macht fit und sec.
Benn hat die Atmosphäre der Besatzungszeit in Prosa und Gedicht teils böse und entlarvend, teils melancholisch eingefangen, eine Mischung aus „modern talking“- und „L’heure bleue“-Stimmung.
Die Nähe etlicher Gedichte zu Jazz und Boogie-Woogie hat nach seinem Tod eine Schallplattenfirma zu einer Produktion von „Lyrik mit Jazz“ veranlaßt. Als ich in den fünfziger Jahren auf obligatorischer Klassenfahrt zum erstenmal nach Berlin kam – in Ost-Berlin sahen wir in der Staatsoper Die Entführung aus dem Serail (!) −, glaubte ich die Stadt schon längst zu kennen – so wie sie Benn etwa im „Ptolemäer“, der „Berliner Novelle“ von 1947, schildert. Er hat das Prosastück selbst auf Schallplatte gesprochen in seinem unverwechselbaren zynischen Parlandoton. Diese Ptolemäer-Prosa ist ein artistisch zelebriertes Stück Zeitkritik und zugleich Rechtfertigung und Selbstkritik. „Wer für die politische Welt plädiert, kann das nur aus Kaprice tun“, lautet ihr folgenschwerster Satz. Ist er als Benns Antwort zu verstehen auf seine Haltung im Jahr 1934? „Politisch down“ sei er wohl damals gewesen, aber „prostituiert“ habe er sich nie, antwortet er seinem Freund Oelze auf die Diffamierungen in den ersten Nachkriegsjahren.
Auf Klaus Manns Frage von 1933: Wie konnte jemand, der solche Verse schrieb, zeitweilig Sympathie für die Nazis haben? – darauf gibt es heute mehrere Antworten. Benn als der „Himmel und der Erde Formalist“ war im Gegensatz zu Ernst Jünger, der in seiner hohen Offiziersstellung genau sah, was vorging, politisch naiv. Sonst hätte er rasch begriffen, wes Geistes Kind der Nazismus war, der seinen Nährboden im stickigsten Spießertum hatte, das Benn doch bekämpfte. Jetzt 1933/34 begann aber Benns eigener „Valse triste“, Titel eines suggestiven Gedichts, in dem er das Ende des Quartär, den Zerfall der großen Kulturschöpfungen, die Herrschaft des Mittelmaßes beklagte mit der Formel „Verfeinerung, Abstieg, Trauer“.
Ausgerechnet dieser Benn sah in der Nazibewegung „die Vision und Geburt eines neuen Menschen“, „das Hervortreten eines neuen biologischen Typs…“, „die Geschichte mutiert, und ein Volk will sich züchten“, und „Wer lange herrschen will, muß weit züchten“. Das sind Sätze aus dem katastrophalen Essays in jener Zeit. Darwin als Helfershelfer, als kulturgenetische Metapher und Nietzsches Züchtungsgedanke sollen die Basis für eine Erneuerung des deutschen Volkes durch die Nazis ausmachen? Es ist wiederum der radikale Ästhet, der nach 1945 den Erneuerungsgedanken diesmal von der Geschmacksbildung abhängig machen möchte:
Wenn man das deutsche Volk hochbringen wollte, müßte man seinen Geschmack bilden. Sein Formgefühl, sein Qualitätsempfinden. Wenn man aber weiter einen Schmarren, nur weil er antifaschistisch ist, als großes Kunstwerk und ein Machwerk, nur weil es sozialistisch klingt, als Hochprodukt anpreist u. bespricht, wird man es nicht hochbringen, sondern es wird weiter dynamisch, faustisch u. klotzig bleiben.
Benn erkannte seinen politischen Irrtum 1934 und geht ins Heer nach Hannover, wohin ihm Klaus Mann nachschimpft: „Man wird nicht nach Hannover versetzt, sondern in die Hölle.“ Diesen Rückzug als Stabsarzt ins Heer nennt Benn „die aristokratische Form der Emigration“, was nicht nur eine sprachliche Entgleisung ist, sondern eine Ohrfeige für die politischen Emigranten, die wie Benjamin auf der Flucht in den Tod gedrängt wurden oder in französischen Lagern festgehalten wurden bis zum Abtransport in deutsche KZs.
Erkären freilich kann man auch diese diskriminierende Formel als Bennsche Stilisierung seiner Distanz zur politischen Welt, ja zum Leben überhaupt. Schon in einem eindrucksvollen Gedicht von 1913 („Der junge Hebbel“) stilisiert das lyrische Ich sein Verhältnis zur Realität durch eine heroisch-aristokratische Kampfmetaphorik:
Die Welt starrt von Schwertspitzen.
Jede hungert nach meinem Herzen.
Jede muß ich waffenloser,
in meinem Blut zerschmelzen.
Noch beim späten Benn finden sich Sätze wie diese:
Man muß die Hand ruhig am Zügel halten, wenn man mit Wölfen reitet.
Mit der aristokratischen Pose will Benn das Muffig-Klotzige auf Distanz halten, will er das kulturelle Banausentum, das, wo immer es an die Macht gelangt, auf Niveausenkung und Bevormundung aus ist, ausmanövrieren:
Maulwurfshügel freigeben,
wenn Zwerge sich vergrößern wollen.
Das ist „stoische Haltung“, Benns Devise. Hat er sich nicht auch immer so verhalten, daß ihm der Verlauf der Geschichte recht geben mußte? „Das Praktisch-Apolitische war ja bei uns zu Hause“, resümiert er und stellt sich in die Traditionslinie George – Goethe; letzteren hat er neben Nietzsche als einzigen gelten lassen. Man lese seinen Essay „Goethe und die Naturwissenschaften“, der ihm Bewunderung von allen Seiten eintrug.
Auch für den späten Benn gilt nur die hohe Artistik des „Glasbläsers“ und die existentielle Haltung des „Phänotyps“. Sie lautet:
Nach außen starr sein und schweigen. Nach innen mit Kompressor arbeiten. Schichten, schneiden, schälen, bis der Ausdruck dasteht.
Um diese Kunst zu verwirklichen, bleibt als Existenzform nur die des „Doppellebens“; der Heeresarzt in Hannover, der in der Kaserne, „Block II, Zimmer 66“, den „Roman des Phänotyp“ und Statische Gedichte schreibt; und später dann, nach 1945, der Haut- und Geschlechtsarzt, in Berlin, der zusehen muß, wie er seine Miete zusammenbringt, solange ihn die Dirnen mit „Ami-Zigaretten“ entlohnen. Doch so abwegig und singulär ist das Doppelleben nicht. Für einige Autoren, die wie Benn „die Epoche und was sie treibt, etwas kühler, entfernter, sprachlich schwieriger darstellen“ – und zu Lebzeiten ohne Erfolg blieben, für die kam ein Berufsschriftstellertum ohnehin nicht in Frage. Kafka war Versicherungsangestellter. Fernando Pessoa erfand sich ständig fiktive Lebenssituationen, um sich ertragen zu können.
Der Schriftsteller als rücksichtsloser Selbstanalytiker ist der eigentliche Diagnostiker der Epoche. Wer aus einer ästhetischen Leidenschaft ein Bekenntnis macht, wer seine artistische Kunst immer wieder mit seiner Existenz in Einklang zu bringen sucht, läßt sich auf eine gefährliche Equilibristik ein. Vielleicht sagt es Benn nirgends Benn-zynischer als in jenen drei Zeilen, denen ein Faust-Zitat zugrunde liegt:
Die wenigen, die was davon erkannt,
hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
Benn drückt die zweite Zeile weg und macht nun daraus: „Die wenigen, die was davon erkannt – (Goethe) – / wovon eigentlich? / Ich nehme an: vom Satzbau.“
Hans-Jürgen Schmitt, Frankfurter Rundschau, 3.5.1986
− Rundfunkgespräch Oskar Wessel mit Gottfried Benn am 11.9.1954. −
Oskar Wessel: Herr Dr. Benn, ich freue mich, Sie heute am Mikrophon von Radio Bremen begrüßen zu können. Ein Rundfunkmann erinnert sich übrigens immer gerne der Tatsache, daß Sie bereits vor 25 Jahren am Rundfunk gesprochen haben. Es bedeutete damals noch einen gewissen wagemutigen Schritt, aus der Dimension der Dichtung sich an das Mikrophon zu wagen. Es gab noch ein ungeschriebenes Veto gegen diese neue Kunst. Nun, wir haben bereits vor einigen Tagen in Worpswede auch andere Erinnerungen heraufbeschworen, beispielsweise an das Buch Menschheitsdämmerung, dieses im sakral-erregten Stil jener Zeit geschriebene Buch, das sich eine „Symphonie jüngster Dichtung“ nannte. In dieser Sammlung früh- und hochexpressionistischer Lyrik stand neben Däubler, Iwan Goll, Hasenclever, Georg Heym, Else Lasker-Schüler, Ernst Stadler, August Stramm, Franz Werfel und Georg Trakl auch Ihr Name, standen auch Ihre Gedichte.
Gottfried Benn: Ja, eine etwas wehmütige Aufzählung. Ich bin in der Tat der einzige, der von dieser ganzen lyrischen Generation in Deutschland noch am Leben ist. Und ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang etwas vortragen, was ich bei einer anderen Gelegenheit ausgesprochen habe am Schluß eines Aufsatzes über Lyrik. Da schloß ich folgendermaßen:
Ich habe vor Ihnen gesprochen als Zugehöriger jener literarischen Generation, die man in Deutschland die Expressionisten nannte, ihre Vertreter sind fast alle tot. Nehmen Sie die Anthologie Menschheitsdämmerung zur Hand, die Kurt Pinthus 1920 als erste und einzige Sammlung dieses lyrischen Kreises herausgab, so werden Sie sehen, es ist in Deutschland außer mir keiner mehr da. Es war eine belastete Generation, ihr Schicksal war es erbittert kämpfen zu müssen um neue Ausdrucksmittel, um ihr inneres und äußeres Leben, um ihr Werk. Sie wurde verlacht, verhöhnt, politisch als entartet ausgestoßen, aber das geht vielleicht jeder Generation so, die beauftragt ist, eine Sprache und einen Stil zu zerbrechen. Von Goethe bis George und Hofmannsthal hatte die deutsche Sprache eine einheitliche Färbung, eine einheitliche Richtung und ein einheitliches Gefühl, jetzt war es aus, der Aufstand begann. Ein Aufstand mit Eruptionen, Ekstasen, Haß, neuer Menschheitssehnsucht, mit Zerschleuderung der Sprache zur Zerschleuderung der Welt. Eine Generation jäh, blitzend, stürzend, von Unfällen und Krieg betroffen, auf kurzes Leben angelegt. Ich habe mich in den letzten Jahren oft gefragt, welches das schwerere Verhängnis ist, ein Frühverstorbener oder ein Überlebender zu sein. Ein Überlebender, der zusätzlich die Aufgabe übernehmen mußte, das zwar Geniale, aber Chaotische, das in höherem Sinne Notwendige, aber auch Brutale und Fragmentarische zu einer Art Klärung, zu einem Abgesang zu bringen, es bis in die Stunde der Dämmerung weiter zu führen, in der der Vogel der Minerva seinen Flug beginnt. Diese Stunde ist jetzt da. Diese Generation ist literarhistorisch Geschichte geworden, und man blickt mit einer Art Ehrfurcht auf sie zurück. Die Sprache ist das geheime Leben der Nation, wenn die Sprache alt wird und ihre Bewegung erlahmt, sterben auch die Völker mit. Woher solche Aufgaben an einzelne Generationen fallen, die Erneuerung der Sprache zu übernehmen, wissen wir nicht, aber sie zu übernehmen, ist eines der Gebote unseres inneren Seins. Keine Furcht, kein Halten, keine Rücksicht, bis die Aufgabe erfüllt hinter uns liegt. Dazu muß man den Dingen ins Auge sehen, sie an sich selbst in seinem Inneren und an der verwandelten Welt erbittert prüfen. Das bedeutet, man muß auf die Dauer nicht nur Talent, sondern auch Charakter haben und tapfer sein.
Wessel: Wenn ich noch einmal auf jene Sammlung expressionistischer Gedichte zurückkommen darf, die wir vorhin angesprochen haben, Herr Dr. Benn. Damals gaben Sie Ihren Gedichten einen lapidar-kurzen Lebensabriß mit. Er umfaßte ganze drei Zeilen:
Geboren 1886 und aufgewachsen in Dörfern der Provinz Brandenburg. Belangloser Entwicklungsgang, belangloses Dasein als Arzt in Berlin.
Soweit diese kleine Autobiographie. Ich darf vielleicht voraussetzen, daß Sie auch heute dieses Wortchen „belanglos“ mit jener trockenen Gelassenheit stehenlassen würden, wie Sie es damals – sozusagen am Seziertisch – hingeschrieben haben, als Ausdruck einer Denkweise, die alle äußeren Verläufe für nicht sehr buchenswert hält. Es war Ihnen, zumal in Ihrer Lyrik, wesentlich um das zu tun, was jenseits der stofflichen Materie liegt, jenseits der Verläufe: Sie haben es mit einem konstruktiven Begriff „das Statische“ genannt und Ihre Gedichte die Statischen Gedichte. Bereits in Ihren frühen Gedichten deutete sich – formelsuchend, stenographisch, kristallisierend geometrisierend, wie immer man es nennen mag – ein sprachlicher Prozeß an, dem die expressionistische Zeit damals – wie soll man sagen – das Fieberthermometer lieh, die erhöhte Kurve, das erweckte Pathos.
Benn: Ja wissen Sie, es waren die Jahrzehnte, in denen der Gegensatz von Trieb und Seele, von Konstitution und Erkenntnis, von Geist und Leben nicht nur Klages, sondern uns alle bedrängte, die Jahrzehnte nach Nietzsche und Freud – merkwürdig entfernt heute alles und fast nur noch eine Erinnerung an Quälendes, an Fesseln und an einen Druck. Vielleicht waren es allerdings auch nur die allgemeinen Fesseln der Jugend, heute hat man andere Fesseln, die des Alters, nämlich wie man mit sich fertig wurde und was das alles eigentlich bedeutet.
Wessel: Als der „Überlebende“, Sie haben selbst diesen Ausdruck eben schon gewählt, als der Überlebende jener Epoche sehen Sie auf die Zeit vor dem ersten Weltkriege – Egon Vietta sprach einmal vom „biedermeierlichen Traum vor 1914“ −, sehen Sie also auf diese Zeit zurück mit dem gesammelten Blick dessen, der damals dieses Zeitpanorama mit allem Weh und Ach selbst durchschritten hat. Dieses Europa, ja, wie stellt sich Ihnen heute dieses so vergangene, schon etwas mythisch gewordene andere Europa dar?
Benn: Herr Dr. Wessel, darf ich Ihnen antworten mit einer Stelle aus meinem Buch Ausdruckswelt; da schreibe ich folgendes:
Eine geistige Intensität liegt über dem Kontinent, eine spirituelle Spannung von hohen Graden drängt aus dem kleinen Erdteil Unaussprechliches, noch nie Geahntes in Gestalt. Man weiß nicht, was beachtenswerter ist, das Mitgehn und die Teilnahme der Zuschauer, oder die Härte, die, wenn es sein muß, bis zur Brutalität durchgeführte Wahrheitssicherung der Werkgestalter, der großen, jener Gehirne, in deren Verantwortlichkeit das Schicksal der Rasse ruht. Ungeheuer ernste, tragische, tiefsinnige Worte über das Werk: „wer Dichtung sagt, sagt Leid“, schrieb Balzac; „wer Werk sagt, sagt Opfer“, lesen wir bei Valéry; „lieber ein Werk verderben und weltunbrauchbar machen, als nicht an jeder Stelle bis zum Äußersten gehen“, lehrte uns Thomas Mann; „oft ward ich müde, wenn ich rang mit Dir“ −, dies Wort, das ein Galeerensklave in sein Ruder geschnitten hatte, kerbte Kipling in seinen Tisch, an dem er in Indien arbeitete; „nichts ist heiliger als das Werk, das im Entstehen ist“, schrieb d’Annunzio in Italien und van Gogh sagte: „ich ziehe es vor zu schweigen, statt mich schwach auszudrücken“ – Immer neue Gedankenmassen dringen in diesen Kontinent ein, die Probleme füllen sich, Fernen rücken näher und entfalten ihr Elend und ihren Glanz, verschollene Welten treten vor den Blick, darunter dämmernde, fragwürdige, gestörte. Was in den fünfzig Jahren an tatsächlichen geistigen Entdeckungen vor sich geht, ist ohnegleichen, und im wesentlichen bringt es eine echte Erweiterung des Gefüges. Rembrandt, Grünewald, el Greco, Verschollene, wurden wieder entdeckt, van Gogh in seiner seltsamen und beunruhigenden Erscheinung der geistigen Öffentlichkeit eingefügt; Marees’ arkadischer Traum enträtselt, der unerkannte Hölderlin wird jenem Kreis erobert, für den seine bionegative Problematik verständlich war. Das Buch von Bertram erschien, und Nietzsche wird in einer Folge unzähliger, in eigener Dialektik sich verwandelnder, analytischer Werke in die Reihe der allergrößten Deutschen gebracht. Conrads faszinierende Romane werden übersetzt, Hamsun wird „der größte Lebende“. Der Norden hatte sein Primat mit Ibsen, Björnson, Strindberg längst geltend gemacht, Thisted, die kleine jütische Provinzstadt, hatte durch Niels Lyhne am Geschmack zum mindesten meiner Generationen mit gebildet. Die Neue Welt tritt an: Walt Whitman gewann großen Einfluß durch seine Art von lyrischem Monismus; sie erobert: über die heutige Lage weiß jeder Bescheid: Europas letzte große Literaturform, der Roman, ist wesentlich an amerikanische Kräfte übergegangen. Diaghilew erscheint, der eigentliche Begründer der neuen Bühne. Komponisten für sein Ballett sind Strawinsky, den er entdeckt, Debussy, Milhaud, Respighi. Für ihn tanzen: die Pawlowa, die Karsawina, Nijinsky. Seine Bühnenkünstler sind: Picasso, Matisse, Utrillo, Braque. Er zieht durch Europa und revolutioniert. Das geistig Neue an seiner Idee ist die Zusammenfassung aller Künste und die Härtung aller Künste. Cocteau drückte es so aus: „ein Kunstwerk muß allen neun Musen genügen.“
Das Slawische und das Romanische vereinigten sich hier mit einer ganz klar erkennbaren Richtung: gegen das nur Gefühlte, das Dumpfe, das Romantische, das Amorphe, gegen offen gelassene Flächen, gegen andeutende Interpunktion; für: völlig Durchgearbeitetes, Klargestelltes, Hartgemachtes, hart gemacht durch Arbeit, äußerste Präzision in der Materialverwertung, Anordnung, strengste geistige Durchdringung. Es ist eine Wendung gegen Innenleben, guten Willen, pädagogische oder rassische Nebentendenzen zu Gunsten des Gestaltannehmenden und dadurch anderen Gestalt Aufzwingenden: zum Ausdruck.
Es ist zu bekannt, wie dieser neue Stil plötzlich in allen Ländern der weißen Rasse gleichzeitig da war unter den verschiedensten Benennungen. Seine Deutung ist heute völlig klar: Kunst machen heißt, das dumpfe völkische Innenleben säubern, die letzten nachantiken Substanzreste auflösen, die Säkularisation des mittelalterlichen Menschen vollenden. Also: antifamiliär, antiidealistisch, antiautoritär. Autoritär ist allein der Wille zum Ausdruck, die Sucht zur Form, die innere Ruhelosigkeit, bis die Gestalt zu den Proportionen durchgearbeitet ist, die ihr zukommen. Um das zu erreichen, bedarf es des rücksichtslosen Griffs in Geliebtes, Bewährtes, Heiligtümer. Aber was dann herniedersteigen könnte, ist ein neues, die Ängste des Lebens weit überstrahlendes Bild des mit soviel Hoffnungslosigkeit, ja Untröstlichkeit beladenen menschlichen Geschicks.
Wessel: Herr Dr. Benn, weder in Ihren Essays noch in Ihren Gedichten ist gemeinhin das anzutreffen, was man einen „Rat“ nennen könnte, „mit dem Leben fertig zu werden“. Sie beziehen sogar recht deutlich Stellung gegen jede Art von „biopositivem Stimmungsfeuilletonismus“ – so haben Sie es, glaube ich, einmal genannt −, gegen das Idealische als Programm, gegen die billigen Konzeptionen mit Erbauungs- und Trostsprüchen. Und natürlich mag manchem Ihrer Leser der Eindruck entstanden sein, als hätten Sie Ihrerseits eine menschenferne, selbstgewählte Isolation für sich gewählt, das Bild eines Dichters also berufen, der – so könnte man vielleicht sagen – nicht mit uns zusammen am gleichen Tisch sitzt und im Kollektiven, in der Gemeinsamkeit die Probleme durchspricht.
Benn: Ja und nein, Herr Dr. Wessel. Vielleicht darf ich Ihnen auch eine Stelle antworten aus einem Brief an Lernet-Holenia; da schreibe ich – er hat mir ja dasselbe vorgeworfen, das Sie jetzt sagen: „Aus welchem Antrieb“, antworte ich,
sitzen die Menschen so viel zusammen, aus welchem Antrieb essen sie zusammen und reden bei Tisch so viel? Der afrikanische Häuptling, dem niemand bei der Nahrungsaufnahme zusehen darf, hat auch sein Heiliges. Und kann man nicht manches auch schnattern nennen, was sich als Gemeinschaft gibt? Ich weiß natürlich nicht weniger als Sie, daß die Menschheit als Ganzes, sie allein, die fulminante Latenz ist, aus der unser bißchen zeitgenössischer Sprühregen stammt, das Menschheitskollektiv alleine gewährt uns das bißchen individuelle Vermögen, etwas auszusagen und den Phänomenen des heutigen Typs Ausdruck zu verschaffen. Ja also der ganzen Welt diesen Kuß, aber der Gemeinschaft gegenüber doch eine gewisse Reserve! Auch ist dies alles meiner Erfahrung nach eine Angelegenheit der Nerven und der Konstitution, auch der Ermüdbarkeit, ich habe in mehreren Büchern mir die etwas saloppe Bemerkung erlaubt: Ich bin kein Menschenfeind, aber wenn Sie mich besuchen wollen, bitte kommen Sie pünktlich und bleiben Sie nicht zu lange, aber das ist nicht weltanschaulich gemeint, nicht misogyn. Ich sitze eben abends lieber allein in meinem Lokal, trinke, die Wände sind abgerückt, es ist mehr Kulisse da als in meiner Wohnung, das Radio spielt, erweitert noch die Szene, ich sehe die Dinge vor mir, lockerer, schattenvertiefter, manches verschlingt sich miteinander, meine Notizen rücken sich näher – auf was soll ich mich da noch beziehen? Publikum, Öffentlichkeit, Ruhm, Nation, – alles ist irrelevant, in diesem Moment bin ich unsterblich. Es hat aber diese Einsamkeit überhaupt keinen kritischen Inhalt und keine metaphysische Vertretung, sie ist eine Methode, mit deren Hilfe man die Sachen, die, wenn sie fertig sind, einzelne vielleicht ansprechen und ihnen für einen kleinen Zeitraum gefallen, besser zustande bringt, als es durch Unterhaltung, Aussprache, Extroversion und gemeinsames Spazierenlaufen geschähe. Man ist doch, das wissen Sie, immer hinter sich her, und das während der siebzig Jahre, die man höchstens zu leben hat, durch Gemeinsamkeit zu unterbrechen, erschiene mir unverantwortlich.
Was allerdings freilich die Gedichte angeht, so ist ein Gedicht keine private, vielmehr eine universale Sache. Für jedes neue Gedicht braucht man eine neue Orientierung, jedes neue Gedicht ist eine neue Balance zwischen dem inneren Sein des Autors und dem äußeren, dem historischen, dem sich mit dem Heute umwölkenden Geschehen. Die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Polen als Vorarbeit ist der nichtlyrische Versuch. Man braucht Ausblicke, man sucht Bestätigung oder Warnung. Man braucht auch Angriffe, man muß etwas über seine Grenzen erfahren, man ist nach einer meiner früheren Formulierungen „ein Don Juan nach Niederlagen“. Man braucht die Komplikationen, die einem aus seinem Inneren erwachsen, auch die Niederschläge, man muß hindurch. „Sich irren und dennoch seinem Inneren weiter Glauben schenken müssen, das ist der Mensch, und jenseits von Sieg und Niederlage beginnt sein Ruhm“, sagt einer meiner drei alten Männer, – also Amor fati oder, wie der Psalmist sagt: „Ich bin, der ich sein werde“, auch da, wo es zum Scheitern und zu Scheiten führt. Ein Gedicht hält sich lange im Hintergrund, und in diesem Zusammenhang bitte ich eine Bemerkung machen zu dürfen zu meinem Produkt, „Die Stimme hinter dem Vorhang“, das bei vielen großes Ärgernis erregte. Ich will diese Arbeit nicht glorifizieren, aber diese Stimme hinter dem Vorhang spricht etwas aus, was mich mein Leben lang verfolgt hat, ein Motiv, das immer wieder in meinen Gedanken war, diese Stimme lehrt als letzte Maxime und Ausflucht: „Im Dunkel leben, im Dunkel tun, was wir können“ – es ist eine ernste Stimme, dies ist ihre Bergpredigt. Sie will sagen, laßt doch euer ewiges Geschwätz, euer Gebarme um etwas „Höheres“, der Mensch ist kein höheres Wesen, wir sind nicht das Geschlecht, das aus dem Dunkel ins Helle strebt – wohin wir streben, weiß ich offen gestanden nicht, aber was wir erreichten, war in weitem Umfang das Überhebliche, das Hybride, auch das Dumme – also ein gewisser Abbau dieser unserer Arroganz schien am Platze, ein kurzer Aufenthalt im Dunkel, auch im Gemeinen, schien dieser Stimme angebracht. Dieser Art war es, was mir immer wieder die Schwalbe sang (sie sang allerdings auch noch anderes).
Wessel: Ja, Herr Dr. Benn, die Schwalbe hat auch anderes gesungen, und nicht selten haben auch die Hörer von Radio Bremen dieser Schwalbe zuhören können. Aber wie sie nun eben sang, das war doch die Stimme der Melancholie, nicht wahr? – einer oft sehr kritisch dreinschauenden und scharf analysierenden Melancholie, die ja auch in Ihrer letzten Schrift über das „Altern als Problem für Künstler“ zutage tritt, und so sehr, daß ich einmal die Stimme eines aus der jungen Generation fragen hörte: „Ob nicht Gottfried Benn mit mehr Heiterkeit, mit mehr Güte über dieses Problem sprechen sollte?“
Nun ich weiß, Herr Dr. Benn, Ihre Antwort wäre mit vielen Stimmen Ihres Werkes zu bestellen. Ich möchte deshalb die Frage auf einen größeren Horizont beziehen und die Fragestellung wiederholen, die man einmal in der Schweiz an Sie gerichtet hat, als den „Vertreter der pessimistischen, um nicht zu sagen nihilistischen Literatur“: Die Frage lautete damals: „Sehen Sie die Lage des heutigen, insbesondere des schöpferischen, Menschen – nihilistisch oder positiv?“
Benn: Auf diese Frage aus der Schweiz, Herr Dr. Wessel, habe ich folgendes geantwortet:
Das Wort „nihilistisch“ wollen wir vielleicht lieber fortlassen. Nihilismus ist ja seit zwei Jahrzehnten ein nahezu inhaltloser Begriff. Wir haben diesen Begriff – um einen anderen modernen Ausdruck zu gebrauchen – wir haben ihn integriert, d.h. in uns aufgenommen und verarbeitet. Ein moderner Mann denkt nicht nihilistisch; er bringt Ordnung in seine Gedanken und schafft sich eine Grundlage für seine Existenz. Diese Grundlage beruht für viele der Heutigen auf Resignation, aber Resignation ist kein Nihilismus, Resignation führt ihre Perspektiven bis an den Rand des Dunkels, aber sie bewahrt Haltung auch vor diesem Dunkel.
Etwas anderes ist es mit dem Pessimismus. Der scheint ein unauslöschlicher Affekt der denkenden Menschheit zu sein. Ich stand in einem Pyrenäendorf vor einer Sonnenuhr, auf ihrem großen Ziffernblatt las ich einen lateinischen Spruch: vulnerant omnes, ultima necat – zu deutsch: Alle verwunden, die letzte tötet, gemeint sind die Stunden – ein bitterer Spruch, er stammt aus dem Mittelalter. Und im Deutschen Museum in München befindet sich eine Wasseruhr, eine Nymphe, die die Stunden, die Minuten mit ihren Tränen weint, man liest die Zeit aus ihren Tränen ab – dies stammt aus der Antike. Oder denken wir an Asien, an den Buddhismus, der die Inkarnation alles dessen war, was je der Pessimismus an Ausdruck und Inhalt fand: Verlöschen Auswehen – sternenloses Nichts, – ein Pessimismus existentieller Art mit erklärter Richtung auf Keimzerstörung. Auf diesem Hintergrund wird man mir zugeben, daß ein wirklicher Pessimismus heute bei der Allgemeinheit gar nicht vorliegt, diese Allgemeinheit ist, man muß es aussprechen, positiv. Trotz Krieg und Schlachten, trotz gedanklicher Zerstörung und politischer Ausweglosigkeit ist die Menschheit heute als Ganzes euphorisch. Es steigt von vielen Seiten das Bild einer Menschheit auf, die glaubt, im Grunde gar nichts verlieren zu können, und dieser Glaube ist nicht etwa religiös, aber auch nicht zynisch, er trägt vielmehr Züge einer vitalen Sicherheit, die überraschend ist.
Soweit das Allgemeine. Aber zur Frage nach der Stimmung oder der Affektlage des schreibenden, fassen wir es etwas weiter: des schöpferischen Menschen. Da scheint es mir auf der Hand zu liegen, daß ein solcher, wenn er persönlich und privat von einem geradezu lethargischen Pessimismus befallen sein sollte, durch die Tatsache, daß er arbeitet, aus dem Abgrund steigt. Das angefertigte Werk ist eine Absage gegen Zerfall und Untergang. Selbst wenn dieser schöpferische Mensch sich sagt, selbst wenn er weiß, auch die Kulturkreise enden, auch der, zu dem er gehört – der eine endet und der andere tritt in den Zenit und darüber steht das Unaufhörliche reglos und wahrscheinlich im Wesen nicht menschlich, – der schöpferische Mensch sieht dem ins Auge und sagt sich, in dieser Stunde liegt auf mir das unbekannte und tödliche Gesetz, dem muß ich folgen, in dieser Lage muß ich mich behaupten, ihr mit meiner Arbeit entgegentreten und ihr Ausdruck verleihen. Ich meine, hier spielt sich etwas ab, das außerhalb des Persönlichen liegt, und man muß, um der Transzendenz dieses Vorgangs gerecht zu werden, das wunderbare Wort von Malraux aus seiner „Psychologie der Kunst“ zitieren, daß nämlich am Tage des Gerichts nicht die einstigen Formen des Lebens, sondern die Statuen die Menschheit vor den Göttern vertreten.
Aus: Gottfried Benn: Sämtliche Werke. Band VII/1, Klett-Cotta, 2003
Übrigens hat Radio Bremen mich schon wissen lassen, dass er sehr gern eine Sendung m.it mir machen würde, wenn ich noch einmal käme…
Benn an F.W. Oelze am 22. August 1954
Radio Bremen: bitte mich nicht anbieten, die Leute müssen zu mir kommen. Und natürlich Honorar zahlen, ein Interview umsonst mache ich nicht.
Benn an Ursula Ziebarth am 22. August 1954
– Spurensuche. –
Gottfried Benn mochte keine Kinder. Seine einzige Tochter Nele, geboren während des Ersten Weltkriegs, bekam ihren Vater kaum zu Gesicht. Als ihre Mutter Edith Osterloh gestorben war, gab Benn die Achtjährige in die Obhut einer fremden Frau nach Dänemark. Dazu paßt sein im Nachlaß überlieferter Ausspruch:
Bin Kinder- u familienfeindlich, wünsche ihnen allen gesunden Aufenthalt in fernen Ländern.
Erst als sie längst erwachsen war und er selbst eine Frau in ihrem Alter geheiratet hatte, konnte Benn etwas mit Nele anfangen, die nach seinem Ableben ein schwärmerisches Buch über ihn verfaßte. Aber auch im erklärten Großvateralter blieb Benn den Kleinen gegenüber unerbittlich. „Zu Ihrem neulich gesandten Bild: mich stört der Säugling auf Ihrem Arm, sieht so blöd aus“, schrieb er – uncharmant ist dafür gar kein Ausdruck – 1954 an Astrid Claes, die für seine Pädophobie eine feine Antenne gehabt haben muß, sonst hätte sie die Existenz ihrer kleinen Tochter (der kürzlich verstorbenen Schriftstellerin Undine Gruenter) dem sie umwerbenden älteren Herrn, über dessen Lyrik sie promoviert hatte, nicht vorenthalten. Frauen: ja, Kinder: nein – das war stets Benns Devise. Ein starres Festhalten an überkommenen Strukturen kann man ihm in diesem Punkt zumindest nicht vorwerfen. Die Heftigkeit in der Ablehnung nicht bloß eigenen Nachwuchses macht indessen hellhörig. Was so rigoros in die Ferne gewünscht wird, macht sich verdächtig, an das Nächste zu rühren.
Kinder sind im Werk Benns so gut wie nicht anwesend: Was er auf Fotos schon nicht mit ansehen konnte, hatte kaum Chancen, ins Gedicht zu gelangen. Auch die eigene Kindheit bleibt weitgehend ausgespart. Wo ihre Sphäre berührt wird, ist eher vom heimischen Inventar, noch dazu vom fehlenden, die Rede. „In meinem Elternhaus hingen keine Gainsboroughs / wurde auch kein Chopin gespielt“, heißt es im späten Gedicht „Teils – teils“; „ganz amusisches Gedankenleben“, so stellt es sich aus der Perspektive des Alten dar; man sieht das Pfarrhaus, aber nicht das Kind darin, das dieses Fehlende noch nicht erkennen konnte, das der Erwachsene erst Jahrzehnte später protokolliert; das Sehen des Kindes kommt darin nicht zur Sprache. Wenn ich es recht überblicke, dann gibt es sogar nur ein einziges Gedicht, in dem der erwachsene Dichter sich selbst als Kind begegnet und mit dessen Augen sieht. Ich halte es nicht bloß wegen dieser Einzigartigkeit für eines seiner schönsten.
Es ist ein Garten, den ich manchmal sehe
östlich der Oder, wo die Ebenen weit,
ein Graben, eine Brücke und ich stehe
an Fliederbüschen, blau und rauschbereit.
Es ist ein Knabe, dem ich manchmal trauere,
der sich am See in Schilf und Wogen ließ,
noch strömte nicht der Fluß, vor dem ich schauere,
der erst wie Glück und dann Vergessen hieß.
Es ist ein Spruch, dem oftmals ich gesonnen,
der alles sagt, da er dir nichts verheißt –
ich habe ihn auch in dies Buch versponnen,
er stand auf einem Grab: „tu sais“ – du weißt.
Nein, ich weiß nicht, warum mir gerade dieses Gedicht schon so lange im Kopf herumgeht, nicht erst, seit ich darüber nachdenke, ob und warum Benn etwas gegen Kinder hatte. Ich weiß nicht, ob es mehr mit Benn zu tun hat oder mehr mit mir. Ich habe nur eine Ahnung, und die gilt es zu überprüfen. Es ist der Knabe, der mich interessiert. „Es ist…“: Das ist eine Formel, mit der Rätsel beginnen oder alte Volkslieder; jede der drei dem Volkliedschema folgenden Strophen nimmt diesen altertümlichen Auftakt. Er signalisiert, daß etwas auf Umwegen benannt werden muß, ist oftmals ein Anzeichen heiliger Scheu: Es ist ein Ros entsprungen. Es ist ein Schnitter, der heißt Tod. Es ist ein Garten, ein Knabe, ein Spruch. Klaus Theweleit findet mit diesem Benn-Gedicht den Eingang ins Buch der Könige, auch er weist auf den Rätselcharakter hin (den von Gedichten überhaupt). Aber er wendet sich nur dem Rätsel des Grabspruchs in der dritten Strophe zu und kommt von dort dem Gesang, den Frauen und dem Tod im Leben Benns auf die Spur. Ich möchte in die zweite Strophe, hin zu dem Knaben, der noch kein Sänger, kein Mann und kein Arzt war, „dem“ hier getrauert wird als einem indirekten Objekt; folglich als jemandem, auf den das sich hier äußernde Ich keinen unmittelbaren Zugriff hat; das Ich-Gefühl kann den einmal strömenden Fluß nicht mehr überqueren. Dabei gelingt in der ersten Strophe der Sprung in die Erinnerung noch ohne Wechsel der grammatischen Person:
Es ist ein Garten, den ich manchmal sehe… ein Graben, eine Brücke und ich stehe
Dann aber tritt der Knabe hinzu, dem ich trauere; auf einmal ist Ich ein Anderer. Dies mag ein Zug des Zufalls sein, dem anaphorischen Bau des Gedichts geschuldet, trifft aber deshalb vielleicht umso genauer das kaum überwindliche Gefühl der Fremdheit gegenüber einem früheren Ich. Hier scheint das Zerrissene auf, die Diskontinuität der Lebensphasen. Ein Jahr später, in einem Gedicht mit dem bezeichnenden Titel „Fragmente“, wird Benn ein Bild der Persönlichkeit entwerfen, deren Kontinuität nur noch „von den Anzügen“ gewahrt wird, „die bei gutem Stoff zehn Jahre halten“. Die Kniebundhosen, oder was immer der Knabe im Schilf trug, sind jedenfalls im Augenblick des Erinnerns lange durchgescheuert. Es muß schwer gewesen sein, ihm nachzuspringen.
Wer der Knabe ist, scheint dennoch auf der Hand zu liegen. Das 1949 entstandene Gedicht steht als viertes und letztes Stück unter den „Vier Privatgedichten“ (was andeuten mag, daß Benn diese Texte zuerst gar nicht zur Publikation vorsah) sowie als viertes und vorletztes im „Epilog 1949“, der den Auswahlband Trunkene Flut beschließt. Dem Benn-Chronisten Hanspeter Brode gilt es als „poetisch verklärter Rückblick“ auf die Grundschulzeit Benns in Sellin in der Neumark. Er sitzt damit einem häufigen Irrtum auf; fälschlich und klischeehaft wird dort, wo Kindheit im Gedicht ins Bild rückt, immer wieder gerne ein Idyll vermutet. Echte innere Reisen in die Kindheit sind dagegen fast immer Trauerfahrten; ein wichtiger Grund, weshalb sie so selten angetreten werden. Benns Fall zeugt davon – und von den umgedrehten Hinweisschildern, die manche Autoren vor diesem gefährlichen Bezirk anzubringen wissen. So zitieren Benn-Biographien im Kindheitskapitel üblicherweise und leider meist kommentarlos die folgenden Sätze aus „Lebensweg eines Intellektualisten“:
Ein Dorf mit 700 Einwohnern in der norddeutschen Ebene, großes Pfarrhaus, großer Garten, drei Stunden östlich der Oder. Das ist auch heute noch meine Heimat, obgleich ich niemanden mehr dort kenne, Kindheitserde, unendlich geliebtes Land. Dort wuchs ich mit den Dorfjungen auf, sprach platt, lief bis zum November barfuß, lernte in der Dorfschule, wurde mit den Arbeiterjungen zusammen eingesegnet, fuhr auf den Erntewagen in die Felder, auf die Wiesen zum Heuen, hütete die Kühe, pflückte auf den Bäumen die Kirschen und Nüsse, klopfte Flöten aus Weidenruten im Frühjahr, nahm Nester aus… Eine riesige Linde stand vorm Haus, steht noch heute da, eine kleine Birke wuchs auf dem Haustor, wächst heute noch dort, ein uralter gemauerter Backofen lag abseits im Garten. Unendlich blühte der Flieder, die Akazien, der Faulbaum.
Geschrieben wurde das 1934 unter dem Eindruck der frühen Nazi-Herrschaft mit dem erklärten Impuls, die eigenen „Rassen- und Milieubeziehungen“ rechtfertigend darzulegen. Falls Benn Verklärung unterstellt werden muß (im Gedicht sehe ich sie nicht), dann in dieser Schilderung, die den isolierten Einzelgänger als natürlichen Sprößling seiner ,Volksgemeinschaft‘ einführt:
Dort wuchs ich auf, und wenn es nicht die Arbeiterjungen waren, waren es die Söhne des ostelbischen Adels, mit denen ich umging. Diese alten preußischen Familien,… hier besaßen sie ihre Güter, und mein Vater hatte einen ungewöhnlichen seelsorgerischen Einfluß gerade in ihren Kreisen… ihre Söhne waren der zweite Schlag, mit dem ich groß wurde, später zum Teil in gemeinsamer Erziehung, und mit dem mich noch heute eine vielfältige Freundschaft verbindet.
Das klingt viel zu glatt und zu harmonisch, um plausibel zu sein. Mit den Arbeiterjungen, mit den Junkern will er aufgewachsen sein; zwischen ihnen wäre wohl die treffendere Präposition. Ich halte dafür, daß er einsam blieb zwischen diesen Milieus. Den einen intellektuell so hoffnungslos über- wie den anderen materiell unterlegen, kann man sich seine Isolation lebhaft vorstellen.
Brode diagnostiziert ein lebenslängliches ,outcast-Syndrom‘, für das die starken Ressentiments gegen Vertreter begüterter Schichten (auch gegen großbürgerliche Kollegen wie die Brüder Mann) in Benns Texten reichlich Belege bieten, und sieht dessen Ursprünge in der sozialen Konstellation seiner ostelbischen Kindheit. Mit oder zwischen? Der Knabe, „dem ich trauere“, spielte eindeutig allein. Ich lese die eigenartig vertrackte Syntax dieser Wendung als geschickten Kunstgriff, die genaue Art der Trauer zu verschleiern: Sie mag vordergründig als Nachtrauer eines alten Mannes verstanden werden, dessen Kindheit so lange vorüber ist, daß er sich nun verklärend ihrer erinnern möchte – ich aber glaube, daß er mehr mit dem Knaben trauert, daß also dieser Knabe schon traurig war und seine Kindheit alles andere als ein Zuckerschlecken im Röhricht. Ich traue dem Gedicht, nicht der Prosa.
Mein Indiz sind die verwendeten Bilder. Denn es ist eigenartig, daß – neben dem Hinweis auf die geographische Lage – das Gedicht und die Prosa nur ein einziges gemeinsames Bildelement aufweisen, den Flieder. Graben und Brücke mögen zwar zur Welt des Selliner Pfarrhauses gehört haben, erwähnt werden sie in der autobiographischen Skizze jedoch ebensowenig wie der See mit Schilf und Wogen. Man kann sagen: Es ist die Wasserwelt, die in der erdverbundenen Prosa nicht vorkommt – aber ihre Bilder allein sind es, unter deren Zeichen der Knabe im Gedicht erscheint. Es ist ein See, also stehendes Gewässer, als Bild des Aufgehens in der Gegenwart, bevor das Strömen der empfundenen Zeit die Augenblicke mit sich fortreißt. Vielleicht denken wir uns auch den Graben mit Wasser gefüllt; spätestens die Farbe Blau, Benns „Südwort“, deutet die Nähe des Wassers an. Nur eine kurze Weile ist es dem Knaben vergönnt, „sich am See in Schilf und Wogen“ selbstvergessen zu ergehen, allein, nicht in Gesellschaft der anderen Jungen; später erlaubt das Bewußtsein kein Halten mehr: Glück und Vergessen, wohl zu lesen als: Liebe und Tod, rauschen aus dem Fluß herauf, „vor dem ich schauere“.
Ohne das Element des Wassers gibt es bei Benn kein Zurück in andere Sphären. Begreift man ihn als Melancholiker, dann ist es nach der antiken Lehre von den Temperamenten die Trockenheit der schwarzen Galle, die ihn so sehnsüchtig nach dem Wasser streben läßt. „Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer“, heißt es am Ende der Gesänge, die mit den so bekannten wie umstrittenen Versen beginnen:
O daß wir unsre Ururahnen wären.
Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor.
Leben und Tod, Befruchten und Gebären
Glitte aus unseren stummen Säften vor.
Das Fehlen jeder Feuchtigkeit macht die zitierte Passage aus dem Lebensweg als Erinnerung fast schon unglaubwürdig; jedenfalls gehört sie, in der Begrifflichkeit Prousts, nicht zum Typus der unwillkürlichen Erinnerung, die uns ,überströmt‘ und in der allein die Dinge für uns Wirklichkeit haben, sondern sie ist planmäßiges, intellektuelles, ,trockenes‘ Abrufen, keine poetische Erweckung. Ihr fehlt das Medium, durch das die Verwandlung gelingt: Zurück und Wasser, das ist bei Benn sonst immer eins; sein Regressiv mündet in „thalassale Regression“, wie Titel und Schlußwendung eines Gedichts aus den zwanziger Jahren es auf Begriffe bringen (thálassa ist das griechische Wort für Meer).
In Regressiv wird das Zeugen eines Kindes als Ausdrucksmöglichkeit des Ich erwogen und sofort verworfen:
Ach, nicht in dir, nicht in Gestalten
der Liebe, in des Kindes Blut,
in keinem Wort, in keinem Walten
ist etwas, wo dein Dunkel ruht.
Auch das „Wort“ bietet – anders als später in den Statischen Gedichten – dem Ich noch keine letzte Heimat. Erst „in Gerüchen / vom Strand“ naht das ersehnte Verströmen, die als Endorphinausschüttung erlebte, wohl drogeninduzierte Todesnähe:
am Horizont die Schleierfähre,
stygische Blüten, Schlaf und Mohn,
die Träne wühlt sich in die Meere –
dir: thalassale Regression.
Fast übergangslos gelangt die Träne – Perle, die die Trauer des Einzelnen umschließt – ins vorbewußte Urelement. Sie muß zergehen. Die Trauer selbst, und was immer sie verursacht haben mag, kann und soll nicht betrachtet werden. Ein Hinsehen wäre zu schmerzhaft; Individual- und Menschheitsgeschichte müssen daher in fluchtartigem Rückzug gleichermaßen übersprungen werden.
Man kann fast beliebig in das Werk hineinstechen und wird immer wieder Bilder finden, in denen der Rückzug aus der als unerträglich empfundenen Ich-Gegenwart den Weg zum Wasser nimmt, am häufigsten zum Meer. Und fast immer zielt dieser Rückzug ins Archaische, Urgeschichtliche, läßt er die personale Geschichte weit hinter sich. Warum eigentlich? Sollte es nicht gerade dafür zutiefst persönliche Gründe geben? Im Streit mit den Linksintellektuellen der Weimarer Republik, den späteren Emigranten, ist Benn diese regressive Tendenz als Realitätsflucht politisch angekreidet worden, wobei sich Kritik und Polemik besonders an jenem Klümpchen Schleim benetzten. Brecht 1928:
Dieser Schleim legt Wert darauf, mindestens eine halbe Million Jahre alt zu sein
(und stiehlt sich damit, so sieht es Brecht, aus der Verantwortung für die Not der Zeit). Es gehört zu Benns ,outcast-Syndrom‘, daß er sich eine Emigration schon aus finanziellen Gründen gar nicht leisten konnte: Die Ressentiments gegen die, die Nazi-Deutschland den Rücken kehrten, und es sich, wie ihm schien, am „lateinischen Meer“ gutgehen ließen, gehörten zu einem, der seine Meeressehnsüchte nur in Gedichten ausleben konnte – was den Umschlag des Ressentiments ins politische Irrläufertum nicht rechtfertigt.
Mich bewegt jedoch anderes als der Drang nach Zurechtweisung; ich wüßte gern, warum Benn so weit zurück mußte, um sich vor Schmerz zu schützen, denn allein darum geht es doch in den ,regressiven‘ Gedichten („Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel / wäre zu weit und litte schon zu sehr.“), und warum ihm zu diesem Zweck der Rückgriff auf die Kindheit nicht möglich war. Ganz anders als Rilke, der im kindlichen Blick eine grundsätzlich andere Erkenntnismöglichkeit sah, die nur zu früh abgetötet wird, „denn schon das frühe Kind / wenden wir um und zwingens, daß es rückwärts / Gestaltung sehe, nicht das Offene, das / im Tiergesicht so tief ist“, so steht es in der achten Duineser Elegie. Dennoch bleibt für Rilke das Kind Träger ältesten Wissens: „Lest es einem Kind vom Angesicht… Dies kommt von weit“, heißt es im ersten Teil der Sonette an Orpheus, und ein paar Seiten weiter ist „die Erde wie ein Kind, das Gedichte weiß“. Bei Benn wären das unvorstellbare Bilder, nicht nur, weil ihm solcher Daseinsjubel ohnehin nicht über die Lippen kam. In den Kindheitserinnerungen des Malte Laurids Brigge spielen Fieberträume eine bewußtseinserweiternde Rolle:
Das Fieber wühlte in mir und holte von ganz unten Erfahrungen, Bilder, Tatsachen heraus, von denen ich nicht gewußt hatte; ich lag da, überhäuft mit mir, und wartete auf den Augenblick, da mir befohlen würde, dies alles wieder in mich hineinzuschichten, ordentlich, der Reihe nach.
Auch bei Proust, dessen großes Romanwerk ganz auf die personale Erinnerung und die Möglichkeit, an die Erlebnisweisen des Kindes anzuknüpfen, gebaut ist, wäre dieser Satz denkbar. Anders liegt der Fall bei Benn, wobei es in der Theorie sehr wohl Berührungspunkte gibt: frühe, im Bewußtsein sedimentierte Erfahrung, die plötzlich aufsteigt, ist ja auch bei ihm der Schlüssel zum künstlerischen Prozeß – nur hat das für Benn nichts mit dem Erfahrungsschatz des Einzelnen, nichts mit Sozialisation zu tun. Vielmehr ist es der innerste Bestand der Gattung Mensch, Urgeschichtliches, „Schöpfungsfrühe“, die im Phänotyp zum Durchbruch kommt. Im Essay „Der Aufbau der Persönlichkeit. Grundriß einer Geologie des Ich“ von 1930 entfaltet Benn seine aus der zeitgenössischen Erbwissenschaft inspirierte Psychologie; dort lesen wir:
Die Seele ist in Schichten entstanden und gebaut, und, was wir… aus verschollenen Äonen vernahmen, offenbart der Traum, offenbart das Kind, offenbart die Psychose als noch vorhandene seelische Realität.
Wie kommt nun der Dichter an diese Urzustände heran?
Vermittels Rausch sind derTraum und die Psychose zumindest in Ansätzen manipulierbar; mit diesen Möglichkeiten arbeitet der frühe Benn, bis er sich später ganz dem „Wallungswert“ der Worte anvertrauen kann, die allerdings ihre „Stunde“ brauchen, um „es“, „das Unaufhörliche“, „heranzutasten“. Auf diese Weise schafft er es „zurück“. Nur die Offenbarungen des Kindes bleiben ihm ein schier unerreichbarer Kontinent. Sich ihnen zu nähern, würde bedeuten, mit der eigenen Frühe umzugehen. Hier gibt es eine ,Sperre‘, die sich erst spät zu lösen beginnt. Bei Benn wühlt nicht das Fieber nach verschütteter Kindheitserfahrung, sondern die „Träne wühlt“: und zwar nicht „in mir“, sondern „sich in die Meere“, trennt sich ab von dem, der sie geweint hat. Man achte einmal darauf, wie häufig Tränen in Gedichten Benns genannt werden, wahrscheinlich häufiger als bei Rilke:
Warst du der große Verlasser,
Tränen hingen dir an
und Tränen sind hartes Wasser,
das über Steine rann
Das ist aus dem Gedicht „Du mußt dir alles geben“, das mit dem Freitod von Benns Freundin Lili Breda 1929 in Beziehung steht – aus einer Zeit, als der Fluß längst strömte, „der erst wie Glück und dann Vergessen hiess“.
Wie Benn, wenn eine Frau ihm starb, vor allem um sich selbst zu trauern wußte, hat Theweleit gezeigt; „stilles trauerndes Gefühl“ prägt den größeren Teil besonders des späten lyrischen Werks, der kleinere wird von den Nachschwingungen jener starken Aggressivität bestimmt, für die der junge Benn berühmt war. Aber nur dies eine Mal, nur in „Es ist ein Garten“ –, wendet sich die Trauer dem Knaben am See zu – nur einmal, obwohl gesagt wird, daß er ihm „manchmal trauere“: Nur in diesem Gedicht befaßt sich Benn mit dem, was man in der Begrifflichkeit einer aus Amerika stammenden neueren Richtung der angewandten Psychologie das „innere Kind“ nennt, das jeder Erwachsene in sich trägt und dessen Mißachtung schwere seelische Konsequenzen hat. „Inneres Kind“ – bisher ein rein therapeutischer Arbeitsbegriff und theoretisch wenig fundiert, der mich dennoch fasziniert und mir beim Nachdenken über Benns Haltung zum Kind nicht aus dem Kopf gegangen ist. Freilich möchte ich Benn nicht posthum therapieren; ich will seine Gedichte besser verstehen. Und je länger ich den Vers mit dem Knaben betrachte, desto deutlicher glaube ich zu erkennen, daß er in der Genese der Lyrik Benns einen bisher übersehenen inneren Durchbruch markiert. Für das Spätwerk ist „Epilog IV“ eine Ouvertüre.
In der Werkchronologie steht „Es ist ein Garten“ – dicht bei „Acheron“, einem der Gedichte, in denen Benn den Tod seiner zweiten Frau Herta verarbeitet. Auch dieser Text spricht von Knaben und von einem Fluß. An der Mündung des Acheron ins Ionische Meer befand sich nach antiker Vorstellung der Eingang zur Unterwelt. Dies ist der Fluß, „vor dem ich schauere“. Die dritte Strophe von „Acheron“ lautet:
Zwei Knaben führtest du –
von mir doch nicht,
von dir und mir – nein, ich erhielt doch keine,
auch ließest du mich dann nicht so alleine
und zeigtest mir nur flüchtig dein Gesicht
In der Traumskizze, als die das Gedicht sich ausgibt, scheint das Ich diesen ungeborenen Kindern nachzutrauern. Theweleit sieht darin die für Benns Umgang mit biographischem Material typische „Umkehrung von Gefühlen“:
Das mit den ,Kindern‘… wird, wenn schon, Herta Benns Wunsch gewesen sein, der ihr nicht erfüllt wurde, keinesfalls seiner.
Das mag nicht falsch sein; nur denke ich, daß man diese Stelle im Kontext von „Es ist ein Garten“ – auch anders lesen kann.
Wenn Benn in seine Phantasien des Verlassenseins nach dem Tod seiner Frau noch „Knaben“ aufnimmt, von denen es sogar ausdrücklich heißt, sie seien nicht ,von ihm‘, und sich die Frau dabei doch als Mutter vorstellt – legt das nicht die Vermutung nahe, daß er sich in dieser Szene selbst als verlassenen Knaben erlebt? Die irritierende Zweizahl der Knaben mag dagegen sprechen; allerdings fällt es bei „Es ist ein Garten“ – auf, daß im Wechsel der grammatischen Person von „ich stehe an Fliederbüschen“ zu „Es ist ein Knabe“ auch zwei Knaben sichtbar werden, vielleicht unterschiedliche Entwicklungsstufen derselben Person. Unheimlich und bemerkenswert ist, wie in dem Traum vom Acheron „selbst Kindern… ein Lid herabgezogen / und in die Falte Salbe eingebracht“ wird; Kokainsalbe, wie Benn in einem Brief an Oelze dieses Traumgesicht konkreter faßt. Wird da schon früh die Trauer narkotisiert, ein Hinsehen abgebunden, dem Kind der Blick getötet? „Denn schon das frühe Kind / wenden wir um und zwingens“, heißt es bei Rilke. Geschah dies dem Knaben, „blau und rauschbereit“? Wer hat es getan? Und läßt sich das Bild weiter lesen als späte Klage über eine einst glorifizierte Form der Selbstmißhandlung („O Nacht / Ich nahm schon Kokain“), die wie kaum eine andere dazu angetan ist, das Hinsehen auszumerzen, der eigenen Trauer auszuweichen?
Mir geht es nicht um die ödipale Struktur, die man in einer Deutung ausmachen könnte, die die Tote aus „Acheron“ im Bezug zum Ich zugleich als Frau und Mutter sieht. Mich beschäftigt die Möglichkeit, daß Benn in der literarischen ,Trauerarbeit‘ über den Tod seiner Frau vielleicht Anschluß an die Gefühle des Verlassenseins finden konnte, die er nach dem Krebstod seiner Mutter mit aller Macht der Sprache von sich abhielt. Vielleicht ist es ihr Grab, an das er dachte, das mit dem womöglich nur imaginierten französischen Grabspruch: „stu sais‘ –, du weisst –.“ Caroline Benn, geborene Jequier, starb im April 1912. Ihr Mann, Pastor Gustav Benn, lehnte es ab, ihre seiner Ansicht nach von Gott geschickten Schmerzen medikamentös lindern zu lassen, was ihm den Haß seines Sohnes Gottfried, des angehenden Arztes, zuzog. Dieser Haß steigerte sich, als der Vater kurz nach dem Tod Carolines eine zweite Frau nahm und weiterhin Kinder in die Welt setzte – im Gedicht „Pastorensohn“ sind der Schmerz um den Krebstod der Mutter, die Abstoßung vom väterlichen Glauben und Abscheu vor Sexualität als rüdem Akt der Fortpflanzung hart aneinander gefügt:
In Gottes Namen denn, habt acht,
bei Mutters Krebs die Dunstverbände
woher –? Befiehl du deine Hände –
zwölf Kinder heulen durch die Nacht.
Der Alte ist im Winter grün
wie Mistel und im Sommer Hecke,
’ne neue Rippe und sie brühn
schon wieder in die Betten Flecke.
Benn hat mit knapp 26 Jahren im März 1912 – also zu einer Zeit, als seine Mutter bereits mit dem Tod rang – den Gedichtzyklus Morgue geschrieben, der sein medizinisches Sujet in jener provozierenden Härte behandelt, die ihn als Autor so rasch berühmt machte. Um diese Härte zu erklären, reicht die Sektionserfahrung des jungen Arztes nicht aus. Auch ist auf den nach außen gerichteten literarischen Tabubruch bislang zuviel Wert gelegt worden, zuwenig dagegen auf die biographische Konstellation, in der er sich ereignete, und deren seelischen Rückschlag. Um das von hier aus explosionsartig sich entfaltende Werk verstehen zu können, muß man das ärztliche Erlebnis in die innere Welt des noch unfertigen jungen Manns einordnen, wozu die mystifizierende poetologische Selbstdarstellung des Autors im „Lebensweg eines Intellektualisten“ den Blick eher versperrt als freigibt:
Es war ein Zyklus von sechs Gedichten, die alle in der gleichen Stunde aufstiegen, sich herauswarfen, da waren, vorher war nichts von ihnen da; als der Dämmerzustand endete, war ich leer, hungernd, taumelnd und stieg schwierig hervor aus dem großen Verfall.
Benn betont auffällig das Voraussetzungslose, Biographielose des schöpferischen Prozesses. Das verpflichtet den Leser geradezu, Hintergründe mitzudenken, die für den Autor selbst nicht sichtbar waren, und so drängt sich mir eine andere Lesart auf: Benns kalte Schnitte in die Leiber und in den Leib der Sprache zielten auf das eigene Fleisch. Sie waren ein sprachliches Ritual der Selbstschädigung, radikaler Ausdruck innerer Spannung, die dem Autor ihrer Herkunft und Richtung nach nicht notwendig bewußt gewesen sein muß, es wohl gar nicht sein durfte, weil ein Wissen darum die dichterische Produktion beeinträchtigt oder verhindert hätte. Indem er Brust und Bauchhöhle eines ersoffenen Bierfahrers, den angeknabberten Mund eines im Schilf gelegenen Mädchens oder den Backenzahn einer unbekannt verstorbenen Dirne inspizierte, rüde an Blinddärmen riß und eine Krebsbaracke kalten Blicks durchschritt, trennte er schon im Vorgriff auf den bevorstehenden Tod der Mutter symbolisch jedes warme, teilnehmende Gefühl und damit auch alle aus der Kindheit mitgeschleppte Trauer von sich ab:
Hier dieser schnitt man
erst noch ein Kind aus dem verkrebsten Schoß
es ist die Geburt des Dichters aus dem Leib der sterbenden Mutter.
Ihr heraufziehender Tod setzt enorme Energien frei, Spaltungsenergien. Das Weiche, Sehnsüchtige, das kindliche Gefühl, das noch an der Mutter, überhaupt an anderen hängt, wird radikal verleugnet („hing an keinem“ ist eine Formel, die in Benns autobiographischer Prosa ein Glücksgefühl bezeichnet: sie ist gemünzt auf seine Situation als Militärarzt in Brüssel während des Ersten Weltkriegs, als er fern von seiner acht Jahre älteren Frau und seiner kleinen Tochter Nele lebte). Kein Zweifel, daß diese Verleugnung äußerst produktiv ist. Die Härte, die ganze Wucht seiner frühen Gedichte, die Energie, die ein Jahrzehnt lang vorhält und ihn zum Zynischen und zum Skandalösen treibt, bevor sich in den Zwanzigern der Ton der Gedichte ändert, deutet auf das Ausmaß des verdrängten Schmerzes. Eine einzige Stelle des lyrischen Frühwerks wird in dieser Hinsicht deutlicher, es sind die Mutter überschriebenen Verse, die als sechstes Stück im Zyklus „Söhne“ stehen, den Benn seiner 13 Jahre älteren Geliebten Else-Lasker Schüler widmete, mit der er um die Zeit der Morgue und des Todes seiner Mutter zusammenkam:
Ich trage dich wie eine Wunde
auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.
Sie schmerzt nicht immer. Und es fließt
das Herz sich nicht draus tot.
Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre
Blut im Munde.
Im Ton sind diese Verse innerhalb des Zyklus ganz ungewöhnlich, sie zeigen weder die Tendenz zum Skandalösen, noch hängen sie sich so eng an den Lasker-Schüler-Ton an wie manches andere Benn-Gedicht dieser Zeit. „Nur manchmal plötzlich bin ich blind… Es ist ein Knabe, den ich manchmal sehe.“ Blind wofür? Heißt blind nicht: sehend für Dinge, die sonst verborgen sind? Blind also für den verlassenen Knaben, das ,innere Kind‘? Sehen wir auf das wunderbar indirekte Gedicht „Jena“ von 1926, in dem Benn die Mutter noch einmal erscheinen läßt, heraufgerufen durch einen einzigen handschriftlichen Satz:
„Jena vor uns im lieblichen Tale“
schrieb meine Mutter von einer Tour
auf einer Karte vom Ufer der Saale,
sie war in Kösen im Sommer zur Kur;
nun längst vergessen, erloschen die Ahne,
selbst ihre Handschrift, Graphologie,
Jahre des Werdens, Jahre der Wahne,
nur diese Worte vergesse ich nie.
Soweit die erste Strophe. Auch hier also die Nähe zum Fluß und das emotionale Understatement, wenn der Sohn sich der toten Mutter als Graphologe nähert; auch hier die Verwischung der Konturen personaler Geschichte, wenn die Mutter zur Ahnin mutiert – aber gibt es für einen Dichter Faszinierenderes als Schrift, die von weither kommt? Die zweite Strophe liefert in der übergenauen Betrachtung der Postkarte gleichsam unter der Hand eine Skizze der sozialen Herkunft mit, die in ihren knappen Andeutungen tiefer greift als die spätere Selliner Dorfbeschreibung.
Es war kein berühmtes Bild, keine Klasse,
für lieblich sah man wenig blühn,
schlechtes Papier, keine holzfreie Masse,
auch waren die Berge nicht rebengrün,
doch kam man vom Lande, von kleinen Hütten,
so waren die Täler wohl lieblich und schön,
man brauchte nicht Farbdruck, man brauchte nicht Bütten,
man glaubte, auch andere würden es sehen.
Die Aufdeckung materieller Armut, bescheidener Wohnverhältnisse und des aus ihnen resultierenden beschränkten Blicks, die Benn hier der Mutter zuschreibt, sagt viel mehr über sein Herkommen als jene Dorfjungenidylle. Die weite Distanzierung des Sprechers, der sich dem Ort der Kindheit als anonymer Ethnograph nähert, zeigt deutlich, daß er diese Jahre viel lieber vergißt als sich ihrer milde zu erinnern. Sie spricht aber zugleich Bände über die innere Bewegtheit, die es dabei zu meistern galt; eine zitternde Spannung, die dem Gedicht seine bestürzend leise Intensität gibt und die in der dritten Strophe noch weiter vorangetrieben wird. In den ersten vier Versen ist die tote Mutter fast zum Anfassen nahe; die letzten vier Versen stoßen dieses Bild von sich und treiben Abrückung, Historisierung und Entpersonalisierung mit beinah ängstlicher Wucht voran:
Es war wohl ein Wort von hoher Warte,
ein Ausruf hatte die Hand geführt,
sie bat den Kellner um eine Karte,
so hatte die Landschaft sie berührt,
und doch – wie oben – erlosch die Ahne,
und das gilt allen und auch für den,
die – Jahre des Werdens, Jahre der Wahne –
heute die Stadt im Tale sehn.
Das gilt für alle – und auch für den? Und dann als Anschluß: die – an dieser Stelle ein schwierig einzuordnendes Relativpronomen; der grammatische Schnitzer dient erneut als Nebelkerze, um die Bezüge undeutlich zu machen. Der Einzelne, für den etwas gilt (was eigentlich?), geht in der Verallgemeinerungsgeste („gilt allen… die“) ein wenig unter, wie ein Knabe in einem viel zu weiten Anzug. Aber man ahnt ihn noch – hier rauscht kein mondloses Urmeer, es ist nur die Saale, und so weit die Mutter sich als „Ahne“ entfernt haben mag, sie bleibt doch als Person zu erkennen: Die Regression geht nicht so weit wie in den vielen meeres-rauschenden Gedichten dieser Phase, unter denen „Jena“ in seinem so konkret persönlichen Understatement fast verloren dasteht. Ich habe mich deshalb über „Jena“ oft gewundert und gedacht, daß man es ohne weiteres in die späten Bände einordnen könnte, die aus den fünfziger Jahren, die um so vieles genauer, empirischer in ihrer Zeichnung des Ichs und anderer porträtierter Personen sind.
In den schwarzen Cafégedichten der zehner Jahre oft nur zynisch als Körperteile und -funktionen angesprochen, wird den beobachteten Zeitgenossen der späten Kneipengedichte bei aller Distanz sogar eine gewisse personale Würde zuerkannt: „Das sind doch Menschen“, heißt es halb spöttisch, halb verwundert; „um dich das Menschentum und sein Gebarme, das Ehepaar und der verhaßte Hund“, aber ihre Gesellschaft wird doch gesucht. „Menschen getroffen“ zu haben, gehörte zu seinen letzten Mitteilungen. Zuvor muß er sich selbst getroffen haben. „Verließ das Haus, verzehrt, er litt so sehr“, heißt es in so einem späten Gedicht. Das klingt wie eine Korrektur des frühen Verses: „Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel / Wäre zu weit und litte schon zu sehr.“ – Indikativ statt Irrealis. Etwas muß geschehen sein, das es ihm möglich machte, die eigene Trauer klarer zu sehen und die im Gedicht inszenierten Regressionen ein wenig überschaubarer zu halten. „Man hat gar keinen anderen Massstab als die Laune, die Stimmung, die Malaise in sich selbst, wenn man eben so alt wird und weiter dichtet“, schrieb er am 25. Februar 1951 an Oelze. Ein Bekenntnis zur Melancholie als ganz persönlicher Angelegenheit, wie es sich keineswegs von selbst versteht – über Jahrzehnte hinweg mußte in Benns Gedichten immer gleich das ganze Abendland untergehen, um die hemmungslose Trauer zu rechtfertigen, die ihn immer wieder überkam. Indem er sich nun bewußter auf den inneren Impuls einließ, fertigte er freilich alles andere als flache Stenogramme der Befindlichkeit, sondern schuf Räume aus Worten, die für andere dauerhaft betretbar sind, in die auch ich meinen Schmerz mit hineinnehmen kann. Aus Bild und Klang, gedanklich aufgeladen, entstehen „objektive Korrelate“ (Eliot) eines persönlichen Gefühls, die das Subjektive in sich bergen, es zugleich aber weit übersteigen.
Die alten Themen und Motive, das Blau, die See, die Rückzugssehnsüchte fehlen zwar auch in den späten Gedichten nicht, aber sie werden anders gestaltet und anders gewichtet. Das große, sechs zehnzeilige Strophen umfassende Gedicht „Melancholie“ von 1954 zeigt diese Wandlung par excellence. Ich liebe dieses Gedicht schon lange, aber erst jetzt, wo ich es erneut betrachte, fällt mir schlagartig auf: Es beginnt im Schilf, und es endet mit einem Knaben!
Wenn man von Faltern liest, von Schilf und Immen,
daß sich darauf ein schöner Sommer wiegt,
dann fragt man sich, ob diese Glücke stimmen
und nicht dahinter eine Täuschung liegt,
und auch das Saitenspiel, von dem sie schreiben,
mit Schwirren, Dufthauch, flügelleichtem Kleid,
mit dem sie tun, als ob sie bleiben,
ist anderen Ohren eine Fraglichkeit:
ein künstliches, ein falsches Potpourri –
untäuschbar bleibt der Seele Agonie.
Diese Eingangsverse erscheinen mir jetzt in einem ganz anderen Licht: Die Abwehr idyllischer Klischeevorstellungen ist nicht bloß als Kritik der in der Nachkriegszeit vorherrschenden Naturlyrik zu verstehen, sie soll die Bilder eines inneren Ortes schützen, der nicht dem Glück, sondern der Trauer geweiht ist. Er muß es wissen, denn er war dort und hat ihn gesehen:
Es ist ein Knabe, dem ich manchmal trauere,
der sich am See in Schilf und Wogen liess
– „untäuschbar bleibt der Seele Agonie.“ Es folgen Verse, die populärer wurden als der Rest des Gedichts:
Was ist der Mensch, – die Nacht vielleicht geschlafen,
doch vom Rasieren wieder schon so müd,
noch eh ihn Post und Telefone trafen,
ist die Substanz schon leer und ausgeglüht,
ein höheres, ein allgemeines Wirken,
von dem man hört und manches Mal auch ahnt,
versagt sich vielen leiblichen Bezirken,
verfehlte Kräfte, tragisch angebahnt:
man sage nicht, der Geist kann es erreichen,
er gibt nur manchmal kurzbelichtet Zeichen.
Das Bekenntnis zum Profanen der eigenen Existenz macht heutigen Lesern gewiß den Zugriff leichter, aber es muß aus dem Zusammenhang des Gedichts und des ganzen Werks heraus verstanden werden. Wenn hier der Geist, von Benn in den dreißiger Jahren noch heroisch als „Gegenglück“ und als Macht, der man dienen kann, bezeichnet, an die Hinfälligkeit des Körpers rückgebunden wird, steckt darin nicht bloß Altersresignation, sondern auch Selbstannahme. Die Flucht zu den Ururahnen hat sich wohl erledigt. Es gilt nun, das Leben, so wie es ist, zu ertragen; als eine von Leiden geprägte, wenig glanzvolle Angelegenheit. Nicht einmal den Schöpfer kann man für die Misere recht verantwortlich machen:
Nicht im entferntesten ist das zu deuten,
als ob der Schöpfer ohne Seele war,
er fragt nur nicht so einzeln nach den Leuten,
nach ihren Klagen, Krebsen, Haut und Haar,
er wob sie aus Verschiedenem zusammen
das er auch noch für andere Sterne braucht,
er gab uns Mittel, selbst uns zu entflammen
– labil, stabil, labil – man träumt, man taucht:
schon eine Pille nimmt dich auf den Arm
und macht das Trübe hell, das Kalte warm.
Die Krankheit, die der Mutter den Tod brachte, ist hier ebenso enthalten wie der Wunsch, auf den Arm genommen zu werden. Schmerzstiller und Narkotika müssen diese Aufgabe übernehmen, aber sie werden nicht länger glorifiziert. Es gilt, bei sich zu bleiben.
Du mußt aus deiner Gegend alles holen,
denn auch von Reisen kommst du leer zurück,
verläßt du dich, beginnen Kapriolen
und du verlierst dir Stück um Stück.
Von Blumen mußt du solche wählen,
die blühn am Zaun und halb im Acker schon,
die in das Zimmer tun, die Laute zählen
des Lebens Laute, seinen Ton:
vermindert oder große Terzen –
ein Kältliches verstarrt die Herzen.
Verminderte oder große Terz, Dur oder Moll – es gelingt nun, beides zu integrieren. So führen es die Gedichtbände der fünfziger Jahre vor, Fragmente, Destillationen und Aprèslude, die auf engem Raum immer wieder sehnsüchtig-melancholische Gedichte mit solchen mischen, die auf den scharfen Ton und den kalten Blick der Anfänge zurückgreifen. Erst am Ende stand dem Dichter die ganze Palette seiner Möglichkeiten voll zur Verfügung. Das erlaubt, anstelle der wilden Flucht in die Vorgeschichte, nun den geordneten und betrachtenden Rückzug:
Die Blumen so – dann zu Vergangenem
sich wendend oder Zukunft, wie sie wird,
da gehst du von Verschleiert zu Verhangenem,
einem Vielleicht zu einwandfrei Geirrt,
ein Hin und Her: einmal versiegte Güsse
und Noah strahlt, die Arche streift auf Land,
und einmal ist der Nil der Fluß der Flüsse,
Antonius küßt die braune, schmale Hand:
die Ruriks, Anjous, Judas, Rasputin
und nur dein eigenes Heute ist nicht drin.
Hier wird Geschichte nicht ausgelöscht oder, wie in den Kulturrevuen früherer Gedichte, als Ansammlung von Nichtigkeiten durchgehechelt. Sie wird vielmehr stichwortartig entfaltet, und durch alle Vorhänge und Schleier scheint der Blick bis auf die eigenen Irrtümer durchzudringen: „einem Vielleicht zu einwandfrei Geirrt“ – ich muß an dieser Stelle immer an Benns Rundfunkreden um 1933 denken und seine schnöde Antwort an Klaus Mann und die „literarischen Emigranten“. Er hat Irrtümer zwar schon ausführlich in Doppelleben eingeräumt, aber dieses vage und verklausulierte Eingeständnis im heiligen Bezirk des Gedichts stufe ich höher ein.
Tiere, die Perlen bilden, sind verschlossen,
sie liegen still und kennen nur die See;
an Land und Luft: Gekrönte und Profossen –
noch eine Herme mehr in der Allee;
nur Äon schweigt, er hält die Perlengabe,
wo alles fehlt und alles zielt,
der Äon träumt, der Äon ist ein Knabe,
der mit sich selbst auf einem Brette spielt:
noch eine Herme mehr – man lasse sie,
auch sie führt zum Gedicht: Melancholie.
Hier hat die See ihn wieder, aber er zerfließt nicht mehr in ihr: Der Dichter im Bild der Muschel, in sich abgeschlossen, Schutzraum bietend seinen Hervorbringungen; die Perle – ein glänzendes, schimmerndes, von Perlmuscheln um eingedrungene Fremdkörper gebildetes, hartes Kügelchen, das als Schmuck verwendet wird – als nahezu perfektes Bild für das Gedicht. Es ist eine zumeist feindliche Welt, die die Fremdkörper entsendet – aber sie werden nicht länger aufgelöst, sondern haltbar gemacht. „Noch eine Herme mehr in der Allee“, ein dem Gott Hermes, dem Helfer der Reisenden und Hadesbegleiter, geweihtes, den Weg markierendes Standbild; „noch eine Herme mehr – man lasse sie, / auch sie führt zum Gedicht: Melancholie“ – Melancholie als Weiser zum Gedicht, das muß für Benn, eigentlich erstaunlich, etwas Neues gewesen sein. Er hat das Gedicht „Melancholie“ selbst als „neuartig“ bezeichnet und äußerte zu Oelze, es sei ihm „leicht von der Hand“ gegangen.
Das seltsamste Bild der letzten Strophe aber gilt dem „Äon“, dem personifizierten Weltalter. Es ist vielleicht so zu verstehen, daß unter dem antikisierenden Bild das eigene Äon des Dichters sichtbar wird, seine zu Ende gehende Lebenszeit, die er – mythisch überhöhend und doch zart – überblickt. Der Äon als „Knabe, der mit sich selbst auf einem Brette spielt“, so wie der Knabe im Schilf sich ganz allein vergnügen mußte. Welche Brettspiele unter den Göttern geläufig waren, wissen wir nicht; aber eine Partie Halma oder Mühle mit sich selbst zu spielen, mag auch in dem Haus möglich gewesen sein, wo keine Gainsboroughs hingen, und so etwas ist immer schön und traurig zugleich.
Benn ist es gelungen, aus großem Schmerz große Kunst zu machen, und dies geschah lange Zeit auf Kosten des Knaben im Schilf. Kein Wunder, daß er von Kindern nichts wissen wollte, sie hätten ihn zu sehr erinnert. Die späten Gedichte sind diejenigen, in denen er sich selbst und anderen am nächsten kommt, weil er den Blick auf die Trauer des Einzelnen zu richten vermag, ohne sich gleich völlig des Bewußtseins begeben und ins warme Moor zurück zu wollen, und ich führe das auf die kurze Begegnung mit dem Knaben zurück. Hätte er ihn früher getroffen, hätte er vielleicht auch um 1933 herum schon klarer zu sehen vermocht.
Norbert Hummelt, in Jan Bürger (Hrsg.): Ich bin nicht innerlich, Klett-Cotta, 2003
Max Rychner: Gottfried Benn. Züge seiner dichterischen Welt, Merkur, Heft 18, August 1949
Max Rychner: Gottfried Benn. Züge seiner dichterischen Welt (II), Merkur, Heft 19, September 1949
Hans Egon Holthusen: Das Schöne und das Wahre in der Poesie. Zur Theorie des Dichterischen bei Eliot und Benn, Merkur, Heft 110, April 1957
L.L. Matthias: Erinnerungen an Gottfried Benn, Merkur, Heft 171, Mai 1962
Nico Rost: Begegnungen mit Gottfried Benn, Merkur, Heft 218, Mai 1966
Nino Franks Bericht über seinen Besuch bei Benn, Merkur, Heft 398, Juli 1981
Walter Aue: „Das ist Bahia, am Meer“. Wege zu Gottfried Benn
Norbert Hummelt: Auf einen Sprung zu Gottfried Benn
Hans Magnus Enzensberger: Überlebenskünstler Gottfried Benn
Helmut Böttiger: Gottfried Benn – Kleine Aster und andere Gedichte
Gottfried Benn: Kleine Aster – Gedichte und Prosa. Ulrike Draesner und John von Düffel im Gespräch mit Anja Brockert am 21.01.2019 im Literaturhaus Stuttgart.
Lesung: Holger Hof
Moderation: Jörg Magenau
Im Literarischen Colloquium Berlin am 13.12.2011
Tondokument: Peter Rühmkorf und Adolf Muschg über Benn und Brecht am 16.9.2006 in der literaturwerkstatt berlin.
Carl Werckshagen: Gottfried Benn 60 Jahre
Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung, 27.4.1946
Max Rychner: Gottfried Benn
Die Tat, Nr. 120, 3.5.1956
Adolf Muschg, Jürgen P. Wallmann, Edgar Lohner: Abschied von Gottfried Benn?
Die Tat, 29.4.1966
Jürgen P. Wallmann: Kunst als metaphysische Tätigkeit
Die Tat, 2.7.1966
Bruno Hillebrand: Gottfried Benn – zehn Jahre nach seinem Tod
Neue Deutsche Hefte, Heft 110, 1966
Peter Rühmkorf: „Und aller Fluch der ganzen Kreatur“
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.6.1976
Jürgen P. Wallmann: „Der Ruhm hat keine weissen Flügel“
Die Tat, 30.4.1976
Gert Westphal: Gottfried Benn – nach zwanzig Jahren
Neue Zürcher Zeitung, 23.7.1976
Heinz Friedrich: Plädoyer für die schwarzen Kutten
Merkur, Heft 30, 1976
Albrecht Schöne: Gottfried Benn?
Die Zeit, 2.5.1986
Peter Rühmkorf: Gottfried Benn oder „teils-teils das Ganze“
Deutsches Sonntagsblatt, 6.7.1986
Wolfram Malte Fues: Nur zwei Dinge
manuskripte, Heft 174, 2006
Jörg Drews: Das Gegenteil von ,gut gemeint‘
Tages-Anzeiger, 4.7.2006
Cornelius Hell: Persönlich, poetisch, politisch
Die Furche, 29.6.2006
Gottfried Benn – das letzte und einzige Fernseh-Interview mit Gottfried Benn am 3. Mai 1956 zum 70. Geburtstag.
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